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Produktdetails
  • Chamäleon 9
  • Verlag: Grupello
  • Artikelnr. des Verlages: 841546
  • 2000.
  • Seitenzahl: 112
  • Deutsch, Russisch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 172g
  • ISBN-13: 9783933749383
  • ISBN-10: 3933749387
  • Artikelnr.: 21518636
Autorenporträt
Anna Andrejewna Achmatowa, am 23. Juni 1889 bei Odessa als Anna Gorenko geboren, nahm mit 17 Jahren den Namen ihrer tartarischen Großmutter an. Bereits 1912 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband. Sie starb am 5. März 1966 in Domodedowo bei Moskau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2001

Augenblicke höchster Gefahr
Anna Achmatowas "Poem ohne Held" in neuer Übersetzung

Anna Achmatowas "Poem ohne Held", das die große russische Dichterin im belagerten Leningrad begann und an dem sie beinahe bis zu ihrem Lebensende arbeitete, gilt als ihr lyrisch-episch-philosophisches Hauptwerk. Hier zieht sie souverän die Summe ihres Lebens und Schaffens.

Der an ein Mysterienspiel erinnernde, visionäre Bilder lose variierende Aufbau des Werkes, der ihm den Vergleich mit dem zweiten Teil von Goethes Faust eingetragen hat, ist zugleich verantwortlich dafür, daß ihm selbst in der lyrikbegeisterten Heimat eine nachhaltige Rezeption und lebendige Präsenz im literarischen Kanon versagt blieb. Der Text ist bis heute ein Geheimtip unter Intellektuellen, in welchem Kenner eine diffizil verschlüsselte Abrechnung der klassizistischen Dichterin mit sich und ihrer Epoche goutieren können.

Deutsche Leser hatten bisher vor allem dank der philologisch sorgfältigen Prosaübertragung und Kommentare von Fritz Mierau die Möglichkeit, sich auf die lyrische Odyssee mitnehmen zu lassen. Nun hat der deutsch-russische Schriftsteller Alexander Nitzberg eine eigene Version des schwierigen Werks herausgebracht, welche sich durch rhythmischen Schwung und frische Sprachphantasie empfiehlt.

Das Poem ist ein hochartifizieller Ausdruck einer radikalen Erfahrung von Selbstverlust beziehungsweise Selbsthistorisierung. Aus der Sicht des Kriegsjahres 1940 erblickt die Autorin das Schauspiel der Petersburger Kulturszene vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, jener "Silbernes Zeitalter" genannten Hochblüte, von der Anna Achmatowa selbst inspiriert und geprägt wurde. Doch die erinnerten Bilder machen sich selbständig. Sie beschleunigen sich wie ein Lebensrückblick in Augenblicken höchster Gefahr.

Die Zentrifuge der schöpferischen Einbildungskraft wirbelt historische Figuren und kulturelle Archetypen durcheinander und läßt sie die Identitäten wechseln wie Masken im Karneval. Es ergibt sich eine Hommage an den Kunstreichtum der vorrevolutionären Epoche, zugleich aber eine Art Härtetest, der ihr Erbe anhand der folgenden historischen Katastrophen auf Dauerhaftigkeit überprüft. Achmatowas poetisch-philosophische Diagnose destilliert aus dem phantasmagorischen Treiben ein tragisch farcehaftes Liebesdreieck, außerdem das in vielfältigen Gestalten durchdeklinierte Bild des Dichters beziehungsweise der schöpferischen Persönlichkeit, in welchem die Autorin im neuplatonischen Geist den Wirklichkeitsgehalt des von ihr Erlebten zu sortieren versucht.

