Der Ton wird aggressiver, auch in der populären Musik: Die Texte werden hasserfüllter, die Musik martialischer. Jens Balzer sieht hier eine klare Parallele zur politischen Debatten-Unkultur. Wie kaum ein anderer seziert der renommierte Popkritiker die Spannungsfelder eines kulturellen Feldes, dessen rhetorische Methoden und gezielt provozierende Haltungen auffallend denen der neuen Populisten ähneln.Zweifellos ist Pop ohne Provokation, ohne das Spiel mit Tabubrüchen nicht vorstellbar. Und diese Freiheit der Kunst darf weder einem moralischen Rigorismus noch politischen Interessen geopfert werden, betont Balzer. Das heißt aber nicht, dass man Verrohung, brutalen Sexismus und explizite Aufrufe zur Gewalt widerspruchslos hinnehmen muss. Vielmehr gilt es, sich über die roten Linien einer jeden Massenkultur zu verständigen.An vielen Beispielen - vom Echo-Skandal bis zur Debatte über »cultural appropriation« im Pop - zeigt Jens Balzer, wie schwierig es geworden ist, zwischen populär und populistisch zu unterscheiden. Und versteht es zugleich, für einen Pop zu begeistern, der mit den Mitteln der Kunst Freiheit und Solidarität feiert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2019Willkommene
Feindbilder
Jens Balzer erklärt, warum der
Pop der Rechten unglamourös ist
Auch in der populären Musik wird der Ton härter. Der Berliner Popkritiker und Essayist Jens Balzer sieht darin eine Parallele zur politischen Debatten-Kultur. In seinem Buch „Pop und Populismus“ bilanziert er, dass der reaktionäre Mainstream deutsche Rapper wie Bushido zu „nützlichen Idioten“ mache. Einerseits würden sie als tabulose und unzivilisierte Sprachrohre seiner Ideologie gebraucht, auf der anderen Seite müssten sie als klischeehafte Feindbilder herhalten. Durch ihre muslimische Prägung und ihre Affinität zur organisierten Kriminalität entsprechen sie eigentlich genau dem Schreckensbild, das der rechte Flügel der Konservativen und die AfD von nichtintegrationswilligen Migranten zeichnen.
Den Gangsterrappern kommen dadurch zwei Bedeutungen zu. Sie sind zum einen die stereotype Verkörperung der vom Populismus beschworenen Gefahr eines gescheiterten Multikulturalismus. Zum anderen sind sie die Protagonisten jenes patriarchalen Männlichkeitsbilds, das im innersten Kreis des populistischen Weltbilds liegt. Sexismus, Misogynie und Homophobie sind zu kaum kritisierten Konstanten im Hip-Hop geworden, der die deutschen Charts seit Jahren prägt. Kollegah und Farid Bang, nach deren Auszeichnung und darauffolgenden Protesten 2018 der Musikpreis Echo eingestellt wurde, fügten sich hier nahtlos ein.
Die Erfolgsgeschichten des Rechtspopulismus und des deutschen Gangsterraps ähnelten sich, so Balzer. Genau wie der Gangsterrap zum prägenden Genre in der deutschen Popmusik aufstieg, so prägt der Rechtspopulismus heute Teile des kulturellen und politischen Diskurses. Balzer sieht allerdings auch eine mentalitätsgeschichtliche Fremdheit von Neuer Rechter und Popkultur, da die sich wesentlich aus Hybridität speise. Das wiederum erkläre, warum die Neue Rechte im Grunde völlig ohne kulturellen Unterbau dastehe. Es gibt im Pop nichts, was nicht konstitutiv auf ein Anderes verweise. Wollten Rechtspopulisten das rigide kulturelle Reinheitsgebot ihrer politischen Ideologie in die Popkultur übertragen, müssten sie sich zwangsläufig in winzige und damit irrelevante musikalische Residuen zurückziehen.
