Jost Hermand stellt politisch intendierte Werke, die in der Zeit von 1806 bis heute entstanden sind, vor und bindet sie in den politisch-historischen Kontext ein. Themen sind zudem die Entstehungszeit des Bildes sowie Herkunft und Bedeutung des Künstlers. Behandelt werden Werke von: Friedrich, Schnorr von Carolsfeld, Menzel, Böcklin, Schmidt-Rottluff, Barlach, Kollwitz, Heartfield, Picasso, Nagel, Prechtl, Mattheuer, Kiefer und Rauch. Alles kann zum Denkbild werden und eine Fülle nachwirkender Reflektionen in Gang setzen. Politische Denkbilder greifen stets ein zeitgeschichtliches Ereignis auf, dem sie in Form bildnerischer Verknappung einen in die jeweils anstehenden Konflikte »eingreifenden« Charakter zu geben versuchen. Vor allem die höchst widersprüchlich ablaufende deutsche Geschichte vom Ende des Heiligen Römischen Reichs im Jahr 1806 bis zur so genannten Wende von 1989 ist voller solcher Denkbilder, an denen sich die affirmative, progressive oder gar revolutionäre Gesinnung bestimmter Künstler ablesen lässt. Von den christgermanischen Denkbildern Caspar David Friedrichs, den Fridericiana Adolf Menzels, den gründerzeitlichen Allegorien, den manifestartigen Werken der Expressionisten, den linken Protesten einer Käthe Kollwitz, den heroisierenden Darstellungen des Dritten Reichs bis hin zu den politischen Denkbildern der DDR, der westdeutschen Achtundsechziger sowie einiger Nachwendekünstler entsteht hier eine eindrucksvolle Galerie politisch intendierter Werke.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2011Lotte Danziger und die teutonische Speerwerferin: Jost Hermands Denkbilder
Ende 1977 steht Jost Hermand in der Münchner Galerie von Abercron und sucht nach unbekannten Bildern der Neuen Sachlichkeit. Der Galerist zeigt ihm Rudolf Schlichters Porträt von Oskar Maria Graf. Schwer verkäuflich in Bayern damals, klagt der Galerist, die meisten Münchner nähmen Graf immer noch übel, dass er ein Linker war und 1933 ins Exil gegangen ist. Dann: Christian Schads "Bildnis Ludwig Bäumer". Auch nicht loszukriegen: "Wer will schon ein Porträt des Kommunisten Ludwig Bäumer kaufen?" Am unverkäuflichsten aber: Manfred Hirzels "Lotte Danziger" von 1931. Vergessener jüdischer Maler, unbekannte jüdische Frau. Aber ein hinreißendes Bild. Hermand bekommt es für nur 10 000 Mark.
Er findet heraus, dass Hirzel ursprünglich Hirschel hieß und aus Lódz stammte, sich als Künstler an der altdeutschen Malerei orientierte und bereits 1932 verstarb. Die Jahreszahl rückt diese Germanisierung von Name wie Malstil (bis hin zum dürerhaften Monogramm) natürlich sofort in ein weniger strikt kunsthistorisches Licht; es geht dann automatisch auch um Politik und menschliche Schicksale. Wer war Lotte Danziger? Wie erging es ihr in den Jahren, die dem Porträt folgten? Bei einem Aufenthalt in New York schlägt Hermand im Telefonbuch nach und findet tatsächlich eine Lotte Danziger. Er greift zum Hörer, aber er zögert. Vielleicht, weil er um die Hoffnung bangt, vielleicht, weil er nicht sicher sein kann, vielleicht auch, weil er das Bild nicht gleich wieder hergeben will. Ein Jahr später schaut er abermals ins Telefonbuch, da gibt es immer noch viele Danzigers. Aber eine Lotte Danziger gibt es nicht mehr.
Es passiert nicht oft, dass einem Kunstgeschichte so sehr als persönliche Geschichte mit der Kunst gegenübertritt. Jost Hermand ist natürlich auch kein Kunsthistoriker herkömmlicher Bauart. Eigentlich ist er ja sowieso eher Literaturwissenschaftler. Aber seit er, als ganz junger Mann, mit dem alten Richard Hamann die Heldentat seiner fünfbändigen "Deutschen Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus" wagte - die im Übrigen sehr dringend mal wieder aufgelegt werden könnte, liebe Verlage da draußen: das beste Buch über das Kaiserreich immer noch aus der Buchproduktion der DDR, wollt ihr das wirklich auf Euch sitzen lassen? -, seitdem kann man sich bei ihm auf eine Art von Kulturgeschichte verlassen, bei der sämtliche Kunstgattungen nicht nur sehr erhellend miteinander, sondern vor allem mit den politischen Tendenzen der Zeit ins Benehmen gesetzt werden. Jetzt kommt er in einem persönlich gefärbten Bändchen auf die meisten seiner Lieblingsthemen noch einmal zurück, von Menzel bis Fidus.
Denkbilder, das sind für Hermand Bilder, die ihm politisch zu denken geben, und sein politisches Denken scheint so bombenfest sozialistisch, als ob der Mann nicht in Wisconsin sein Leben verbracht hätte, sondern in Karl-Marx-Stadt. Diese Perspektive bietet eine Menge Vorteile. Sie erspart einem den Jargon der Postmoderne. Und die dauernde Scheidung progressiver Ideengehalte von reaktionären sorgt für überraschende Einsichten. Es gehört einiges dazu, Anselm Kiefers raunenden Rätselbildern eine Perspektive demokratischer Aufbruchsmöglichkeiten abzugewinnen. Es gehört auch etwas dazu, George L. Mosse, dem Erforscher des Präfaschismus, eine "Cäcilia Tschudi als Walküre" in eine Festschrift zu drucken.