So teilt sich die Welt, aber auch das eigene Ich in gespenstische Trugbilder und geistig Dauerhaftes. Der ästhetische Reiz, die erotische Raffinesse der Belle Époque kristallisieren sich im Porträt der umschwärmten Schauspielerin, Sängerin, Tänzerin Olga Glebowa-Sudejkina, in welchem die Autorin durchaus auch Teile ihres eigenen früheren Selbst wiedererkennt. Wie sie den dämonischen Fürsten der Kunstbohème ihre Gunst erweist, während sich ein romantischer junger Dichter aus unerwiderter Liebe zu ihr entleibt, das gerinnt bei Achmatowa zum Sammelbild der Commedia-dell'-arte-Konstellation Arlecchino-Colombina-Pierrot, welche die Dekadenzkultur so sehr schätzte. Die an ihr zugrunde gehende zarte Seele wird zum Symbol der moralischen Schuld der Kulturelite, welche auch die Autorin auf sich zu nehmen bereit ist. Die Vergeltung ist jedoch schon im Anmarsch: Auf die Szenerie des letzten Vorkriegsjahrs fallen in Achmatowas retrospektiver Vision bereits die Schatten der bevorstehenden Katastrophen, welche auch für sie den Beginn des "eigentlichen" zwanzigsten Jahrhunderts markieren.

Auch die übermenschlichen Schicksalsmächte können menschliche Gestalt annehmen. Bei Achmatowa erscheinen sie als gespenstischer, an den Don-Juan-Komtur erinnernder Gast aus der Zukunft, als beschworene Geister, aber auch als Figur des "wahren" Dichters, dessen Zeugnis in ihren Augen die Zeitläufte überdauert und in welchem sie nicht ohne Stolz eines ihrer Ebenbilder erkennt.

Das poetische Prinzip, alle lebensweltlichen Gegenstände in Chiffren aus dem Katalog kultureller Sinnstiftung umzuwandeln, hat sie in diesem Werk zu einem imponierend kondensierfähigen Altersstil gesteigert. Deswegen gehört ein umfangreicher Anmerkungsapparat, dessen Grundstock schon die Dichterin selbst gelegt hat, obligatorisch zu jeder Ausgabe.

Das Hauptproblem bleibt natürlich die Übertragung des kryptischen, beiläufige Umgangssprache mit avantgardistischer Groteske und klassischem Pathos verschränkenden Textes ins Deutsche. Alexander Nitzberg hat den Versuch unternommen, nicht nur Achmatowas Bilderfindungen, sondern auch Reim und Metrum, die eigenwillig tanzende, sich aus drei dreihebigen Zeilen zusammensetzende Strophenform zu wiederholen. Sein respektgebietendes Unterfangen macht den drängenden, stolpernden Rhythmus und die spröden Schüttelreime des Originals auch im Deutschen erfahrbar. Furchtlos verrührt er derbe und pathetisch getragene Töne. Das tat auch Achmatowa, deren Sprache sich dabei jedoch durch einen ganz subtilen Grundton auszeichnet, welcher bei Nitzberg, der ja kein deutscher Dichter ist, fehlt. Man vernimmt ihn am ehesten in Mieraus Interlinearübersetzung, auf die manch dankbarer Leser zur Ergänzung zurückgreifen dürfte.

KERSTIN HOLM

Anna Achmatowa: "Poem ohne Held". Zweisprachige Ausgabe. Mit einer CD. Aus dem Russischen übersetzt von Alexander Nitzberg. Grupello Verlag, Düsseldorf 2001. 112 S., br., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hauptproblem einer Übersetzung dieses hochartifiziellen Poems ist Rezensentin Kerstin Holm zufolge die "Übertragung des kryptischen, beiläufige Umgangssprache mit avantgardistischer Groteske und klassischem Pathos verschränkenden Textes". Diese Neuübertragung von Achmatowas Hauptwerk durch den russisch-deutschen Schriftsteller Alexander Nitzberg nun empfehle sich durch "rhythmischen Schwung und frische Sprachfantasie": der drängende, stolpernde Rhythmus und die spröden Schüttelreime des Originals wird jetzt auch im Deutschen erfahrbar, verspricht Holm. Den "subtilen Grundton" dieser Dichtung hat die Rezensentin trotzdem vermisst. Besser sei dieser Ton in der "philologisch sorgfältigen Prosaübertragung" von Fritz Mierau zu vernehmen, die sie dem Leser deshalb dringend als Ergänzung empfiehlt.

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