Zu den typischen Mustern der politischen Rhetorik der Rechten gehöre trotzdem etwas, das auch aus Kunst und Pop gut bekannt ist: der strategische Gebrauch von Ambivalenzen sowie das Wechselspiel aus Provokation und Relativierung: „Man sagt etwas, über das sich alle aufregen, und behauptet hinterher, es sei ‚alles nicht so gemeint‘ gewesen.“
Nicht zuletzt wegen der offensichtlichen Wirksamkeit solcher Mittel, hat der Mangel an einer echten Pop-Basis bis auf Weiteres keinen Einfluss auf die Wahlerfolge der Rechtspopulisten. Bevor man aber mal wieder der Faszination für den vermeintlich avantgardistischen Pop-Diskurs der Neuen Rechten erliegt, sollte man sich diesen Mangel in Erinnerung rufen: Der rechte Pop, so Balzer, sei seit jeher maskulinistisch, marginal, unsexy und unglamourös. Plunder, um Parolen zu binden. Nichts Eigenes, Originäres oder gar Ästhetisches.
MAXIMILIAN SENFF
Jens Balzer: Pop und
Populismus. Über Verantwortung in der Musik. Edition Körber, Hamburg 2019.
208 Seiten, 17 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Feindbilder
Jens Balzer erklärt, warum der
Pop der Rechten unglamourös ist
Auch in der populären Musik wird der Ton härter. Der Berliner Popkritiker und Essayist Jens Balzer sieht darin eine Parallele zur politischen Debatten-Kultur. In seinem Buch „Pop und Populismus“ bilanziert er, dass der reaktionäre Mainstream deutsche Rapper wie Bushido zu „nützlichen Idioten“ mache. Einerseits würden sie als tabulose und unzivilisierte Sprachrohre seiner Ideologie gebraucht, auf der anderen Seite müssten sie als klischeehafte Feindbilder herhalten. Durch ihre muslimische Prägung und ihre Affinität zur organisierten Kriminalität entsprechen sie eigentlich genau dem Schreckensbild, das der rechte Flügel der Konservativen und die AfD von nichtintegrationswilligen Migranten zeichnen.
Den Gangsterrappern kommen dadurch zwei Bedeutungen zu. Sie sind zum einen die stereotype Verkörperung der vom Populismus beschworenen Gefahr eines gescheiterten Multikulturalismus. Zum anderen sind sie die Protagonisten jenes patriarchalen Männlichkeitsbilds, das im innersten Kreis des populistischen Weltbilds liegt. Sexismus, Misogynie und Homophobie sind zu kaum kritisierten Konstanten im Hip-Hop geworden, der die deutschen Charts seit Jahren prägt. Kollegah und Farid Bang, nach deren Auszeichnung und darauffolgenden Protesten 2018 der Musikpreis Echo eingestellt wurde, fügten sich hier nahtlos ein.
Die Erfolgsgeschichten des Rechtspopulismus und des deutschen Gangsterraps ähnelten sich, so Balzer. Genau wie der Gangsterrap zum prägenden Genre in der deutschen Popmusik aufstieg, so prägt der Rechtspopulismus heute Teile des kulturellen und politischen Diskurses. Balzer sieht allerdings auch eine mentalitätsgeschichtliche Fremdheit von Neuer Rechter und Popkultur, da die sich wesentlich aus Hybridität speise. Das wiederum erkläre, warum die Neue Rechte im Grunde völlig ohne kulturellen Unterbau dastehe. Es gibt im Pop nichts, was nicht konstitutiv auf ein Anderes verweise. Wollten Rechtspopulisten das rigide kulturelle Reinheitsgebot ihrer politischen Ideologie in die Popkultur übertragen, müssten sie sich zwangsläufig in winzige und damit irrelevante musikalische Residuen zurückziehen.
