After World War II, the annexation of Poland and the displacement of many Germans from the Eastern regions, the relationship between Poland and Germany appeared to be dominated by the new hostility between the two countries. Only after Willy Brandt introduced his "New Ostpolitik" in 1969, oriented as it was toward a reconciliation with the peoples of Eastern Europe, did things change for the better. Initially the relations between East Germany and Poland became better. The Görlitz Agreement of 1950, which guaranteed the validity of the Oder-Neiße boundary, created the stable basis for a bilateral contract. With the help of new archive materials from Moscow, Warsaw, Berlin, London and Washington DC, the author draws a new picture of German Ostpolitik.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Im märchenhaften politischen Elysium?
Die deutsch-polnischen Beziehungen haben sich zwar schrittweise normalisieren können, jedoch fürchtet sich Warschau vor Berlins Dominanz in der EU.
Von Werner Link
Zu den deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg sind zwei gewichtige, aber recht unterschiedliche Bücher erschienen: Die Historikerin Katarzyna Stoklosa beschreibt und analysiert die deutsch-polnischen Beziehungen von 1945 bis 1990. Und der von vier deutschen und polnischen Wissenschaftlern herausgegebene Sammelband enthält teilweise aktualisierten Referate, die auf einer Tagung in Breslau im Oktober 2010 gehalten wurden. Sie bilanzieren die deutsch-polnischen Beziehungen nach der "Wende". Der Grenzvertrag vom 14. November 1990, der eine Bedingung für die deutsche Einheit war, und der Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag vom 17. Juni 1991 bilden die hauptsächlichen Bezugspunkte.
In der historischen und resümierenden Einleitung der Herausgeber fällt auf, dass der Grenzvertrag nur als unkommentiertes, gewissermaßen nacktes Faktum erwähnt wird - ohne Hinweis darauf, dass die endgültige Anerkennung der Annexion der deutschen Ostgebiete der entscheidende und schmerzliche Beitrag Deutschlands zur Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen war und ist. Ähnlich abstinent sind die Herausgeber im Rückblick auf die polnische Vertreibungspolitik. Die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik des "Dritten Reichs" gegenüber Polen wird selbstverständlich und zu Recht hervorgehoben - allerdings mit der fragwürdigen Behauptung, dass "die unreflektierten Überheblichkeitsgefühle weiter Teile der Gesellschaft des wilhelminischen Deutschlands und der Weimarer Republik gegenüber Polen diese Politik schließlich "erlaubten". Indes, bezüglich für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vermeiden die Herausgeber - in bemerkenswertem Unterschied zu den Autoren der folgenden Beiträge - den Begriff Vertreibung. Sie sprechen von "Schuld, Verbrechen, Trauer, Verlust", und zwar ohne Subjekt und Objekt zu benennen. Das polnische Tabu scheint doch noch nicht unwirksam zu sein.
Dass gerade auch von polnischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen das Vertreibungs-Tabu konsequent durchbrochen wird, bestätigt eindrucksvoll die exzellente Monographie von Frau Stoklosa. Auf breitester Quellen- und Literaturbasis erarbeitet, folgt die Analyse einer "multinationalen Perspektive": die bundesdeutsche Polen-Politik wird im Spiegel der polnischen, ostdeutschen, sowjetischen, britischen und amerikanischen Wahrnehmung dargestellt. Die Autorin konzentriert sich auf die siebziger Jahre, behandelt aber den gesamten genannten Zeitraum. Dadurch wird nachvollziehbar, wie schwierig die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen war und welche Fortschritte im Laufe der Zeit - insbesondere in der weltpolitischen Entspannungsphase - möglich waren. Ungeschminkt wird geschildert, wie der Hass gegen die Deutschen "ein wichtiges Ferment für die polnische Gesellschaft" in den ersten Nachkriegsjahren war - vor allem in den neuen Territorien, und zwar mit Unterstützung des römisch-katholischen Kirche. Vor diesem Hintergrund wird erst der große Wandel deutlich, der in den sechziger Jahren durch den Briefwechsel der katholischen Bischöfe und die Erklärungen der evangelischen Kirche eingeleitet wurde und politisch mit der neuen Ostpolitik und dem Warschauer Vertrag von 1970 Gestalt gewann.
