Polar ist eine Hommage an das französische Kino der sechziger und siebziger Jahre.
Albert Ostermaier taucht hier, im Gedicht, die Welt in ein kaltes Licht, das den Menschen, Beziehungen und Dingen eisigscharfe Konturen verleiht. Das "kühle" französische Kino hat jedoch bei aller Schärfe immer auch von Sehnsucht gehandelt und davon, wie Gefühle verwischen, was klar vor Augen steht. Für eine gewisse Stimmung im Hollywood der Kriegs- und Nachkriegsjahre haben die Franzosen den Ausdruck film noir geprägt und die Düsternis in der Schattenwelt der Vorbilder in andere Farbtemperaturen überführt, in ein bläuliches Licht, das mit den grauen Pariser Dächern harmoniert. All ihre Filme haben sich weniger durch Erzählmuster definiert als durch ihre Atmosphäre. Albert Ostermaiers Gedichte erzählen davon, was diese Filme und ihre Geschichten mit uns anstellen, wie sie in uns weiterwirken und welche Abdrücke sie in unserem Empfinden hinterlassen. Weil sie den seltsamen Wegen nachspüren, mit denen die Bilder uns in ihren Bann schlagen.
Albert Ostermaier taucht hier, im Gedicht, die Welt in ein kaltes Licht, das den Menschen, Beziehungen und Dingen eisigscharfe Konturen verleiht. Das "kühle" französische Kino hat jedoch bei aller Schärfe immer auch von Sehnsucht gehandelt und davon, wie Gefühle verwischen, was klar vor Augen steht. Für eine gewisse Stimmung im Hollywood der Kriegs- und Nachkriegsjahre haben die Franzosen den Ausdruck film noir geprägt und die Düsternis in der Schattenwelt der Vorbilder in andere Farbtemperaturen überführt, in ein bläuliches Licht, das mit den grauen Pariser Dächern harmoniert. All ihre Filme haben sich weniger durch Erzählmuster definiert als durch ihre Atmosphäre. Albert Ostermaiers Gedichte erzählen davon, was diese Filme und ihre Geschichten mit uns anstellen, wie sie in uns weiterwirken und welche Abdrücke sie in unserem Empfinden hinterlassen. Weil sie den seltsamen Wegen nachspüren, mit denen die Bilder uns in ihren Bann schlagen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2007Wenn der Papierkorb zum Leichenschauhaus wird
Eiskalt, okay – Albert Ostermaier zeigt in seinem Gedichtband „Polar” alte Filme und serviert dazu einen doppelten Wondratschek on the rocks
Vielleicht war der erste Vertreter dieser Gattung Wolf Wondratschek. Der setzte sich, auf dem Höhepunkt der siebziger Jahre, an den Bühnenrand und streckte den Leuten lässig seine Cowboystiefel entgegen. Sein Sound plätscherte cool und abgeklärt dahin, ganz der Mann, der wusste, wie und was gespielt wird und wie das dabei so vor allem ist als Mann. Das ließ sich in dieser Originalqualität natürlich nicht lange aufrechterhalten, bald wurde alles immer weniger überschaubar. In letzter Zeit hat Albert Ostermaier versucht, in diese Fußstapfen zu treten: soundbestimmte Texte, widersprüchliche Gefühle um die Zärtlichkeit eines Machos.
Seine Gedichtbände haben kurze, prägnante Titel, die die Effektivität einer Hitsingle zitieren: „Heartcore”, „Autokino”, „Solarplexus” und jetzt „Polar”. Man muss sich dazu immer langbeinige Frauen in zerrissenen Nylons vorstellen. Das ist eine Ästhetik, die wunderbar nach München passt, in diese Spielart des Pop mit Schwabing, Giorgio Moroder und dem Olympiastadion. Dazu gehört automatisch eine gewisse Leichtigkeit und das Wissen, alles nicht ganz so eng zu sehen.