Zu den typischen Mustern der politischen Rhetorik der Rechten gehöre trotzdem etwas, das auch aus Kunst und Pop gut bekannt ist: der strategische Gebrauch von Ambivalenzen sowie das Wechselspiel aus Provokation und Relativierung: „Man sagt etwas, über das sich alle aufregen, und behauptet hinterher, es sei ‚alles nicht so gemeint‘ gewesen.“
Nicht zuletzt wegen der offensichtlichen Wirksamkeit solcher Mittel, hat der Mangel an einer echten Pop-Basis bis auf Weiteres keinen Einfluss auf die Wahlerfolge der Rechtspopulisten. Bevor man aber mal wieder der Faszination für den vermeintlich avantgardistischen Pop-Diskurs der Neuen Rechten erliegt, sollte man sich diesen Mangel in Erinnerung rufen: Der rechte Pop, so Balzer, sei seit jeher maskulinistisch, marginal, unsexy und unglamourös. Plunder, um Parolen zu binden. Nichts Eigenes, Originäres oder gar Ästhetisches.
MAXIMILIAN SENFF
Jens Balzer: Pop und
Populismus. Über Verantwortung in der Musik. Edition Körber, Hamburg 2019.
208 Seiten, 17 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2019Gut verschanzt hinter der Kunstfreiheit
In der Popmusik sind immer schon politische und soziale Konflikte ausgehandelt worden. Derzeit geschieht das aber härter denn je. Zwei neue Bücher ergründen, warum das so ist.
Zwei Rapper bringen mit antisemitischen Textzeilen einen Musik-Preis zum Kollaps. Eine linke Punkband soll im Bauhaus Dessau auftreten und wird aus Furcht vor rechten Randalen wieder ausgeladen. Eine Südtiroler Band beschwört die Liebe zur Heimat gegen "Gutmenschen und Moralapostel". Einer kanadischen Clubmusikerin wird koloniale Herablassung vorgeworfen, weil sie eine indische Freiheitshymne als Sample benutzt. Eine Organisation ruft zum Boykott eines Berliner Popfestivals auf, weil eine Künstlerin mit staatlicher Unterstützung aus Israel anreist. Ein österreichischer Schlagerstar beklagt die "genderverseuchte Zeit". Und das sind nur Beispiele der letzten drei, vier Jahre.
Eigentlich gilt Popmusik ja als Kunstform jugendlich-sentimentaler Affekte, die sich mit zunehmendem Alter von selbst erledigen. So hartnäckig sich diese Ansicht auch hält, so war es aber noch nie. In der Popmusik wurden immer schon politische und soziale Konflikte ausgehandelt, sexuelle Selbstbestimmung, ethnische Emanzipation, Jung gegen Alt - derzeit geschieht das aber härter denn je. Und mit umgedrehten Vorzeichen. Gleich zwei neue Bücher - das eine, von Jens Balzer, ein ernster Essay, das andere, von Michael Behrendt, ein populäres Kompendium - versuchen deswegen zu ergründen, warum es so gekommen ist. Und was man aus den Skandalen der letzten Zeit lernen kann, falls es mal wieder so kracht wie zuletzt um Andreas Gabalier und Frei.Wild, die Organisation BDS und Feine Sahne Fischfilet - und um die Rapper Kollegah und Farid Bang.
Deren Album "Jung, brutal und gutaussehend 3" war im vergangenen Jahr mit dem "Echo" ausgezeichnet worden, obwohl die beiden Rapper darauf Holocaust-Opfer verhöhnen - und sich eine spät aufmerksam gewordene Öffentlichkeit heftig erregte. Diesem Vorgang widmen sich beide neuen Bücher ausgiebig: Der Berliner Journalist Jens Balzer denkt in seinem Essay "Pop und Populismus" über "Verantwortung in der Musik" nach und fordert seine Zunft - das Feuilleton samt assoziierter Popkritik - zu genauerem Hinsehen und größerer Fachkenntnis auf. Michael Behrendt wiederum, promoviert über Rocklyrik und früherer Chefredakteur Frankfurter Stadtmagazine, zählt in "Provokation!" umstrittene Songs der letzten hundert Jahre auf, von Claire Waldoff bis Conchita Wurst. Er historisiert das Phänomen sozusagen, wenn auch in griffigen Formeln - und liefert abschließend eine Art Ratgeber im Umgang mit Popmusik, falls die zum Skandal wird wie im Fall von Kollegah und Farid Bang und dem "Echo".
