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Band 23 der Reihe befasst sich mit politischen Memoiren in deutscher und britischer Perspektive. Zu den Persönlichkeiten, deren Memoiren hier im Gesamtzusammenhang der Tradition politischer Erinnerungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet werden, gehören Disraeli, Gladstone und Churchill auf britischer sowie Bismarck, Adenauer und Heuss auf deutscher Seite.

Produktbeschreibung
Band 23 der Reihe befasst sich mit politischen Memoiren in deutscher und britischer Perspektive. Zu den Persönlichkeiten, deren Memoiren hier im Gesamtzusammenhang der Tradition politischer Erinnerungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet werden, gehören Disraeli, Gladstone und Churchill auf britischer sowie Bismarck, Adenauer und Heuss auf deutscher Seite.

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2005

An der Quelle saß der Alte
Memoiren von Politikern als oft vernachlässigtes Forschungsgebiet

In jedem Haushalt mit Bücherschrank vermutet Magnus Brechtken das ein oder andere Erinnerungswerk eines aktiven oder früheren Politikers - sicherlich eine leichte Übertreibung. Dabei ist dem Mitherausgeber des anregenden Sammelbandes über "Politische Memoiren in deutscher und britischer Perspektive" zuzustimmen, wenn er herausstellt, daß zuwenig über den Quellenwert dieser Publikationsform nachgedacht werde. Gemäß der klassischen Droysen-Unterscheidung zwischen "Tradition" und "Überrest" werden Memoiren der Tradition zugeordnet, weil sie laut der Definition von Ahasver von Brandt "eigens und absichtlich zum Zweck historischer Unterrichtung geschaffen worden" seien.

Schwierig ist es, Memoiren und Autobiographien auseinanderzuhalten. Für Peter Stadler ist die Autobiographie eine rückblickende "Selbstbefragung, die vom Interesse an der eigenen Person und deren Wirken ausgeht", also das Hauptgewicht auf das individuelle Leben legt und nicht auf Zeitläufte, die in politischen Erinnerungen breiten Raum einnehmen. Irgendwie ist dies wenig erkenntnisfördernd - ganz im Gegensatz zu Stadlers Bemerkung über Otto von Bismarck, die auf die meisten anderen Memoirenschreiber passen dürfte: "Es gehört sicher zur Altmännertragik, sich für unentbehrlich zu halten und . . . diese Unentbehrlichkeit den Späteren vor Augen zu führen."

Auf britischer Seite werden die Premierminister Benjamin Disraeli (1868 sowie 1874 bis 1880), William Ewart Gladstone (1868 bis 1874 und 1880 bis 1885) und Winston Churchill (1939 bis 1945 und 1951 bis 1955 - hier auf die Weltkriege konzentriert) untersucht, auf deutscher Seite die Kanzler vom Reichsgründer Bismarck bis zum Reichstotengräber Franz von Papen, dann aus der deutschen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg der erste Bundespräsident Theodor Heuss sowie die Bundeskanzler Nummer eins und fünf, Konrad Adenauer und Helmut Schmidt.

Besonders hervorzuheben ist der Aufsatz von Hans-Christof Kraus über die Kanzler-Memoiren zwischen der Wilhelminischen Ära und dem Ende der Weimarer Republik. Er knüpft an Erich Seeberg an, der bereits vor mehr als sechzig Jahren in der "Zeitschrift für Kirchengeschichte" zwei Grundarten herausarbeitete: die einen mochten "an den Gegnern, womöglich an den siegreichen unter ihnen, so etwas wie Rache nehmen", die anderen beabsichtigten hauptsächlich, "die persönlichen Erfahrungen in die Form allgemeiner Reflexionen oder Gesetze zu Nutz und Frommen seiner Nation oder seiner Freunde zu bringen, auch um so über das Grab hinaus wirksam zu bleiben".

