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Mit diesem Buch beginnt etwas Neues im Nachdenken über Politik. Margalit zeigt, daß Gerechtigkeit immer an eine menschliche Haltung gebunden ist - an die Würde, in welcher die Gesellschaft ihre Mitglieder leben läßt, an den Respekt, den sie ihnen zollt. Zugleich ist sein Buch eine der großen philosophischen Auseinandersetzungen mit den Erfahrungen dieses Jahrhunderts, insbesondere mit dem Holocaust.

Produktbeschreibung
Mit diesem Buch beginnt etwas Neues im Nachdenken über Politik. Margalit zeigt, daß Gerechtigkeit immer an eine menschliche Haltung gebunden ist - an die Würde, in welcher die Gesellschaft ihre Mitglieder leben läßt, an den Respekt, den sie ihnen zollt. Zugleich ist sein Buch eine der großen philosophischen Auseinandersetzungen mit den Erfahrungen dieses Jahrhunderts, insbesondere mit dem Holocaust.
Autorenporträt
Avishai Margalit wurde 1939 in Palästina geboren und wuchs in Jerusalem auf. Er lehrt an der Hebrew University in Jerusalem Philosophie. Margalit gilt mit Recht nicht nur als einer der originellsten Köpfe auf dem Gebiet der Sozialphilosophie und politischen Ethik, sondern genießt auch weit über die Grenzen seines Landes hinaus großes Ansehen als intellektuelle Schlüsselfigur in der politischen Szene Israels. Weniger bekannt ist hierzulande die Tatsache, daß Avishai Margalit seit vielen Jahren sowohl als Aktivist wie auch als scharfsinniger Beobachter in den politischen Auseinandersetzungen seines Heimatlandes tätig ist: Als Mitbegründer der Friedensbewegung "Peace Now" setzt er sich unter häufig nicht ungefährlichen Bedingungen für eine friedliche Koexistenz von Juden und Palästinensern im Nahen Osten ein, als Intellektueller schreibt er regelmäßig brillante Essays über die politischen Führer, die kulturellen Konflikte und die historischen Hintergründe im gegenwärtigen Israel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.1997

Eure Sorgen, unsere Sorgen
Avishai Margalits Theorie einer anständigen Gesellschaft

Avishai Margalit: Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung. Aus dem Amerikanischen von Gunnar Schmidt und Anne Vonderstein. Alexander Fest Verlag, Berlin 1997. 332 Seiten, 58,- Mark.

"Mit diesem Buch beginnt etwas Neues im Nachdenken über Politik", behauptet der Verlag auf der Rückseite des Einbandumschlages. Tatsächlich? So neu kommt uns dieses Nachdenken gar nicht vor. Doch die Rezensenten der amerikanischen Erstausgabe sind des Lobes voll, jedenfalls diejenigen, die der Verlag zitiert, um Leser neugierig zu machen. "Zweifellos das wichtigste Buch über soziale Gerechtigkeit seit John Rawls", schreibt Charles Leadbeater im "New Statesman". "Margalits Gedanken zeichnen sich durch psychologische Tiefe und philosophische Präzision aus. Er befreit das Nachdenken über Politik aus einer Zwangsjacke", urteilt Michael Ignatieff in "Times Literary Supplement", und Alan Ryan befindet in der "New York Review of Books": "Ein glanzvolles Buch!".

Wer sich von diesen Hymnen verlocken läßt, sollte wissen, daß ihn hartes Brot erwartet. Margalit, "weltbürgerlicher Philosoph aus Jerusalem", wie Fritz Stern den an der dortigen Hebräischen Universität Lehrenden in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe charakterisiert, sagt zwar am Schluß seines Buches, was er anbiete, sei "keine Theorie, sondern eine Geschichte über die anständige Gesellschaft. Die Protagonisten dieser Geschichte sind Begriffe." Gleichwohl spielen Theorien eine große Rolle in dem Buch und verlangen dem Leser einiges an Verständnis dafür ab. Auch Stern räumt ein, daß Margalits Argumentation "schwierig" (wenn auch "lebensnah zugleich") sei, und versucht, ängstlichen Lesern Mut zu machen mit dem Hinweis auf Zeiten, "in denen politisch-philosophische Texte, obgleich anspruchsvoll, ein allgemeines Publikum angesprochen haben". Er hatte dabei "an Rousseau und Schiller oder auch an Wilhelm von Humboldt" gedacht. An jene alten Traditionen erinnere ihn Margalits Buch, und eine breite, kritische Auseinandersetzung mit seinen Thesen könne das Verlangen nach größerem Respekt vor menschlicher Würde hoffentlich fördern.

