"Plattform" protokolliert erbarmungslos ein Leben: Tristesse, Liebesglück und tragischen Tod. Der Erzähler Michel ist Beamter im Kultusministerium. Vierzig, farblos, frustriert und nach Dienstschluss einsamer Peep-Show-Erotomane und Experte im TV-Zappen. Die Urlaubspauschalreise ins Traumland Thailand verspricht diesem "ziemlich mittelmäßigen Individuum" paradiesisches Glück und Erlösung: Sexgenuss mit Asiatinnen. Die Mitreisende Valerie, eine erfolgreiche Managerin in der Tourismusindustrie, lernt er erst nach der Rückkehr ins lieblose Paris wirklich kennen - und mit ihr ein tiefes menschliches Glück voller Obsessionen, und ohne Bezahlung.
Zusammen erfinden Valerie und Michel ein rettendes Programm für die Reisebranche, die Plattform zum Glück: Wenn mehrere hundert Millionen alles haben, bloß kein sexuelles Glück, und mehrere Milliarden nichts haben als ihren Körper, dann ist das "eine Situation des idealen Tauschs". Michel und Valerie wollen die verlorene Liebesfähigkeit des Westens in neuartigen Ferienclubs organisieren. Aber das gemeinsame Glück, nach dem Houellebecqs Erzähler Michel verzweifelt sucht, wird bei einem terroristischen Anschlag in Thailand von Islamisten zerstört.
Zusammen erfinden Valerie und Michel ein rettendes Programm für die Reisebranche, die Plattform zum Glück: Wenn mehrere hundert Millionen alles haben, bloß kein sexuelles Glück, und mehrere Milliarden nichts haben als ihren Körper, dann ist das "eine Situation des idealen Tauschs". Michel und Valerie wollen die verlorene Liebesfähigkeit des Westens in neuartigen Ferienclubs organisieren. Aber das gemeinsame Glück, nach dem Houellebecqs Erzähler Michel verzweifelt sucht, wird bei einem terroristischen Anschlag in Thailand von Islamisten zerstört.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Das größte Manko des Buches ist für Rezensent Richard Kämmerlings, dass Houllebecq hier auch einen Liebesroman schreiben wollte. Kompliziert erklärt der Rezensent, was man einfach vielleicht so sagen könnte: Houllebecq kann eben keine intensiven Beziehungen zwischen Individuen beschreiben. Kämmerlings vermutet ohnehin, dass der Autor "mit seinem Soziologenlatein" am Ende ist: Wozu sonst brauche er den islamischen Fundamentalismus als "Deus ex Machina" um die Liebesgeschichte des Protagonisten brutal zu beenden? Auch enthalte das Buch "Unmengen an rassistischem Gedankengut", was man dem Autor nur deswegen nicht vorwerfen könne, weil Weiße am schlechtesten wegkämen. In Frankreich sei das Buch mit Recht als Rechtfertigung "des schmutzigen Geschäfts des Sextourismus" und der Kinderprostitution gelesen worden. Die Reisegruppe der Sextouristen findet Kämmerlings allerdings "mit glänzender Boshaftigkeit" beschrieben. Ansonsten ist ihm der "Thesenroman" offensichtlich zu schematisch, dessen Handlungsstruktur er als dem Muster des Softpornos folgend beschreibt. Alle paar Seiten "ein Geschlechtsakt in wechselnden Konstellationen", die beteiligten Frauen: oft "reine Klischees". Klischeehaft findet der Rezensent auch die Sprache des Buches und stört sich an "Wellen der Lust" und "markerschütternden Schreien" beim Sex. Ein Camus für unsere Zeit? fragt der Rezensent auch angesichts augenscheinlicher Parallelen. Doch Houellebecqs Kalkül, die Camus-Marktlücke zu füllen, sieht er dann nicht aufgehen.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.02.2002 Skandalautor
Weltekel mit Wahrheitscharakter
Man könnte meinen, zum Thema Sex sei schon genug gesagt. Doch unser skandalsüchtiges Nachbarland, die Grande Nation, lässt sich derzeit von neuer Literatur mächtig erregen. Catherine Millets Beischlaf-Bekenntnisse und Michel Houellebecqs Plädoyer für Sex-Tourismus sprengen die Auflagenrekorde.
