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Stefan George, der bedeutendste Dichter des Symbolismus in Deutschland, ist wieder ins Zentrum des Interesses gerückt. Große Biografien haben seine schillernde Persönlichkeit, seine Ansichten zur Politik und den männerbündischen "George-Kreis" ausgeleuchtet, weniger jedoch seine schwierigen Gedichte. Ernst Osterkamp widmet sich in seinem brillanten Essay Georges spätem Buch "Das Neue Reich". Aus seiner Interpretation rekonstruiert er Georges Gedankengebäude und führt es, präzise durchdacht und polemisch formuliert, ad absurdum.

Produktbeschreibung
Stefan George, der bedeutendste Dichter des Symbolismus in Deutschland, ist wieder ins Zentrum des Interesses gerückt. Große Biografien haben seine schillernde Persönlichkeit, seine Ansichten zur Politik und den männerbündischen "George-Kreis" ausgeleuchtet, weniger jedoch seine schwierigen Gedichte. Ernst Osterkamp widmet sich in seinem brillanten Essay Georges spätem Buch "Das Neue Reich". Aus seiner Interpretation rekonstruiert er Georges Gedankengebäude und führt es, präzise durchdacht und polemisch formuliert, ad absurdum.
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Autorenporträt
Ernst Osterkamp, geb. 1950, ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der HU Berlin. Veröffentlichungen u.a. zu folgenden Themen: Literatur der deutschen Frühaufklärung, der Klassik und der klassischen Moderne sowie die Wechselbeziehungen zwischen den Künsten (insb. Dichtung und bildende Kunst, Dichtung und Oper).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010

So kam er über die Deutschen

Rudolf Borchardt sah in Stefan George den landfremden Abenteurer. Ernst Osterkamp liest Georges letztes Buch als Manifest einer poetischen Machtergreifung.

Von Patrick Bahners

Als Rudolf Borchardt 1909 seine große Besprechung von Stefan Georges "Siebentem Ring" veröffentlichte, unterschied er die epochale Bedeutung Georges für die deutsche Literatur von der Verehrung einer Gemeinde, über deren Riten schon damals schäbige Gerüchte die Runde machten: "als ob dieser Anhang es wäre, was seine Wirkung auf die Zeit verewigt". Hundert Jahre später nimmt die Wirkung Georges auf die Zeit wieder zu, aber das Interesse richtet sich weniger auf das Werk als auf den Anhang, den "Kreis". Diesen Eindruck hat jedenfalls Ernst Osterkamp, der sich als Germanist herausgefordert sieht, Georges Wirkungen auf ihre Ursache zurückzuführen, Georges Dichtung.

Wie Borchardt legt Osterkamp eine exemplarische Interpretation eines Buches vor. Georges letzte Gedichtsammlung "Das neue Reich" erschien 1928, im Jahr des sechzigsten Geburtstags. Osterkamps Buch bietet vier Studien zu einzelnen Gedichten, ergänzt um eine bezwingende, aus dem Gesamtwerk schöpfende Beschreibung einer Welt ohne Frauen. Am Anfang stand ein Vortrag über eines der Dialoggedichte, den "Gehenkten". In diesem makabren Lehrstück offenbart der Verbrecher, dass er als Volksheld auferstehen wird, in der Dichtung. Osterkamp fasste den Plan, Georges Auffassung von der geschichtlichen Sendung des Dichters durch eine "mikrophilologische Lektüre" jedes Gedichts des Bandes zu dokumentieren. Schon nach dem dritten Versuch brach er das Projekt ab. Osterkamp ist der Ansicht, dass in den ersten drei Stücken, den Rollengedichten "Goethes lezte Nacht in Italien" und "Hyperion" sowie dem Triptychon von Knabenbeschwörungen "An die Kinder des Meeres", ja schon in der ersten Strophe des Goethe-Monologs die ganze Poetologie des "Neuen Reiches" enthalten ist.

Die Disposition der Untersuchung ist kühn. Das im "Neuen Reich" vereinigte Material ist disparat, in einem Zeitraum von zwanzig Jahren entstanden, und nach Gattungen sortiert. Nur nebenbei kommt Osterkamp auf die berühmten Gedichte mit zeitgeschichtlicher Thematik wie "Der Krieg" und "Geheimes Deutschland" zu sprechen: Wie diese für den Streit um George so bedeutsamen Texte zu verstehen sind, das muss sich bei Osterkamp, obwohl seine Meinung über den politischen Dichter denkbar deutlich ist, indirekt ergeben. Die beiden Eröffnungsgedichte, in denen George durch die Masken Goethes und Hölderlins spricht, tragen die Hauptlast der Argumentation.