„Polar” sieht wieder ganz wunderschön aus, im Format jener Kladden, die damals bei Wondratschek und Zweitausendeins zum Erfolgsrezept gehörten. Heute ist aber natürlich alles viel edler gemacht, das Coverfoto lebt von einem grauschlierigen Hellblau, das sofort Eiseskälte assoziiert und Männer mit Trenchcoats und Schlapphüten auftreten lässt. Wenn durch diese Schmutzschicht dann auch noch diffus das rote Rücklicht eines Straßenkreuzers dringt, ist das Vollbild komplett.
„Polar” ist die Bezeichnung für ein bestimmtes Genre des französischen Kinos und Kriminalromans aus den sechziger und siebziger Jahren, der dortigen Weiterführung der „Schwarzen Serie” Hollywoods. Albert Ostermaiers Gedichtband entpuppt sich vor diesem Hintergrund als eine Art Konzeptalbum: die Texte haben allesamt französische Titel, die zum Teil mit den Original-Filmtiteln identisch sind, und spüren der Atmosphäre jener Streifen nach – den „Flics” also, den kleinen und den großen Nutten und den Schwarzweißgefühlen. Diese sind hier, wie der Filmkritiker Michael Althen in seinem Nachwort nachweist, in ein „bläuliches Licht” getaucht, „das gut mit den grauen Pariser Dächern harmoniert”.
Zwielicht also, Verlorenheit, scharfe Konturen, verschwimmende Gefühle. Ostermaier zwingt die Filme, den „Samurai” beispielsweise, den „Fahrstuhl zum Schafott” oder den „Monsieur Hire” in sein Maß, in seine Notate ohne Satzzeichen. Diese sind meist kurz, korrespondieren aber nicht mit den Zeilenenden, Schnitt folgt auf Schnitt. So entsteht etwas Artifizielles, das die Stilisiertheit der Filmsprache aufzunehmen sucht und Ostermaier als einen Autor zeigt, der mit Suggestionen spielt, mit der rauen Oberfläche des Pop. Er will nach bewährter Disco- oder Videojockey-Art die Filme samplen, einen Remix herstellen, lyrische Zeitlosigkeit.
So bestehen die Texte aus einer eigenwilligen Mischung von Inhaltswiedergabe und emphatischer subjektiver Aufladung einzelner Szenen, sie leben vom Genre. Der geheime Geist, der diese Zeilen bewegt, ist derjenige Alain Delons, des Mannes, den man „eiskalter Engel” nannte. Ab und zu taucht er auch direkt auf. Dass Männerphantasien sich an einer so konkreten Vorlage abarbeiten, kann ihnen zuweilen ganz gut tun: der Raum ist begrenzt. Gelegentlich merkt man aber die Mühen sehr stark, die es Obermaier kostet, das Geheimnis zu fassen, Sound, Zeilenfall sowie Bild und Wort zu koordinieren. Etwa im Anfang von „morgue pleine”: „der papierkorb quoll nicht gerade / über er war leer wie sein blick auf / die tür an der aussen unter dem / spion seine visitenkarte klebte / so man überhaupt das treppen / haus bis zu ihm hochlief (. . . )”.
Das ist offenkundig sehr gewollt. Man kann sie leicht unterschätzen, die Probleme, die auftauchen, wenn man den Reiz der Oberfläche und des Arrangements durch Kleinarbeit aufrechterhalten muss. Aber es ist dabei von Nutzen, dass mittlerweile viele Jahre ins Land gingen, Jahre, die die ursprünglichen Gefühle angereichert und vieldeutiger gemacht haben. Und auch Wolf Wondratscheks Cowboystiefel sind in Albert Ostermaiers „Polar”-Visionen erheblich ausdifferenziert worden – es ist doch nicht das Schlechteste, wenn das dabei herauskommt. HELMUT BÖTTIGER
ALBERT OSTERMAIER: Polar. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 138 Seiten. 20,80 Euro.
