Sollten wir in anderen Teilen der Welt Prozesse der Demokratisierung aktiv fördern? Mit dem Ende des Kalten Krieges schien sich die liberale Demokratie weltweit durchzusetzen. Etablierte Demokratien versuchten, diesen Prozess zu unterstützen. Doch seit Beginn des neuen Jahrtausends regt sich Widerstand, zunehmend wird der Vorwurf des Imperialismus erhoben. Dorothea Gädeke formuliert in ihrem originellen Buch erstmals normative Grundlagen und Grenzen externer Demokratieförderung. Sie entwickelt eine kritische republikanische Theorie der Gerechtigkeit und zeigt, warum die Praxis externer Demokratieförderung eine Politik der Beherrschung konstituiert und wie sie überwunden werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2018Kunst der Beherrschung
Darf "der Westen" Demokratie exportieren?
Dorothea Gädekes Buch ist auf seltsame Weise einerseits hochaktuell und gleichzeitig veraltet. Es ist ein utopisches Buch zur zentralen Frage, ob "der Westen" Demokratie in andere Länder exportieren darf, und das in Zeiten der Dystopie.
Die Universalisierung der Demokratie, ihre immer weitere Verbreitung, war so etwas wie der heilige Gral der internationalen Politik nach dem Ende des Kalten Krieges. Zwar blieb das "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama) aus, aber durch aktive Förderung sollte der globalen Demokratisierung nachgeholfen wer-den. Weltbank wie Geberstaaten machten fortan den Aufbau demokratischer Strukturen zur Bedingung ihrer finanziellen ("Entwicklungs"-) Hilfe. Ein Echo davon findet sich noch im Begriff des "Regime Change", mit dem die Neokonservativen unter George W. Bush auf die Anschläge vom 11. September 2001 reagierten.
Militärische Interventionen, wie die im Irak, riefen Widerstand hervor. Aber auch theoretische Kritik äußerte sich. Es blieb ein staatstheoretisches Problem, dass Staaten auf der einen Seite als souverän angesehen wurden, auf der anderen Seite die Konditionierung von finanziellen und anderen Leistungen an Umbauten in ihrer Grundstruktur akzeptieren mussten. Der Vorwurf des Neoimperialismus steht im Raum. Wie im 19. Jahrhundert die Zivilisierungsmission, so diene nun die Demokratisierung als Vorwand, um sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Gleichzeitig folge die Aufteilung der Welt in Demokratien und Nichtdemokratien, der kolonialen Binarität zwischen Zivilisierten und Nichtzivilisierten.
Dorothea Gädeke teilt diesen Vorwurf. Demokratieförderung ist Beherrschung, daran lässt sie in Anlehnung an die neorepublikanische Theorie der Nichtbeherrschung Philip Pettits keinen Zweifel. Zentrales Ziel sei dagegen Gerechtigkeit, die nicht (nur) durch Verteilung geschaffen werde, sondern durch das Vermeiden von Beherrschung, definiert als das Fehlen des Status "normativer Autorität". Letzteres geschehe durch mehr oder weniger erzwungene Demokratieförderung.
Allerdings, so Gädeke, sei keine externe Demokratieförderung auch keine Lösung, denn in Diktaturen werde zwar deren normative Autorität respektiert, dafür würden deren Bürger um genau diese gebracht. Catch 22. Was also tun? Aufzuheben sei dieses Dilemma nur, indem das internationale System in eines der Beherrschungsfreiheit überführt werde, etwa indem Empfängerstaaten ein Recht hätten, an den Bedingungen der Vergabe von Entwicklungshilfe mitzuwirken.
Das liest sich alles sehr einsichtig. Aber in Zeiten von Trump und Co. klingt das Pochen auf Beherrschungsfreiheit seltsam entrückt. Man wäre ja schon froh, wenn überhaupt noch Demokratieförderung betrieben würde, in Zeiten, in denen die Universalisierung der Demokratie nur noch eine Erinnerung ist angesichts der derzeit von einigen propagierten Universalisierung des Antidemokratischen. Aber vielleicht braucht es gerade heute wieder Utopie und theoretische Selbstvergewisserung. Die Lektüre Gädekes ist hier ein Anfang.
