Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2014Eine bezaubernde Autistin
Douglas Coupland, der Erfinder der „Generation X“, schreibt einen Thriller mit existenziellem Anspruch
Heute ist nicht viel los in der Lounge des Camelot-Hotels am Flughafen von Toronto, gerade einmal fünf Leute halten sich dort auf, den Barkeeper mitgerechnet. Aber unter einer Oberfläche von Langeweile pulst die Erwartung: Rick, der Barkeeper, weiß, dass ihm gleich die Begegnung mit dem Erweckungsprediger bevorsteht, der sein Leben verändert hat; Luke, abtrünniger Pastor, ist mit dem Geld seiner Gemeinde durchgebrannt, das ihm jetzt in den Taschen brennt; Karen und Warren haben sich im Internet kennengelernt und werden sich jetzt das erste Mal persönlich treffen; und die Autistin Rachel will endlich beweisen, dass sie auch ein echter Mensch ist, indem sie sich aufs Geradewohl einen Mann sucht und sich von ihm schwängern lässt, was, wie sie im Kompetenz-Seminar gelernt hat, das größte Mysterium der Menschheit sei.
Mit Warren läuft es für Karen so schief wie nur möglich, die poetische Gerechtigkeit serviert ihn frühzeitig ab; und so bleiben nur vier zurück, auf die ein oder andere Weise sämtlich Loser, die sich plötzlich als Schicksalsgemeinschaft wiederfinden und trotz aller Verschiedenheit erstaunlich wacker schlagen: Bremer Stadtmusikanten des 21. Jahrhunderts. Von einer Minute auf die andere nämlich ändert sich alles, ohne dass der Leser erführe, worin die zivilisatorische Katastrophe genau besteht. Der Ölpreis erreicht 900 Dollar pro Barrel, die Öltanks am Flughafen explodieren und verpesten die Luft, und da übt auch schon ein religiöser Spinner im Besitz einer Feuerwaffe sein Richteramt aus. Armer Warren!
„Spieler Eins“ von Douglas Coupland, der vor zwei Jahrzehnten mit seinem Roman „Generation X“ berühmt wurde, hat seine Stärke eindeutig in den Figuren. Sie sind, obwohl sie natürlich den Anforderungen des Genres Genüge zu leisten haben, überzeugend in ihrer Mehrdeutigkeit und überraschender Handlungen fähig, selbstloser ebenso wie brutaler. Als herausragende Schöpfung muss man die Gestalt der Rachel bezeichnen, die so darunter leidet, keiner menschlichen Erlebnisse und Gefühle fähig zu sein, und gar nicht merkt, wie sehr schon dieses Bedürfnis ein menschliches Gefühl bedeutet. Sie will alles richtig machen – und es gelingt ihr auf den wunderlichsten Wegen.
Um ihretwillen lohnt es sich allemal, ein Buch zu lesen, das ansonsten nicht unerhebliche Schwächen aufweist. Die Handlung kommt sehr langsam voran; und alle Personen haben die Neigung zum existenziellen Tiefsinn in schnoddrigem Ton. In solchen Momenten verflachen sie zu Mundstücken ihres Autors, der ersichtlich nicht nur einen Thriller liefern, sondern uns auch die moderne Welt deuten will. Insbesondere Gott – ein barbarischer, amerikanischer Gott – wird etwas zu häufig im Munde geführt, als dass er noch wirken könnte.
Und Coupland lässt sich, sehr befremdlich bei einem Thriller, am Schluss des Bandes zu einem dreißig Seiten langen Anhang verleiten, der aussieht wie ein Glossar, tatsächlich aber dazu dient, dialogisch in den Text eingestreute besonders gelungene Formulierungen und Witzlein zu wiederholen, auf dass der Leser sie sich einpräge, unter dem Stichwort „Capillarigenerative Erinnerung“ zum Beispiel: „Die Tendenz der Geschichte, sich vor allem der Menschen zu erinnern, die neue Frisuren erfunden haben – etwa Julius Cäsar, Albert Einstein, Marilyn Monroe, Adolf Hitler und die Beatles.“ Das liest man ganz gern einmal; beim zweiten Mal hingegen erkennt man bekümmert, welch großen Raum im Seelenhaushalt dieses Schriftstellers die Eitelkeit einnimmt.
BURKHARD MÜLLER
Douglas Coupland: Spieler Eins. Roman in 5 Stunden. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen Verlag, Stuttgart 2013. 246 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Wer nicht so genau weiß, was
„Capillarigenerative Erinnerung“
ist, erfährt es in diesem Buch
Douglas Coupland ,
geboren 1961 in Deutschland, wuchs in Vancouver auf, wo er auch heute als Autor und Künstler lebt. Mit seinem Buch „Generation X“ (1991) wurde er zum Sprachrohr einer ganzen Generation.
