Produktdetails
- Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus - Wissenschaftliche Reihe Bd.5
- Verlag: DVA
- Seitenzahl: 431
- Deutsch
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 480g
- ISBN-13: 9783421057938
- ISBN-10: 3421057931
- Artikelnr.: 11835992
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003Recht auf Irrtum?
Der Untersuchungsausschuß von 1947 / Von Eberhard Kolb
Maier contra Maier" tönte um die Jahreswende 1946/47 in Stuttgart der publizistische Schlachtruf. Der eine Maier - Franz Karl mit Vornamen - war Mitherausgeber der "Stuttgarter Zeitung" und zugleich öffentlicher Ankläger bei der Spruchkammer. Er veröffentlichte Ende November 1946 einen polemischen Leitartikel, in dem er Reinhold Maier (FDP), den Ministerpräsidenten des Landes Württemberg-Baden, beschuldigte, er habe als Reichstagsabgeordneter der Deutschen Staatspartei im März 1933 durch seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz einen Beitrag zur Ermöglichung von Hitlers Diktatur geleistet. Auch ein weiteres Mitglied des Kabinetts, Kultusminister Wilhelm Simpfendörfer (CDU), sowie mehrere Landtagsmitglieder, die im März dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatten, wurden attackiert. Im Januar 1947 startete Franz Karl Maier seine nächste Aktion: Als öffentlicher Ankläger reichte er bei der Spruchkammer Stuttgart Klageschriften gegen Reinhold Maier ("Belasteter") und Wilhelm Simpfendörfer ("Hauptschuldiger") ein. Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident, 1933 ebenfalls ein "Jasager", beschimpfte daraufhin Franz Karl Maier als den "Robespierre von Ochsenhausen".
Um der für die betroffenen Regierungs- und Landtagsmitglieder prekären Situation zu begegnen, setzte der Landtag einen zehnköpfigen Untersuchungsausschuß ein, der vom 5. Februar bis zum 27. März 1947 tagte. Er suchte zu klären, weshalb die Betroffenen, damals Reichstagsabgeordnete von Zentrum, Deutscher Staatspartei und Christlich-Sozialem Volksdienst, dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und damit die Gesetzgebung an die Hitler-Regierung ausgeliefert hatten. Die sechs Ausschußmitglieder von CDU und FDP brachten den "Jasagern" viel Verständnis entgegen und billigten ihnen ohne Einschränkung das Recht auf politischen Irrtum zu. Die Minderheit (drei Sozialdemokraten und ein Kommunist) sah zwar von scharfer Verurteilung ab, bewertete aber das Verhalten der "Jasager" kritisch. Vor allem Alex Möller, der spätere Bundesfinanzminister, argumentierte scharfzüngig.
Als der Ausschußvorsitzende - er gehörte der FDP an - den Entwurf seines Berichtes vorlegte, kam es zu scharfen Auseinandersetzungen. Mit Mühe einigte man sich schließlich auf einen gemeinsamen Bericht, der nur an einzelnen Stellen die unterschiedlichen Positionen von Mehrheit und Minderheit fixierte. Über diesen Abschlußbericht, der auf eine Entlastung der beschuldigten Politiker hinauslief, debattierte der Landtag am 2. April 1947. Das Spruchkammerverfahren gegen Reinhold Maier und Theodor Heuss wurde bald darauf eingestellt, hingegen wurde Wilhelm Simpfendörfer in die Gruppe der "Minderbelasteten" eingereiht und verlor sein Ministeramt. Doch das Berufungsverfahren endete mit der Feststellung "nicht betroffen"; von 1953 bis 1958 war er wieder Kultusminister.
Die Edition bietet den Protokolltext der acht Ausschußsitzungen sowie den Bericht des Ausschusses an den Landtag. Leider ist das Protokoll der stürmischen Landtagssitzung vom 2. April nicht aufgenommen worden. Der Band sorgt für eine spannende Lektüre, denn es handelt sich bei der Arbeit dieses Untersuchungsausschusses um einen frühen - allerdings nicht übermäßig geglückten - Akt der Vergangenheitsbewältigung in der Nachkriegszeit. Mit dem zugebilligten Recht auf politischen Irrtum wurde ein Deutungsmuster artikuliert, das gegenüber der eigenen Verantwortung für den Erfolg des Nationalsozialismus in Deutschland immunisierte.
