In seinem neuen Buch untersucht Achille Mbembe ein Phänomen, das sich in unserem globalen Zeitalter ständig rekonfiguriert: die Feindschaft. Ausgehend von den psychiatrischen und politischen Einsichten Frantz Fanons, zeigt Mbembe, wie als Folge der Konflikte um die Entkolonialisierung des 20. Jahrhunderts der Krieg - in Gestalt von Eroberung und Besatzung, von Terror und Revolte - zur Signatur unserer Zeit geworden ist. Als auf Dauer gestellter Ausnahmezustand führt er zur Erosion der liberalen Demokratie.
Mbembes hochaktueller Essay spürt den Konsequenzen dieser Erosion nach: der Ausbreitung autoritärer Regierungsformen. Er beschreibt die Bedingungen, unter denen heute die Fragen zum Verhältnis von Recht und Gewalt, Normalität und Ausnahmezustand, Sicherheit und Freiheit gestellt werden. Mit Blick auf die globalen Migrationsströme und das damit einhergehende unvermeidliche Zusammenwachsen der Welt formuliert er eine scharfe Kritik am atavistischen Nationalismus und plädiert für eine neue Politik der Humanität.
Mbembes hochaktueller Essay spürt den Konsequenzen dieser Erosion nach: der Ausbreitung autoritärer Regierungsformen. Er beschreibt die Bedingungen, unter denen heute die Fragen zum Verhältnis von Recht und Gewalt, Normalität und Ausnahmezustand, Sicherheit und Freiheit gestellt werden. Mit Blick auf die globalen Migrationsströme und das damit einhergehende unvermeidliche Zusammenwachsen der Welt formuliert er eine scharfe Kritik am atavistischen Nationalismus und plädiert für eine neue Politik der Humanität.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017Provinz ist überall
Afrika gilt als abgehängter Erdteil. Achille Mbembe aber blickt von ihm aus auf die Zukunft der Weltgesellschaft.
Von Dietmar Dath
In der neuesten deutschsprachigen Veröffentlichung des kamerunischen Politologen und postkolonialen Weltgesellschaftskritikers Achille Mbembe erinnert vieles an bekannt Seichtes wie Tiefes, wenn man in den letzten vierzig Jahren genug an Texten über die jüngere historische Entwicklung des globalen Sozialen zusammengelesen hat: Wortschöpfungen wie "Narkotherapie" oder "Nanorassismus" zum Beispiel, die schon in Merve-Bändchen der frühen Achtziger bis späten Neunziger hätten stehen können, oder Klagen über die "Intensivierung der Instrumentalisierungsbeziehungen", die sich wie sprachlich frisch verchromte Verdinglichungsbeschwerden aus der studentenbewegt flüchtigen Adorno- oder Marcuse-Lektüre ausnehmen. Wenn schließlich von der "immer weiteren Ausbreitung des, wie man sagen könnte, elektronischen Lebens und seines Gegenstücks, des roboterhaft angepassten Lebens" die Rede ist, fühlt man sich an den beschaulich-verschlafenen Waldrand westlich-nördlicher Kulturkummerklischees versetzt, wo George Orwell und Jean Baudrillard einander gute Nacht sagen.
Diese Splitter handelsüblicher Zeitdiagnosen, wie sie jede Aufzählung des irgendwie Bedenklichen enthält, die in Europa, in den Vereinigten Staaten oder sonst an irgendeinem Ort, an dem westliche und nördliche Denkerinnen und Denker ihresgleichen zitieren, wirkten noch nie so provinziell wie hier bei Mbembe. Das rührt jedoch daher, dass der weite Horizont seines Textes all jenes westliche und nördliche Denken zwar mit einschließt, aber eben auch der tatsächlichen Provinzialität überführt. Die "Welt dekolonisieren", Mbembes großes Projekt, heißt eben auch: zeigen, dass das, was sich der Norden und Westen so denkt, zwar nicht falsch sein muss, aber doch nur ein Teil einer zutreffenden Beschreibung des Gegebenen sein kann.
