Produktdetails
- Verlag: Ammann
- Seitenzahl: 1803
- Deutsch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 2742g
- ISBN-13: 9783250500018
- Artikelnr.: 24163133
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2001Kenntnisreicher Konkretismus
Karl Dedecius malt ein Panorama der polnischen Literatur
Polnische Literatur ist "wahrheitsintensiv". Das ist nach Karl Dedecius ihre entscheidende Qualität. Mit dem unter seiner Leitung entstandenen siebenbändigen "Panorama der Polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts", liegt nun, das suggeriert ja schon der Titel, eine systematisch komponierte Rundschau vor, die Wahrheitsintensität in ihren unzähligen Facetten einsehbar machen soll. Die bereits erschienenen ersten fünf Bände "Poesie", "Prosa" und "Pointen" umfassen eine Auswahl einschlägiger Texte von mehreren hundert polnischen Schriftstellern. Der nunmehr edierte sechste Band "Porträts" ist ein Autorenlexikon. Als siebter und letzter Band ist nun auch ein "Panorama" der polnischen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert erschienen.
Am Beginn steht die Literatur der Jahrhundertwende, das "Junge Polen". Im damals noch geteilten Land herrschte der Geist der Romantik, und eine negative Einstellung gegenüber Deutschland war, so Dedecius, der Prüfstein des polnischen Patriotismus. Der Romancier Boleslaw Prus zählte zu den wenigen, die eine differenziertere Meinung vertraten und vorschlugen, doch auch das Gute an den Deutschen zu sehen. Ihn stellt Dedecius nicht zufällig an den Anfang. So nämlich versteht es sich von selbst, daß diese schließlich nur von jemandem wie Dedecius geschrieben werden kann. Er, der Herausgeber, Übersetzer und große Vermittler polnischer Literatur in Deutschland, kann deren Geschichte damit zugleich als Autobiographie verfassen.
Dedecius schließt mit dem Übergangszustand zwischen 1980 und der Gegenwart, einer Phase, die er "Transit" nennt. Nicht alle Kapitel können vollkommen überzeugen. Enttäuschend fällt beispielsweise die knappe Passage über den "Sozrealismus" aus. Wo man vom Kenner mehr Genauigkeit und Einführung in das Klima der damaligen Zeit erwartet hätte, wird die Systemtreue mancher Dichter lapidar mit "Verführung" erklärt und ihre Werke, etwa die Lobgedichte eines Adolf Rudnicki auf Stalin, als "pathetische Plattheiten" abgetan. Doch solche Schwachstellen muß man bei Dedecius suchen, sie bilden die Ausnahme.
Sein Kompendium könnte man mit einem Werk vergleichen, auf das er selber oft und gern Bezug nimmt, die "Geschichte der Polnischen Literatur" von Czeslaw Milosz aus dem Jahr 1969. Während Milosz sich dort in erster Linie an ein amerikanisches Publikum wandte, ist Dedecius' "Panorama" auf den deutschen Leser zugeschnitten. Für sein literaturgeschichtliches Vorgehen macht er Anleihen bei Witold Gombrowicz: "Die Methode, sich allein mit dem Werk zu befassen, losgelöst von der Person des Autors, ist katastrophal . . . Ich will aus dem Werk den Autor begreifen, ich muß, abgesehen vom Märchen, das mir Poe erzählt, den finden, der es erzählt, als - begreif doch - einzige Wirklichkeit, als das einzige Konkretum", hatte dieser in seinem Tagebuch geschrieben, und Dedecius folgt ihm aufs Wort.
