Scholars normally emphasize the contrast between the two great eighteenth-century thinkers Jean-Jacques Rousseau and Adam Smith. Rousseau is seen as a critic of modernity, Smith as an apologist. Istvan Hont, however, finds significant commonalities in their work, arguing that both were theorists of commercial society and from surprisingly similar perspectives. In making his case, Hont begins with the concept of commercial society and explains why that concept has much in common with what the German philosopher Immanuel Kant called unsocial sociability. This is why many earlier scholars used to refer to an Adam Smith Problem and, in a somewhat different way, to a Jean-Jacques Rousseau Problem. The two problems and the questions about the relationship between individualism and altruism that they raised were, in fact, more similar than has usually been thought because both arose from the more fundamental problems generated by thinking about morality and politics in a commercial society. Commerce entails reciprocity, but a commercial society also entails involuntary social interdependence, relentless economic competition, and intermittent interstate rivalry. This was the world to which Rousseau and Smith belonged, and Politics in Commercial Society is an account of how they thought about it. Building his argument on the similarity between Smith s and Rousseau s theoretical concerns, Hont shows the relevance of commercial society to modern politics the politics of the nation-state, global commerce, international competition, social inequality, and democratic accountability. "
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2016Die Furcht vor dem unstillbaren Appetit des Steuerstaates
Händlermoral ist besser als gar keine: Istvan Honts Carlyle Lectures zu Adam Smith und Jean-Jacques Rousseau in einer postumen Edition
Politische Bekenntnisgemeinschaften haben ihre symbolischen Texte, Evangelisten und Kirchenväter. Spätestens seit die Französische Revolution Jean-Jacques Rousseau einen Platz im Pantheon einräumte, steht der Genfer für eine demokratische Republik und revolutionäre soziale Umverteilung. Rousseaus stiller schottischer Zeitgenosse, Adam Smith, gilt dagegen als Apologet freier Märkte und eines (neo)liberalen Nachtwächterstaates. Unter diesen ideologischen Inanspruchnahmen sind freilich die Texte der beiden wichtigsten politischen Denker der Aufklärung so entstellt worden wie der ursprüngliche Mensch in Rousseaus berühmtem Gleichnis von der Statue des Seegottes Glaukus. Statt eines Gottes ist nach Jahren der Verwitterung nur noch eine Fratze auszumachen.
In den postum veröffentlichten Oxforder Carlyle Lectures vom Frühjahr 2009 befreit der vor zwei Jahren verstorbene Ideenhistoriker Istvan Hont Rousseaus und Smiths Texte von der Korrosion banaler ideologischer Zuschreibungen. Hont wuchs als Kind jüdischer Holocaustüberlebender im realsozialistischen Ungarn auf, bis es ihn 1975 zunächst nach Oxford und später ans King's College in Cambridge verschlug. Dort bildete er zusammen mit John Dunn den skeptischen Flügel der sogenannten Cambridge School politischer Ideengeschichte. Für Dunn und Hont fußen alle zeitgenössischen Spielarten politischer Theorie auf einer gigantischen begrifflichen Konfusion über die eigenen theoretischen Fundamente, mit oft verheerenden praktischen Konsequenzen. Hont verstand sich als Aufklärer. Sein Lebensprojekt, die Rekonstruktion des Systems von Adam Smith, das er nicht abschließen konnte, sollte Licht ins Theoriedunkel der Gegenwart bringen.
In dem nun erschienenen, sorgfältig edierten Band werden die zentralen Gedankenlinien dieses Projekts sichtbar. Dabei räumt Hont mit der Vorstellung von Rousseau und Smith als ideologischen Antipoden auf. Vielmehr liefern sie komplementäre Theorieelemente für das, was wir heute repräsentative Demokratie und globale Marktwirtschaft nennen. Rousseau und Smith sind einander nie begegnet, haben auch keine Briefe gewechselt.
Dennoch zeigt Hont beide in überraschender gedanklicher Verwandtschaft. Diese gedankliche Nähe wurde von Smith bewusst forciert. Smiths literarisches Debüt bildete eine scharfsinnige Rezension von Rousseaus "Diskurs über die Ungleichheit" für den kurzlebigen "Edinburgh Review". Smith übernahm Textpassagen aus dem "Diskurs" für seine "Theorie der moralischen Gefühle" und beantwortete das von Rousseau aufgeworfene Problem der sozialen Ungleichheit in "Über den Wohlstand der Nationen".
Neben dieser philologischen Evidenz verweist Hont aber vor allem auf eine konzeptionelle Schnittstelle: das Problem der "commercial society". Der Begriff ist eine Schöpfung Smiths und bezeichnet die bedürfnisgestützte moderne Gesellschaft, in der sich in Smiths Worten Menschen im Modus des "merkantilen Austauschs von Gütern und Diensten" begegnen. Die "commercial society" schafft eine Form sekundärer Sozialisation, die eine zentrale Herausforderung moderner Politik beantwortet. In der Sprache der aufklärerischen Moralisten liegt sie im Motiv von Eigenliebe und Stolz; es steht einer primären Sozialisation des Menschen im Wege. Von Augustinus bis Luther und Hobbes war der sündige selbstsüchtige Mensch ein Problem, das im Diesseits nach autoritärer Herrschaft als Lösung verlangte.