Ernst Wolfgang Becker / Thomas Rösslein (Herausgeber): Politischer Irrtum im Zeugenstand. Der Untersuchungsausschuß des württembergisch-badischen Landtags 1947 zum "Ermächtigungsgesetz" vom 23. März 1933. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003. 431 Seiten, 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Untersuchungsausschuß von 1947 / Von Eberhard Kolb
Maier contra Maier" tönte um die Jahreswende 1946/47 in Stuttgart der publizistische Schlachtruf. Der eine Maier - Franz Karl mit Vornamen - war Mitherausgeber der "Stuttgarter Zeitung" und zugleich öffentlicher Ankläger bei der Spruchkammer. Er veröffentlichte Ende November 1946 einen polemischen Leitartikel, in dem er Reinhold Maier (FDP), den Ministerpräsidenten des Landes Württemberg-Baden, beschuldigte, er habe als Reichstagsabgeordneter der Deutschen Staatspartei im März 1933 durch seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz einen Beitrag zur Ermöglichung von Hitlers Diktatur geleistet. Auch ein weiteres Mitglied des Kabinetts, Kultusminister Wilhelm Simpfendörfer (CDU), sowie mehrere Landtagsmitglieder, die im März dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatten, wurden attackiert. Im Januar 1947 startete Franz Karl Maier seine nächste Aktion: Als öffentlicher Ankläger reichte er bei der Spruchkammer Stuttgart Klageschriften gegen Reinhold Maier ("Belasteter") und Wilhelm Simpfendörfer ("Hauptschuldiger") ein. Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident, 1933 ebenfalls ein "Jasager", beschimpfte daraufhin Franz Karl Maier als den "Robespierre von Ochsenhausen".
Um der für die betroffenen Regierungs- und Landtagsmitglieder prekären Situation zu begegnen, setzte der Landtag einen zehnköpfigen Untersuchungsausschuß ein, der vom 5. Februar bis zum 27. März 1947 tagte. Er suchte zu klären, weshalb die Betroffenen, damals Reichstagsabgeordnete von Zentrum, Deutscher Staatspartei und Christlich-Sozialem Volksdienst, dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und damit die Gesetzgebung an die Hitler-Regierung ausgeliefert hatten. Die sechs Ausschußmitglieder von CDU und FDP brachten den "Jasagern" viel Verständnis entgegen und billigten ihnen ohne Einschränkung das Recht auf politischen Irrtum zu. Die Minderheit (drei Sozialdemokraten und ein Kommunist) sah zwar von scharfer Verurteilung ab, bewertete aber das Verhalten der "Jasager" kritisch. Vor allem Alex Möller, der spätere Bundesfinanzminister, argumentierte scharfzüngig.
Als der Ausschußvorsitzende - er gehörte der FDP an - den Entwurf seines Berichtes vorlegte, kam es zu scharfen Auseinandersetzungen. Mit Mühe einigte man sich schließlich auf einen gemeinsamen Bericht, der nur an einzelnen Stellen die unterschiedlichen Positionen von Mehrheit und Minderheit fixierte. Über diesen Abschlußbericht, der auf eine Entlastung der beschuldigten Politiker hinauslief, debattierte der Landtag am 2. April 1947. Das Spruchkammerverfahren gegen Reinhold Maier und Theodor Heuss wurde bald darauf eingestellt, hingegen wurde Wilhelm Simpfendörfer in die Gruppe der "Minderbelasteten" eingereiht und verlor sein Ministeramt. Doch das Berufungsverfahren endete mit der Feststellung "nicht betroffen"; von 1953 bis 1958 war er wieder Kultusminister.
Die Edition bietet den Protokolltext der acht Ausschußsitzungen sowie den Bericht des Ausschusses an den Landtag. Leider ist das Protokoll der stürmischen Landtagssitzung vom 2. April nicht aufgenommen worden. Der Band sorgt für eine spannende Lektüre, denn es handelt sich bei der Arbeit dieses Untersuchungsausschusses um einen frühen - allerdings nicht übermäßig geglückten - Akt der Vergangenheitsbewältigung in der Nachkriegszeit. Mit dem zugebilligten Recht auf politischen Irrtum wurde ein Deutungsmuster artikuliert, das gegenüber der eigenen Verantwortung für den Erfolg des Nationalsozialismus in Deutschland immunisierte.
Ernst Wolfgang Becker / Thomas Rösslein (Herausgeber): Politischer Irrtum im Zeugenstand. Der Untersuchungsausschuß des württembergisch-badischen Landtags 1947 zum "Ermächtigungsgesetz" vom 23. März 1933. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003. 431 Seiten, 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
1947 setzte der Landtag des Landes Württemberg-Baden einen Untersuchungsausschuss ein, der klären sollte, weshalb eine Reihe von Regierungs- und Landtagsmitgliedern - darunter der damalige Ministerpräsident des Landes, Reinhold Meier (FDP), - 1933 dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und damit die Gesetzgebung an die Hitler-Regierung ausgeliefert hatten, berichtet Rezensent Eberhard Kolb. Der von Ernst Wolfgang Becker und Thomas Rösslein herausgegeben Band "Politischer Irrtum im Zeugenstand" bietet nun den Protokolltext der acht Ausschusssitzungen sowie den Bericht des Ausschusses an den Landtag. Eine nach Ansicht Kolbs Ansicht "spannende Lektüre" - handelt es sich doch um einen frühen, wenn auch "nicht übermäßig geglückten" Versuch von Vergangenheitsbewältigung. Schließlich sei mit dem zugebilligten Recht auf politischen Irrtum ein Deutungsmuster artikuliert worden, schreibt der Rezensent, "das gegenüber der eigenen Verantwortung für den Erfolg des Nationalsozialismus in Deutschland immunisierte."
© Perlentaucher Medien GmbH
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