Es war ein einschneidendes Ereignis in der jüngeren Geschichte der deutschen Popmusik. Am Ende wollte niemand es gewesen sein oder die Veranwortung dafür übernehmen, dass hier ein antisemitischer Rap ausgezeichnet wurde. Der "Echo", ein Preis, der nach Absatz vergeben wird und trotz "Ethikrat" und öffentlicher Beteuerungen keine Haltung erkennen lässt: Was bleibt, ist die Erinnerung an zwei feixende Rapper, die ihre Preisverleihung vor laufender Kamera als Triumph und abermalige Verhöhnung all jener inszenieren, die sich daran stießen.
"Im Pop spiegelt sich die politische Gegenwart der gesellschaftlichen Polarisierung", stellt Balzer fest. Die Skandale der letzten Zeit folgen zu genau den Konfliktlinien der Gegenwart: Populismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus. Balzer führt, als ähnlich umstrittenes Feld, aber auch die Identitätspolitik an, deren Akteure sich ja eigentlich gegen jene Zuschreibungen zur Wehr setzen, welche in Rassismus und Sexismus ihren Ausdruck finden. Was wiederum, unter dem Begriff der "kulturellen Appropriation", zu heftigen Auseinandersetzungen geführt hat: Wer darf wessen Lieder singen? Melodien zitieren? Stile, Muster, Farben tragen?
"Ohne die grenzenlose Zirkulation von Zeichen und die Vermischung von kulturellen Traditionen ist Pop nicht denkbar", konstatiert Balzer, der sich daher mit der Identitätspolitik nicht anfreunden will. Weil sie fixiere, was beweglich bleiben müsse. Weil im Sample, in der Umcodierung und Neusortierung vorhandener Stile und Traditionen immer neue emanzipatorische Kräfte freigesetzt würden. Weil die Identitätspolitik "kulturelle Identität" über künstlerische "Transformation" stelle: Wie im Fall der französischen Produzentin Ramzi, die Sounds unterschiedlichster Ethnien und Traditionen kompilierte - was ihr im Frühjahr dieses Jahres als "koloniale Ausbeutung" zum Vorwurf gemacht wurde. Sie zog ihre Platte zurück.
"Es gibt im Pop nichts Eigenes, was nicht konstitutiv auf ein Anderes verweist", schreibt Balzer. Weswegen ein identitätspolitischer Eingriff gegen das Zitieren und Dekontextualisieren verkenne, was die Popmusik im Kern auszeichne: Sie ist das ästhetische Labor sozialer Utopie.
Dass sich die Stilmittel dieser "Hybridität" (Balzer) wie Zitat, Kostümierung oder Rekombination aber auch vereinnahmen lassen, um das komplette Gegenteil eines sozialen Friedens zu stiften, ist die prägende Erfahrung der vergangenen Jahre. Rapper wie Bushido, Kollegah und Farid Bang können ihre sexistischen, homophoben und antisemitischen Zeilen und Auftritte zur Pose erklären und sich selbst zu Kunstfiguren sublimierter Affekte, sie können sich also hinter einer Kunstfreiheit verschanzen, die im Zweifel ja alle nur schützen wollen. Wer wollte denn wie entscheiden, ob ein antisemitischer, homophober, frauenfeindlicher "Diss" keine Rollenprosa ist?
Behrendt reagiert auf diese komplexe Lage mit der kategoriellen Unterscheidung von "Urheber-Ich" und "Song-Ich" als Ausgangspunkt aller Analyse - welche allerdings immer auch mit einkalkulieren sollte, dass Uneigentlichkeit bewusst zum Tabubruch eingesetzt werden kann. Rapper wie Kritiker haben, gerade im Fall Kollegah und Farid Bang, sich vor allem auf die Gesetze des Battle-Raps berufen, der die Eskalation widerlichster Beschimpfungen sozusagen sportlich sieht: Der Hass verbleibt symbolisch im klar eingezirkelten Format, konstituiert das Format überhaupt, reicht allerdings auch nicht über das Format in die wirkliche Welt hinaus.