Mit Vorliebe paßt er nämlich solche Momente ab, in denen es gelingt, die Biographie eines Schriftstellers mit seiner eigenen zu verknüpfen. Dadurch wird eine für Literaturgeschichten sonst ungewöhnliche, unmittelbare und lebendige Erzählung erzeugt, die jedoch nicht ganz frei von den Eitelkeiten ihres Verfassers bleibt und dessen profunde Kennerschaft autorisiert. "Drei Abende mit Przybos" heißt es an einer Stelle intim, und auf dem darunter abgebildeten Foto sitzen der Dichter und sein Übersetzer einträchtig nebeneinander. Auch zitiert er gern lange Passagen aus seiner Korrespondenz mit Zbigniew Herbert oder Tadeusz Rózewicz und berichtet, wann er wieder einmal von Stanislaw Lec Post bekam. Sogar bei Autoren, die er nicht mehr persönlich gekannt hat, gelingt es ihm, solche Vertrautheit herzustellen, findet er Punkte, an denen sich deren Lebensgeschichte mit seiner eigenen quert. So schreibt er über den Futuristen und Mitbegründer der "Skamandriten" Julian Tuwim, der wie Dedecius ein gebürtiger Lódzer ist: "Ich frage mich, warum ich Tuwim, obwohl mir andere polnische Dichter mehr behagen und zu sagen haben, immer wieder zu übersetzen versuche. Es ist nicht der Umstand allein, daß wir dieselbe Geburtsstadt haben, über die gleichen Pflastersteine geschlendert waren, die gleiche schwere Luft zum Atmen hatten. Es ist die Aufgabe, seine erfindungsreiche, mitreißende Einfachheit zu finden."
Neben den zahlreichen Dichterleben finden im "Panorama" auch eine Reihe von Dichtertoden Platz. Gelegentlich werden sie, wie bei Lec, mit vielen Details aus der Sicht des Freundes geschildert. Ein andermal faßt Dedecius sie in seinen poetischen und zugleich lakonischen Stil. Über den Tod einer absoluten Randfigur der polnischen Lyrik, Ryszard Milczewski-Bruno (Pseudonym "RMB"), den er zur "Generation 68" rechnet, heißt es: "RMB starb mit neununddreißig Jahren auf masurische Weise. Er ertrank in einem See vor den Toren Thorns."
Daß er dies "Strandgut der Geschichte", wie er die marginaleren Autorenpersönlichkeiten nennt, in seinem Rundblick streift, macht die Lektüre um so reizvoller. Bedacht wird zum Beispiel die außergewöhnliche, auch in Polen nahezu in Vergessenheit geratene Dichterin des "Jungen Polen" und leidenschaftliche Vorkämpferin Nietzsches, Maria Komornicka (1876 bis 1949). Auch dem hierzulande ganz und gar unbekannten Essayisten und ostgalizischen Kulturforscher Stanislaw Vincenz widmet sich Dedecius. In seinem Hauptwerk "Na Wysokiej Poloninie" (Auf der Hohen Alm) von 1936, beschrieb Vincenz die Welt der Bewohner des Karpatenlands, der Ruthenen, Polen, Huzulen und Juden als eine verlorene Heimat und schilderte diese überlieferte Tradition in ihrem Zusammenprall mit der österreichischen, städtischen Zivilisation in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Sein eigenwilliges folkloristisches Werk, an der Grenze zwischen Literatur und Wissenschaft angesiedelt, beeinflußt bis heute polnische Theaterwissenschaftler und Ethnologen.
Den meisten Raum im "Panorama" beanspruchen dennoch jene Schriftsteller, die Dedecius persönlich kannte und noch kennt: Lec, Herbert, Milosz, Wislawa Szymborska und natürlich sein Freund Tadeusz Rózewicz. Sie und ihre Werke werden vom Kenner lebendig und in schillernden Farben gezeichnet. Beinahe papieren wirkt demgegenüber, was er über Gombrowicz oder Slawomir Mrozek schreibt, die "Großen", die er offenbar nicht mehr erlebt hat oder persönlich weniger gut kennt. An diesen Stellen müssen die polnische und die deutsche Literaturkritik einspringen, deren Stimmen er über die Jahrzehnte akribisch gesammelt hat. Zusammen mit den eingefügten Zeichnungen, Buchumschlägen und Fotografien ergeben sie eine Aufschreibetechnik der bricolage. Das "Panorama" von Karl Dedecius ist ein Produkt jahrzehntelanger Lese- und Übersetzererfahrung, ein gutes Stück hervorragend geschriebener Autobiographie und schließlich eine einzigartige Begegnung mit Polen.
Mit dem sechsten Band der Reihe, den "Porträts", liegt nun erstmals ein umfangreiches Lexikon polnischer Autoren und Autorinnen des vergangenen Jahrhunderts in deutscher Sprache vor. Die Kurzbiographien der 229 darin aufgeführten Personen beginnen bei Janusz Anderman und enden mit Jerzy Zulawski. Sie werden jeweils durch ein Werkverzeichnis und einschlägige Titel polnischer wie deutscher Sekundärliteratur ergänzt. Neben Schriftstellern enthält das Lexikon auch Persönlichkeiten wie den Philosophen Leszek Kolakowski, dessen Einfluß auf Polens Literatur prägend gewesen ist.
