Politische Erfolge wie Misserfolge werden immer wieder auf Kommunikation zurückgeführt - Politiker konnten Wählerinnen entweder nicht "abholen" oder hatten doch eine überzeugende Kampagne. Dank moderner Massenmedien kommt es zunehmend auf die Präsentation von Politik an; Wähler entscheiden nicht länger nach stabilen und erwartbaren Präferenzen, sondern reagieren spontan auf Debatten, Inszenierungen und auf die Mediennutzung von Kandidaten. Unter den Bedingungen digital verstärkter Kommunikation haben sich nun die Möglichkeiten und Chancen zu Teilhabe und Mitwirkung an Debatten vergrößert, wodurch jedoch auch die Wahrscheinlichkeit von Skandalisierung und Empörung gestiegen ist. Damit stellt sich die Frage, wie politische und öffentliche Akteure in dieser Gemengelage kommunizieren können und sollen. Jeder, der eine Gruppe zu repräsentieren beansprucht, steht derzeit vor ähnlichen Herausforderungen: Wie lassen sich Überzeugungen erklären und absichern? Wie lässt sich verbindlich sprechen, wenn man dank des Kreislaufs von Reaktion und Kritikum die Anfechtbarkeit eigener Ansichten weiß? Astrid Séville und Julian Müller fragen daher nach den Möglichkeiten öffentlicher Ansprache. In Anlehnung an Erving Goffmans Begriff der Redeweisen richten sie den Blick auf heutige Formen öffentlicher Rede in Deutschland. Dabei stehen nicht die radikalen Ränder, sondern die Neuverhandlungen des politisch Etablierten, Bürgerlichen und Demokratischen im Zentrum der Aufmerksamkeit
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Sprache der politischen Mitte wenden sich Astrid Séville und Julian Müller mit einigem Gewinn zu, meint Rezensent Johan Schloemann. Séville, Politikwissenschaftlerin und Müller, Soziologe, untersuchen unter anderem die rhetorischen Strategien Sophie Passmanns, Jan Böhmermanns und Ijoma Mangolds, sowie besonders Robert Habecks. Habeck versteht es besonders gut, liest Schloemann bei Séville und Müller, Flapsigkeit und Ernsthaftigkeit miteinander zu verbinden. Die analysierten Autoren thematisieren, führt der Rezensent die Argumentation weiter aus, ihre Kommunikation oft selbst, aber vor allem kommunizieren sie immer weiter, auch wenn sie sich angeblich von manchen Plattformen zurückziehen. Auch die Tendenz, inhaltliche Fragen mit persönlich Erlebtem zu verknüpfen, werde in dem Buch thematisiert. Manchmal argumentieren die Autoren etwas zu forciert originell, findet Schloemann, aber insgesamt kann man hier einiges lernen über die Sprache des aktuellen politischen Mainstreams.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2024Flapsige Gravitas
Habeck, Passmann, Böhmermann:
Wie redet die politische Mitte?
„Ja, ja, ich war Teil des Problems.“ Das erklärte die umtriebige Autorin und Moderatorin Sophie Passmann vor zwei Jahren, als sie sich nach einer Kontroverse reumütig von Twitter (heute X) zurückzog. Dieser Satz könnte auch als Überschrift dienen dafür, wie heute öffentliche Personen mit ihrer eigenen Rhetorik umgehen. In dem Buch „Politische Redeweisen“, das der Soziologe Julian Müller und die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville jetzt zur Diskussion stellen, taucht diese Beobachtung immer wieder auf: Zum einen zwingt der Kampf um Aufmerksamkeit dazu, auf vielen Kanälen forsch aufzutreten. Zum anderen aber verbinden die forsch Sprechenden dies immer öfter damit, dass sie sich demonstrativ selbst thematisieren und problematisieren.
Zur „neuen kommunikativen Unübersichtlichkeit“, die das Buch in essayistischen Fallstudien auf den Begriff bringen will, gehören allerlei „Kopplungen von an sich Widersprüchlichem oder Unpassendem“. (Zum „geschwätzigen Rückzug“ aus sozialen Netzwerken, wie Séville und Müller das nennen, wäre dann entsprechend noch nachzutragen: Heute teilt Sophie Passmann zum Beispiel mal „nur kurz paar Pics“ von sich selber auf Instagram und bedient dort 422 000 Follower.)