Die Alternative entwarf der Baron von Montesquieu: Die Selbstliebe konnte in Monarchien auf die Spielwiese von Ehren und Pöstchen geschickt werden. Rousseau und Smith empfanden beides als unbefriedigend. Der "Diskurs über Ungleichheit" persiflierte die naturrechtliche Meistererzählung der Entstehung von Herrschaft. Das ungestillte Bedürfnis nach Anerkennung erzeugt ungebremste Konkurrenz und bringt die sozialen Fundamente des Vertragsstaates zum Einstürzen.
In "Politics in Commercial Society" rekonstruiert Hont, welche Vorstellungen von Politik und Ökonomie Smith und Rousseau als Antwort auf das Problem der Selbstliebe entwickeln. In dieser Spur liest Hont die "Theorie der moralischen Gefühle" als soziologische Analyse der Moral. Selbstliebe wird durch die Kapillaren sozialer Interaktion verfeinert und in die Anerkennung des eigenen moralischen Wertes umgewandelt. Hont überträgt vieles an dieser Lesart auf Rousseau.
Aber lässt sich die Moralphilosophie des Genfers allein als eine bloße Naturgeschichte sozialisierter Selbstliebe verstehen, wie Hont es in der Spur des amerikanischen Philosophen Frederick Neuhouser tut? Hat Rousseau nicht wiederholt betont, dass Gerechtigkeit und die Unterscheidung zwischen Gut und Schlecht keine sozialen Artefakte sind, sondern der kosmischen Ordnung von ihrem Schöpfer eingeschrieben? Die intellektuelle Pointe und damit der Anstoß zum produktiven Widerspruch sind freilich Honts Stärken. Sein Smith und Rousseau sind Gegner politischer Revolutionen und blicken mit Sorge auf die globale Handelskonkurrenz der Staaten und ungebremstes ökonomisches Wachstum.
Honts Rousseau ist kein kulturkritischer Agrarromantiker, sondern der libertäre Theoretiker eines ausgewogen gestalteten ökonomischen Wachstums. Das aus den Fugen geratene Verhältnis zwischen urbanen Metropolen und Landwirtschaft soll der Steuerstaat in Ordnung bringen. Smiths und Rousseaus Bedenken gelten zwar auch der Gier der Reichen, doch mehr noch dem unstillbaren Appetit der Staaten. Hier kommt Hont auf das Thema der toxischen Verknüpfung von Handel, Staatsräson und nationaler Selbstliebe zurück, das ihn in "Jealousy of Trade" (2010) beschäftigte - ein Schelm, wer hier an zeitgenössische Sorgen vor neuen Handelskriegen oder einem chinesischen Handelsmonopol denkt.
ALEXANDER SCHMIDT
Istvan Hont: "Politics in Commercial Society". Jean-Jacques Rousseau and Adam Smith.
Hrsg. von Béla Kapossy und Michael Sonenscher.
Harvard University Press, Cambridge, MA 2015. 160 S., geb., 31,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Händlermoral ist besser als gar keine: Istvan Honts Carlyle Lectures zu Adam Smith und Jean-Jacques Rousseau in einer postumen Edition
Politische Bekenntnisgemeinschaften haben ihre symbolischen Texte, Evangelisten und Kirchenväter. Spätestens seit die Französische Revolution Jean-Jacques Rousseau einen Platz im Pantheon einräumte, steht der Genfer für eine demokratische Republik und revolutionäre soziale Umverteilung. Rousseaus stiller schottischer Zeitgenosse, Adam Smith, gilt dagegen als Apologet freier Märkte und eines (neo)liberalen Nachtwächterstaates. Unter diesen ideologischen Inanspruchnahmen sind freilich die Texte der beiden wichtigsten politischen Denker der Aufklärung so entstellt worden wie der ursprüngliche Mensch in Rousseaus berühmtem Gleichnis von der Statue des Seegottes Glaukus. Statt eines Gottes ist nach Jahren der Verwitterung nur noch eine Fratze auszumachen.
In den postum veröffentlichten Oxforder Carlyle Lectures vom Frühjahr 2009 befreit der vor zwei Jahren verstorbene Ideenhistoriker Istvan Hont Rousseaus und Smiths Texte von der Korrosion banaler ideologischer Zuschreibungen. Hont wuchs als Kind jüdischer Holocaustüberlebender im realsozialistischen Ungarn auf, bis es ihn 1975 zunächst nach Oxford und später ans King's College in Cambridge verschlug. Dort bildete er zusammen mit John Dunn den skeptischen Flügel der sogenannten Cambridge School politischer Ideengeschichte. Für Dunn und Hont fußen alle zeitgenössischen Spielarten politischer Theorie auf einer gigantischen begrifflichen Konfusion über die eigenen theoretischen Fundamente, mit oft verheerenden praktischen Konsequenzen. Hont verstand sich als Aufklärer. Sein Lebensprojekt, die Rekonstruktion des Systems von Adam Smith, das er nicht abschließen konnte, sollte Licht ins Theoriedunkel der Gegenwart bringen.
