Dieser Band will die akademische Auseinandersetzung mit der bisher stark vernachlässigten Popgeschichte anregen. Er fächert erstmalig verschiedene Ansätze und Methoden auf, mit denen sich Historiker_innen dem Thema Pop nähern können. Von den Cultural Studies über Körper-, Gender- und Konsumgeschichte bis zur Sound History stellt er verschiedene Zugänge vor und diskutiert ihre Relevanz für die zeitgeschichtliche Forschung.
Zugleich führt das Buch Studierende der Geschichtswissenschaften an einen historisch informierten Umgang mit Popkultur heran und bietet benachbarten Wissenschaften eine historische Kontextualisierung ihres Theorieinventars.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So ganz scheint Jan Wiele der Anspruch der Herausgeber Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel und Jürgen Danyel, Pop-Geschichte ohne Jargon zu schreiben, in den aus einer Tagung hervorgegangenen zwei Bänden nicht eingelöst zu werden. Auf Großsprecherisches und Selbstverliebtes stößt er doch. Auf Redundantes und aus dem Feuilleton Bekanntes auch. Dennoch: Dass Pop mehr ist als kulturalistisches Beiwerk zur Geschichte, vermögen die Beiträger Wiele zu beweisen. Detlef Siegried etwa mit einem konzisen Text zum Verhältnis von Pop und Politik von den 50ern bis heute. Oder Beiträge, die die generationellen Gruppen der Popkultur in zeithistorischen Fallstudien darstellen. Schade bloß, meint Wiele, dass letztere nur bis 1988 reichen. Schade auch, dass Pop-Literatur hier kaum vorkommt, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2015Was uns der Diskotanz lehrt
Produkte der Kulturindustrie: Pop als zwingende Ergänzung der Zeitgeschichte
Wenn es noch eines Beweises bedürfte, wie brisant Phänomene der Popkultur für die Gesellschaftsgeschichte sein können, dann fände man ihn dieser Tage: Der Begriff des "Pop-Dschihadismus" macht die Runde, es gibt ernstzunehmende Anzeichen für unselige Verbindungen von Rap und Salafismus bis hin zu den Inszenierungspraktiken in Propagandavideos des "Islamischen Staats".
Ein Kontextualisieren von Pop-Phänomenen als Bereicherung der Historiographie strebt auch jene "Pop-Geschichte" an, die nun in zwei Bänden unter der Herausgeberschaft von Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel und Jürgen Danyel zu schreiben begonnen wurde. Zu beweisen gilt es, dass "Pop kein kulturalistisches Beiwerk ist, während die vermeintlich ,harten Fakten' der Geschichte in den Sphären von Wirtschaft und Politik erzeugt werden". Programmatisch grenzen die Herausgeber sich allerdings ab von einem feuilletonistischen Zugang zum Pop, wie er einem oft auch in wissenschaftlichen Aufsätzen und Monographien begegnet.
"Popgeschichte muss nicht selbst Pop werden" heißt es dagegen hier, es ist von Distanz zum Gegenstand und dem Verzicht auf die große Geste die Rede. Wie das gehen kann, zeigt zum Beispiel im ersten Band "Konzepte und Methoden" Detlef Siegried mit einem konzisen, aber doch weit ausgreifenden Artikel über das Verhältnis von Pop und Politik von den fünfziger Jahren bis zur Gegenwart. Schlaglichtartig arbeitet er die Einstellung gegenüber Pop in der Studentenbewegung heraus: Während zunächst viele im Sinne der "Frankfurter Schule" sowie wegweisender Bücher wie Vance Packards "Die geheimen Verführer" (1957) im Pop eine die Massen manipulierende "Bewusstseinsindustrie" sahen, habe sich alsbald eine entscheidende "theoretische Wende" vollzogen: "Walter Benjamin wurde zum theoretischen Heros jenes aktivistischen Teils der Studentenbewegung, der sich nicht von den modernen Medien abwandte, sondern sie in revolutionärer Absicht in Besitz nehmen wollte."
Eine wichtige Rolle in diesem Prozess weisen Detlef Siegfried wie auch Bodo Mrozek in einem Beitrag dem Centre for Contemporary Cultural Studies der Universität Birmingham zu, welches seit den siebziger Jahren in seiner Arbeit gezeigt habe, "dass die Produkte der Kulturindustrie von den Individuen unabhängig von intendierten Absichten genutzt und mit eigenem Sinn aufgeladen wurden". Diese Eigenständigkeit zeige sich allerdings auch in der für manche noch schockierenden Erkenntnis, "dass Popmusik nicht automatisch links codiert war".