Die Logik hinter der Auswahl jüngerer Autoren bleibt indes rätselhaft, ihre Konsequenz gar bedauerlich: Andrzej Stasiuk wollten die Herausgeber bei Redaktionsschluß tatsächlich noch nicht gekannt haben. Und das, obwohl der Autor in Polen bereits 1992 mit seiner Gefängnisprosa "Die Mauern von Hebron" höchst erfolgreich debütierte, also einige Jahre bevor er hierzulande von der Kritik gefeiert wurde. Nein, auch Dedecius widmet ihm in seinem Panorama keinen Gedanken, nicht einmal eine Randbemerkung. Und es fehlen noch weitere bekannte Talente, darunter Natasza Goerke, Stefan Chwin und Olga Tokarczuk. Woher rührt es dann wiederum, daß Jerzy Pilch im Lexikon vertreten ist und sogar Marcin Swietlicki aufgenommen wurde? Von dem vierzigjährigen, in Krakau lebenden Underground-Poeten, Mitbegründer des aufmüpfigen Magazins "BruLion", Punkrocker und Sänger der Gruppe "Swietliki" (Glühwürmchen) ist leider immer noch keine Zeile ins Deutsche übersetzt. Doch vielleicht sind dies die Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, die zu weit ins einundzwanzigste hineinragen und, wie Dedecius selbst schreibt, von der kommenden Generation bearbeitet werden müssen. Wenn es um Daten ging, blieb die Redaktion allerdings sorgfältig bis zum Schluß: Daß die drei "Großen", Andrzej Szczypiorski, Kazimierz Brandys und Gustaw Herling-Grudzinski alle im vergangenen Jahr gestorben sind, hat sie in deren Lebensläufen nicht vergessen.
STEFANIE PETER.
Karl Dedecius (Hrsg.): "Panorama der Polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts". 4. Abteilung: "Porträts". 1055 S., geb., 98,- DM; 5. Abteilung: "Panorama. Ein Rundblick zu Texten und Tendenzen". 860 S., geb., 98,- DM. Ammann Verlag, Zürich 2000.
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Karl Dedecius malt ein Panorama der polnischen Literatur
Polnische Literatur ist "wahrheitsintensiv". Das ist nach Karl Dedecius ihre entscheidende Qualität. Mit dem unter seiner Leitung entstandenen siebenbändigen "Panorama der Polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts", liegt nun, das suggeriert ja schon der Titel, eine systematisch komponierte Rundschau vor, die Wahrheitsintensität in ihren unzähligen Facetten einsehbar machen soll. Die bereits erschienenen ersten fünf Bände "Poesie", "Prosa" und "Pointen" umfassen eine Auswahl einschlägiger Texte von mehreren hundert polnischen Schriftstellern. Der nunmehr edierte sechste Band "Porträts" ist ein Autorenlexikon. Als siebter und letzter Band ist nun auch ein "Panorama" der polnischen Literatur im zwanzigsten Jahrhundert erschienen.
Am Beginn steht die Literatur der Jahrhundertwende, das "Junge Polen". Im damals noch geteilten Land herrschte der Geist der Romantik, und eine negative Einstellung gegenüber Deutschland war, so Dedecius, der Prüfstein des polnischen Patriotismus. Der Romancier Boleslaw Prus zählte zu den wenigen, die eine differenziertere Meinung vertraten und vorschlugen, doch auch das Gute an den Deutschen zu sehen. Ihn stellt Dedecius nicht zufällig an den Anfang. So nämlich versteht es sich von selbst, daß diese schließlich nur von jemandem wie Dedecius geschrieben werden kann. Er, der Herausgeber, Übersetzer und große Vermittler polnischer Literatur in Deutschland, kann deren Geschichte damit zugleich als Autobiographie verfassen.
Dedecius schließt mit dem Übergangszustand zwischen 1980 und der Gegenwart, einer Phase, die er "Transit" nennt. Nicht alle Kapitel können vollkommen überzeugen. Enttäuschend fällt beispielsweise die knappe Passage über den "Sozrealismus" aus. Wo man vom Kenner mehr Genauigkeit und Einführung in das Klima der damaligen Zeit erwartet hätte, wird die Systemtreue mancher Dichter lapidar mit "Verführung" erklärt und ihre Werke, etwa die Lobgedichte eines Adolf Rudnicki auf Stalin, als "pathetische Plattheiten" abgetan. Doch solche Schwachstellen muß man bei Dedecius suchen, sie bilden die Ausnahme.