Der Dichter Albert Ostermaier in München Foto: Thomas Dashuber/Visum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Eiskalt, okay – Albert Ostermaier zeigt in seinem Gedichtband „Polar” alte Filme und serviert dazu einen doppelten Wondratschek on the rocks
Vielleicht war der erste Vertreter dieser Gattung Wolf Wondratschek. Der setzte sich, auf dem Höhepunkt der siebziger Jahre, an den Bühnenrand und streckte den Leuten lässig seine Cowboystiefel entgegen. Sein Sound plätscherte cool und abgeklärt dahin, ganz der Mann, der wusste, wie und was gespielt wird und wie das dabei so vor allem ist als Mann. Das ließ sich in dieser Originalqualität natürlich nicht lange aufrechterhalten, bald wurde alles immer weniger überschaubar. In letzter Zeit hat Albert Ostermaier versucht, in diese Fußstapfen zu treten: soundbestimmte Texte, widersprüchliche Gefühle um die Zärtlichkeit eines Machos.
Seine Gedichtbände haben kurze, prägnante Titel, die die Effektivität einer Hitsingle zitieren: „Heartcore”, „Autokino”, „Solarplexus” und jetzt „Polar”. Man muss sich dazu immer langbeinige Frauen in zerrissenen Nylons vorstellen. Das ist eine Ästhetik, die wunderbar nach München passt, in diese Spielart des Pop mit Schwabing, Giorgio Moroder und dem Olympiastadion. Dazu gehört automatisch eine gewisse Leichtigkeit und das Wissen, alles nicht ganz so eng zu sehen.
„Polar” sieht wieder ganz wunderschön aus, im Format jener Kladden, die damals bei Wondratschek und Zweitausendeins zum Erfolgsrezept gehörten. Heute ist aber natürlich alles viel edler gemacht, das Coverfoto lebt von einem grauschlierigen Hellblau, das sofort Eiseskälte assoziiert und Männer mit Trenchcoats und Schlapphüten auftreten lässt. Wenn durch diese Schmutzschicht dann auch noch diffus das rote Rücklicht eines Straßenkreuzers dringt, ist das Vollbild komplett.
„Polar” ist die Bezeichnung für ein bestimmtes Genre des französischen Kinos und Kriminalromans aus den sechziger und siebziger Jahren, der dortigen Weiterführung der „Schwarzen Serie” Hollywoods. Albert Ostermaiers Gedichtband entpuppt sich vor diesem Hintergrund als eine Art Konzeptalbum: die Texte haben allesamt französische Titel, die zum Teil mit den Original-Filmtiteln identisch sind, und spüren der Atmosphäre jener Streifen nach – den „Flics” also, den kleinen und den großen Nutten und den Schwarzweißgefühlen. Diese sind hier, wie der Filmkritiker Michael Althen in seinem Nachwort nachweist, in ein „bläuliches Licht” getaucht, „das gut mit den grauen Pariser Dächern harmoniert”.
Zwielicht also, Verlorenheit, scharfe Konturen, verschwimmende Gefühle. Ostermaier zwingt die Filme, den „Samurai” beispielsweise, den „Fahrstuhl zum Schafott” oder den „Monsieur Hire” in sein Maß, in seine Notate ohne Satzzeichen. Diese sind meist kurz, korrespondieren aber nicht mit den Zeilenenden, Schnitt folgt auf Schnitt. So entsteht etwas Artifizielles, das die Stilisiertheit der Filmsprache aufzunehmen sucht und Ostermaier als einen Autor zeigt, der mit Suggestionen spielt, mit der rauen Oberfläche des Pop. Er will nach bewährter Disco- oder Videojockey-Art die Filme samplen, einen Remix herstellen, lyrische Zeitlosigkeit.