Die Bedeutung dieser Analysen wird die Zunft der Historiker zu würdigen haben und dabei sicherlich auch einigen Thesen der Verfasserin widersprechen - so zum Beispiel die Behauptung, dass dem Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Gomulka, das Verdienst zukomme, "den Anstoß" zur westdeutschen "Ostpolitik gegeben zu haben". Besonderes Interesse dürfte der Nachweis finden, dass die westlichen Staaten in den fünfziger Jahren in der Grenzfrage durchaus eine revisionistische Politik vertraten und erst in der Détente-Phase den territorialen Status quo akzeptierten und seine Akzeptanz verlangten. Der mit der Fachliteratur nicht vertraute Zeitgenosse wird von der Einsicht beeindruckt sein, wie entscheidend auch in der Polen-Politik der "alten" Bundesrepublik die deutsche wirtschaftliche und finanzielle Potenz war.
Nachdem Bonn mit dem Warschauer Vertrag die Oder-Neiße-Grenze politisch (wenngleich mit völkerrechtlichen Einschränkungen) anerkannt hatte, war für Polen vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik wichtig, einschließlich großer Kredite, von denen - nach offiziell polnischer Meinung - auch die Deutschen wussten, dass die Polen sie "niemals zurückzahlen werden". Man könnte in diesem Zusammenhang fast von einer Art D-Mark-Diplomatie sprechen. Die mühsam ausgehandelten schrittweisen Verbesserungen zugunsten der deutschen Minderheit in Polen (insbesondere die Ausweitung der Ausreise- und Übersiedlungsgenehmigungen) wären anders nicht möglich gewesen. Die Autorin resümiert für das Ende dieser Periode: Polen zeigte sich mit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit "relativ zufrieden". Was die geopolitische Sachlage anbelangte, so hatte Polen die endgültige Anerkennung seiner Grenzen erreicht, aber "eines seiner wichtigsten außenpolitischen Ziele seit 1949 - die Zweiteilung und damit Schwächung Deutschlands - nicht dauerhaft sichern" können.
Wie haben sich die Beziehungen zwischen dem vereinigten Deutschland und Polen entwickelt? In dem Sammelband werden zum Zweck der Periodisierung von dem Mitherausgeber Dieter Bingen (Deutsches Polen-Institut Darmstadt) Begriffe gewählt, die aus der individuellen Entwicklungspsychologie stammen, aber für die Analyse von Kollektivbeziehungen nicht hilfreich sind. Sie lauten: "fröhliche Kindheit" der deutsch-polnischen Partnerschaft, "Pubertätszeit" und "erwachsene Partnerschaft". In Parenthese sei ironisch dazu angemerkt, dass hoffentlich eines Tages nicht die Scheidung der Partner ins Haus steht oder über kurz oder lang mit einer Periode gebrechlicher Altersbeziehungen zu rechnen ist.
Strukturiert ist der Band wie ein Handbuch: In rund dreißig informativen und erhellenden Aufsätzen werden alle Bereiche des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens kompetent abgehandelt. Nur auf drei Aspekte sei kurz verwiesen: Fundamental ist die Bedeutung des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes - "eine Erfolgsgeschichte mit offenem Ausgang"; mehr als zwei Millionen junger Deutscher und Polen haben in den vergangenen zwanzig Jahren an 50 000 Begegnungen teilgenommen. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen sind in einer stetigen Aufwärtsentwicklung. Und die Meinungsumfragen belegen eine beträchtliche Asymmetrie im Grad der Sympathie; "die Polen mögen ihre westlichen Nachbarn weitaus mehr als umgekehrt".