Es ist die Inversion der Geschichte von "Lotte Danziger": Hermand hatte das Gemälde bei einem New Yorker Galeristen erworben. Dessen jüdische Kundschaft wollte mit dem teutonischen Weib nichts zu tun haben. Hermand wurde nicht müde, das Germanenmotiv zur Zeit der Napoleonischen Kriege zu entnazifizieren und, im Gegenteil, die demokratischen Aspekte zu betonen. Am Ende sagte ihm Mosse: "I stand corrected." Für Hermand-Leser keine untypische Reaktion.
ripe
Jost Hermand: "Politische Denkbilder. Von Caspar David Friedrich bis Neo Rauch". Böhlau-Verlag, 240 Seiten, 29,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ende 1977 steht Jost Hermand in der Münchner Galerie von Abercron und sucht nach unbekannten Bildern der Neuen Sachlichkeit. Der Galerist zeigt ihm Rudolf Schlichters Porträt von Oskar Maria Graf. Schwer verkäuflich in Bayern damals, klagt der Galerist, die meisten Münchner nähmen Graf immer noch übel, dass er ein Linker war und 1933 ins Exil gegangen ist. Dann: Christian Schads "Bildnis Ludwig Bäumer". Auch nicht loszukriegen: "Wer will schon ein Porträt des Kommunisten Ludwig Bäumer kaufen?" Am unverkäuflichsten aber: Manfred Hirzels "Lotte Danziger" von 1931. Vergessener jüdischer Maler, unbekannte jüdische Frau. Aber ein hinreißendes Bild. Hermand bekommt es für nur 10 000 Mark.
Er findet heraus, dass Hirzel ursprünglich Hirschel hieß und aus Lódz stammte, sich als Künstler an der altdeutschen Malerei orientierte und bereits 1932 verstarb. Die Jahreszahl rückt diese Germanisierung von Name wie Malstil (bis hin zum dürerhaften Monogramm) natürlich sofort in ein weniger strikt kunsthistorisches Licht; es geht dann automatisch auch um Politik und menschliche Schicksale. Wer war Lotte Danziger? Wie erging es ihr in den Jahren, die dem Porträt folgten? Bei einem Aufenthalt in New York schlägt Hermand im Telefonbuch nach und findet tatsächlich eine Lotte Danziger. Er greift zum Hörer, aber er zögert. Vielleicht, weil er um die Hoffnung bangt, vielleicht, weil er nicht sicher sein kann, vielleicht auch, weil er das Bild nicht gleich wieder hergeben will. Ein Jahr später schaut er abermals ins Telefonbuch, da gibt es immer noch viele Danzigers. Aber eine Lotte Danziger gibt es nicht mehr.
Es passiert nicht oft, dass einem Kunstgeschichte so sehr als persönliche Geschichte mit der Kunst gegenübertritt. Jost Hermand ist natürlich auch kein Kunsthistoriker herkömmlicher Bauart. Eigentlich ist er ja sowieso eher Literaturwissenschaftler. Aber seit er, als ganz junger Mann, mit dem alten Richard Hamann die Heldentat seiner fünfbändigen "Deutschen Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus" wagte - die im Übrigen sehr dringend mal wieder aufgelegt werden könnte, liebe Verlage da draußen: das beste Buch über das Kaiserreich immer noch aus der Buchproduktion der DDR, wollt ihr das wirklich auf Euch sitzen lassen? -, seitdem kann man sich bei ihm auf eine Art von Kulturgeschichte verlassen, bei der sämtliche Kunstgattungen nicht nur sehr erhellend miteinander, sondern vor allem mit den politischen Tendenzen der Zeit ins Benehmen gesetzt werden. Jetzt kommt er in einem persönlich gefärbten Bändchen auf die meisten seiner Lieblingsthemen noch einmal zurück, von Menzel bis Fidus.
Denkbilder, das sind für Hermand Bilder, die ihm politisch zu denken geben, und sein politisches Denken scheint so bombenfest sozialistisch, als ob der Mann nicht in Wisconsin sein Leben verbracht hätte, sondern in Karl-Marx-Stadt. Diese Perspektive bietet eine Menge Vorteile. Sie erspart einem den Jargon der Postmoderne. Und die dauernde Scheidung progressiver Ideengehalte von reaktionären sorgt für überraschende Einsichten. Es gehört einiges dazu, Anselm Kiefers raunenden Rätselbildern eine Perspektive demokratischer Aufbruchsmöglichkeiten abzugewinnen. Es gehört auch etwas dazu, George L. Mosse, dem Erforscher des Präfaschismus, eine "Cäcilia Tschudi als Walküre" in eine Festschrift zu drucken.
Es ist die Inversion der Geschichte von "Lotte Danziger": Hermand hatte das Gemälde bei einem New Yorker Galeristen erworben. Dessen jüdische Kundschaft wollte mit dem teutonischen Weib nichts zu tun haben. Hermand wurde nicht müde, das Germanenmotiv zur Zeit der Napoleonischen Kriege zu entnazifizieren und, im Gegenteil, die demokratischen Aspekte zu betonen. Am Ende sagte ihm Mosse: "I stand corrected." Für Hermand-Leser keine untypische Reaktion.
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Jost Hermand: "Politische Denkbilder. Von Caspar David Friedrich bis Neo Rauch". Böhlau-Verlag, 240 Seiten, 29,90 Euro
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