Politik stellt eines der ältesten Themen der Philosophie dar. Die Sophisten und Platon haben es gewissermaßen erfunden, während der schulmäßige Aristotelismus die Politik bis an die Schwelle der Kantischen Denkrevolution begleitet hat. Allerdings war inzwischen mit der Konstruktion des neuzeitlichen Staates ein durchaus anderes Verständnis des Politischen aufgetreten, das unsere Auffassung heute bestimmt.
Seit der Emanzipation der »Politischen Wissenschaft« als Spezialdisziplin im 20. Jahrhundert ist der Zusammenhang mit der Philosophie weitgehend zerbrochen. Das hat beiden Seiten nicht gutgetan, wie man inzwischen sieht. Deshalb wird in diesem Buch die Tradition des politischen Denkens von den Anfängen vergegenwärtigt. Fluchtpunkt bleibt aber die Gegenwart mit ihren systematischen Problemen, und also ergibt sich unter der Hand eine Auseinandersetzung mit der Politologie.
Seit der Emanzipation der »Politischen Wissenschaft« als Spezialdisziplin im 20. Jahrhundert ist der Zusammenhang mit der Philosophie weitgehend zerbrochen. Das hat beiden Seiten nicht gutgetan, wie man inzwischen sieht. Deshalb wird in diesem Buch die Tradition des politischen Denkens von den Anfängen vergegenwärtigt. Fluchtpunkt bleibt aber die Gegenwart mit ihren systematischen Problemen, und also ergibt sich unter der Hand eine Auseinandersetzung mit der Politologie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2002Die mit ihrem Pseudoenglisch
Rüdiger Bubner zeichnet Grundlinien der politischen Philosophie
Kommunitarismus und Liberalismus haben als gemeinsame Grundlage ihres Streites die Frage, wie die allgemeine Ordnung beschaffen sein soll. Das ist bei der liberalen Bestimmung der Rechte des Individuums eindeutig. Aber auch Kommunitaristen untersuchen nicht die Formen und Verflechtungen realer Gemeinschaften, sondern behaupten die Notwendigkeit, Gemeinschaftlichkeit überhaupt zu fördern. Und bei den sozialliberalen oder -demokratischen Übergangsgestalten wächst die Bestimmung des guten Lebens oder der gerechten Gesellschaft zu ganzen Forderungskatalogen aus, die die Welt abarbeiten muß, will sie vor der Philosophie bestehen.
Solchen Untersuchungen gegenüber muß Rüdiger Bubner als jemand erscheinen, der die einfachsten Unterscheidungen nicht verstanden hat. Für eine Einführung in die politische Philosophie ist sein neuestes Buch, obwohl vermutlich aus entsprechenden Vorlesungen hervorgegangen, zu voraussetzungsreich, für einen Debattenbeitrag zu thetisch, und auch für einen kulturkritischen Essay taugen die recht konventionellen Attacken gegen das "Pseudoenglisch der Flughäfen und Hotelketten" und "die tiefe Langeweile, die das Juste-milieu westlicher Mittelstandsgesellschaften mit öffentlich organisierter Wohlfahrt ausstrahlt", kaum. Vor allem sieht es so aus, als ob Bubner, in Vermengung von Sein und Sollen, Genesis und Geltung, seine normativen Stellungnahmen durch ein einseitiges Referat der Geschichte der politischen Theorie erschleicht.
Tatsächlich ist für Bubner der Kommunitarismusstreit nur eine amerikanische Figuration der politischen Querelle des Anciens et des Modernes. "Die Polis war eine Lebensform. Der Staat ist eine rationale Anstalt." Die Polis als Lebensform wird reflektiert in einer Philosophie, die das Politische in einer Ontologie des Handelns begründet. Das Handeln verfolgt in der Zeit und unter mehr oder weniger unabsehbaren Umständen seine je eigenen Ziele, die mit mehr oder weniger Klugheit nach den gegebenen Möglichkeiten ausgerichtet wurden. Und das Handeln geschieht in Kooperationen, deren oberste die autarke Polis ist. Deshalb hat Platon darauf insistiert, daß jeder das Seine tut, das, worin er sich auskennt und wofür er sich interessiert. Und Aristoteles hat die Polis als Verschränkung des Herrschers und Beherrschtwerdens beschrieben. Der Staat dagegen, der absolutistische wie der demokratische, fußt auf dem Gedanken einer Willensfreiheit, in der die christliche creatio ex nihilo nur notdürftig säkularisiert ist. So erwächst die Illusion, alles ließe sich zu jeder Zeit machen, und der Drang, bei allem mitzureden.