So bestehen die Texte aus einer eigenwilligen Mischung von Inhaltswiedergabe und emphatischer subjektiver Aufladung einzelner Szenen, sie leben vom Genre. Der geheime Geist, der diese Zeilen bewegt, ist derjenige Alain Delons, des Mannes, den man „eiskalter Engel” nannte. Ab und zu taucht er auch direkt auf. Dass Männerphantasien sich an einer so konkreten Vorlage abarbeiten, kann ihnen zuweilen ganz gut tun: der Raum ist begrenzt. Gelegentlich merkt man aber die Mühen sehr stark, die es Obermaier kostet, das Geheimnis zu fassen, Sound, Zeilenfall sowie Bild und Wort zu koordinieren. Etwa im Anfang von „morgue pleine”: „der papierkorb quoll nicht gerade / über er war leer wie sein blick auf / die tür an der aussen unter dem / spion seine visitenkarte klebte / so man überhaupt das treppen / haus bis zu ihm hochlief (. . . )”.
Das ist offenkundig sehr gewollt. Man kann sie leicht unterschätzen, die Probleme, die auftauchen, wenn man den Reiz der Oberfläche und des Arrangements durch Kleinarbeit aufrechterhalten muss. Aber es ist dabei von Nutzen, dass mittlerweile viele Jahre ins Land gingen, Jahre, die die ursprünglichen Gefühle angereichert und vieldeutiger gemacht haben. Und auch Wolf Wondratscheks Cowboystiefel sind in Albert Ostermaiers „Polar”-Visionen erheblich ausdifferenziert worden – es ist doch nicht das Schlechteste, wenn das dabei herauskommt. HELMUT BÖTTIGER
ALBERT OSTERMAIER: Polar. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 138 Seiten. 20,80 Euro.
Der Dichter Albert Ostermaier in München Foto: Thomas Dashuber/Visum
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2007Fahrstuhl zum Sonett
Lyrik des Samurai: Albert Ostermaiers Poetik des Film noir
Auftragsmörder haben Pflichten: töten, keine Spuren hinterlassen, den Auftraggeber verschweigen, abtauchen. Trenchcoat, Hut und Revolver gehören zur Berufskleidung, Vereinzelung und Selbstkontrolle zur Gaunerehre. "Es gibt keine größere Einsamkeit als diejenige des Samurai", heißt es über den Krieger, der im Auftrag tötete. Le Samouraï - das ist Jef Costello, ein aparter, von Alain Delon gespielter Killer in dem gleichnamigen Film des französischen Regisseurs Jean-Pierre Melville (deutsch "Der eiskalte Engel", 1967).
Wie keine zweite Figur steht Costello für ein Genre: für den französischen Film noir vor allem der sechziger und siebziger Jahre, für eine unpolitische Nouvelle vague jenseits der Ära Godard mit ihrer filmischen Sozialkritik. Der Film noir zeichnet sich durch Formstrenge, eine klare Handlungsführung und eine geradezu graphische Ästhetik aus, die ihre Figuren als bloße Schemen einer undurchsichtigen Halbwelt entwirft. Aktuellen Sehgewohnheiten entspricht das Genre nicht mehr: Setzt der Thriller der Gegenwart auf Schießereien und Action, zählen Melodramatik und Psychologie zu den Qualitätsmerkmalen des Film noir.
Für Albert Ostermaier wird der Film noir zum Gegenstand und Vorbild einer lyrischen Samurai- und Detektivkunst. Sein neuester Lyrik-Band "Polar" handelt nicht nur vom Film noir, er setzt ihn auch in eine gleichsam polare Poetik um: der scharf konturierten Form, der Kühle, der unterdrückten Sehnsüchte, des Bösen. Das Vorhaben ist gewagt: Jedes Remake dieser nahezu poetischen Filme könnte bloßes Imitat werden. Ostermaier reagiert auf dieses Problem mit einer Kombinationsgabe.