JÜRGEN ZIMMERER
Dorothea Gädeke: Politik der Beherrschung. Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 491 S., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Darf "der Westen" Demokratie exportieren?
Dorothea Gädekes Buch ist auf seltsame Weise einerseits hochaktuell und gleichzeitig veraltet. Es ist ein utopisches Buch zur zentralen Frage, ob "der Westen" Demokratie in andere Länder exportieren darf, und das in Zeiten der Dystopie.
Die Universalisierung der Demokratie, ihre immer weitere Verbreitung, war so etwas wie der heilige Gral der internationalen Politik nach dem Ende des Kalten Krieges. Zwar blieb das "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama) aus, aber durch aktive Förderung sollte der globalen Demokratisierung nachgeholfen wer-den. Weltbank wie Geberstaaten machten fortan den Aufbau demokratischer Strukturen zur Bedingung ihrer finanziellen ("Entwicklungs"-) Hilfe. Ein Echo davon findet sich noch im Begriff des "Regime Change", mit dem die Neokonservativen unter George W. Bush auf die Anschläge vom 11. September 2001 reagierten.
Militärische Interventionen, wie die im Irak, riefen Widerstand hervor. Aber auch theoretische Kritik äußerte sich. Es blieb ein staatstheoretisches Problem, dass Staaten auf der einen Seite als souverän angesehen wurden, auf der anderen Seite die Konditionierung von finanziellen und anderen Leistungen an Umbauten in ihrer Grundstruktur akzeptieren mussten. Der Vorwurf des Neoimperialismus steht im Raum. Wie im 19. Jahrhundert die Zivilisierungsmission, so diene nun die Demokratisierung als Vorwand, um sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Gleichzeitig folge die Aufteilung der Welt in Demokratien und Nichtdemokratien, der kolonialen Binarität zwischen Zivilisierten und Nichtzivilisierten.
Dorothea Gädeke teilt diesen Vorwurf. Demokratieförderung ist Beherrschung, daran lässt sie in Anlehnung an die neorepublikanische Theorie der Nichtbeherrschung Philip Pettits keinen Zweifel. Zentrales Ziel sei dagegen Gerechtigkeit, die nicht (nur) durch Verteilung geschaffen werde, sondern durch das Vermeiden von Beherrschung, definiert als das Fehlen des Status "normativer Autorität". Letzteres geschehe durch mehr oder weniger erzwungene Demokratieförderung.
Allerdings, so Gädeke, sei keine externe Demokratieförderung auch keine Lösung, denn in Diktaturen werde zwar deren normative Autorität respektiert, dafür würden deren Bürger um genau diese gebracht. Catch 22. Was also tun? Aufzuheben sei dieses Dilemma nur, indem das internationale System in eines der Beherrschungsfreiheit überführt werde, etwa indem Empfängerstaaten ein Recht hätten, an den Bedingungen der Vergabe von Entwicklungshilfe mitzuwirken.
Das liest sich alles sehr einsichtig. Aber in Zeiten von Trump und Co. klingt das Pochen auf Beherrschungsfreiheit seltsam entrückt. Man wäre ja schon froh, wenn überhaupt noch Demokratieförderung betrieben würde, in Zeiten, in denen die Universalisierung der Demokratie nur noch eine Erinnerung ist angesichts der derzeit von einigen propagierten Universalisierung des Antidemokratischen. Aber vielleicht braucht es gerade heute wieder Utopie und theoretische Selbstvergewisserung. Die Lektüre Gädekes ist hier ein Anfang.
JÜRGEN ZIMMERER
Dorothea Gädeke: Politik der Beherrschung. Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 491 S., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Insgesamt liegt mit der Politik der Beherrschung ein präzise geschriebenes und gut durchdachtes Buch vor, das seine Thematik tief durchdringt und der Leserschaft dabei eine Reihe neuer Erkenntnisse beschert.« Neue Politische Literatur 20190521