In Sterns Vorwort erfährt der Leser auch, daß Margalits Buch zuerst auf hebräisch erschienen ist, "verfaßt von einem Bürger Israels, der sein eigenes Land immer wieder zu Anstand und politischer Vernunft aufgerufen hat, in Wort und persönlichem Einsatz". Man sollte diese Bemerkung bei der Lektüre stets im Hinterkopf behalten, denn vieles, was Margalit bewegt, hat mit dem israelisch-palästinensischen Verhältnis zu tun. In der Vorbemerkung zu seinem Buch gesteht der Verfasser denn auch: "Zahlreiche Gespräche mit Palästinensern in den besetzten Gebieten sowie mit Immigranten, die aus den ehemaligen Ostblockländern nach Israel kamen, überzeugten mich von der zentralen Rolle, die Ehre und Entwürdigung im menschlichen Leben spielen - und folglich auch von der Bedeutung, die wir diesen Begriffen in der politischen Theorie beimessen sollten. Daraus entwickelte sich der Gedanke, daß die anständige Gesellschaft als eine Gesellschaft zu beschreiben ist, in der niemand herabgesetzt und gedemütigt wird."

Stern findet jedoch, daß Margalits Arbeit "gerade auch ein Buch für ein deutsches Publikum" sei - "in seiner Gründlichkeit und moralischen Strenge, in seinem Anklang an die Idee menschlicher Würde, die einst besonders in deutschen Ländern gepriesen wurde". Während Preußen im 18. Jahrhundert als erster Staat die Folter abschaffte, habe der Nationalsozialismus Folter und Erniedrigung zum Merkmal seiner Herrschaft erhoben. Erniedrigung, zugefügt und erlitten, sei ein deutsches Thema des ausgehenden Jahrhunderts. Daß dem so ist, wird heute kaum noch jemand bestreiten wollen; umstritten ist allenfalls der Weg zum Aufbau einer humanen Gesellschaft. "Soziale Gerechtigkeit" oder auch nur "Gerechtigkeit" ohne davorstehendes Adjektiv ist eine immer wieder erhobene Forderung, die Rückfälle in inhumane Zeiten verhindern soll. Doch wird sich Gerechtigkeit in zufriedenstellendem Maße überhaupt jemals verwirklichen lassen? Wahrscheinlich weder hierzulande noch im Weltmaßstab.

Soziale Gerechtigkeit ist etwas, wovon zum Beispiel die meisten Menschen in der sogenannten Dritten Welt gegenwärtig noch nicht einmal zu träumen wagen. Sie wären schon froh, wenn sie wenigstens ein menschenwürdiges Dasein führen könnten, also Mitglieder einer, wie Margalit es nennt, "anständigen Gesellschaft" sein dürften. Wie definiert er eine solche Gesellschaft? In groben Zügen so: "Eine Gesellschaft ist dann anständig, wenn ihre Institutionen die Menschen nicht demütigen." Wie eine solche Gesellschaft im einzelnen beschaffen sein müßte, diesen Fragen geht Margalit in den ersten drei Teilen seines Buches ausführlich und mit vielen Beispielen aus der Geschichte und aus dem täglichen Leben von heute nach. Im vierten Teil wendet er dann die Idee der anständigen Gesellschaft auf verschiedene Gebiete der sozialen Praxis an, zum Beispiel auf Arbeit und Strafe. Der letzte Abschnitt schließlich ist der Versuch, die anständige Gesellschaft mit der gerechten Gesellschaft zu vergleichen.