Jetzt erscheint des Franzosen neuester Roman, „Plattform”, auf Deutsch, und gleichzeitig muss sich der Autor dafür wegen angeblicher Frauenverachtung und Verunglimpfung des Islam vor einem Pariser Gericht rechtfertigen. Am Donnerstag, 7. Februar, 20 Uhr liest Houllebecq im Hörsaal 1200 der TU, Arcisstraße 21 (ausverkauft!). Politisch korrekt ist die Literatur des 44-Jährigen, der darin auch eigene Sucht und Depression verarbeitet, sicher nicht. Aber eine gnadenlose Analyse der westlichen Zivilisation. Seine Diagnose: Unsere Zeitgenossen sind nur noch funktionierende Rädchen im Getriebe des Kapitalismus, liebes-, sex-, ja überhaupt kommunikationsunfähig, „von Egoismus, Masochismus und Tod durchdrungen”. Sein Therapievorschlag: Gefühlssex mit Prostituierten in der Dritten Welt – gut bezahlte Nachhilfe in Liebeskunst. Houllebecqs soziologischer Beitrag zur Globalisierung beruht offensichtlich auf gründlicher Recherche, ist brutal, obszön, hoffnungslos. Weltekel mit Wahrheitscharakter.
mse
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Weltekel mit Wahrheitscharakter
Man könnte meinen, zum Thema Sex sei schon genug gesagt. Doch unser skandalsüchtiges Nachbarland, die Grande Nation, lässt sich derzeit von neuer Literatur mächtig erregen. Catherine Millets Beischlaf-Bekenntnisse und Michel Houellebecqs Plädoyer für Sex-Tourismus sprengen die Auflagenrekorde.
Jetzt erscheint des Franzosen neuester Roman, „Plattform”, auf Deutsch, und gleichzeitig muss sich der Autor dafür wegen angeblicher Frauenverachtung und Verunglimpfung des Islam vor einem Pariser Gericht rechtfertigen. Am Donnerstag, 7. Februar, 20 Uhr liest Houllebecq im Hörsaal 1200 der TU, Arcisstraße 21 (ausverkauft!). Politisch korrekt ist die Literatur des 44-Jährigen, der darin auch eigene Sucht und Depression verarbeitet, sicher nicht. Aber eine gnadenlose Analyse der westlichen Zivilisation. Seine Diagnose: Unsere Zeitgenossen sind nur noch funktionierende Rädchen im Getriebe des Kapitalismus, liebes-, sex-, ja überhaupt kommunikationsunfähig, „von Egoismus, Masochismus und Tod durchdrungen”. Sein Therapievorschlag: Gefühlssex mit Prostituierten in der Dritten Welt – gut bezahlte Nachhilfe in Liebeskunst. Houllebecqs soziologischer Beitrag zur Globalisierung beruht offensichtlich auf gründlicher Recherche, ist brutal, obszön, hoffnungslos. Weltekel mit Wahrheitscharakter.
mse
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Sexualität als Tauschware
"Ich bin im großen und ganzen kein guter Mensch, Güte ist kein Charakterzug, der mich auszeichnet. Der humanitäre Gedanke widert mich an, das Schicksal der anderen ist mir im allgemeinen gleichgültig, ich kann mich nicht erinnern, jemals das geringste Gefühl von Solidarität empfunden zu haben."