Welche generationellen und gesellschaftlichen Gruppen sich dann Popkultur auf ganz verschiedene Weise angeeignet haben, zeigt der zweite Band mit benjaminscher Aufgeschlossenheit in zeithistorischen Fallstudien. Sie reichen von der mit Randale verbundenen Ankunft des Rock 'n' Roll in Frankreich und Deutschland um 1958 über das "Swinging London" bis hin zu "Diskotanz im Speisesaal" als institutionalisierter Jugendkultur in der DDR und zur Analyse der Gestik und Mimik schwarzer Musiker vor dem Hintergrund historischer Minstrel-Shows.
Schade ist allerdings, dass diese Fallstudien nur bis 1988 reichen und somit die Ära der Digitalisierung sowie sehr viele andere Gegenwartsphänomene komplett ausgespart sind. Dies scheint dem Konzept der Berliner Tagung geschuldet zu sein, aus der die Bände hervorgehen. Noch weniger verständlich ist, warum in ihnen Pop-Art nur gelegentlich und Pop-Literatur fast überhaupt nicht in Betracht gezogen wird, allenfalls in Randbemerkungen. Da in den Beiträgen auch immer wieder hervorgehoben wird, welches Desiderat die darin geleistete Forschung zuvor noch dargestellt habe, kommt man nicht umhin, anzumerken, dass sich für einen durchschnittlichen Feuilleton-Leser auch allerlei sattsam Bekanntes und Redundantes findet. Das "hohe Maß an Visualität als integrativer Bestandteil von Popmusik" etwa wird kaum überraschen.
Ganz treu ist man den eingangs beschriebenen Idealen der Pop-Geschichtsschreibung hier nicht: Auch die vorliegende ist nicht frei von Jargon, man fragt sich etwa, in welchem Ärztehaus sich die "widerständigen Raumpraxen jugendlicher Beatfans" befinden. Und wichtigtuerisch wird dem ersten Band dann doch noch ein Beitrag von Klaus Theweleit als "hidden track" hintangestellt, der auf fast schon amüsante Weise den subjektivistischen, großsprecherischen und selbstverliebten Zugang zur Pop-Geschichte veranschaulicht: "Ich selbst war zu dieser Zeit in Glückstadt"; "Man wollte wissen, und das brennend, was los ist mit der Sexualität". Aber vielleicht kann dieser Beitrag mit dem Titel "So tun als gäbe es kein Morgen oder: 2000 Light Years from Home" ja im Sinne der Methodenvielfalt als Bereicherung der "Oral History"-Forschung dienen.
JAN WIELE
Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel, Jürgen Danyel (Hrsg.): "Pop-Geschichte". Band 1: Konzepte und Methoden. Band 2: Zeithistorische Fallstudien 1958-1988.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014. 280 bzw. 344 S., br., 29,99 bzw. 34,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Produkte der Kulturindustrie: Pop als zwingende Ergänzung der Zeitgeschichte
Wenn es noch eines Beweises bedürfte, wie brisant Phänomene der Popkultur für die Gesellschaftsgeschichte sein können, dann fände man ihn dieser Tage: Der Begriff des "Pop-Dschihadismus" macht die Runde, es gibt ernstzunehmende Anzeichen für unselige Verbindungen von Rap und Salafismus bis hin zu den Inszenierungspraktiken in Propagandavideos des "Islamischen Staats".
Ein Kontextualisieren von Pop-Phänomenen als Bereicherung der Historiographie strebt auch jene "Pop-Geschichte" an, die nun in zwei Bänden unter der Herausgeberschaft von Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel und Jürgen Danyel zu schreiben begonnen wurde. Zu beweisen gilt es, dass "Pop kein kulturalistisches Beiwerk ist, während die vermeintlich ,harten Fakten' der Geschichte in den Sphären von Wirtschaft und Politik erzeugt werden". Programmatisch grenzen die Herausgeber sich allerdings ab von einem feuilletonistischen Zugang zum Pop, wie er einem oft auch in wissenschaftlichen Aufsätzen und Monographien begegnet.