Insgesamt betrachtet, fällt die Bilanz von zwanzig Jahren ebenso wie die Einschätzung der künftigen Entwicklung sehr positiv und optimistisch aus - ungeachtet der (durchaus thematisierten) Differenzen, zum Beispiel in der EU-Politik, beim Irak-Krieg, hinsichtlich des amerikanischen Raketenabwehrprogramms und bei der Politik gegenüber Russland. Polen und Deutschland sind in den internationalen Rahmen der Nato und der EU eingebettet, in dem sie ihre Interessen gleichberechtigt vertreten und tendenziell ausgleichen können: "Die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen waren noch nie so intensiv und so komplex wie heute." Geradezu euphorisch meint Dieter Bingen sogar, dass sich die Beziehungen vor dem Hintergrund der schlimmen Vergangenheit "heute in einem geradezu märchenhaften politischen Elysium" entwickeln - eben im Stadium substantieller politischer und gesellschaftlicher Partnerschaft.
Wie aber ist zu erklären, dass in diesem "Elysium" die Lösung des Problems der Rückgabe der "kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter", die vertraglich vereinbart wurde, bisher nicht zustande gekommen ist? Wie sind mit dem partnerschaftlichen Gedanken diejenigen Reaktionen zu vereinbaren, die sogar von Deutschland wohlgesinnten Autoren auf den "Berliner Appell" (September 1998) der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, und auf ihre weiteren Äußerungen artikuliert wurden? Krzysztof Ruchniewicz von der Universität Breslau zitiert die Passage aus dem "Berliner Appell", in der Frau Steinbach forderte, "dass die Vertreibung der Deutschen nicht mehr zu einer unvermeidlichen Notwendigkeit verfälscht" wird. Und er stimmt dann auf dieser Basis dem vernichtenden Urteil zu, dass der Appell "opportunistisch, arrogant, zynisch, inkompetent, demagogisch und unverantwortlich" sei! Invektiven der jüngsten Zeit sind bekanntlich noch schlimmer. Was ist zudem von einer "erwachsenen Partnerschaft" zu halten, in der von 2005 bis 2007 die Brüder Kaczynski offiziell eine betont antideutsche Politik betrieben, betreiben konnten? Wird dies wirklich eine sich nicht wiederholende "Episode" bleiben?
Anders als die harmonisierende Tendenz, die im Konferenz-Band oftmals durchscheint, ist die Einschätzung der Historikerin Stoklosa wesentlich nüchterner. Sie schreibt, dass trotz der fortschreitenden bilateralen "Normalisierung" - Anführungszeichen im Original - ein "Rest Misstrauen gegenüber dem wieder übermächtig erscheinenden westlichen Nachbarn in der Wahrnehmung Polens" nicht zu übersehen ist, "verstärkt auch durch ein gewiss kränkendes Desinteresse weiter Teile der deutschen Bevölkerung an Polen". Die Sorge Polens beziehe sich nicht zuletzt auf eine "allzu deutliche Dominanz Deutschlands in der EU" und finde ihren Niederschlag in dem Bestreben, über weitere Ost-Erweiterungen der EU ein "Gegengewicht" zu einem "deutschen" Zentraleuropa zu bilden. Man kann Frau Stoklosa nur zustimmen, dass das außerordentlich sensible deutsch-polnische Verhältnis der ständigen Vergewisserung guter Absichten auf beiden Seiten bedarf.
Katarzyna Stoklosa: Polen und die deutsche Ostpolitik 1945-1990.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2011. 606 S., 59,95 [Euro].
Dieter Bingen/ Peter Oliver Loew/Krzysztof Ruchniewicz/Marek Zybura (Herausgeber): Erwachsene Nachbarschaft.
Die deutsch-polnischen Beziehungen 1991 bis 2011. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2011. 459 S., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die deutsch-polnischen Beziehungen haben sich zwar schrittweise normalisieren können, jedoch fürchtet sich Warschau vor Berlins Dominanz in der EU.
