Die Rede - um nicht zu sagen: das Gerede - von der "Verdrängung des Todes" ist ein derart aufdringliches Stereotyp geworden, dass es Zeit wird, es gleich doppelt zu hinterfragen. Zum einen gilt es, dagegen zu halten, dass die Erfahrung der eigenen Endlichkeit und die Auseinandersetzung mit ihr für den Menschen zu allen Zeiten so elementar ist, dass es ein Wunder wäre, wenn es nicht auch heute eine Art unsichtbare, aber dem aufmerksamen Zeitgenossen durchaus wahrnehmbare, vielfältige Auseinandersetzung mit dem Tod gäbe.
Zum anderen: nicht nur wird auch in unserer Zeit der Tod nicht verdrängt, sondern allenfalls auf andere Art und Weise "verarbeitet"; vielmehr besteht Grund zu der Annahme, dass die Art und Weise der Auseinandersetzung der Bürger und Repräsentanten einer Gesellschaft mit ihrer Endlichkeit eine nicht unwichtige Determinante der Gestaltung der Ordnung der jeweiligen Gesellschaft ist. Diesen vermuteten Zusammenhängen nachzugehen ist Aufgabe einer zu begründeten Politischen Thantologie.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Zum anderen: nicht nur wird auch in unserer Zeit der Tod nicht verdrängt, sondern allenfalls auf andere Art und Weise "verarbeitet"; vielmehr besteht Grund zu der Annahme, dass die Art und Weise der Auseinandersetzung der Bürger und Repräsentanten einer Gesellschaft mit ihrer Endlichkeit eine nicht unwichtige Determinante der Gestaltung der Ordnung der jeweiligen Gesellschaft ist. Diesen vermuteten Zusammenhängen nachzugehen ist Aufgabe einer zu begründeten Politischen Thantologie.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001Staatsbegräbnis für den Souverän
Ein neues Forschungsfeld tut sich auf: Politik wird auch vom Verhältnis zur Endlichkeit, zum Sterben und zum Tod bestimmt
WERNER KREMP: Politik und Tod. Von der Endlichkeit und vom politischen Handeln, Leske und Budrich, Opladen 2001. 334 Seiten, 48 Mark.
Dies ist ein ungewöhnliches Buch über ein unkonventionelles Thema und gerade dadurch ist es so lebendig. Obwohl es – oder besser weil es – von Tod und Endlichkeit handelt, und weil es zudem den Anspruch erhebt, ein politikwissenschaftliches Fachwerk zu sein.
Wir werden bekanntlich auf eigentümliche Weise vom Sterben angezogen. Und dennoch wird in unserer Gesellschaft der Topos ständig wiederholt, der Tod werde verdrängt. Kremp widerspricht diesem Klischee vehement; dabei kann er auf viele Phänomene und auch empirische Untersuchungen verweisen: Das Wissen um Endlichkeit begleitet uns, ist präsent, bestimmt unser Handeln.
Endlichkeit erfahren
Der Autor geht von der Vermutung aus, dass politisches Denken und Handeln sowohl der Bürger wie ihrer politischen Repräsentanten in einem gewissen, nicht unbeträchtlichen Ausmaß davon mitbestimmt werden, wie sie ihre Endlichkeit erfahren und wie sie diese Erfahrung verarbeiten. Daraus folgt ein ganzes Stakkato von Fragen: Welche Formen der Auseinandersetzung mit Tod, Sterblichkeit und Endlichkeit sind heute tatsächlich zu finden? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen einer politisch-gesellschaftlichen Ordnung und der Art und Weise, wie ihre Mitglieder mit der Erfahrung von Tod, Sterblichkeit und Endlichkeit umgehen? Welchen Einfluss hat welche Art von Auseinandersetzung mit dem Tod auf das Verhalten der Mitglieder einer Gesellschaft als Bürger, als Wähler? In welcher Weise beeinflusst welche Haltung eines Politikers zum Tod sein politisches Handeln?Dies alles sind packende Fragen, mögen sie vielleicht auch zunächst suggestiv erscheinen. Aber sie sind natürlich nicht zuletzt auch deswegen so faszinierend, weil das Fragen nach Endlichkeit und Tod zugleich das nach Leben und Zukunft ist.