Unbestrittener Meister der „flapsigen Gravitas“ ist Robert Habeck. Auch er ist ein Twitter-Aussteiger und inzwischen Instagram-Virtuose, mal staatstragend, mal superoffen – und oft beides auf einmal. Séville und Müller hatten zuvor einen Essay in der Zeitschrift Merkur über Habecks Politikstil veröffentlicht, sein „selbstkritisches Kämpfen“, sein ständiges „persönliches Ringen um den richtigen Tonfall“; das war der Ausgangspunkt für das Buch.
Unter veränderten medialen Bedingungen folgt die Habeck-Methode eigentlich einem alten Topos der Rhetorik zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit: Ich habe etwas zu sagen, aber ich will keine großen, leeren Worte machen. Mir geht es ja nur um die Sache… Und Politiker mussten ja immer schon zu verschiedenen Anlässen in verschiedenen Tonlagen sprechen. Und doch hat sich etwas verändert, so Séville und Müller: „Heute allerdings scheinen diese Räume viel weniger leicht abgrenzbar zu sein.“ High und low greifen ineinander, Bundestagsreden und Videoschnipsel, Stimmungen und Grundsätzliches; man muss die Register gleichzeitig bedienen. „In der zunehmend unter Beschuss stehenden Mitte“, die die beiden Autoren besonders unter die Lupe nehmen, beobachten sie – wenig überraschend vielleicht, aber doch präzise herausgearbeitet – eine wachsende Bereitschaft, Inhalte durch Persönliches, durch individuelle Erfahrungen zu beglaubigen. So wie auch Robert Habeck oft von erhellenden Erlebnissen ausgeht, so wird die alte Anforderung der Rhetorik, das Allgemeine an Exempeln zu zeigen, heute durch Autofiktionalität bedient. Und für universale Werte wie Toleranz plädiert man heute gern als „Fürsprecher des eigenen Lebens“, schreiben Séville und Müller. Auch in bestimmten Konversionserzählungen eines „erweckten Liberalismus“, die sie anhand von Büchern einiger Journalisten analysieren (Ijoma Mangold, Rainer Hank), werde „der eigene zurückgelegte Weg selbst zu einem Argument“.
Und so beschaut Sévilles und Müllers Buch noch weitere kommunikative „Hybridwesen“, die die gegenwärtige Kultur hervorbringt – etwa finden sie bei Jan Böhmermann und Lars Eidinger ganz treffend eine Redeweise um sich greifen, „bei der durchaus konventionelle und in hohem Maße zustimmungsfähige Ansichten immer häufiger im Modus des Exzentrischen und Provokativen auftreten“.
Auch wenn sich das mit den „paradoxalen Kopplungen“ hier und da mal etwas bemüht originell liest, insgesamt lässt man sich von Astrid Séville und Julian Müller sehr gern sensibel machen für neue Redeweisen der „Mitte“ – es ist ja gut, wichtig und interessant, sie genau zu untersuchen, demokratisch und ästhetisch gleichermaßen, und nicht immer nur den Sprech der Radikalisierung. Allerdings könnte man auch beklagen, die Kommunikationsfixierung unserer Zeit („Der Kanzler muss besser kommunizieren“) werde durch solche Untersuchungen nur noch einmal dupliziert. Aber damit muss jeder leben, der sich mit Rhetorik beschäftigt: „Ja, ja, ich bin Teil des Problems.“
JOHAN SCHLOEMANN
Astrid Séville,
Julian Müller:
Politische Redeweisen. Mohr Siebeck,
Tübingen 2014.
121 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Habeck, Passmann, Böhmermann:
Wie redet die politische Mitte?
„Ja, ja, ich war Teil des Problems.“ Das erklärte die umtriebige Autorin und Moderatorin Sophie Passmann vor zwei Jahren, als sie sich nach einer Kontroverse reumütig von Twitter (heute X) zurückzog. Dieser Satz könnte auch als Überschrift dienen dafür, wie heute öffentliche Personen mit ihrer eigenen Rhetorik umgehen. In dem Buch „Politische Redeweisen“, das der Soziologe Julian Müller und die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville jetzt zur Diskussion stellen, taucht diese Beobachtung immer wieder auf: Zum einen zwingt der Kampf um Aufmerksamkeit dazu, auf vielen Kanälen forsch aufzutreten. Zum anderen aber verbinden die forsch Sprechenden dies immer öfter damit, dass sie sich demonstrativ selbst thematisieren und problematisieren.
