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Welche literatur- und kulturwissenschaftlichen Voraussetzungen definieren die Möglichkeiten und Grenzen von (literarischer) Repräsentationen des Holocaust? Dieser Frage geht die Untersuchung auf der Grundlage von vergleichenden Analysen nach und stellt damit erstmals einen kulturwissenschaftlichen und poetologischen Rahmen zur Verfügung, in dem das Korpus von Holocaust-Texten situiert werden kann. Die Gegenüberstellung von Erzähltheorien der Moderne und Postmoderne mit poetologischen Reflexionen von u.a. Imre Kertész und Jorge Semprun eröffnet die Möglichkeit einer Poetik, die den gewalttätig…mehr

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Produktbeschreibung
Welche literatur- und kulturwissenschaftlichen Voraussetzungen definieren die Möglichkeiten und Grenzen von (literarischer) Repräsentationen des Holocaust? Dieser Frage geht die Untersuchung auf der Grundlage von vergleichenden Analysen nach und stellt damit erstmals einen kulturwissenschaftlichen und poetologischen Rahmen zur Verfügung, in dem das Korpus von Holocaust-Texten situiert werden kann. Die Gegenüberstellung von Erzähltheorien der Moderne und Postmoderne mit poetologischen Reflexionen von u.a. Imre Kertész und Jorge Semprun eröffnet die Möglichkeit einer Poetik, die den gewalttätig unterbrochenen Wirklichkeits- und Weltbezug mit Hilfe der Einbildungskraft in den erzählenden und erzählten Text einschreibt.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2009

Eine öffentliche Sache

Die Wirklichkeit des Unwirklichen: Veronika Zangl versucht in ihrer literaturwissenschaftlichen Studie, eine Poetik nach Auschwitz zu entwickeln.

Erregte Debatten über die Aufgabe der Literatur sind selten geworden. Bei der literarischen Darstellung des Holocausts aber wird Poetik regelmäßig zu einer leidenschaftlich erörterten öffentlichen Angelegenheit. Dabei kommt die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Literatur und dem Verhältnis der Fiktion zur Wirklichkeit entgegen den Thesen der jüngeren Literaturtheorie immer wieder auf die Tagesordnung. Bei der Holocaust-Literatur werden Ruth Klüger zufolge "oft auch nur geringe Abweichungen von der historischen Wirklichkeit vom Leser als Beleidigung empfunden". In der postmodernen Verwischung der Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sei "eine schizophrene Bewusstseinslage" entstanden, die es erfordere, die abgetan scheinende Frage nach Wahrheit und Lüge der Literatur neu zu stellen.

Dies stößt jedoch, wie die Wiener Germanistin Veronika Zangl in ihrer poetologischen Abhandlung zeigt, auf eine Reihe von Hindernissen. Erwägungen auf diesem Feld sind oft nur Vorwände einer grundsätzlichen Zivilisations- oder Gesellschaftskritik oder dienen der moralischen und politischen Positionierung des Kritikers. Jede bestimmte Form des Erinnerns wird dabei von verschiedenen Interessen her argwöhnischer Beobachtung unterzogen. Die sachliche Darstellung setzt sich dem Verdacht der herzlosen Verdinglichung des Unvorstellbaren aus, die Erzählung der Einzelschicksale dagegen dem der unangemessenen Einfühlung oder gar des Kitschs. Augenzeugenberichte als unzuverlässig zu bezeichnen, verbietet der Respekt vor den Geopferten, gleichzeitig nähren erfundene Opfergeschichten die Skepsis einer auf Objektivität verpflichteten Historie und stellen die affektive Zuwendung von Lesern in Frage. Gerade Überlebende aber wie Ruth Klüger, Imre Kertész oder Jorge Semprún sprechen sich gegen Verbotstafeln aus. Ruth Klüger lehnt eine autoritäre Instanz, die über erlaubtes und verbotenes Erinnern entscheidet, entschieden ab. Kertész vertraut auf die Einbildungskraft und die Wahrhaftigkeit des Individuums sich selbst gegenüber. Semprún glaubt zuversichtlich an die allmähliche Bildung einer Zuhörerschaft, die auf ein allgemeines oder gar verordnetes Narrativ, damit auf die Möglichkeit einer kollektiven oder kulturellen Erinnerung nicht angewiesen ist.