Gerade deshalb haben Publikum und Kritik einen schwierigen Fall zu lösen. Aber der Band liefert einige Interpretationshilfen gleich mit: Filmfotos und ein Nachwort von Michael Althen. Damit geht "Polar" über einen gewöhnlichen Lyrik-Band hinaus; er wird zum bimedialen Text, bei dem großformatige Filmbilder nicht nur als Illustrationen dienen, sondern vielmehr eine eigene ästhetische Qualität vermitteln: der Billardtisch aus "Vier im roten Kreis" von Melville, das leere Kugellager des Revolvers aus "Le Samouraï", vermummte Bankräuber auf der Flucht über eine leere Strandpromenade ("Der Chef", auch von Melville, 1972). Je vier Fotos rahmen die vier Kapitel des Bandes, auf die sich etwa gleichgewichtig zweiundvierzig Gedichte verteilen. Sie handeln zumeist und ihrer Überschrift gemäß von einem bestimmten Film: Melvilles "Der Teufel mit der weißen Weste" (1962) und "Die Millionen eines Gehetzten" (1963) stehen wie Alain Corneaus "Im tödlichen Kreis" (1975), Jacques Derays "Der Swimmingpool" (1969) und Louis Malles "Fahrstuhl zum Schafott" (1958), "Das Irrlicht" (1963) für den frühen Film noir. Seine Helden heißen Alain Delon, Lino Ventura, Cathérine Deneuve und Romy Schneider. Claude Chabrols Analysen bürgerlicher Machenschaften kennzeichnen spätere Phasen des Genres ("Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen", 1975). Jüngeren Datums sind die Filme von Patrice Leconte ; sie zählen zwar zu den genretypischen Gangsterfilmen, gehorchen der strengen Ästhetik des Film noir aber nicht mehr. "Polar" verhält sich ebenso unorthodox. Das gleichnamige Eingangsgedicht erläutert seine Poetik, und gleich der erste Vers deutet das Filmgenre mit den Mitteln der Punkästhetik um: "ich finde dich zum kotzen" - kein fulminanter Einstieg, aber ein Kontrast zu den übrigen, genregemäßen Versen über Männer und Frauen, Sex and Crime, die Hydraulik des Citroën, Badewannen voller Schaum, wo sich "er küsste" auf "die küste" reimt. Um filmisch seriell, schnell und zeitgemäß locker zu schreiben, wählt Ostermaier - wie schon in seinem Lyrik-Band "Autokino" (2001) - als Form das Zeugma, die Worteinsparung. In "polar" klingt das Ergebnis so: "er lächelt die schaltmusik der/ überdrehten gänge bis zum ende/ der strasse". Diese Lyrik zelebriert die schöne Oberfläche des Film noir und verschreibt sich einer schlaksigen Sachlichkeit. Aber gerade die Form schickt den Leser auch auf eine andere Fährte: Bei zwei Gedichten handelt es sich um Sonette. Sie orientieren sich am Vorbild großer Sonett-Dichter des neunzehnten Jahrhunderts. Der offen ausgestellte Bezug auf den Film noir gibt nur die halbe Wahrheit zu Protokoll, denn die kühle Oberfläche folgt einer symbolistischen Tiefenstruktur. "Le Ciel est mort" - so und anders lauten die Überschriften der vier Kapitel von "Polar". Auf den ersten Blick beschreiben sie typische Szenen: den Anbruch der Nacht im fahlen Licht der Straßenlaternen, Schritte auf dem Trottoir, die einem verbrecherischen Ziel entgegengehen. Doch handelt es sich bei diesen Überschriften um Zitate. Wenn "der Himmel tot ist", heißt es bei Mallarmé, dann bleibt nur das Nichts. Es wird zum Ausgangspunkt des Schönen; nur das Nichts kann - eventuell - Sinn stiften.