Balzer hat da stärkste Zweifel. Er erkennt in der (symbolischen) Grenzüberschreitung zwar die Regeln des Business im Hiphop wieder - aber zugleich eben auch eine Strategie gegen den politisch korrekten Konsens einer auf Versöhnung angelegten bürgerlichen Gesellschaft. Und so zieht er eine Linie vom frauenverachtenden Straßenrap des frühen Bushido zu AfD, Pegida und Identitärer Bewegung von heute: "Die Aggro-Berlin-Rapper sowie später Kollegah und Farid Bang sind nützliche Idioten eines neuen reaktionären Mainstreams", schreibt Balzer: "So bildet der Gangsta-Rap in den nuller Jahren gewissermaßen ein Ghetto und ein Laboratorium der politischen Inkorrektheit von rechts; er bietet einen klar umgrenzten Freiraum, indem reaktionäre Fantasien, Haltungen und Vokabulare ausprobiert werden können."
Und so wie sich die Vertreter der Neuen Rechten zum Opfer von "Lügenpresse" und linksgrün-versiffter Propaganda stilisieren, wenn sie bei der Verbreitung revisionistischer Ungeheuerlichkeiten (Gaulands "Vogelschiss", Höckes "Denkmal der Schande") gestellt werden, so erklären sich Bushido, Kollegah und Farid Bang, aber eben auch die Aktivisten der anti-israelischen Boykottorganisation BDS ständig zu Opfern: von Missverständnissen, bösen Unterstellungen, Propaganda. Alles nicht so gemeint, alles falsch verstanden, aber dann doch wieder nachgelegt: "Dieser Zweischritt aus Aggression und Viktimisierung ähnelt ohne Frage den Strategien der deutschen Rechtspopulisten", so Balzer. Auf jeden Übertritt, welcher die Grenzen des Sagbaren und des Anstands weiter dehnt, folgt der Rückzug in die Defensive - und daraufhin schnell der nächste, noch größere Schritt über die Grenzen hinweg. So wird der Diskurs verlagert, so wird Politik gemacht.
Was hilft? Hinzuschauen. Vorbereitet zu sein. Und sich auch für solche Genres zu interessieren, die jenseits eigener Geschmacksgrenzen liegen. Was in der Popkritik - einer ganz eigenen Hölle der Distinktionsbedürfnisse - nicht allen liegt. Michael Behrendt denkt am Ende seines Kompendiums über einen "Wächterpreis der Musikpresse" nach: "Was, wenn auch die Musikpresse jenseits von ,Spex' & Co häufiger als bisher nicht nur über die tollsten, coolsten, spektakulärsten Bands und Interpreten berichten würde, sondern auch über grenzwertige Künstler, antidemokratische Subkulturen, problematische kulturelle Strömungen?" Und auch Balzer fordert: "Die Popkritik muss wach sein." Er stellt das zugleich selbst unter Beweis, indem er in seinem Buch nicht nur den kalkulierten oder ideologischen Tabubruch in der Popmusik abhandelt, sondern auch zeigt, wie sensibel und komplex sie dazu imstande ist, eine ambivalente Form für sexuelle und ethnische Selbstbestimmung zu finden.
Also trtfft in Balzers Buch der Holz-vor-der-Hütten-Sänger Gabalier, der lautstark die "Genderverseuchung" beklagt, auf genderfluide Genies wie Planningtorock oder die Sängerin Anohni, die trans ist und deren Werke sich aus permanenter Selbstbefragung und der Dekonstruktion aller Zuschreibungen speisen. Balzer stellt fest, dass sich die Vertreter der Neuen Rechten zwar politisch bei den ambivalenten Methoden der kalkulierten Mehrdeutigkeit und des Tabubruchs bedienen, wie sie für die Popmusik typisch sind: Die Szene aber bleibe trotzdem die "erste Popkultur ohne Popmusik", ohne Stars, ohne Soundtracks, ohne Konzerte. Kein Woodstock auf den Ziegenwiesen von Schnellroda: Böse Menschen haben offenbar immer noch keine Lieder.