Überzeugend ist Osterkamp, wenn er zeigt, wie George den schöpferischen Anspruch ins Maßlose steigert durch Fixierung auf einen Punkt, den Stern, der seinem Goethe in der Nacht des Abschieds von Italien aufgeht. Den Kult des Kindgotts Maximin mit der widernatürlichen Dogmatik der Einheit von Zeugung und Empfängnis kann Osterkamp entschlüsseln als Feier der Konzentration der poetischen Kraft, der Selbstüberbietung der autonomen Poesie. Das Reich des neuen Gottes existiert nur im Augenblick der Überwältigung durch die Schönheit, bildet einen Punkt außerhalb der Zeit. Es wird nicht, es ist schon, im Gedicht.

Die Spannung zwischen der Idee einer geistigen Gemeinschaft und der Vorstellung einer Verleiblichung der Gottheit soll George nun einseitig aufgelöst haben durch Vergötzung des Volkskörpers. Es ist aber Osterkamps Deutung, die hier einseitig und falsch wird. In der Geistesgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ist "völkisch" ein technischer Begriff. Er steht für eine rassistische Weltanschauung, die sich in Deutschland als Bewegung organisierte. Auch wenn das Wort in den Quellen in einem weiteren Sinne begegnet, kann der Wissenschaftler es nicht mehr als Synonym für "ethnisch" oder "national" verwenden. Osterkamp entdeckt völkisches Denken schon dort, wo Goethe-George und Hölderlin-George ihre Landsleute in der zweiten Person Plural ansprechen.

Die beiden Gedichte rekapitulieren die nationalpädagogische Programmatik der Klassik, die den Deutschen die Antike als geistige Heimat vor Augen stellte. Osterkamp behauptet, George vergegenwärtige diese Bildungswelt nur, um sie als vergangen zu markieren. Der Dichter definiere die Norm des ganzen Menschen nicht mehr menschheitlich-universal, sondern exklusiv-national, errichte "eine unüberwindliche Zeitenschwelle zwischen dem klassischen Bildungshumanismus" und dem "Erlösungsweg im Zeichen eines nationalen Erlösungsphantasmas". Das Fundament dieser gewagten Konstruktion ist ein erstaunliches Missverständnis des George zur Verfügung stehenden Toposmaterials.

Dass Georges Hyperion als der Fromme spricht, "der im Reich nie wandeln darf", kommentiert Osterkamp apodiktisch: "Reich ist nur, wo institutionalisierte Herrschaft ist, die sich in einem begrenzten Raum organisiert." In der Überlieferung der Deutschen wird das Reich aber als universales, der Idee nach grenzenloses gedacht. Darum waren ja deutsche Reiche den Nachbarn suspekt. Bei Osterkamp fehlt der Hinweis auf die Translatio imperii, den Glauben der Deutschen, das römische Reich sei schon im Jahr 800 auf sie übertragen worden. Auch nach dieser Übertragung blieb das Reich ein römisches. Hätte Georges Reich wirklich die Verwerfung der Antike zum Staatszweck, hätte er sie proklamieren müssen. An "völkischen" Beispielen solcher Absagen fehlt es nicht.

Georges Goethe gehen die Augen über, als er merkt, dass die Männer, die er in Säulenhöfen am geistigen Werk sieht, "Söhne meines volkes" sind, die die "Sprache meines volkes" sprechen. Ein "völkisch definiertes Reich" erkennt Osterkamp hier, aber es kommt auf das an, was der Seher hört: Das Heilige römische Reich war ein Reich deutscher Nation, zu deutsch: deutscher Zunge.

In einer früheren Strophe ist freilich vom Blut die Rede. Dieses Leitmotiv möchte Osterkamp bei jedem Vorkommen im Band im Sinne des "Biologismus" der Zeit ausgelegt wissen. Auch hier macht er fahrlässigen Gebrauch von einem wissenschaftlich festgelegten Begriff. Georges Ablehnung jedes Entwicklungsdenkens, die Osterkamp selbst herausstellt, spricht dagegen, ihn dem vulgärwissenschaftlichen Determinismus zuzuschlagen. Man wird das Blut zunächst als Symbol der Lebenskraft und des Adels zu verstehen haben.