Ohne jeden Zweifel gehören derartige Fragen in das Zentrum der Politikwissenschaft, auch wenn es dabei nicht wie sonst üblich in diesem Fach um anonyme Strukturen, Systeme, Staaten, Ideologien, Schichten und Klassen oder Prozesse geht, sondern um konkrete, lebendige, in der Ahnung ihrer Endlichkeit agierende Menschen. Bescheiden betont Kremp, es komme ihm nicht darauf an, ein weiteres Spezialfeld der Politikwissenschaft zu begründen, nicht eine politische Thanatologie, nicht eine politologische Wissenschaft von Sterblichkeit und Tod.
Entsprechend des gerade angedeuteten metholologischen Ansatzes verfährt Kremp biografisch, und er vermag aus Memoiren, Lebensbeschreibungen, wissenschaftlichen und populären Werken sowie publizistischen Quellen erstaunlich viele Informationen zu schöpfen. In ihrem Denken und Fühlen über Leben und Endlichkeit lernen wir zeitgenössische politische Akteure und Politiker der Nachkriegszeit aus einer ungewöhnlichen Perspektive kennen, so unter anderen Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer, Herbert Wehner, Johannes Rau, und auf amerikanischer Seite einige der Präsidentschaftskandidaten im Jahr 2000, nämlich Al Gore, Bill Bradley und John McCain.
Die These, die Kremp den Biografien voranstellt, ist die, dass die im Bewusstsein einer Person präsente Gesamtordnung der Dinge letztlich nicht sachlich, sondern persönlich bestimmt sei, nicht zuletzt aus dem Verständnis von Tod und Endlichkeit. Die anfangs formulierten systematischen Fragen und die biografischen Darstellungen fallen da zuweilen auseinander – wie könnte dies bei einer so neuen, auch bahnbrechenden Thematik anders sein?
Kremp versucht zu systematisieren. In eher politisch-philosophischen Überlegungen unterscheidet er zwei Typen von Politikern, nämlich den „Sterber” und den „Mörder”. Empirie und Systematik an dieser Stelle in einem Idealtypus zusammenzubringen fällt schwer. Fraglich erscheint auch, ob es tatsächlich so etwas wie ein „socialdemocratic web of death”, eine Art sozialdemokratisches Todesverständnis, gibt. Da könnte es gut sein, dass der Autor seine biografischen Beispiele in diesem Fall etwas zu einseitig, zum Beispiel nur auf Deutschland bezogen, ausgewählt und zudem von sich selbst einiges auf die behandelten Figuren projiziert hat.
Der Autor lädt selbst zu derartiger Kritik ein, er betont, wie vorläufig seine Überlegungen seien, wie er mehr tastend als sicher vorgehe. Das macht ihn nicht nur sympathisch angesichts der komplexen Thematik, sondern der Leser fühlt sich zu einem permanenten, kritischen Dialog eingeladen. Da wird nicht ex cathedra dekretiert, sondern reflektiert, nahe gelegt – kurz: ein glänzender Essay.
Ironie, Satire, Wortspiele und Augenzwinkern fehlen nicht. Der Wahlgang, der „Urnengang”, wird als republikanisches Spiel von Tod und Auferstehung interpretiert,als quadriennales Festspiel, bei dem die Bürger ihre Entscheidungs- und Wahlfähigkeit, ihren souveränen Willen zum Altar der Republik bringen.
Und Kremp wundert sich, warum in Demokratien eigentlich niemand dem toten Souverän beziehungsweise den abgestorbenen Partikeln des Gesamtsouveräns eine öffentliche Träne nachweine. Natürlich, jährlich an die 900000 „Staatsbegräbnisse”in Deutschland für die eines „natürlichen” Todes sterbenden Souveräne, das ginge schon technisch nicht. Deswegen einmal ein anderer Vorschlag:Einmal im Jahr sollte feierlich ein Bürger oder eine Bürgerin beigesetzt werden, unter Anwesenheit all jener, die ihre Macht von seiner beziehungsweise ihrer Stimm-Macht abgeleitet haben – und dann wird in eine besonders repräsentative Wahl-Urne dieser Wahl-Bürger versenkt.
Zivilreligiöse Gebete
Ein zivilreligiöses Gebet für diesen Anlass, gesprochen durch den Parlamentspräsidenten, hält Kremp auch parat. Das Buch ist trotz seiner Thematik aus voller Lebensfreude heraus geschrieben, es folgt nicht jener deutschen romantischen Tradition von Todessehnsucht und Lebensunlust. Sein Autor stellt mehr Fragen, als er Antworten zu geben oder auch nur anzudeuten vermag. Aber gerade das macht das Packende aus. Zumal Untersuchungen zu dieser Thematik, auch in den Nachbarwissenschaften, kaum vorliegen. Und gerade deswegen ist es vernünftig, das politikwissenschaftliche Blickfeld zu erweitern, eine weitere Dimension sozialwissenschaftlicher Analyse zu öffnen. Warum sollte es künftig keine „politische Thanatologie” geben – oder wenigstens einige intelligente Seminare in diesem Feld?