Sein Kompendium könnte man mit einem Werk vergleichen, auf das er selber oft und gern Bezug nimmt, die "Geschichte der Polnischen Literatur" von Czeslaw Milosz aus dem Jahr 1969. Während Milosz sich dort in erster Linie an ein amerikanisches Publikum wandte, ist Dedecius' "Panorama" auf den deutschen Leser zugeschnitten. Für sein literaturgeschichtliches Vorgehen macht er Anleihen bei Witold Gombrowicz: "Die Methode, sich allein mit dem Werk zu befassen, losgelöst von der Person des Autors, ist katastrophal . . . Ich will aus dem Werk den Autor begreifen, ich muß, abgesehen vom Märchen, das mir Poe erzählt, den finden, der es erzählt, als - begreif doch - einzige Wirklichkeit, als das einzige Konkretum", hatte dieser in seinem Tagebuch geschrieben, und Dedecius folgt ihm aufs Wort.
Mit Vorliebe paßt er nämlich solche Momente ab, in denen es gelingt, die Biographie eines Schriftstellers mit seiner eigenen zu verknüpfen. Dadurch wird eine für Literaturgeschichten sonst ungewöhnliche, unmittelbare und lebendige Erzählung erzeugt, die jedoch nicht ganz frei von den Eitelkeiten ihres Verfassers bleibt und dessen profunde Kennerschaft autorisiert. "Drei Abende mit Przybos" heißt es an einer Stelle intim, und auf dem darunter abgebildeten Foto sitzen der Dichter und sein Übersetzer einträchtig nebeneinander. Auch zitiert er gern lange Passagen aus seiner Korrespondenz mit Zbigniew Herbert oder Tadeusz Rózewicz und berichtet, wann er wieder einmal von Stanislaw Lec Post bekam. Sogar bei Autoren, die er nicht mehr persönlich gekannt hat, gelingt es ihm, solche Vertrautheit herzustellen, findet er Punkte, an denen sich deren Lebensgeschichte mit seiner eigenen quert. So schreibt er über den Futuristen und Mitbegründer der "Skamandriten" Julian Tuwim, der wie Dedecius ein gebürtiger Lódzer ist: "Ich frage mich, warum ich Tuwim, obwohl mir andere polnische Dichter mehr behagen und zu sagen haben, immer wieder zu übersetzen versuche. Es ist nicht der Umstand allein, daß wir dieselbe Geburtsstadt haben, über die gleichen Pflastersteine geschlendert waren, die gleiche schwere Luft zum Atmen hatten. Es ist die Aufgabe, seine erfindungsreiche, mitreißende Einfachheit zu finden."
Neben den zahlreichen Dichterleben finden im "Panorama" auch eine Reihe von Dichtertoden Platz. Gelegentlich werden sie, wie bei Lec, mit vielen Details aus der Sicht des Freundes geschildert. Ein andermal faßt Dedecius sie in seinen poetischen und zugleich lakonischen Stil. Über den Tod einer absoluten Randfigur der polnischen Lyrik, Ryszard Milczewski-Bruno (Pseudonym "RMB"), den er zur "Generation 68" rechnet, heißt es: "RMB starb mit neununddreißig Jahren auf masurische Weise. Er ertrank in einem See vor den Toren Thorns."
Daß er dies "Strandgut der Geschichte", wie er die marginaleren Autorenpersönlichkeiten nennt, in seinem Rundblick streift, macht die Lektüre um so reizvoller. Bedacht wird zum Beispiel die außergewöhnliche, auch in Polen nahezu in Vergessenheit geratene Dichterin des "Jungen Polen" und leidenschaftliche Vorkämpferin Nietzsches, Maria Komornicka (1876 bis 1949). Auch dem hierzulande ganz und gar unbekannten Essayisten und ostgalizischen Kulturforscher Stanislaw Vincenz widmet sich Dedecius. In seinem Hauptwerk "Na Wysokiej Poloninie" (Auf der Hohen Alm) von 1936, beschrieb Vincenz die Welt der Bewohner des Karpatenlands, der Ruthenen, Polen, Huzulen und Juden als eine verlorene Heimat und schilderte diese überlieferte Tradition in ihrem Zusammenprall mit der österreichischen, städtischen Zivilisation in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Sein eigenwilliges folkloristisches Werk, an der Grenze zwischen Literatur und Wissenschaft angesiedelt, beeinflußt bis heute polnische Theaterwissenschaftler und Ethnologen.