Foto: imago
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Douglas Coupland, der Erfinder der „Generation X“, schreibt einen Thriller mit existenziellem Anspruch
Heute ist nicht viel los in der Lounge des Camelot-Hotels am Flughafen von Toronto, gerade einmal fünf Leute halten sich dort auf, den Barkeeper mitgerechnet. Aber unter einer Oberfläche von Langeweile pulst die Erwartung: Rick, der Barkeeper, weiß, dass ihm gleich die Begegnung mit dem Erweckungsprediger bevorsteht, der sein Leben verändert hat; Luke, abtrünniger Pastor, ist mit dem Geld seiner Gemeinde durchgebrannt, das ihm jetzt in den Taschen brennt; Karen und Warren haben sich im Internet kennengelernt und werden sich jetzt das erste Mal persönlich treffen; und die Autistin Rachel will endlich beweisen, dass sie auch ein echter Mensch ist, indem sie sich aufs Geradewohl einen Mann sucht und sich von ihm schwängern lässt, was, wie sie im Kompetenz-Seminar gelernt hat, das größte Mysterium der Menschheit sei.
Mit Warren läuft es für Karen so schief wie nur möglich, die poetische Gerechtigkeit serviert ihn frühzeitig ab; und so bleiben nur vier zurück, auf die ein oder andere Weise sämtlich Loser, die sich plötzlich als Schicksalsgemeinschaft wiederfinden und trotz aller Verschiedenheit erstaunlich wacker schlagen: Bremer Stadtmusikanten des 21. Jahrhunderts. Von einer Minute auf die andere nämlich ändert sich alles, ohne dass der Leser erführe, worin die zivilisatorische Katastrophe genau besteht. Der Ölpreis erreicht 900 Dollar pro Barrel, die Öltanks am Flughafen explodieren und verpesten die Luft, und da übt auch schon ein religiöser Spinner im Besitz einer Feuerwaffe sein Richteramt aus. Armer Warren!
„Spieler Eins“ von Douglas Coupland, der vor zwei Jahrzehnten mit seinem Roman „Generation X“ berühmt wurde, hat seine Stärke eindeutig in den Figuren. Sie sind, obwohl sie natürlich den Anforderungen des Genres Genüge zu leisten haben, überzeugend in ihrer Mehrdeutigkeit und überraschender Handlungen fähig, selbstloser ebenso wie brutaler. Als herausragende Schöpfung muss man die Gestalt der Rachel bezeichnen, die so darunter leidet, keiner menschlichen Erlebnisse und Gefühle fähig zu sein, und gar nicht merkt, wie sehr schon dieses Bedürfnis ein menschliches Gefühl bedeutet. Sie will alles richtig machen – und es gelingt ihr auf den wunderlichsten Wegen.
Um ihretwillen lohnt es sich allemal, ein Buch zu lesen, das ansonsten nicht unerhebliche Schwächen aufweist. Die Handlung kommt sehr langsam voran; und alle Personen haben die Neigung zum existenziellen Tiefsinn in schnoddrigem Ton. In solchen Momenten verflachen sie zu Mundstücken ihres Autors, der ersichtlich nicht nur einen Thriller liefern, sondern uns auch die moderne Welt deuten will. Insbesondere Gott – ein barbarischer, amerikanischer Gott – wird etwas zu häufig im Munde geführt, als dass er noch wirken könnte.
Und Coupland lässt sich, sehr befremdlich bei einem Thriller, am Schluss des Bandes zu einem dreißig Seiten langen Anhang verleiten, der aussieht wie ein Glossar, tatsächlich aber dazu dient, dialogisch in den Text eingestreute besonders gelungene Formulierungen und Witzlein zu wiederholen, auf dass der Leser sie sich einpräge, unter dem Stichwort „Capillarigenerative Erinnerung“ zum Beispiel: „Die Tendenz der Geschichte, sich vor allem der Menschen zu erinnern, die neue Frisuren erfunden haben – etwa Julius Cäsar, Albert Einstein, Marilyn Monroe, Adolf Hitler und die Beatles.“ Das liest man ganz gern einmal; beim zweiten Mal hingegen erkennt man bekümmert, welch großen Raum im Seelenhaushalt dieses Schriftstellers die Eitelkeit einnimmt.
BURKHARD MÜLLER
Douglas Coupland: Spieler Eins. Roman in 5 Stunden. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen Verlag, Stuttgart 2013. 246 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 15,99 Euro.
Wer nicht so genau weiß, was
„Capillarigenerative Erinnerung“
ist, erfährt es in diesem Buch
Douglas Coupland ,
geboren 1961 in Deutschland, wuchs in Vancouver auf, wo er auch heute als Autor und Künstler lebt. Mit seinem Buch „Generation X“ (1991) wurde er zum Sprachrohr einer ganzen Generation.
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