PETER LÖSCHE
Der Rezensent lehrt Politikwissenschaft in Göttingen.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ein neues Forschungsfeld tut sich auf: Politik wird auch vom Verhältnis zur Endlichkeit, zum Sterben und zum Tod bestimmt
WERNER KREMP: Politik und Tod. Von der Endlichkeit und vom politischen Handeln, Leske und Budrich, Opladen 2001. 334 Seiten, 48 Mark.
Dies ist ein ungewöhnliches Buch über ein unkonventionelles Thema und gerade dadurch ist es so lebendig. Obwohl es – oder besser weil es – von Tod und Endlichkeit handelt, und weil es zudem den Anspruch erhebt, ein politikwissenschaftliches Fachwerk zu sein.
Wir werden bekanntlich auf eigentümliche Weise vom Sterben angezogen. Und dennoch wird in unserer Gesellschaft der Topos ständig wiederholt, der Tod werde verdrängt. Kremp widerspricht diesem Klischee vehement; dabei kann er auf viele Phänomene und auch empirische Untersuchungen verweisen: Das Wissen um Endlichkeit begleitet uns, ist präsent, bestimmt unser Handeln.
Endlichkeit erfahren
Der Autor geht von der Vermutung aus, dass politisches Denken und Handeln sowohl der Bürger wie ihrer politischen Repräsentanten in einem gewissen, nicht unbeträchtlichen Ausmaß davon mitbestimmt werden, wie sie ihre Endlichkeit erfahren und wie sie diese Erfahrung verarbeiten. Daraus folgt ein ganzes Stakkato von Fragen: Welche Formen der Auseinandersetzung mit Tod, Sterblichkeit und Endlichkeit sind heute tatsächlich zu finden? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen einer politisch-gesellschaftlichen Ordnung und der Art und Weise, wie ihre Mitglieder mit der Erfahrung von Tod, Sterblichkeit und Endlichkeit umgehen? Welchen Einfluss hat welche Art von Auseinandersetzung mit dem Tod auf das Verhalten der Mitglieder einer Gesellschaft als Bürger, als Wähler? In welcher Weise beeinflusst welche Haltung eines Politikers zum Tod sein politisches Handeln?Dies alles sind packende Fragen, mögen sie vielleicht auch zunächst suggestiv erscheinen. Aber sie sind natürlich nicht zuletzt auch deswegen so faszinierend, weil das Fragen nach Endlichkeit und Tod zugleich das nach Leben und Zukunft ist.
Ohne jeden Zweifel gehören derartige Fragen in das Zentrum der Politikwissenschaft, auch wenn es dabei nicht wie sonst üblich in diesem Fach um anonyme Strukturen, Systeme, Staaten, Ideologien, Schichten und Klassen oder Prozesse geht, sondern um konkrete, lebendige, in der Ahnung ihrer Endlichkeit agierende Menschen. Bescheiden betont Kremp, es komme ihm nicht darauf an, ein weiteres Spezialfeld der Politikwissenschaft zu begründen, nicht eine politische Thanatologie, nicht eine politologische Wissenschaft von Sterblichkeit und Tod.
Entsprechend des gerade angedeuteten metholologischen Ansatzes verfährt Kremp biografisch, und er vermag aus Memoiren, Lebensbeschreibungen, wissenschaftlichen und populären Werken sowie publizistischen Quellen erstaunlich viele Informationen zu schöpfen. In ihrem Denken und Fühlen über Leben und Endlichkeit lernen wir zeitgenössische politische Akteure und Politiker der Nachkriegszeit aus einer ungewöhnlichen Perspektive kennen, so unter anderen Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer, Herbert Wehner, Johannes Rau, und auf amerikanischer Seite einige der Präsidentschaftskandidaten im Jahr 2000, nämlich Al Gore, Bill Bradley und John McCain.