Die üblen Erfahrungen, die Menschen aus anderen Erdteilen seit dem Kolonialismus mit denen aus dem Norden und dem Westen gemacht haben, schlagen derzeit nicht nur in katastrophischen Kriegs- und Migrationskaskaden auf alles Westliche und Nördliche zurück.
Es zeigt sich überdies, dass die erdumspannende Durchsetzung bestimmter westlicher und nördlicher gesellschaftlicher Funktionsprinzipien im Ökonomischen und Politischen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts keineswegs dazu geführt hat, dass überall Wohlstand, Menschenrechte und Demokratie einkehren. Sie hatte vielmehr zur Folge, dass diese drei Ideale auch im Westen und Norden der Lebenswirklichkeit viel zu vieler Menschen täglich ferner rücken, während für überwunden gehaltene vormoderne Sozialtatsachen sich im Augenblick des scheinbaren Triumphs der West- und Nordmoderne machtvoll zurückmelden: von der Religion bis zu "Formen der Gruppenbildung und des Kampfes", die Mbembe bei der Rückbildung der modernen, abstrakten politischen Unterscheidung zwischen "Freund und Feind" in ihre atavistischen Urformen rund um die Differenz zwischen "Verwandten und Nichtverwandten" entdeckt.
Seit seinem im Jahr 2000 auf Französisch, aber erst 2016 auf Deutsch erschienenen Hauptwerk "Postkolonie" hat Mbembe vorausgesehen und -gesagt, was der Triade Nordamerika, Westeuropa und Asien blüht, wenn sie eine fürs postkoloniale Denken wesentliche Einsicht nicht mitvollzieht. Diese Einsicht betrifft den Umstand, dass die Triade und alle übrigen irdischen Regionen zu einem Weltsystem gehören, in dem ein riesiger Kontinent namens Afrika, wie es in "Postkolonie" heißt, durch die vom Kolonialismus hinterlassene "allgemeine Konfiguration des Marktes, die industrielle Basis, die Struktur der Beziehungen zwischen Bürokratie und lokaler Geschäftswelt sowie das Wesen ihrer jeweiligen Allianzen mit multinationalen Firmen" daran gehindert war, die "Umstrukturierung und Umstellung der Industrie zum Hochtechnologiesektor, Diversifizierung der Dienstleistungen, Eroberung neuer Märkte und das Anzapfen neuer Finanzflüsse" mitzuvollziehen - also nicht an jener Entwicklung teilzuhaben, die den asiatisch-pazifischen Teil der Triade vor dem Absinken ins Chaos vorläufig gerettet hat. Das neue Buch sagt noch einmal, welche "Politik der Feindschaft" aufkommt, wo der praktische Weltbegriff der Reichsten zu eng bleibt - und dass daraus eine böse Weltwirklichkeit folgt, der niemand wird entkommen können.
Achille Mbembe: "Politik der Feindschaft".
Aus dem Französischen von Michael Bischoff.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 235 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Afrika gilt als abgehängter Erdteil. Achille Mbembe aber blickt von ihm aus auf die Zukunft der Weltgesellschaft.
Von Dietmar Dath
In der neuesten deutschsprachigen Veröffentlichung des kamerunischen Politologen und postkolonialen Weltgesellschaftskritikers Achille Mbembe erinnert vieles an bekannt Seichtes wie Tiefes, wenn man in den letzten vierzig Jahren genug an Texten über die jüngere historische Entwicklung des globalen Sozialen zusammengelesen hat: Wortschöpfungen wie "Narkotherapie" oder "Nanorassismus" zum Beispiel, die schon in Merve-Bändchen der frühen Achtziger bis späten Neunziger hätten stehen können, oder Klagen über die "Intensivierung der Instrumentalisierungsbeziehungen", die sich wie sprachlich frisch verchromte Verdinglichungsbeschwerden aus der studentenbewegt flüchtigen Adorno- oder Marcuse-Lektüre ausnehmen. Wenn schließlich von der "immer weiteren Ausbreitung des, wie man sagen könnte, elektronischen Lebens und seines Gegenstücks, des roboterhaft angepassten Lebens" die Rede ist, fühlt man sich an den beschaulich-verschlafenen Waldrand westlich-nördlicher Kulturkummerklischees versetzt, wo George Orwell und Jean Baudrillard einander gute Nacht sagen.
