Das Buch entwickelt zunächst einige theoretische Perspektiven, um dann konkret Formen und Funktionen des Politainment zu untersuchen: vom inszenierten Wahlkampfauftritt bis zur Vorabendserie, von der Talk-Show bis zum Polit-Krimi. Zugleich werden in anschaulicher Weise Modelle des Bürgersinns, der Gemeinschaft und des politischen Engagements vorgeführt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2001Ein bißchen Spaß . . .
POLITAINMENT. Von Jahr zu Jahr mußten wir eine höhere Dosis davon ertragen. Als Bundeskanzler Schröder kurz nach seiner Amtsübernahme teure Zigarren rauchte, fragte das ganze Land: Darf der das? Als Guido Westerwelle im Big-Brother-Container das Gespräch mit der Jugend suchte, höhnten viele: Was für ein Populist! Unterhaltung und Politik haben sich immer stärker vermischt, aus Politik wurde Politainment. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung, bei der Politik nur noch als im Fernsehen inszenierte Show vorkommt, bei der Institutionen und historische Voraussetzungen nicht mehr interessieren, war die Turtelaffäre von Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Der biedere Scharping wollte sich inszenieren, ließ sich mit der Gräfin Pilati fotografieren und hätte dabei fast sein Ministeramt verloren. Andreas Dörner hat in seinem Buch "Politainment - Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft" die symbiotische Beziehung zwischen Medienunterhaltung und Politik untersucht. "Unterhaltende Politik liegt immer dann vor, wenn politische Akteure auf Instrumente und Stilmittel der Unterhaltungskultur zurückgreifen, um ihre jeweiligen Ziele zu realisieren", schreibt er. Dörner untersucht die Wechselwirkungen zwischen Politik und Medien. Seiner Analyse schickt er zwei mögliche Antworten vorweg: Hat das Politainment der medialen Erlebnisgesellschaft dazu geführt, daß "demokratische Prozesse und Entscheidungsfindungen" weitgehend nur noch simuliert werden? Oder: Helfen die Medien sogar, um aus divergierenden Interessen für alle verbindliche Entscheidungen zu produzieren? Ist das Politainment im Sinn der Kritischen Theorie lediglich nur ein neuer Meilenstein im historischen Prozeß des Massenbetrugs, oder bringt es republikanische Potentiale hervor, die von den meisten Beobachtern meistens übersehen wurden? Dörner kommt zu einer positiven Bewertung des Politainments: Politische Unterhaltung könne ein "Integrationsfaktor" in einer modernen Massendemokratie sein. Die "Unterhaltungsöffentlichkeit" sei zwar primär keine aufklärerische Öffentlichkeit, gleichwohl dürfe man die Veränderung der politischen Kommunikationsgewohnheiten nicht als Verfall interpretieren. Diese Schlußfolgerung läßt den Leser dann doch etwas ratlos zurück, denn er hätte gern etwas darüber erfahren, wie die politische Unterhaltungskultur die Politik, das Politische an sich verändert. (Andreas Dörner: Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001. 255 Seiten, 11,- Euro.)
rso.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
POLITAINMENT. Von Jahr zu Jahr mußten wir eine höhere Dosis davon ertragen. Als Bundeskanzler Schröder kurz nach seiner Amtsübernahme teure Zigarren rauchte, fragte das ganze Land: Darf der das? Als Guido Westerwelle im Big-Brother-Container das Gespräch mit der Jugend suchte, höhnten viele: Was für ein Populist! Unterhaltung und Politik haben sich immer stärker vermischt, aus Politik wurde Politainment. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung, bei der Politik nur noch als im Fernsehen inszenierte Show vorkommt, bei der Institutionen und historische Voraussetzungen nicht mehr interessieren, war die Turtelaffäre von Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Der biedere Scharping wollte sich inszenieren, ließ sich mit der Gräfin Pilati fotografieren und hätte dabei fast sein Ministeramt verloren. Andreas Dörner hat in seinem Buch "Politainment - Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft" die symbiotische Beziehung zwischen Medienunterhaltung und Politik untersucht. "Unterhaltende Politik liegt immer dann vor, wenn politische Akteure auf Instrumente und Stilmittel der Unterhaltungskultur zurückgreifen, um ihre jeweiligen Ziele zu realisieren", schreibt er. Dörner untersucht die Wechselwirkungen zwischen Politik und Medien. Seiner Analyse schickt er zwei mögliche Antworten vorweg: Hat das Politainment der medialen Erlebnisgesellschaft dazu geführt, daß "demokratische Prozesse und Entscheidungsfindungen" weitgehend nur noch simuliert werden? Oder: Helfen die Medien sogar, um aus divergierenden Interessen für alle verbindliche Entscheidungen zu produzieren? Ist das Politainment im Sinn der Kritischen Theorie lediglich nur ein neuer Meilenstein im historischen Prozeß des Massenbetrugs, oder bringt es republikanische Potentiale hervor, die von den meisten Beobachtern meistens übersehen wurden? Dörner kommt zu einer positiven Bewertung des Politainments: Politische Unterhaltung könne ein "Integrationsfaktor" in einer modernen Massendemokratie sein. Die "Unterhaltungsöffentlichkeit" sei zwar primär keine aufklärerische Öffentlichkeit, gleichwohl dürfe man die Veränderung der politischen Kommunikationsgewohnheiten nicht als Verfall interpretieren. Diese Schlußfolgerung läßt den Leser dann doch etwas ratlos zurück, denn er hätte gern etwas darüber erfahren, wie die politische Unterhaltungskultur die Politik, das Politische an sich verändert. (Andreas Dörner: Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001. 255 Seiten, 11,- Euro.)
rso.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Unterhaltende Politik liegt ... vor, wenn politische Akteure auf Instrumente und Stilmittel der Unterhaltungskultur zurückgreifen", zitiert der "rso" abkürzende Rezensent aus dem vorliegenden Buch. Politik und Unterhaltung haben sich stark vermischt - der Rezensent hätte gern mehr darüber erfahren, welche Auswirkungen dies auf "das Politische an sich" hat. Der Autor befasst sich stattdessen mit den Wirkungen auf die Öffentlichkeit, bemängelt "rso". "Politische Unterhaltung" wirke möglicherweise als "Integrationsfaktor", der breitere Schichten am politischen Geschehen teilhaben lässt, behaupte der Autor. Er sieht die derzeitige Entwicklung keinesfalls als "Verfall" der Demokratie an und beurteilt das "Politainment" positiv - der Rezensent ist da skeptischer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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