Bubners Sympathie gilt natürlich den Griechen. Besonders interessiert er sich für den frühneuzeitlichen Aristotelismus, für die Klugheitsliteratur der Moralisten, für Montesqieu, Humboldt, Hegel, dann Arendt, Strauss, Voegelin. Dennoch liegt die Pointe seines Buches in der Darstellung, wie immer neu die politischen Philosophien in Auseinandersetzung mit dem Traditionsbestand nach Lösungen für aktuelle Probleme suchen. Politische Philosophen wollen in die Gegenwart eingreifen. Weil die Gegenwart aber je eine andere ist, können uns überlieferte politische Philosophien immer nur als Vorbilder oder Beispiele dienen: Praktische Philosophie darf nicht nach dem Vorbild der theoretischen entworfen werden.
Weit entfernt davon, Normativität erschleichen zu wollen, möchte Bubner - wie ganz ähnlich der Aristoteliker Bernard Williams - den Gegensatz zwischen Sein und Sollen, Genesis und Geltung als eine uns problematisch gewordene Figur politischen Denkens aufweisen. Konsequenterweise erfolgt dieser Aufweis im Nachvollzug dessen, wie politische Philosophie operiert. So wird der Leser in eine Haltung eingeübt. Der Philosoph dagegen, der als kleiner Gott der Welt meint, wenn er seinen Forderungskatalog nur gut genug begründet hat, könne die Wirklichkeit nicht standhalten, hat ein Stück Säkularisierungsgeschichte nicht mitgemacht.
GUSTAV FALKE
Rüdiger Bubner: "Polis und Staat". Grundlinien der politischen Philosophie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 196 S., br., 11,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rüdiger Bubner zeichnet Grundlinien der politischen Philosophie
Kommunitarismus und Liberalismus haben als gemeinsame Grundlage ihres Streites die Frage, wie die allgemeine Ordnung beschaffen sein soll. Das ist bei der liberalen Bestimmung der Rechte des Individuums eindeutig. Aber auch Kommunitaristen untersuchen nicht die Formen und Verflechtungen realer Gemeinschaften, sondern behaupten die Notwendigkeit, Gemeinschaftlichkeit überhaupt zu fördern. Und bei den sozialliberalen oder -demokratischen Übergangsgestalten wächst die Bestimmung des guten Lebens oder der gerechten Gesellschaft zu ganzen Forderungskatalogen aus, die die Welt abarbeiten muß, will sie vor der Philosophie bestehen.
Solchen Untersuchungen gegenüber muß Rüdiger Bubner als jemand erscheinen, der die einfachsten Unterscheidungen nicht verstanden hat. Für eine Einführung in die politische Philosophie ist sein neuestes Buch, obwohl vermutlich aus entsprechenden Vorlesungen hervorgegangen, zu voraussetzungsreich, für einen Debattenbeitrag zu thetisch, und auch für einen kulturkritischen Essay taugen die recht konventionellen Attacken gegen das "Pseudoenglisch der Flughäfen und Hotelketten" und "die tiefe Langeweile, die das Juste-milieu westlicher Mittelstandsgesellschaften mit öffentlich organisierter Wohlfahrt ausstrahlt", kaum. Vor allem sieht es so aus, als ob Bubner, in Vermengung von Sein und Sollen, Genesis und Geltung, seine normativen Stellungnahmen durch ein einseitiges Referat der Geschichte der politischen Theorie erschleicht.