Darin äußert der Autor "einige Bedenken gegen die These . . ., daß die gerechte Gesellschaft zwangsläufig auch eine anständige Gesellschaft ist". Zum Beispiel sei es nicht damit getan, Güter gleich und effizient zu verteilen, vielmehr müsse auch die Art und Weise der Verteilung berücksichtigt werden. Nicht im klaren aber ist sich Margalit darüber, "ob die anständige Gesellschaft ein niedrigerer Gipfel auf einem Seitenhang des Berges ist, den all jene erklimmen müssen, die den höchsten Gipfel der gerechten Gesellschaft erreichen wollen". Mit anderen Worten, auch Margalit hält "am optimistischen Ideal der gerechten Gesellschaft" fest, glaubt aber, daß die anständige Gesellschaft bessere Aussichten hat, verwirklicht zu werden, als die gerechte Gesellschaft. Da der Autor in seinem Buch viele Dutzend Male von der "anständigen Gesellschaft" spricht, trug die amerikanische Ausgabe konsequenterweise den Titel "The Decent Society". Warum der Berliner Alexander Fest Verlag davon abgesehen hat, die deutsche Übersetzung gleichfalls unter diesem Titel herauszubringen, bleibt unerfindlich. Von Würde ist zwar in dem Buch häufig die Rede, doch steht dieses Wort keineswegs im Zentrum der Ausführungen Margalits; es handelt auch nicht überwiegend von Achtung und Verachtung, wie im Untertitel der deutschen Ausgabe zu lesen ist, sondern Kapitelüberschriften wie Snobismus, Privatsphäre, Bürokratie, Wohlfahrtsgesellschaft, Arbeitslosigkeit, Staatsbürgerschaft, Kultur und vieles andere mehr zeugen von dem viel weiteren Horizont des Autors. Es geschieht leider immer wieder, daß deutsche Verlage meinen, sie müßten unbedingt anders titeln als ihre ausländischen Partner, und sich dann dabei vergaloppieren. In diesem Fall wäre zu wünschen, daß der Mißgriff nicht dazu führt, die Debatte über die Margalitschen Thesen zu behindern. Sie sind es wert, daß darüber gestritten wird. Der Autor rechnet auch mit Kritik. Er wünscht sie sich sogar, wie von einem Philosophen auch nicht anders zu erwarten.

Widerspruch geben wird es vermutlich nicht nur gegen die großen Linien des von Margalit zumindest in der angelsächsischen Welt angestoßenen neuen Nachdenkens über gesellschaftspolitische Theorien, sondern auch über manche kleinen Dinge, die er in seinem Text erwähnt. Ist zum Beispiel Betteln immer demütigend, wie er behauptet? In Indien kann man täglich das Gegenteil beobachten. Manche Familien bestreiten dort ihre Existenz seit vielen Generationen durch erbettelte Almosen und fühlen sich dabei in ihrer Kaste oft ganz gut aufgehoben.

Ein anderes Beispiel: In dem Kapitel über Staatsbürgerschaft bemerkt der Verfasser, daß Kinder auch Staatsbürger seien, um dann fortzufahren: "Dennoch fordert selbst in demokratischen Staaten . . . niemand, daß man ihnen das aktive und passive Wahlrecht zuerkennen soll." Irrtum. Gerade in demokratischen Staaten kommen manche Bürger auf die absurdesten Ideen.

Und noch eine Kleinigkeit: Im Snobismus-Kapitel verweist Margalit auf Norbert Elias, der den Menschen gleichsam als Resultat einer Vielzahl von kleinen Verhaltensänderungen begreife, die mit der Zeit einen bedeutenden sozialen Wandel herbeiführten. Als eine solche Verhaltensänderung erwähnt Margalit dann, daß in einer zivilisierten Gesellschaft heute niemand mehr auf den Boden spucke, und wer dabei erwischt werde, schäme sich. Im Fernsehen ist bei fast jedem Fußballspiel anderes zu sehen: Nach größeren Anstrengungen, meist nach einem "verzogenen" Fehlschuß aufs Tor, spucken Spieler aus, und die Kamera zeigt das in Großaufnahme. Niemand schämt sich deswegen.

Selbst ein angesehener Philosoph ist also vor kleinen Irrtümern nicht gefeit. Das kann jedoch nichts daran ändern, daß diesem Buch in der Welt, auf deren Boden es entstanden ist und für die es wohl in erster Linie geschrieben wurde, ein beachtlicher Platz gebührt. Wie allerdings Leser in der sogenannten Dritten Welt auf ein so eurozentristisches, ganz und gar in der abendländischen Tradition philosophischen Denkens stehendes Werk reagieren würden, wenn sie es je zu Gesicht bekämen, ist eine andere Frage. Dort würden wahrscheinlich die meisten sagen: "Eure Sorgen möchten wir haben . . .". KLAUS NATORP

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