Die These, die Kremp den Biografien voranstellt, ist die, dass die im Bewusstsein einer Person präsente Gesamtordnung der Dinge letztlich nicht sachlich, sondern persönlich bestimmt sei, nicht zuletzt aus dem Verständnis von Tod und Endlichkeit. Die anfangs formulierten systematischen Fragen und die biografischen Darstellungen fallen da zuweilen auseinander – wie könnte dies bei einer so neuen, auch bahnbrechenden Thematik anders sein?
Kremp versucht zu systematisieren. In eher politisch-philosophischen Überlegungen unterscheidet er zwei Typen von Politikern, nämlich den „Sterber” und den „Mörder”. Empirie und Systematik an dieser Stelle in einem Idealtypus zusammenzubringen fällt schwer. Fraglich erscheint auch, ob es tatsächlich so etwas wie ein „socialdemocratic web of death”, eine Art sozialdemokratisches Todesverständnis, gibt. Da könnte es gut sein, dass der Autor seine biografischen Beispiele in diesem Fall etwas zu einseitig, zum Beispiel nur auf Deutschland bezogen, ausgewählt und zudem von sich selbst einiges auf die behandelten Figuren projiziert hat.
Der Autor lädt selbst zu derartiger Kritik ein, er betont, wie vorläufig seine Überlegungen seien, wie er mehr tastend als sicher vorgehe. Das macht ihn nicht nur sympathisch angesichts der komplexen Thematik, sondern der Leser fühlt sich zu einem permanenten, kritischen Dialog eingeladen. Da wird nicht ex cathedra dekretiert, sondern reflektiert, nahe gelegt – kurz: ein glänzender Essay.
Ironie, Satire, Wortspiele und Augenzwinkern fehlen nicht. Der Wahlgang, der „Urnengang”, wird als republikanisches Spiel von Tod und Auferstehung interpretiert,als quadriennales Festspiel, bei dem die Bürger ihre Entscheidungs- und Wahlfähigkeit, ihren souveränen Willen zum Altar der Republik bringen.
Und Kremp wundert sich, warum in Demokratien eigentlich niemand dem toten Souverän beziehungsweise den abgestorbenen Partikeln des Gesamtsouveräns eine öffentliche Träne nachweine. Natürlich, jährlich an die 900000 „Staatsbegräbnisse”in Deutschland für die eines „natürlichen” Todes sterbenden Souveräne, das ginge schon technisch nicht. Deswegen einmal ein anderer Vorschlag:Einmal im Jahr sollte feierlich ein Bürger oder eine Bürgerin beigesetzt werden, unter Anwesenheit all jener, die ihre Macht von seiner beziehungsweise ihrer Stimm-Macht abgeleitet haben – und dann wird in eine besonders repräsentative Wahl-Urne dieser Wahl-Bürger versenkt.
Zivilreligiöse Gebete
Ein zivilreligiöses Gebet für diesen Anlass, gesprochen durch den Parlamentspräsidenten, hält Kremp auch parat. Das Buch ist trotz seiner Thematik aus voller Lebensfreude heraus geschrieben, es folgt nicht jener deutschen romantischen Tradition von Todessehnsucht und Lebensunlust. Sein Autor stellt mehr Fragen, als er Antworten zu geben oder auch nur anzudeuten vermag. Aber gerade das macht das Packende aus. Zumal Untersuchungen zu dieser Thematik, auch in den Nachbarwissenschaften, kaum vorliegen. Und gerade deswegen ist es vernünftig, das politikwissenschaftliche Blickfeld zu erweitern, eine weitere Dimension sozialwissenschaftlicher Analyse zu öffnen. Warum sollte es künftig keine „politische Thanatologie” geben – oder wenigstens einige intelligente Seminare in diesem Feld?
PETER LÖSCHE
Der Rezensent lehrt Politikwissenschaft in Göttingen.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Als eine der originellsten neueren politikwissenschaftlichen Arbeiten bezeichnet Rezensent Lüdger Lütkehaus diese Abhandlung über die Frage, welche Rolle die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod in der Politik spielt. Sowohl Empirie als auch Philosophie komme bei der Behandlung dieser Frage nicht zu kurz und oft genug schaffe es Autor Werner Kremp auch noch, seine Resultate witzig aufbereitet zu präsentieren. Und "trotz der Neigung zur Pointe ist das glänzend geschriebene Buch nicht bloß informativ, sondern überaus ergiebig: Es profitiert eben von einem neuen Blick". Lediglich einige Denkansätze, z.B. von Hegel oder Carl Schmitt, vermisst Lütkehaus in diesem Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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