Ostermaiers eindrucksvolles Gedicht "le samouraï" und seine Variation "tristesse d'été" nehmen diesen symbolistischen Impuls auf. Wie die übrigen Poeme führt "le samouraï" in die Szenerie des gleichnamigen Films ein. Bilder und Szenen des Melville-Films werden in schneller Folge aneinandergereiht: das fahle Gesicht Costellos, die Deckenlampe im Verlies der Falschspieler, "das glücksspiel des schlüsselbundes", mit dem Costello Autos knackt, die Garage, in der er das Nummernschild wechseln lässt, der Lärm im Hintergrund, als er mit dem Revolver auf die Pianistin zielt - und von der Polizei erschossen wird. Diesmal war sein Revolver gar nicht geladen: Der Samurai hat sich um seiner Ehre willen gewissermaßen selbst getötet - "ihm fehlt herz", so deutet Ostermaiers Sprecher an, verzichtet aber auf eine Deutung der umstrittenen Szene.
"Tristesse d'été" hingegen hält ein Erklärungsmodell bereit. Der Text fragt nach der Motivation des Auftragsmörders - mit Blick auf den Kanarienvogel, der Costello durch aufgeregtes Piepen vor den Polizeispitzeln warnt, und auf Stéphane Mallarmés gleichnamiges Sonett. Ostermaiers Traurigkeits-Sonett erweist sich als radikale, für diesen Band zentrale Neufassung des Mallarmé-Textes. "Von neuem ohne aufschub sich ins verderben stürzen", heißt es gleich im ersten Vers, "man hat es eilig mit dem leben der tod zahlt aus in bar", vermerkt die letzte Strophe.
Sinnlosigkeit und Todestrieb unterlegen dem Film noir ein neo-symbolistisches Drehbuch. Umgekehrt zivilisiert seine graphische Strenge das L'art pour l'art. Ostermaier folgt dem lyrischen Ehrenkodex der Dandys des Fin de siècle und erfüllt zugleich die Pflichten des Samurai Costello: abtauchen, Spuren verwischen, eine gepflegte Oberfläche zur Schau stellen. Nur eines ist in diesem Poesiekrimi sicher: Der Mörder ist immer der Dichter.
SANDRA POTT
Albert Ostermaier: "Polar". Gedichte. Mit einem Nachwort von Michael Althen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 138 S., zahlr. Fotos, geb., 20,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lyrik des Samurai: Albert Ostermaiers Poetik des Film noir
Auftragsmörder haben Pflichten: töten, keine Spuren hinterlassen, den Auftraggeber verschweigen, abtauchen. Trenchcoat, Hut und Revolver gehören zur Berufskleidung, Vereinzelung und Selbstkontrolle zur Gaunerehre. "Es gibt keine größere Einsamkeit als diejenige des Samurai", heißt es über den Krieger, der im Auftrag tötete. Le Samouraï - das ist Jef Costello, ein aparter, von Alain Delon gespielter Killer in dem gleichnamigen Film des französischen Regisseurs Jean-Pierre Melville (deutsch "Der eiskalte Engel", 1967).
Wie keine zweite Figur steht Costello für ein Genre: für den französischen Film noir vor allem der sechziger und siebziger Jahre, für eine unpolitische Nouvelle vague jenseits der Ära Godard mit ihrer filmischen Sozialkritik. Der Film noir zeichnet sich durch Formstrenge, eine klare Handlungsführung und eine geradezu graphische Ästhetik aus, die ihre Figuren als bloße Schemen einer undurchsichtigen Halbwelt entwirft. Aktuellen Sehgewohnheiten entspricht das Genre nicht mehr: Setzt der Thriller der Gegenwart auf Schießereien und Action, zählen Melodramatik und Psychologie zu den Qualitätsmerkmalen des Film noir.