Von Werner Link
Zu den deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg sind zwei gewichtige, aber recht unterschiedliche Bücher erschienen: Die Historikerin Katarzyna Stoklosa beschreibt und analysiert die deutsch-polnischen Beziehungen von 1945 bis 1990. Und der von vier deutschen und polnischen Wissenschaftlern herausgegebene Sammelband enthält teilweise aktualisierten Referate, die auf einer Tagung in Breslau im Oktober 2010 gehalten wurden. Sie bilanzieren die deutsch-polnischen Beziehungen nach der "Wende". Der Grenzvertrag vom 14. November 1990, der eine Bedingung für die deutsche Einheit war, und der Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag vom 17. Juni 1991 bilden die hauptsächlichen Bezugspunkte.
In der historischen und resümierenden Einleitung der Herausgeber fällt auf, dass der Grenzvertrag nur als unkommentiertes, gewissermaßen nacktes Faktum erwähnt wird - ohne Hinweis darauf, dass die endgültige Anerkennung der Annexion der deutschen Ostgebiete der entscheidende und schmerzliche Beitrag Deutschlands zur Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen war und ist. Ähnlich abstinent sind die Herausgeber im Rückblick auf die polnische Vertreibungspolitik. Die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik des "Dritten Reichs" gegenüber Polen wird selbstverständlich und zu Recht hervorgehoben - allerdings mit der fragwürdigen Behauptung, dass "die unreflektierten Überheblichkeitsgefühle weiter Teile der Gesellschaft des wilhelminischen Deutschlands und der Weimarer Republik gegenüber Polen diese Politik schließlich "erlaubten". Indes, bezüglich für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vermeiden die Herausgeber - in bemerkenswertem Unterschied zu den Autoren der folgenden Beiträge - den Begriff Vertreibung. Sie sprechen von "Schuld, Verbrechen, Trauer, Verlust", und zwar ohne Subjekt und Objekt zu benennen. Das polnische Tabu scheint doch noch nicht unwirksam zu sein.
Dass gerade auch von polnischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen das Vertreibungs-Tabu konsequent durchbrochen wird, bestätigt eindrucksvoll die exzellente Monographie von Frau Stoklosa. Auf breitester Quellen- und Literaturbasis erarbeitet, folgt die Analyse einer "multinationalen Perspektive": die bundesdeutsche Polen-Politik wird im Spiegel der polnischen, ostdeutschen, sowjetischen, britischen und amerikanischen Wahrnehmung dargestellt. Die Autorin konzentriert sich auf die siebziger Jahre, behandelt aber den gesamten genannten Zeitraum. Dadurch wird nachvollziehbar, wie schwierig die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen war und welche Fortschritte im Laufe der Zeit - insbesondere in der weltpolitischen Entspannungsphase - möglich waren. Ungeschminkt wird geschildert, wie der Hass gegen die Deutschen "ein wichtiges Ferment für die polnische Gesellschaft" in den ersten Nachkriegsjahren war - vor allem in den neuen Territorien, und zwar mit Unterstützung des römisch-katholischen Kirche. Vor diesem Hintergrund wird erst der große Wandel deutlich, der in den sechziger Jahren durch den Briefwechsel der katholischen Bischöfe und die Erklärungen der evangelischen Kirche eingeleitet wurde und politisch mit der neuen Ostpolitik und dem Warschauer Vertrag von 1970 Gestalt gewann.
Die Bedeutung dieser Analysen wird die Zunft der Historiker zu würdigen haben und dabei sicherlich auch einigen Thesen der Verfasserin widersprechen - so zum Beispiel die Behauptung, dass dem Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Gomulka, das Verdienst zukomme, "den Anstoß" zur westdeutschen "Ostpolitik gegeben zu haben". Besonderes Interesse dürfte der Nachweis finden, dass die westlichen Staaten in den fünfziger Jahren in der Grenzfrage durchaus eine revisionistische Politik vertraten und erst in der Détente-Phase den territorialen Status quo akzeptierten und seine Akzeptanz verlangten. Der mit der Fachliteratur nicht vertraute Zeitgenosse wird von der Einsicht beeindruckt sein, wie entscheidend auch in der Polen-Politik der "alten" Bundesrepublik die deutsche wirtschaftliche und finanzielle Potenz war.