In dem nun erschienenen, sorgfältig edierten Band werden die zentralen Gedankenlinien dieses Projekts sichtbar. Dabei räumt Hont mit der Vorstellung von Rousseau und Smith als ideologischen Antipoden auf. Vielmehr liefern sie komplementäre Theorieelemente für das, was wir heute repräsentative Demokratie und globale Marktwirtschaft nennen. Rousseau und Smith sind einander nie begegnet, haben auch keine Briefe gewechselt.
Dennoch zeigt Hont beide in überraschender gedanklicher Verwandtschaft. Diese gedankliche Nähe wurde von Smith bewusst forciert. Smiths literarisches Debüt bildete eine scharfsinnige Rezension von Rousseaus "Diskurs über die Ungleichheit" für den kurzlebigen "Edinburgh Review". Smith übernahm Textpassagen aus dem "Diskurs" für seine "Theorie der moralischen Gefühle" und beantwortete das von Rousseau aufgeworfene Problem der sozialen Ungleichheit in "Über den Wohlstand der Nationen".
Neben dieser philologischen Evidenz verweist Hont aber vor allem auf eine konzeptionelle Schnittstelle: das Problem der "commercial society". Der Begriff ist eine Schöpfung Smiths und bezeichnet die bedürfnisgestützte moderne Gesellschaft, in der sich in Smiths Worten Menschen im Modus des "merkantilen Austauschs von Gütern und Diensten" begegnen. Die "commercial society" schafft eine Form sekundärer Sozialisation, die eine zentrale Herausforderung moderner Politik beantwortet. In der Sprache der aufklärerischen Moralisten liegt sie im Motiv von Eigenliebe und Stolz; es steht einer primären Sozialisation des Menschen im Wege. Von Augustinus bis Luther und Hobbes war der sündige selbstsüchtige Mensch ein Problem, das im Diesseits nach autoritärer Herrschaft als Lösung verlangte.
Die Alternative entwarf der Baron von Montesquieu: Die Selbstliebe konnte in Monarchien auf die Spielwiese von Ehren und Pöstchen geschickt werden. Rousseau und Smith empfanden beides als unbefriedigend. Der "Diskurs über Ungleichheit" persiflierte die naturrechtliche Meistererzählung der Entstehung von Herrschaft. Das ungestillte Bedürfnis nach Anerkennung erzeugt ungebremste Konkurrenz und bringt die sozialen Fundamente des Vertragsstaates zum Einstürzen.
In "Politics in Commercial Society" rekonstruiert Hont, welche Vorstellungen von Politik und Ökonomie Smith und Rousseau als Antwort auf das Problem der Selbstliebe entwickeln. In dieser Spur liest Hont die "Theorie der moralischen Gefühle" als soziologische Analyse der Moral. Selbstliebe wird durch die Kapillaren sozialer Interaktion verfeinert und in die Anerkennung des eigenen moralischen Wertes umgewandelt. Hont überträgt vieles an dieser Lesart auf Rousseau.
Aber lässt sich die Moralphilosophie des Genfers allein als eine bloße Naturgeschichte sozialisierter Selbstliebe verstehen, wie Hont es in der Spur des amerikanischen Philosophen Frederick Neuhouser tut? Hat Rousseau nicht wiederholt betont, dass Gerechtigkeit und die Unterscheidung zwischen Gut und Schlecht keine sozialen Artefakte sind, sondern der kosmischen Ordnung von ihrem Schöpfer eingeschrieben? Die intellektuelle Pointe und damit der Anstoß zum produktiven Widerspruch sind freilich Honts Stärken. Sein Smith und Rousseau sind Gegner politischer Revolutionen und blicken mit Sorge auf die globale Handelskonkurrenz der Staaten und ungebremstes ökonomisches Wachstum.
Honts Rousseau ist kein kulturkritischer Agrarromantiker, sondern der libertäre Theoretiker eines ausgewogen gestalteten ökonomischen Wachstums. Das aus den Fugen geratene Verhältnis zwischen urbanen Metropolen und Landwirtschaft soll der Steuerstaat in Ordnung bringen. Smiths und Rousseaus Bedenken gelten zwar auch der Gier der Reichen, doch mehr noch dem unstillbaren Appetit der Staaten. Hier kommt Hont auf das Thema der toxischen Verknüpfung von Handel, Staatsräson und nationaler Selbstliebe zurück, das ihn in "Jealousy of Trade" (2010) beschäftigte - ein Schelm, wer hier an zeitgenössische Sorgen vor neuen Handelskriegen oder einem chinesischen Handelsmonopol denkt.
ALEXANDER SCHMIDT
Istvan Hont: "Politics in Commercial Society". Jean-Jacques Rousseau and Adam Smith.
Hrsg. von Béla Kapossy und Michael Sonenscher.
Harvard University Press, Cambridge, MA 2015. 160 S., geb., 31,50 [Euro].
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