Für Albert Ostermaier wird der Film noir zum Gegenstand und Vorbild einer lyrischen Samurai- und Detektivkunst. Sein neuester Lyrik-Band "Polar" handelt nicht nur vom Film noir, er setzt ihn auch in eine gleichsam polare Poetik um: der scharf konturierten Form, der Kühle, der unterdrückten Sehnsüchte, des Bösen. Das Vorhaben ist gewagt: Jedes Remake dieser nahezu poetischen Filme könnte bloßes Imitat werden. Ostermaier reagiert auf dieses Problem mit einer Kombinationsgabe.
Gerade deshalb haben Publikum und Kritik einen schwierigen Fall zu lösen. Aber der Band liefert einige Interpretationshilfen gleich mit: Filmfotos und ein Nachwort von Michael Althen. Damit geht "Polar" über einen gewöhnlichen Lyrik-Band hinaus; er wird zum bimedialen Text, bei dem großformatige Filmbilder nicht nur als Illustrationen dienen, sondern vielmehr eine eigene ästhetische Qualität vermitteln: der Billardtisch aus "Vier im roten Kreis" von Melville, das leere Kugellager des Revolvers aus "Le Samouraï", vermummte Bankräuber auf der Flucht über eine leere Strandpromenade ("Der Chef", auch von Melville, 1972). Je vier Fotos rahmen die vier Kapitel des Bandes, auf die sich etwa gleichgewichtig zweiundvierzig Gedichte verteilen. Sie handeln zumeist und ihrer Überschrift gemäß von einem bestimmten Film: Melvilles "Der Teufel mit der weißen Weste" (1962) und "Die Millionen eines Gehetzten" (1963) stehen wie Alain Corneaus "Im tödlichen Kreis" (1975), Jacques Derays "Der Swimmingpool" (1969) und Louis Malles "Fahrstuhl zum Schafott" (1958), "Das Irrlicht" (1963) für den frühen Film noir. Seine Helden heißen Alain Delon, Lino Ventura, Cathérine Deneuve und Romy Schneider. Claude Chabrols Analysen bürgerlicher Machenschaften kennzeichnen spätere Phasen des Genres ("Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen", 1975). Jüngeren Datums sind die Filme von Patrice Leconte ; sie zählen zwar zu den genretypischen Gangsterfilmen, gehorchen der strengen Ästhetik des Film noir aber nicht mehr. "Polar" verhält sich ebenso unorthodox. Das gleichnamige Eingangsgedicht erläutert seine Poetik, und gleich der erste Vers deutet das Filmgenre mit den Mitteln der Punkästhetik um: "ich finde dich zum kotzen" - kein fulminanter Einstieg, aber ein Kontrast zu den übrigen, genregemäßen Versen über Männer und Frauen, Sex and Crime, die Hydraulik des Citroën, Badewannen voller Schaum, wo sich "er küsste" auf "die küste" reimt. Um filmisch seriell, schnell und zeitgemäß locker zu schreiben, wählt Ostermaier - wie schon in seinem Lyrik-Band "Autokino" (2001) - als Form das Zeugma, die Worteinsparung. In "polar" klingt das Ergebnis so: "er lächelt die schaltmusik der/ überdrehten gänge bis zum ende/ der strasse". Diese Lyrik zelebriert die schöne Oberfläche des Film noir und verschreibt sich einer schlaksigen Sachlichkeit. Aber gerade die Form schickt den Leser auch auf eine andere Fährte: Bei zwei Gedichten handelt es sich um Sonette. Sie orientieren sich am Vorbild großer Sonett-Dichter des neunzehnten Jahrhunderts. Der offen ausgestellte Bezug auf den Film noir gibt nur die halbe Wahrheit zu Protokoll, denn die kühle Oberfläche folgt einer symbolistischen Tiefenstruktur. "Le Ciel est mort" - so und anders lauten die Überschriften der vier Kapitel von "Polar". Auf den ersten Blick beschreiben sie typische Szenen: den Anbruch der Nacht im fahlen Licht der Straßenlaternen, Schritte auf dem Trottoir, die einem verbrecherischen Ziel entgegengehen. Doch handelt es sich bei diesen Überschriften um Zitate. Wenn "der Himmel tot ist", heißt es bei Mallarmé, dann bleibt nur das Nichts. Es wird zum Ausgangspunkt des Schönen; nur das Nichts kann - eventuell - Sinn stiften.