Nachdem Bonn mit dem Warschauer Vertrag die Oder-Neiße-Grenze politisch (wenngleich mit völkerrechtlichen Einschränkungen) anerkannt hatte, war für Polen vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik wichtig, einschließlich großer Kredite, von denen - nach offiziell polnischer Meinung - auch die Deutschen wussten, dass die Polen sie "niemals zurückzahlen werden". Man könnte in diesem Zusammenhang fast von einer Art D-Mark-Diplomatie sprechen. Die mühsam ausgehandelten schrittweisen Verbesserungen zugunsten der deutschen Minderheit in Polen (insbesondere die Ausweitung der Ausreise- und Übersiedlungsgenehmigungen) wären anders nicht möglich gewesen. Die Autorin resümiert für das Ende dieser Periode: Polen zeigte sich mit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit "relativ zufrieden". Was die geopolitische Sachlage anbelangte, so hatte Polen die endgültige Anerkennung seiner Grenzen erreicht, aber "eines seiner wichtigsten außenpolitischen Ziele seit 1949 - die Zweiteilung und damit Schwächung Deutschlands - nicht dauerhaft sichern" können.
Wie haben sich die Beziehungen zwischen dem vereinigten Deutschland und Polen entwickelt? In dem Sammelband werden zum Zweck der Periodisierung von dem Mitherausgeber Dieter Bingen (Deutsches Polen-Institut Darmstadt) Begriffe gewählt, die aus der individuellen Entwicklungspsychologie stammen, aber für die Analyse von Kollektivbeziehungen nicht hilfreich sind. Sie lauten: "fröhliche Kindheit" der deutsch-polnischen Partnerschaft, "Pubertätszeit" und "erwachsene Partnerschaft". In Parenthese sei ironisch dazu angemerkt, dass hoffentlich eines Tages nicht die Scheidung der Partner ins Haus steht oder über kurz oder lang mit einer Periode gebrechlicher Altersbeziehungen zu rechnen ist.
Strukturiert ist der Band wie ein Handbuch: In rund dreißig informativen und erhellenden Aufsätzen werden alle Bereiche des gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens kompetent abgehandelt. Nur auf drei Aspekte sei kurz verwiesen: Fundamental ist die Bedeutung des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes - "eine Erfolgsgeschichte mit offenem Ausgang"; mehr als zwei Millionen junger Deutscher und Polen haben in den vergangenen zwanzig Jahren an 50 000 Begegnungen teilgenommen. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen sind in einer stetigen Aufwärtsentwicklung. Und die Meinungsumfragen belegen eine beträchtliche Asymmetrie im Grad der Sympathie; "die Polen mögen ihre westlichen Nachbarn weitaus mehr als umgekehrt".
Insgesamt betrachtet, fällt die Bilanz von zwanzig Jahren ebenso wie die Einschätzung der künftigen Entwicklung sehr positiv und optimistisch aus - ungeachtet der (durchaus thematisierten) Differenzen, zum Beispiel in der EU-Politik, beim Irak-Krieg, hinsichtlich des amerikanischen Raketenabwehrprogramms und bei der Politik gegenüber Russland. Polen und Deutschland sind in den internationalen Rahmen der Nato und der EU eingebettet, in dem sie ihre Interessen gleichberechtigt vertreten und tendenziell ausgleichen können: "Die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen waren noch nie so intensiv und so komplex wie heute." Geradezu euphorisch meint Dieter Bingen sogar, dass sich die Beziehungen vor dem Hintergrund der schlimmen Vergangenheit "heute in einem geradezu märchenhaften politischen Elysium" entwickeln - eben im Stadium substantieller politischer und gesellschaftlicher Partnerschaft.