Die Zweiteilung reiche keineswegs aus und bedürfe einer differenzierteren Klassifizierung von vier Arten politischer Erinnerungswerke, meint Kraus: Erstens das "Denkmal seiner selbst" mit Selbstüberhöhung und "Herausstreichung eigener (vermeintlicher oder wirklicher) großer Leistungen"; zweitens das reflexiv angelegte, erfahrungs- und beispielgesättigte "Lehrbuch der Politik"; drittens der sachlich und schmucklos abgefaßte "Rechenschaftsbericht", der sich um eine nüchterne Bilanz dessen bemüht, "was in einem Politikerleben jeweils erreicht oder auch verfehlt worden ist"; viertens die "Selbstrechtfertigung" mit dem zentralen Anliegen, nach einer mehr oder weniger großen Katastrophe eigenes Scheitern zu relativieren oder wenigstens doch näher zu erläutern. Letztgenannter apologetischer Typus überwog bei Bismarcks Nachfolgern.

Brechtken bezeichnet in seinem einleitenden Beitrag Memoiren als "Gedächtniskonstruktionen", "konstruierte Erinnerung", "individuelle Erinnerungskonstruktion", ja sogar in Anlehnung an Dagmar Günther als "biographische Sinnkonstruktionen". Bei der Analyse müsse man davon ausgehen, "daß die Autoren ,ihre' Geschichte so schreiben, wie sie sie gern erinnert und gelesen sehen würden. Memoirenproduktion ist stets auch historiographische Beeinflussungsstrategie. Es bleibt die Aufgabe des Lesenden, sich dieses Angebot mündig zu erschließen, indem er andere Quellen und Lesarten damit abgleicht."

Schließlich darf nicht übersehen werden, daß ältere und alte Staatsmänner außer Diensten ihre vielbändigen Werke eigentlich nie allein verfassen, sondern auf beträchtliche Zuarbeit angewiesen sind. Was wäre denn aus Bismarcks Memoiren ohne Lothar Buchers Unterstützung, aus Adenauers Erinnerungen ohne Anneliese Poppingas Beistand geworden? Aller Wahrscheinlichkeit nach gar nichts. Nach Brechtkens Beobachtungen ist es im angelsächsischen Sprachraum viel selbstverständlicher als im deutschen, solche Mitarbeit transparent zu machen. In Deutschland setze sich eine ähnliche Offenheit nur langsam durch: "Über die Ursachen für die traditionelle ,Präferenz des Verschweigens' läßt sich nur spekulieren. In manchen Fällen mögen die Autoren um ihren Nimbus fürchten, gemäß dem Verdacht: Wenn bekannt wird, daß ich das nicht allein produziert habe, zweifelt das Publikum womöglich an meinen umfassenden Fähigkeiten, und ich biete den Gegnern eine Angriffsfläche, weil sie die Inanspruchnahme von Hilfe in den Augen der Öffentlichkeit als vermeintliche Schwäche interpretieren könnten." Immerhin spricht der von Brechtken unberücksichtigt gebliebene Altkanzler Kohl im Vorwort zum zweiten Band seiner Memoiren über die Jahre 1982 bis 1990 davon, daß "meine Mitarbeiter und ich zahlreiche Quellen jener Zeit studiert und ausgewertet" hätten. Vielleicht nennt er im geplanten dritten und letzten Band sogar Namen von recherchierenden oder mitschreibenden Rossen und Reitern.

RAINER BLASIUS

Franz Bosbach/Magnus Brechtken: Politische Memoiren in deutscher und britischer Perspektive. Prinz-Albert-Studien, Band 23. Verlag K. G. Saur, München 2005. 195 S., 58,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "anregend" lobt Rezensent Rainer Blasius diesen Sammelband, der sich mit dem Genre "Politikerbiografie" befasst. In erster Linie hebt Blasius einen Beitrag von Hans-Christof Kraus über Kanzlerbiografien zwischen der Wilhelminischen Ära und dem Ende der Weimarer Republik hervor. Aber auch Peter Stadlers Versuch einer Beschreibung des Genres "Politikerbiografie" anhand von britischen und deutschen Erinnerungen (von Benjamin Disraeli bis Helmut Schmidt) sowie ihre Kategorisierung in Memoiren und Autobiografie findet der Rezensent sehr aufschlussreich. Wichtig war ihm auch der Verweis von Mitherausgeber Magnus Brechtken auf bedeutende Ghostwriter und Mitarbeiter so epochaler Erinnerungswerke wie Otto von Bismarcks Memoiren (Lothar Bucher) oder den Erinnerungen Konrad Adenauers (Anneliese Poppinga).

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