Den meisten Raum im "Panorama" beanspruchen dennoch jene Schriftsteller, die Dedecius persönlich kannte und noch kennt: Lec, Herbert, Milosz, Wislawa Szymborska und natürlich sein Freund Tadeusz Rózewicz. Sie und ihre Werke werden vom Kenner lebendig und in schillernden Farben gezeichnet. Beinahe papieren wirkt demgegenüber, was er über Gombrowicz oder Slawomir Mrozek schreibt, die "Großen", die er offenbar nicht mehr erlebt hat oder persönlich weniger gut kennt. An diesen Stellen müssen die polnische und die deutsche Literaturkritik einspringen, deren Stimmen er über die Jahrzehnte akribisch gesammelt hat. Zusammen mit den eingefügten Zeichnungen, Buchumschlägen und Fotografien ergeben sie eine Aufschreibetechnik der bricolage. Das "Panorama" von Karl Dedecius ist ein Produkt jahrzehntelanger Lese- und Übersetzererfahrung, ein gutes Stück hervorragend geschriebener Autobiographie und schließlich eine einzigartige Begegnung mit Polen.
Mit dem sechsten Band der Reihe, den "Porträts", liegt nun erstmals ein umfangreiches Lexikon polnischer Autoren und Autorinnen des vergangenen Jahrhunderts in deutscher Sprache vor. Die Kurzbiographien der 229 darin aufgeführten Personen beginnen bei Janusz Anderman und enden mit Jerzy Zulawski. Sie werden jeweils durch ein Werkverzeichnis und einschlägige Titel polnischer wie deutscher Sekundärliteratur ergänzt. Neben Schriftstellern enthält das Lexikon auch Persönlichkeiten wie den Philosophen Leszek Kolakowski, dessen Einfluß auf Polens Literatur prägend gewesen ist.
Die Logik hinter der Auswahl jüngerer Autoren bleibt indes rätselhaft, ihre Konsequenz gar bedauerlich: Andrzej Stasiuk wollten die Herausgeber bei Redaktionsschluß tatsächlich noch nicht gekannt haben. Und das, obwohl der Autor in Polen bereits 1992 mit seiner Gefängnisprosa "Die Mauern von Hebron" höchst erfolgreich debütierte, also einige Jahre bevor er hierzulande von der Kritik gefeiert wurde. Nein, auch Dedecius widmet ihm in seinem Panorama keinen Gedanken, nicht einmal eine Randbemerkung. Und es fehlen noch weitere bekannte Talente, darunter Natasza Goerke, Stefan Chwin und Olga Tokarczuk. Woher rührt es dann wiederum, daß Jerzy Pilch im Lexikon vertreten ist und sogar Marcin Swietlicki aufgenommen wurde? Von dem vierzigjährigen, in Krakau lebenden Underground-Poeten, Mitbegründer des aufmüpfigen Magazins "BruLion", Punkrocker und Sänger der Gruppe "Swietliki" (Glühwürmchen) ist leider immer noch keine Zeile ins Deutsche übersetzt. Doch vielleicht sind dies die Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, die zu weit ins einundzwanzigste hineinragen und, wie Dedecius selbst schreibt, von der kommenden Generation bearbeitet werden müssen. Wenn es um Daten ging, blieb die Redaktion allerdings sorgfältig bis zum Schluß: Daß die drei "Großen", Andrzej Szczypiorski, Kazimierz Brandys und Gustaw Herling-Grudzinski alle im vergangenen Jahr gestorben sind, hat sie in deren Lebensläufen nicht vergessen.
STEFANIE PETER.
Karl Dedecius (Hrsg.): "Panorama der Polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts". 4. Abteilung: "Porträts". 1055 S., geb., 98,- DM; 5. Abteilung: "Panorama. Ein Rundblick zu Texten und Tendenzen". 860 S., geb., 98,- DM. Ammann Verlag, Zürich 2000.
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