Wie aber ist zu erklären, dass in diesem "Elysium" die Lösung des Problems der Rückgabe der "kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter", die vertraglich vereinbart wurde, bisher nicht zustande gekommen ist? Wie sind mit dem partnerschaftlichen Gedanken diejenigen Reaktionen zu vereinbaren, die sogar von Deutschland wohlgesinnten Autoren auf den "Berliner Appell" (September 1998) der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, und auf ihre weiteren Äußerungen artikuliert wurden? Krzysztof Ruchniewicz von der Universität Breslau zitiert die Passage aus dem "Berliner Appell", in der Frau Steinbach forderte, "dass die Vertreibung der Deutschen nicht mehr zu einer unvermeidlichen Notwendigkeit verfälscht" wird. Und er stimmt dann auf dieser Basis dem vernichtenden Urteil zu, dass der Appell "opportunistisch, arrogant, zynisch, inkompetent, demagogisch und unverantwortlich" sei! Invektiven der jüngsten Zeit sind bekanntlich noch schlimmer. Was ist zudem von einer "erwachsenen Partnerschaft" zu halten, in der von 2005 bis 2007 die Brüder Kaczynski offiziell eine betont antideutsche Politik betrieben, betreiben konnten? Wird dies wirklich eine sich nicht wiederholende "Episode" bleiben?
Anders als die harmonisierende Tendenz, die im Konferenz-Band oftmals durchscheint, ist die Einschätzung der Historikerin Stoklosa wesentlich nüchterner. Sie schreibt, dass trotz der fortschreitenden bilateralen "Normalisierung" - Anführungszeichen im Original - ein "Rest Misstrauen gegenüber dem wieder übermächtig erscheinenden westlichen Nachbarn in der Wahrnehmung Polens" nicht zu übersehen ist, "verstärkt auch durch ein gewiss kränkendes Desinteresse weiter Teile der deutschen Bevölkerung an Polen". Die Sorge Polens beziehe sich nicht zuletzt auf eine "allzu deutliche Dominanz Deutschlands in der EU" und finde ihren Niederschlag in dem Bestreben, über weitere Ost-Erweiterungen der EU ein "Gegengewicht" zu einem "deutschen" Zentraleuropa zu bilden. Man kann Frau Stoklosa nur zustimmen, dass das außerordentlich sensible deutsch-polnische Verhältnis der ständigen Vergewisserung guter Absichten auf beiden Seiten bedarf.
Katarzyna Stoklosa: Polen und die deutsche Ostpolitik 1945-1990.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2011. 606 S., 59,95 [Euro].
Dieter Bingen/ Peter Oliver Loew/Krzysztof Ruchniewicz/Marek Zybura (Herausgeber): Erwachsene Nachbarschaft.
Die deutsch-polnischen Beziehungen 1991 bis 2011. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2011. 459 S., 38,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Exzellent" findet Rezensent Werner Link diese Monografie von Katarzyna Stoklosa. Dabei sind es nicht nur die zahlreich hinzugezogen Quellen und Werke der Fachliteratur, die den Rezensenten beeindrucken. Auch die multiperspektivische Betrachtung der Thematik lobt er ausdrücklich. Denn Stoklosa untersuche nicht nur die westdeutsche und polnische Sicht, sondern beleuchte gleichzeitig die ostdeutsche, sowjetische, britische und amerikanische Einschätzung der bundesdeutschen Polen-Politik. Unerschrocken beschreibe die Autorin auch die heiklen Punkte in der deutsch-polnischen Aussöhnung: Der polnische Hass gegen die Deutschen, der für die Polen wiederum identitätsstiftend gewirkt habe, ebenso wie die in Grenzfragen lange Zeit revisionistische Politik der Bundesrepublik. Insgesamt schätzt Link die Gründlichkeit, den Fleiß, den Mut und den Realismus der Studie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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