Zur „neuen kommunikativen Unübersichtlichkeit“, die das Buch in essayistischen Fallstudien auf den Begriff bringen will, gehören allerlei „Kopplungen von an sich Widersprüchlichem oder Unpassendem“. (Zum „geschwätzigen Rückzug“ aus sozialen Netzwerken, wie Séville und Müller das nennen, wäre dann entsprechend noch nachzutragen: Heute teilt Sophie Passmann zum Beispiel mal „nur kurz paar Pics“ von sich selber auf Instagram und bedient dort 422 000 Follower.)
Unbestrittener Meister der „flapsigen Gravitas“ ist Robert Habeck. Auch er ist ein Twitter-Aussteiger und inzwischen Instagram-Virtuose, mal staatstragend, mal superoffen – und oft beides auf einmal. Séville und Müller hatten zuvor einen Essay in der Zeitschrift Merkur über Habecks Politikstil veröffentlicht, sein „selbstkritisches Kämpfen“, sein ständiges „persönliches Ringen um den richtigen Tonfall“; das war der Ausgangspunkt für das Buch.
Unter veränderten medialen Bedingungen folgt die Habeck-Methode eigentlich einem alten Topos der Rhetorik zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit: Ich habe etwas zu sagen, aber ich will keine großen, leeren Worte machen. Mir geht es ja nur um die Sache… Und Politiker mussten ja immer schon zu verschiedenen Anlässen in verschiedenen Tonlagen sprechen. Und doch hat sich etwas verändert, so Séville und Müller: „Heute allerdings scheinen diese Räume viel weniger leicht abgrenzbar zu sein.“ High und low greifen ineinander, Bundestagsreden und Videoschnipsel, Stimmungen und Grundsätzliches; man muss die Register gleichzeitig bedienen. „In der zunehmend unter Beschuss stehenden Mitte“, die die beiden Autoren besonders unter die Lupe nehmen, beobachten sie – wenig überraschend vielleicht, aber doch präzise herausgearbeitet – eine wachsende Bereitschaft, Inhalte durch Persönliches, durch individuelle Erfahrungen zu beglaubigen. So wie auch Robert Habeck oft von erhellenden Erlebnissen ausgeht, so wird die alte Anforderung der Rhetorik, das Allgemeine an Exempeln zu zeigen, heute durch Autofiktionalität bedient. Und für universale Werte wie Toleranz plädiert man heute gern als „Fürsprecher des eigenen Lebens“, schreiben Séville und Müller. Auch in bestimmten Konversionserzählungen eines „erweckten Liberalismus“, die sie anhand von Büchern einiger Journalisten analysieren (Ijoma Mangold, Rainer Hank), werde „der eigene zurückgelegte Weg selbst zu einem Argument“.
Und so beschaut Sévilles und Müllers Buch noch weitere kommunikative „Hybridwesen“, die die gegenwärtige Kultur hervorbringt – etwa finden sie bei Jan Böhmermann und Lars Eidinger ganz treffend eine Redeweise um sich greifen, „bei der durchaus konventionelle und in hohem Maße zustimmungsfähige Ansichten immer häufiger im Modus des Exzentrischen und Provokativen auftreten“.
Auch wenn sich das mit den „paradoxalen Kopplungen“ hier und da mal etwas bemüht originell liest, insgesamt lässt man sich von Astrid Séville und Julian Müller sehr gern sensibel machen für neue Redeweisen der „Mitte“ – es ist ja gut, wichtig und interessant, sie genau zu untersuchen, demokratisch und ästhetisch gleichermaßen, und nicht immer nur den Sprech der Radikalisierung. Allerdings könnte man auch beklagen, die Kommunikationsfixierung unserer Zeit („Der Kanzler muss besser kommunizieren“) werde durch solche Untersuchungen nur noch einmal dupliziert. Aber damit muss jeder leben, der sich mit Rhetorik beschäftigt: „Ja, ja, ich bin Teil des Problems.“
JOHAN SCHLOEMANN
Astrid Séville,
Julian Müller:
Politische Redeweisen. Mohr Siebeck,
Tübingen 2014.
121 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de