"Popgeschichte muss nicht selbst Pop werden" heißt es dagegen hier, es ist von Distanz zum Gegenstand und dem Verzicht auf die große Geste die Rede. Wie das gehen kann, zeigt zum Beispiel im ersten Band "Konzepte und Methoden" Detlef Siegried mit einem konzisen, aber doch weit ausgreifenden Artikel über das Verhältnis von Pop und Politik von den fünfziger Jahren bis zur Gegenwart. Schlaglichtartig arbeitet er die Einstellung gegenüber Pop in der Studentenbewegung heraus: Während zunächst viele im Sinne der "Frankfurter Schule" sowie wegweisender Bücher wie Vance Packards "Die geheimen Verführer" (1957) im Pop eine die Massen manipulierende "Bewusstseinsindustrie" sahen, habe sich alsbald eine entscheidende "theoretische Wende" vollzogen: "Walter Benjamin wurde zum theoretischen Heros jenes aktivistischen Teils der Studentenbewegung, der sich nicht von den modernen Medien abwandte, sondern sie in revolutionärer Absicht in Besitz nehmen wollte."
Eine wichtige Rolle in diesem Prozess weisen Detlef Siegfried wie auch Bodo Mrozek in einem Beitrag dem Centre for Contemporary Cultural Studies der Universität Birmingham zu, welches seit den siebziger Jahren in seiner Arbeit gezeigt habe, "dass die Produkte der Kulturindustrie von den Individuen unabhängig von intendierten Absichten genutzt und mit eigenem Sinn aufgeladen wurden". Diese Eigenständigkeit zeige sich allerdings auch in der für manche noch schockierenden Erkenntnis, "dass Popmusik nicht automatisch links codiert war".
Welche generationellen und gesellschaftlichen Gruppen sich dann Popkultur auf ganz verschiedene Weise angeeignet haben, zeigt der zweite Band mit benjaminscher Aufgeschlossenheit in zeithistorischen Fallstudien. Sie reichen von der mit Randale verbundenen Ankunft des Rock 'n' Roll in Frankreich und Deutschland um 1958 über das "Swinging London" bis hin zu "Diskotanz im Speisesaal" als institutionalisierter Jugendkultur in der DDR und zur Analyse der Gestik und Mimik schwarzer Musiker vor dem Hintergrund historischer Minstrel-Shows.
Schade ist allerdings, dass diese Fallstudien nur bis 1988 reichen und somit die Ära der Digitalisierung sowie sehr viele andere Gegenwartsphänomene komplett ausgespart sind. Dies scheint dem Konzept der Berliner Tagung geschuldet zu sein, aus der die Bände hervorgehen. Noch weniger verständlich ist, warum in ihnen Pop-Art nur gelegentlich und Pop-Literatur fast überhaupt nicht in Betracht gezogen wird, allenfalls in Randbemerkungen. Da in den Beiträgen auch immer wieder hervorgehoben wird, welches Desiderat die darin geleistete Forschung zuvor noch dargestellt habe, kommt man nicht umhin, anzumerken, dass sich für einen durchschnittlichen Feuilleton-Leser auch allerlei sattsam Bekanntes und Redundantes findet. Das "hohe Maß an Visualität als integrativer Bestandteil von Popmusik" etwa wird kaum überraschen.
Ganz treu ist man den eingangs beschriebenen Idealen der Pop-Geschichtsschreibung hier nicht: Auch die vorliegende ist nicht frei von Jargon, man fragt sich etwa, in welchem Ärztehaus sich die "widerständigen Raumpraxen jugendlicher Beatfans" befinden. Und wichtigtuerisch wird dem ersten Band dann doch noch ein Beitrag von Klaus Theweleit als "hidden track" hintangestellt, der auf fast schon amüsante Weise den subjektivistischen, großsprecherischen und selbstverliebten Zugang zur Pop-Geschichte veranschaulicht: "Ich selbst war zu dieser Zeit in Glückstadt"; "Man wollte wissen, und das brennend, was los ist mit der Sexualität". Aber vielleicht kann dieser Beitrag mit dem Titel "So tun als gäbe es kein Morgen oder: 2000 Light Years from Home" ja im Sinne der Methodenvielfalt als Bereicherung der "Oral History"-Forschung dienen.
JAN WIELE
Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel, Jürgen Danyel (Hrsg.): "Pop-Geschichte". Band 1: Konzepte und Methoden. Band 2: Zeithistorische Fallstudien 1958-1988.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014. 280 bzw. 344 S., br., 29,99 bzw. 34,99 [Euro].
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»Ein Markstein für die Verbindung von Pop- und Zeitgeschichte.«
Knud Andresen, Archiv für Sozialgeschichte, 55 (2015) 20151201
Knud Andresen, Archiv für Sozialgeschichte, 55 (2015) 20151201