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Manierenschriften für Angehörige der europäischen Oberschichten fordern stets: Mienen, Gesten und Tonfall sollen die Übereinstimmung der Gefühle mit dem moralisch konformen Verhalten ausdrücken. Mittelalterliche Lehrer höfischer Sitte und bürgerliche Anstands- und Tugendlehrer des 18./19. Jh. verlangen zudem die Übereinstimmung des Affektausdrucks mit den wahren Gefühlen. Politische Klugheitslehrer des 17./18. Jh. warnen hingegen vor Offenherzigkeit. Diese Beobachtung ist Ausgangspunkt einer Rekonstruktion der ethischen Alltagstheorien und Gesellschaftsbilder, die so unterschiedliche…mehr

Produktbeschreibung
Manierenschriften für Angehörige der europäischen Oberschichten fordern stets: Mienen, Gesten und Tonfall sollen die Übereinstimmung der Gefühle mit dem moralisch konformen Verhalten ausdrücken. Mittelalterliche Lehrer höfischer Sitte und bürgerliche Anstands- und Tugendlehrer des 18./19. Jh. verlangen zudem die Übereinstimmung des Affektausdrucks mit den wahren Gefühlen. Politische Klugheitslehrer des 17./18. Jh. warnen hingegen vor Offenherzigkeit. Diese Beobachtung ist Ausgangspunkt einer Rekonstruktion der ethischen Alltagstheorien und Gesellschaftsbilder, die so unterschiedliche Grundsätze verständlich machen. Die Rekonstruktion bedient sich begrifflicher Mittel aus der Psychologie der kognitiv-moralischen Entwicklung (Piaget, Kohlberg). Ritter und Bürger kultivieren gleichermaßen soziozentrische Moralbegriffe, die auf moralisch konformen Gefühlen beruhen und moralische Werte zu (metaphysischen) Tatsachen machen. Aristokraten des 17. Jh. relativieren moralische Werte als Zuschreibungen und rekonstruieren Normen als Mittel zur Beförderung der "Glückseligkeit" der Menschen. Die soziologische Deutung bezieht die Abfolge moralischer Paradigmen auf den Übergang von der ständischen zur staatlichen Verfassung der Gesellschaft und den damit verbundenen Wandel der Lebensbedingungen der Oberschichten.
Autorenporträt
Prof. Dr. Gerhard Vowinckel studierte, promovierte und habilitierte sich an der Universität Hamburg. Er lehrte Soziologie an der Universität Hamburg, der Helmut-Schmidt-Universität und der Leuphana-Universität Lüneburg. In seinen Veröffentlichungen zu Affekten, Affektkontrolle und moralischem Denken verbindet er biologische und psychologische Forschungsergebnisse und Theorien mit kultursoziologischer Analyse. Bei Duncker & Humblot ist sein Werk »Politische Köpfe und schöne Seelen. Affekt, Moral, Gesellschaft im Alltagsdenken der weltlichen Oberschichten des Abendlandes - Eine biologisch-psychologisch-soziologische Synthese.« erschienen. Wichtige Veröffentlichungen sind u.a. »Verwandtschaft, Freundschaft und die Gesellschaft der Fremden« (1995) und »Gesinnungstäter und Strategen« (1996).