Dabei scheinen nun gerade die Werke dieser weithin wahrgenommenen Autoren, auf die sich auch Veronika Zangl maßgeblich beruft, nicht der Forderung nach neuen Formen der Darstellung zu entsprechen. Von einzelnen Zeugenberichten abgesehen, ist nach gängiger literaturwissenschaftlicher Überzeugung in der Holocaust-Literatur insgesamt "kein eigenständiges Genre, keine eigenständige literarische Form" zu erkennen. Umso merkwürdiger erscheint es Veronika Zangl, dass die Literaturwissenschaft trotzdem nicht über ein Instrumentarium verfügt, "um sich mit dieser Literatur in adäquater Weise auseinanderzusetzen". Daraus zieht sie den Schluss, dass diese Literatur "sehr wohl eigenständige Züge" aufweist, zumindest aber traditionelle Formen irritierend in Frage stellt. Ihre These lautet zusammengefasst, dass Holocaust-Literatur zwar auf eine historische Wirklichkeit referiert, jedoch ohne dass sie auf allgemeine Fassbarkeit des Geschehens und den Nachvollzug der Erfahrung zielte.

Dies könnte nun auf Jean Amérys These hinauslaufen, dass die individuelle beziehungsweise jüdische Erfahrung des Holocausts den Nichtbetroffenen und Nachgeborenen nicht vermittelbar ist. Veronika Zangl möchte die Poetik nach dem Holocaust dennoch als öffentliche Angelegenheit betrachtet wissen und daher auch die Idee der Bildung eines kollektiven Gedächtnisses, mindestens eines allgemeinen Horizonts für die Lektüre von literarischen Zeugenberichten nicht preisgeben. So versucht sie, den irritierenden Widerspruch fruchtbar zu machen, dass die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in einer Denkstruktur erfolgt, "die dem Ereignis nicht entspricht, innerhalb deren es aber dennoch möglich war, dieses Ereignis hervorzubringen". Die Annahme eines radikalen und einzigartigen Zivilisationsbruchs geht also mit der Feststellung von geschichtlicher Kontinuität einher.

Aus dem Widerspruch der These der Nichtrepräsentierbarkeit des Holocausts im Sinne Adornos mit immer erneuten Versuchen der Repräsentation ergibt sich die Forderung nach einer sich zwischen zwei Welten bewegenden Poetik, die die Texte auf die "Einschreibung des Unsagbaren ins Sagbare" hin befragt. Derart setzt Veronika Zangl auf die Entstehung "narrativer Rahmen", welche eine differenzierte Rezeption der Holocaust-Literatur ermöglichen und den Zeugenberichten als "vorweg gegebenen Antworten" in der Gesellschaft Gehör verschaffen.

Dies kann und soll sich nicht als Einfühlung vollziehen, sondern als je spezifische Wahrnehmung von narrativen Strategien, die "unablässig in die Geschichte einbrechen beziehungsweise diese durchbrechen". Konkretere Vorschläge zum Instrumentarium einer solchen Poetologie verweist die Autorin leider an eine künftige Literaturwissenschaft, als Klärung einer verwirrenden Diskussionslage ist ihre Untersuchung aber zweifellos ein Gewinn.

FRIEDMAR APEL

Veronika Zangl: "Poetik nach dem Holocaust". Erinnerungen - Tatsachen - Geschichten. Wilhelm Fink Verlag, München 2009. 232 S., br., 26,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Klärend ja, doch leider ohne konkrete Vorschläge. So resümiert Friedmar Apel Veronika Zangls poetologische Abhandlung zu Möglichkeiten des literarischen Erinnerns an den Holocaust. Zangls These, derzufolge Holocaust-Literatur sich zwar auf eine historische Wirklichkeit bezieht, jedoch ohne eine allgemeine Fassbarkeit des Geschehens zu behaupten, läuft laut Apel nicht auf eine Kapitulation hinaus, sondern auf die Forderung, mittels narrativer Rahmengebung den Widerspruch fruchtbar zu machen und den Holocaust auf differenzierte Weise in das kollektive Gedächtnis einzuschreiben. Wie das Instrumentarium einer solchen Poetologie aussehen könnte, lasse die Autorin "leider" offen.

© Perlentaucher Medien GmbH