Ostermaiers eindrucksvolles Gedicht "le samouraï" und seine Variation "tristesse d'été" nehmen diesen symbolistischen Impuls auf. Wie die übrigen Poeme führt "le samouraï" in die Szenerie des gleichnamigen Films ein. Bilder und Szenen des Melville-Films werden in schneller Folge aneinandergereiht: das fahle Gesicht Costellos, die Deckenlampe im Verlies der Falschspieler, "das glücksspiel des schlüsselbundes", mit dem Costello Autos knackt, die Garage, in der er das Nummernschild wechseln lässt, der Lärm im Hintergrund, als er mit dem Revolver auf die Pianistin zielt - und von der Polizei erschossen wird. Diesmal war sein Revolver gar nicht geladen: Der Samurai hat sich um seiner Ehre willen gewissermaßen selbst getötet - "ihm fehlt herz", so deutet Ostermaiers Sprecher an, verzichtet aber auf eine Deutung der umstrittenen Szene.
"Tristesse d'été" hingegen hält ein Erklärungsmodell bereit. Der Text fragt nach der Motivation des Auftragsmörders - mit Blick auf den Kanarienvogel, der Costello durch aufgeregtes Piepen vor den Polizeispitzeln warnt, und auf Stéphane Mallarmés gleichnamiges Sonett. Ostermaiers Traurigkeits-Sonett erweist sich als radikale, für diesen Band zentrale Neufassung des Mallarmé-Textes. "Von neuem ohne aufschub sich ins verderben stürzen", heißt es gleich im ersten Vers, "man hat es eilig mit dem leben der tod zahlt aus in bar", vermerkt die letzte Strophe.
Sinnlosigkeit und Todestrieb unterlegen dem Film noir ein neo-symbolistisches Drehbuch. Umgekehrt zivilisiert seine graphische Strenge das L'art pour l'art. Ostermaier folgt dem lyrischen Ehrenkodex der Dandys des Fin de siècle und erfüllt zugleich die Pflichten des Samurai Costello: abtauchen, Spuren verwischen, eine gepflegte Oberfläche zur Schau stellen. Nur eines ist in diesem Poesiekrimi sicher: Der Mörder ist immer der Dichter.
SANDRA POTT
Albert Ostermaier: "Polar". Gedichte. Mit einem Nachwort von Michael Althen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 138 S., zahlr. Fotos, geb., 20,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Eine Art Revival des französischen Gangsterfilms der sechziger und siebziger Jahren erblickt Samuel Moser in diesen Gedichten Albert Ostermaiers, in denen die "traurigschönen Bilder" der Filme Melville, Deray oder Chabrol reflektiert werden. Wie diese zeichnen sich Ostermaiers Gedichte für ihn durch ihr "provozierendes Ensemble von Sanftheit und Gewalt" aus, während Fragen der Moral eher nachrangig erscheinen. Ostermaier interessiere sich vielmehr für das Klima aus Leidenschaft und Apathie, Schmerz und Unempfindlichkeit, in dem ein Verbrechen unausweichlich werde. Ein gewisses Unbehagen angesichts der Ästhetisierung der Gewalt und der Reduktion von Moral auf Fragen der Präzision kann Moser nicht verhehlen. Die Gedichte verbreiten für ihn bisweilen einen "zweifelhaften Geruch": "Gut soll sein, was gut gemacht ist." Dass bei Ostermaier vieles gut und manches zu gut gemacht ist, bestätigt er gern. Nichtsdestoweniger scheinen ihm die Gedichte oft nicht vor den "Gefahren der Trivialisierung" gefeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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