Diese Splitter handelsüblicher Zeitdiagnosen, wie sie jede Aufzählung des irgendwie Bedenklichen enthält, die in Europa, in den Vereinigten Staaten oder sonst an irgendeinem Ort, an dem westliche und nördliche Denkerinnen und Denker ihresgleichen zitieren, wirkten noch nie so provinziell wie hier bei Mbembe. Das rührt jedoch daher, dass der weite Horizont seines Textes all jenes westliche und nördliche Denken zwar mit einschließt, aber eben auch der tatsächlichen Provinzialität überführt. Die "Welt dekolonisieren", Mbembes großes Projekt, heißt eben auch: zeigen, dass das, was sich der Norden und Westen so denkt, zwar nicht falsch sein muss, aber doch nur ein Teil einer zutreffenden Beschreibung des Gegebenen sein kann.
Die üblen Erfahrungen, die Menschen aus anderen Erdteilen seit dem Kolonialismus mit denen aus dem Norden und dem Westen gemacht haben, schlagen derzeit nicht nur in katastrophischen Kriegs- und Migrationskaskaden auf alles Westliche und Nördliche zurück.
Es zeigt sich überdies, dass die erdumspannende Durchsetzung bestimmter westlicher und nördlicher gesellschaftlicher Funktionsprinzipien im Ökonomischen und Politischen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts keineswegs dazu geführt hat, dass überall Wohlstand, Menschenrechte und Demokratie einkehren. Sie hatte vielmehr zur Folge, dass diese drei Ideale auch im Westen und Norden der Lebenswirklichkeit viel zu vieler Menschen täglich ferner rücken, während für überwunden gehaltene vormoderne Sozialtatsachen sich im Augenblick des scheinbaren Triumphs der West- und Nordmoderne machtvoll zurückmelden: von der Religion bis zu "Formen der Gruppenbildung und des Kampfes", die Mbembe bei der Rückbildung der modernen, abstrakten politischen Unterscheidung zwischen "Freund und Feind" in ihre atavistischen Urformen rund um die Differenz zwischen "Verwandten und Nichtverwandten" entdeckt.
Seit seinem im Jahr 2000 auf Französisch, aber erst 2016 auf Deutsch erschienenen Hauptwerk "Postkolonie" hat Mbembe vorausgesehen und -gesagt, was der Triade Nordamerika, Westeuropa und Asien blüht, wenn sie eine fürs postkoloniale Denken wesentliche Einsicht nicht mitvollzieht. Diese Einsicht betrifft den Umstand, dass die Triade und alle übrigen irdischen Regionen zu einem Weltsystem gehören, in dem ein riesiger Kontinent namens Afrika, wie es in "Postkolonie" heißt, durch die vom Kolonialismus hinterlassene "allgemeine Konfiguration des Marktes, die industrielle Basis, die Struktur der Beziehungen zwischen Bürokratie und lokaler Geschäftswelt sowie das Wesen ihrer jeweiligen Allianzen mit multinationalen Firmen" daran gehindert war, die "Umstrukturierung und Umstellung der Industrie zum Hochtechnologiesektor, Diversifizierung der Dienstleistungen, Eroberung neuer Märkte und das Anzapfen neuer Finanzflüsse" mitzuvollziehen - also nicht an jener Entwicklung teilzuhaben, die den asiatisch-pazifischen Teil der Triade vor dem Absinken ins Chaos vorläufig gerettet hat. Das neue Buch sagt noch einmal, welche "Politik der Feindschaft" aufkommt, wo der praktische Weltbegriff der Reichsten zu eng bleibt - und dass daraus eine böse Weltwirklichkeit folgt, der niemand wird entkommen können.
Achille Mbembe: "Politik der Feindschaft".
Aus dem Französischen von Michael Bischoff.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 235 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Politik der Feindschaft ist Pflichtlektüre und das Buch der Stunde: Es bohrt sich tief in die Eingeweide des eigenen Denkens.« Claudia Kramatschek Deutschlandfunk Kultur 20171025