TOBIAS RÜTHER
Jens Balzer:
"Pop und Populismus". Über Verantwortung
in der Musik.
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2019. 208 S., geb., 17,- [Euro].
Michael Behrendt:
"Provokation!" Songs,
die für Zündstoff sorgten.
wbg/Theiss, Darmstadt 2019. 296 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der Popmusik sind immer schon politische und soziale Konflikte ausgehandelt worden. Derzeit geschieht das aber härter denn je. Zwei neue Bücher ergründen, warum das so ist.
Zwei Rapper bringen mit antisemitischen Textzeilen einen Musik-Preis zum Kollaps. Eine linke Punkband soll im Bauhaus Dessau auftreten und wird aus Furcht vor rechten Randalen wieder ausgeladen. Eine Südtiroler Band beschwört die Liebe zur Heimat gegen "Gutmenschen und Moralapostel". Einer kanadischen Clubmusikerin wird koloniale Herablassung vorgeworfen, weil sie eine indische Freiheitshymne als Sample benutzt. Eine Organisation ruft zum Boykott eines Berliner Popfestivals auf, weil eine Künstlerin mit staatlicher Unterstützung aus Israel anreist. Ein österreichischer Schlagerstar beklagt die "genderverseuchte Zeit". Und das sind nur Beispiele der letzten drei, vier Jahre.
Eigentlich gilt Popmusik ja als Kunstform jugendlich-sentimentaler Affekte, die sich mit zunehmendem Alter von selbst erledigen. So hartnäckig sich diese Ansicht auch hält, so war es aber noch nie. In der Popmusik wurden immer schon politische und soziale Konflikte ausgehandelt, sexuelle Selbstbestimmung, ethnische Emanzipation, Jung gegen Alt - derzeit geschieht das aber härter denn je. Und mit umgedrehten Vorzeichen. Gleich zwei neue Bücher - das eine, von Jens Balzer, ein ernster Essay, das andere, von Michael Behrendt, ein populäres Kompendium - versuchen deswegen zu ergründen, warum es so gekommen ist. Und was man aus den Skandalen der letzten Zeit lernen kann, falls es mal wieder so kracht wie zuletzt um Andreas Gabalier und Frei.Wild, die Organisation BDS und Feine Sahne Fischfilet - und um die Rapper Kollegah und Farid Bang.
Deren Album "Jung, brutal und gutaussehend 3" war im vergangenen Jahr mit dem "Echo" ausgezeichnet worden, obwohl die beiden Rapper darauf Holocaust-Opfer verhöhnen - und sich eine spät aufmerksam gewordene Öffentlichkeit heftig erregte. Diesem Vorgang widmen sich beide neuen Bücher ausgiebig: Der Berliner Journalist Jens Balzer denkt in seinem Essay "Pop und Populismus" über "Verantwortung in der Musik" nach und fordert seine Zunft - das Feuilleton samt assoziierter Popkritik - zu genauerem Hinsehen und größerer Fachkenntnis auf. Michael Behrendt wiederum, promoviert über Rocklyrik und früherer Chefredakteur Frankfurter Stadtmagazine, zählt in "Provokation!" umstrittene Songs der letzten hundert Jahre auf, von Claire Waldoff bis Conchita Wurst. Er historisiert das Phänomen sozusagen, wenn auch in griffigen Formeln - und liefert abschließend eine Art Ratgeber im Umgang mit Popmusik, falls die zum Skandal wird wie im Fall von Kollegah und Farid Bang und dem "Echo".
Es war ein einschneidendes Ereignis in der jüngeren Geschichte der deutschen Popmusik. Am Ende wollte niemand es gewesen sein oder die Veranwortung dafür übernehmen, dass hier ein antisemitischer Rap ausgezeichnet wurde. Der "Echo", ein Preis, der nach Absatz vergeben wird und trotz "Ethikrat" und öffentlicher Beteuerungen keine Haltung erkennen lässt: Was bleibt, ist die Erinnerung an zwei feixende Rapper, die ihre Preisverleihung vor laufender Kamera als Triumph und abermalige Verhöhnung all jener inszenieren, die sich daran stießen.