So beschreibt sich der Ich-Erzähler, ein kleiner Beamter im Pariser Kulturministerium, der sich nach Feierabend entweder durch 128 Kanäle zappt oder sich in Peepshows die schnelle Befriedigung kauft, in Houellebecqs neuem Roman selbst. Ist es Zufall, dass der Protagonist des Romans wie der Autor selbst, also Michel heißt? Wie auch immer - auf jeder Seite des Buches werden die provokanten, geradezu abstoßenden Wesenszüge des Beamten deutlich:
Nach dem Tod seines Vaters reist Michel als Pauschaltourist nach Thailand, um sich dort mit thailändischen Mädchen zu vergnügen. Valérie, einer Mitreisenden, begegnet er nach seiner Rückkehr in Paris wieder. Sehr schnell werden Michel und Valérie ein Paar. In ungezügeltem Sex scheinen beide ihr gemeinsames Lebensglück zu finden. Aber auch außerhalb ihrer Privatsphäre beschäftigt sie ausschließlich das Thema sexuelle Befriedigung: So entwickelt Valérie, die in der Tourismusbranche tätig ist, gemeinsam mit Michel die Idee eines konzernmäßig organisierten Sex-Tourismus. Das Programm soll "Eldorado Aphrodite" heißen. Dahinter verbirgt sich ein sehr simples, animalische Konzept, den Tourismus durch Sex anzukurbeln. Gerade in den Ländern der Dritten Welt soll dem frustrierten West-Tourist die Möglichkeit, ja eine Plattform geboten werden, hemmungslosen Sex zu haben; und das nicht heimlich in irgendwelchen Clubs, sondern als Teil seiner Pauschalreise. Sex wird zur Tauschware. Gutes Geld gegen guten Sex. Kein Wunder also, dass der Roman seit seinem Erscheinen in Frankreich im letzten Jahr eine Welle öffentlicher Erregung auslöste, die bis heute anhält. (Wibke Garbarukow)
"Wie wachsendes Donnergrollen kündigt sich bereits - unvermeidlich bei Houellebecq - eine tobende Polemik um die vermeintlichen Exzesse, Vulgaritäten und reaktionären Entgleisungen des Autors an." (Der Spiegel)
"Ich bin im großen und ganzen kein guter Mensch, Güte ist kein Charakterzug, der mich auszeichnet. Der humanitäre Gedanke widert mich an, das Schicksal der anderen ist mir im allgemeinen gleichgültig, ich kann mich nicht erinnern, jemals das geringste Gefühl von Solidarität empfunden zu haben."
So beschreibt sich der Ich-Erzähler, ein kleiner Beamter im Pariser Kulturministerium, der sich nach Feierabend entweder durch 128 Kanäle zappt oder sich in Peepshows die schnelle Befriedigung kauft, in Houellebecqs neuem Roman selbst. Ist es Zufall, dass der Protagonist des Romans wie der Autor selbst, also Michel heißt? Wie auch immer - auf jeder Seite des Buches werden die provokanten, geradezu abstoßenden Wesenszüge des Beamten deutlich:
Nach dem Tod seines Vaters reist Michel als Pauschaltourist nach Thailand, um sich dort mit thailändischen Mädchen zu vergnügen. Valérie, einer Mitreisenden, begegnet er nach seiner Rückkehr in Paris wieder. Sehr schnell werden Michel und Valérie ein Paar. In ungezügeltem Sex scheinen beide ihr gemeinsames Lebensglück zu finden. Aber auch außerhalb ihrer Privatsphäre beschäftigt sie ausschließlich das Thema sexuelle Befriedigung: So entwickelt Valérie, die in der Tourismusbranche tätig ist, gemeinsam mit Michel die Idee eines konzernmäßig organisierten Sex-Tourismus. Das Programm soll "Eldorado Aphrodite" heißen. Dahinter verbirgt sich ein sehr simples, animalische Konzept, den Tourismus durch Sex anzukurbeln. Gerade in den Ländern der Dritten Welt soll dem frustrierten West-Tourist die Möglichkeit, ja eine Plattform geboten werden, hemmungslosen Sex zu haben; und das nicht heimlich in irgendwelchen Clubs, sondern als Teil seiner Pauschalreise. Sex wird zur Tauschware. Gutes Geld gegen guten Sex. Kein Wunder also, dass der Roman seit seinem Erscheinen in Frankreich im letzten Jahr eine Welle öffentlicher Erregung auslöste, die bis heute anhält. (Wibke Garbarukow)
"Wie wachsendes Donnergrollen kündigt sich bereits - unvermeidlich bei Houellebecq - eine tobende Polemik um die vermeintlichen Exzesse, Vulgaritäten und reaktionären Entgleisungen des Autors an." (Der Spiegel)
"Wie wachsendes Donnergrollen kündigt sich bereits - unvermeidlich bei Houellebecq - eine tobende Polemik um die vermeintlichen Exzesse, Vulgaritäten und reaktionären Entgleisungen des Autors an." (Der Spiegel)