Es befremdet, dass die Auseinandersetzung mit abweichenden Interpretationen unterbleibt. Friedmar Apel hat in einem von Osterkamp zitierten Band darauf hingewiesen, dass Goethe in "Goethes letzte Nacht in Italien" durch das deutschtümelnde Kritikerzitat "Hellas' lotus liess ihn die heimat vergessen" mit Odysseus identifiziert wird. "So ist der Blick des Dichters als einer bestimmt, der erst im Durchgang durch das Fremde zum Eigenen kommt." Auf den siebenundfünfzig Seiten, die Osterkamp dem Gedicht widmet, geht er auf die Odysseus-Parallele nicht ein.

Stattdessen will er belegen, dass George als Goethe nicht wie Goethe spreche. In dem Vers "Hier ward erst mensch der hier wiederbegonnen als kind" ersetze George den "pietistischen Wiedergeburtstopos, der für die Goethesche Italienerfahrung von zentraler Bedeutung ist, durch den neutralen Begriff des Wiederbeginns". Seltsam nur, dass im Hyperion-Kapitel derselbe pietistische Topos mit dem Hölderlin-Zitat "als wäre die alte Welt gestorben und eine neue begönne" illustriert wird, das auch nach Osterkamp vom echten Hölderlin und nicht von George stammt.

1998 edierte Osterkamp aus dem Nachlass Rudolf Borchardts die "Aufzeichnung Stefan George betreffend". Im Rückblick wirkt es kurios, dass der Herausgeber versicherte, es handele sich um eine Schrift über Borchardt, nicht über George. Borchardt betrieb dort Philologie als Dämonologie, nahm aber viele Thesen Osterkamps vorweg, so zur Transzendenzlosigkeit der von George gestifteten Religion, zur Abhängigkeit der poetischen Formen von der privatreligiösen Funktion. Schlagend die Wendung dieses Gedankens ins Typologische: "Seine Lyrik wurde in diesem Sinne nur zu einem Koran." Die blasse Variante bei Osterkamp: die durch Wiederholung entkräftete Botschaft als Mantra.

Borchardt entzauberte Georges Reich als die Alltagsphantasiewelt des Infantilismus. "Auf welches Stück Geographie sich diese Träume niederlassen sollten, um sich ihre buchstäbliche Verwirklichung zu erzwingen, war für ihre Autarkie nicht erheblich." Das immerhin beweist Osterkamps vergeblicher Versuch, aus dem "Neuen Reich" von 1928 das neue Reich von 1933 herauszulesen.

Ernst Osterkamp: "Poesie der leeren Mitte". Stefan Georges Neues Reich. Edition Akzente. Hanser Verlag, München 2010. 292 S., br., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Seit ein paar Jahren ist der Dichter-Seher Stefan George, lange Zeit doch eher demodiert, wieder in aller Munde. Scheinbar, so Manfred Koch, springt der in Berlin lebende Germanist Ernst Osterkamp da mit seinem neuen Buch auf einen fahrenden Zug auf. Das aber täuscht. Denn gerade um den (zu nicht geringem Teil selbstgeschaffenen) Mythos George und den Männerbund um ihn herum soll es hier nicht gehen. Sondern: um den Dichter. Kein Problem im Prinzip, meint Koch, der allerdings nicht versteht, warum Osterkamp sich dann ausgerechnet auf den literarisch schwachen Gedichtband "Das Neue Reich" konzentriert. Die Rehabilitation gelinge so jedenfalls nicht. Aufschlussreich ist das Buch in seinen präzisen und teils "beeindruckenden" Einzelanalysen für den Rezensenten dennoch: die "ideologiekritische" Durchleuchtung des Dichters gelinge Osterkamp nämlich, möglicherweise gegen seinen eigenen Willen, ganz ausgezeichnet.

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"Osterkamps Buch hält den Basiliskenblick Georges aus und bleibt klar, nüchtern, auch stilistisch federnd und lichtdurchflutet. Er hat einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis der Rolle Stefan Georges im deutschen 20. Jahrhundert geliefert, auf dem Weg, auf dem man Dichter zunächst und vor allem prüfen und messen sollte: auf dem der Interpretation ihrer Gedichte." Jens Malte Fischer, Süddeutsche Zeitung, 25.05.10

"Was Osterkamp (...) vorzüglich leistet, ist die ideologische Deutung von Georges Spätwerk, die zugleich verständlich macht, warum seine Verse heute, da der kultische Kontext weggefallen ist, nicht mehr überzeugen." Manfred Koch, Neue Zürcher Zeitung, 10.07.2010