"Im Pop spiegelt sich die politische Gegenwart der gesellschaftlichen Polarisierung", stellt Balzer fest. Die Skandale der letzten Zeit folgen zu genau den Konfliktlinien der Gegenwart: Populismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus. Balzer führt, als ähnlich umstrittenes Feld, aber auch die Identitätspolitik an, deren Akteure sich ja eigentlich gegen jene Zuschreibungen zur Wehr setzen, welche in Rassismus und Sexismus ihren Ausdruck finden. Was wiederum, unter dem Begriff der "kulturellen Appropriation", zu heftigen Auseinandersetzungen geführt hat: Wer darf wessen Lieder singen? Melodien zitieren? Stile, Muster, Farben tragen?
"Ohne die grenzenlose Zirkulation von Zeichen und die Vermischung von kulturellen Traditionen ist Pop nicht denkbar", konstatiert Balzer, der sich daher mit der Identitätspolitik nicht anfreunden will. Weil sie fixiere, was beweglich bleiben müsse. Weil im Sample, in der Umcodierung und Neusortierung vorhandener Stile und Traditionen immer neue emanzipatorische Kräfte freigesetzt würden. Weil die Identitätspolitik "kulturelle Identität" über künstlerische "Transformation" stelle: Wie im Fall der französischen Produzentin Ramzi, die Sounds unterschiedlichster Ethnien und Traditionen kompilierte - was ihr im Frühjahr dieses Jahres als "koloniale Ausbeutung" zum Vorwurf gemacht wurde. Sie zog ihre Platte zurück.
"Es gibt im Pop nichts Eigenes, was nicht konstitutiv auf ein Anderes verweist", schreibt Balzer. Weswegen ein identitätspolitischer Eingriff gegen das Zitieren und Dekontextualisieren verkenne, was die Popmusik im Kern auszeichne: Sie ist das ästhetische Labor sozialer Utopie.
Dass sich die Stilmittel dieser "Hybridität" (Balzer) wie Zitat, Kostümierung oder Rekombination aber auch vereinnahmen lassen, um das komplette Gegenteil eines sozialen Friedens zu stiften, ist die prägende Erfahrung der vergangenen Jahre. Rapper wie Bushido, Kollegah und Farid Bang können ihre sexistischen, homophoben und antisemitischen Zeilen und Auftritte zur Pose erklären und sich selbst zu Kunstfiguren sublimierter Affekte, sie können sich also hinter einer Kunstfreiheit verschanzen, die im Zweifel ja alle nur schützen wollen. Wer wollte denn wie entscheiden, ob ein antisemitischer, homophober, frauenfeindlicher "Diss" keine Rollenprosa ist?
Behrendt reagiert auf diese komplexe Lage mit der kategoriellen Unterscheidung von "Urheber-Ich" und "Song-Ich" als Ausgangspunkt aller Analyse - welche allerdings immer auch mit einkalkulieren sollte, dass Uneigentlichkeit bewusst zum Tabubruch eingesetzt werden kann. Rapper wie Kritiker haben, gerade im Fall Kollegah und Farid Bang, sich vor allem auf die Gesetze des Battle-Raps berufen, der die Eskalation widerlichster Beschimpfungen sozusagen sportlich sieht: Der Hass verbleibt symbolisch im klar eingezirkelten Format, konstituiert das Format überhaupt, reicht allerdings auch nicht über das Format in die wirkliche Welt hinaus.