Tatsächlich ist für Bubner der Kommunitarismusstreit nur eine amerikanische Figuration der politischen Querelle des Anciens et des Modernes. "Die Polis war eine Lebensform. Der Staat ist eine rationale Anstalt." Die Polis als Lebensform wird reflektiert in einer Philosophie, die das Politische in einer Ontologie des Handelns begründet. Das Handeln verfolgt in der Zeit und unter mehr oder weniger unabsehbaren Umständen seine je eigenen Ziele, die mit mehr oder weniger Klugheit nach den gegebenen Möglichkeiten ausgerichtet wurden. Und das Handeln geschieht in Kooperationen, deren oberste die autarke Polis ist. Deshalb hat Platon darauf insistiert, daß jeder das Seine tut, das, worin er sich auskennt und wofür er sich interessiert. Und Aristoteles hat die Polis als Verschränkung des Herrschers und Beherrschtwerdens beschrieben. Der Staat dagegen, der absolutistische wie der demokratische, fußt auf dem Gedanken einer Willensfreiheit, in der die christliche creatio ex nihilo nur notdürftig säkularisiert ist. So erwächst die Illusion, alles ließe sich zu jeder Zeit machen, und der Drang, bei allem mitzureden.
Bubners Sympathie gilt natürlich den Griechen. Besonders interessiert er sich für den frühneuzeitlichen Aristotelismus, für die Klugheitsliteratur der Moralisten, für Montesqieu, Humboldt, Hegel, dann Arendt, Strauss, Voegelin. Dennoch liegt die Pointe seines Buches in der Darstellung, wie immer neu die politischen Philosophien in Auseinandersetzung mit dem Traditionsbestand nach Lösungen für aktuelle Probleme suchen. Politische Philosophen wollen in die Gegenwart eingreifen. Weil die Gegenwart aber je eine andere ist, können uns überlieferte politische Philosophien immer nur als Vorbilder oder Beispiele dienen: Praktische Philosophie darf nicht nach dem Vorbild der theoretischen entworfen werden.
Weit entfernt davon, Normativität erschleichen zu wollen, möchte Bubner - wie ganz ähnlich der Aristoteliker Bernard Williams - den Gegensatz zwischen Sein und Sollen, Genesis und Geltung als eine uns problematisch gewordene Figur politischen Denkens aufweisen. Konsequenterweise erfolgt dieser Aufweis im Nachvollzug dessen, wie politische Philosophie operiert. So wird der Leser in eine Haltung eingeübt. Der Philosoph dagegen, der als kleiner Gott der Welt meint, wenn er seinen Forderungskatalog nur gut genug begründet hat, könne die Wirklichkeit nicht standhalten, hat ein Stück Säkularisierungsgeschichte nicht mitgemacht.
GUSTAV FALKE
Rüdiger Bubner: "Polis und Staat". Grundlinien der politischen Philosophie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 196 S., br., 11,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eingehend, aber nicht ohne von vornherein bekundete Skepsis resümiert Wolfgang Kersting den Versuch Rüdiger Bubners, zu einem "substanziellen Politikbegriff" zurückzufinden. Er schildert zunächst Bubners Zweifel an der neueren politischen Philosophie etwa vom Schlage John Rawls', aber mehr noch an der modernen Politologie, die Bubner viel zu sehr in leerem Spezialisten- und Expertengehabe um die Macht selbst zu kreisen scheint, als dass sie fähig wäre, den von ihm erwünschten Politikbegriff zu formulieren. Kersting verfolgt dann, wie Bubner in zwei großen Kapiteln selbst auf den substanziellen Begriff kommen will, merkt aber gleich an, dass Bubner hier zwar zwei interessant zu lesende "ideengeschichtliche Kurzgeschichten" erzählt, seine Begrifflichkeit aber nicht systematisch begründet - für Kersting eindeutig ein Manko. Dennoch zeichnet er Bubners "Kurzgeschichten" über die Entwicklung der Polis- und Öffentlichkeitsdiskurse von den Vorsokratikern bis Habermas und über die "Einwanderung der Machttechnik" von Machiavelli bis Hegel mit merklichem intellektuellen Vergnügen nach. Ob dann aber in "Hegels Konzept des sittlichen Staates", bei dem auf Bubner alles hinauszulaufen scheint, nun der herbeigesehnte "substanzielle Politikbegriff" endlich neu gewonnen werden kann, ist für Kersting denn doch wieder mehr als fraglich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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