Balzer hat da stärkste Zweifel. Er erkennt in der (symbolischen) Grenzüberschreitung zwar die Regeln des Business im Hiphop wieder - aber zugleich eben auch eine Strategie gegen den politisch korrekten Konsens einer auf Versöhnung angelegten bürgerlichen Gesellschaft. Und so zieht er eine Linie vom frauenverachtenden Straßenrap des frühen Bushido zu AfD, Pegida und Identitärer Bewegung von heute: "Die Aggro-Berlin-Rapper sowie später Kollegah und Farid Bang sind nützliche Idioten eines neuen reaktionären Mainstreams", schreibt Balzer: "So bildet der Gangsta-Rap in den nuller Jahren gewissermaßen ein Ghetto und ein Laboratorium der politischen Inkorrektheit von rechts; er bietet einen klar umgrenzten Freiraum, indem reaktionäre Fantasien, Haltungen und Vokabulare ausprobiert werden können."
Und so wie sich die Vertreter der Neuen Rechten zum Opfer von "Lügenpresse" und linksgrün-versiffter Propaganda stilisieren, wenn sie bei der Verbreitung revisionistischer Ungeheuerlichkeiten (Gaulands "Vogelschiss", Höckes "Denkmal der Schande") gestellt werden, so erklären sich Bushido, Kollegah und Farid Bang, aber eben auch die Aktivisten der anti-israelischen Boykottorganisation BDS ständig zu Opfern: von Missverständnissen, bösen Unterstellungen, Propaganda. Alles nicht so gemeint, alles falsch verstanden, aber dann doch wieder nachgelegt: "Dieser Zweischritt aus Aggression und Viktimisierung ähnelt ohne Frage den Strategien der deutschen Rechtspopulisten", so Balzer. Auf jeden Übertritt, welcher die Grenzen des Sagbaren und des Anstands weiter dehnt, folgt der Rückzug in die Defensive - und daraufhin schnell der nächste, noch größere Schritt über die Grenzen hinweg. So wird der Diskurs verlagert, so wird Politik gemacht.
Was hilft? Hinzuschauen. Vorbereitet zu sein. Und sich auch für solche Genres zu interessieren, die jenseits eigener Geschmacksgrenzen liegen. Was in der Popkritik - einer ganz eigenen Hölle der Distinktionsbedürfnisse - nicht allen liegt. Michael Behrendt denkt am Ende seines Kompendiums über einen "Wächterpreis der Musikpresse" nach: "Was, wenn auch die Musikpresse jenseits von ,Spex' & Co häufiger als bisher nicht nur über die tollsten, coolsten, spektakulärsten Bands und Interpreten berichten würde, sondern auch über grenzwertige Künstler, antidemokratische Subkulturen, problematische kulturelle Strömungen?" Und auch Balzer fordert: "Die Popkritik muss wach sein." Er stellt das zugleich selbst unter Beweis, indem er in seinem Buch nicht nur den kalkulierten oder ideologischen Tabubruch in der Popmusik abhandelt, sondern auch zeigt, wie sensibel und komplex sie dazu imstande ist, eine ambivalente Form für sexuelle und ethnische Selbstbestimmung zu finden.
Also trtfft in Balzers Buch der Holz-vor-der-Hütten-Sänger Gabalier, der lautstark die "Genderverseuchung" beklagt, auf genderfluide Genies wie Planningtorock oder die Sängerin Anohni, die trans ist und deren Werke sich aus permanenter Selbstbefragung und der Dekonstruktion aller Zuschreibungen speisen. Balzer stellt fest, dass sich die Vertreter der Neuen Rechten zwar politisch bei den ambivalenten Methoden der kalkulierten Mehrdeutigkeit und des Tabubruchs bedienen, wie sie für die Popmusik typisch sind: Die Szene aber bleibe trotzdem die "erste Popkultur ohne Popmusik", ohne Stars, ohne Soundtracks, ohne Konzerte. Kein Woodstock auf den Ziegenwiesen von Schnellroda: Böse Menschen haben offenbar immer noch keine Lieder.
TOBIAS RÜTHER
Jens Balzer:
"Pop und Populismus". Über Verantwortung
in der Musik.
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2019. 208 S., geb., 17,- [Euro].
Michael Behrendt:
"Provokation!" Songs,
die für Zündstoff sorgten.
wbg/Theiss, Darmstadt 2019. 296 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main