The groundbreaking novel that propelled its author to literary stardom: told in a continuous monologue from patient to psychoanalyst, Philip Roth's masterpiece draws us into the turbulent mind of one lust-ridden young Jewish bachelor named Alexander Portnoy. Portnoy's Complaint n. [after Alexander Portnoy (1933- )] A disorder in which strongly-felt ethical and altruistic impulses are perpetually warring with extreme sexual longings, often of a perverse nature. Spielvogel says: 'Acts of exhibitionism, voyeurism, fetishism, auto-eroticism and oral coitus are plentiful; as a consequence of the patient's "morality," however, neither fantasy nor act issues in genuine sexual gratification, but rather in overriding feelings of shame and the dread of retribution, particularly in the form of castration.' (Spielvogel, O. "The Puzzled Penis," Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Vol. XXIV, p. 909.) It is believed by Spielvogel that many of the symptoms can be traced to the bonds obtaining in the mother-child relationship.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009Liebste! Du hast das Gedicht verstanden!
Philip Roth' Sexseller "Portnoys Beschwerden" feiert vierzigsten Geburtstag. Aber braucht er deshalb eine Verjüngungskur?
Von Werner von Koppenfels
Zu den vielen historischen Jubiläen des Jahres noch dieses: Mit "Portnoy's Complaint" feiert ein berühmtes Kultbuch der permissiven Ära seinen Vierzigsten. Nie zuvor wurde mit so viel Sprachwitz zwischen zwei Buchdeckeln so viel masturbiert und kopuliert, von den oralen Exzessen ganz zu schweigen. "Liberate libido" lautet die emanzipatorische Botschaft; die Wortspielerei verweist den alerten Leser auf die sicherheitshalber eingebaute Ironie.
"Befreien Sie die Libido dieses netten Judenjungen", so bestürmt der ewig pubertiernde Alex Portnoy - in diesem Moment dreiunddreißigjährig wie sein Autor und wie dieser gebürtig aus Newark, New Jersey: damals keine feine Adresse - im Verlauf eines fast dreihundertseitigen Couch-Monologs den Psychiater Dr. Spielvogel. Und wenn der unbefangene Leser meint, nach so viel lustvoll protokolliertem Spermenerguss müsste diese Befreiung doch längst erfolgt sein, so hat der den spezifisch jüdischen Witz des Buches nicht begriffen.
Denn Portnoys Beschwerden (im doppelten Wortsinn) und sein unablässiges Hadern mit einem geradezu tantalischen Schicksal rühren eben daher, dass sich sein ungebärdiges Es, auf Englisch kurioserweise "Id" genannt, nie vom Würgegriff des Über-Ichs befreien kann. Letzteres verkörpert sich in einer erdrückend liebevoll-besorgten jüdischen Mamme, die ödipales Begehren nährt und verwehrt, einem an grotesker Dauerverstopfung leidenden bienenfleißigen Vater, dazu in den unzähligen Imperativen der anständigen Gesellschaft und der jüdischen Tabus. Weshalb es höchst unsicher bleibt, ob Dr. Spielvogel den an ihn ergangenen Patientenauftrag "Put The Id Back in Yid" wird erfüllen können.
Roman, Konfession, Pornographie, Satire? Zweifellos ein Mix aus alledem, reich garniert mit jiddischen Brocken. Die Charaktere, vor allem die meschuggen Eltern und eine herrlich ordinäre, dabei durchaus bildungswillige Sexakrobatin (Spitzname: "Das Äffchen"), sind gnadenlos überzeichnet; Karikaturen von romanhafter Vitalität. Portnoy, der Selbstentblößer auf der Couch, ergießt sein Leiden an der Lust in einem schlammig strudelnden Redefluss, dem der Psychiater erst im letzten Satz des Buches Einhalt gebietet.
Wenn Pornographie, Nabokov zufolge, die Kopulation von Klischees bedeutet, dann ist dieser Text, ganz strenggenommen, keine. Zu komisch die eingelagerten Szenen und Dialoge, zu raffiniert das ständige, durch die Sprechsituation bedingte Umherspringen in der Chronologie. Die Wiederholung des Ewig-Gleichen, die bloß quantitative Steigerung des Unanständigen, wird virtuos vermieden. Höhepunkt der Geschichte ist, wie könnte es anders sein, eine Antiklimax. Auf der Flucht vor den willigen, aber allzu heiratswilligen Schicksen lässt den Helden ausgerechnet im Heiligen Land, in Gegenwart der männlich selbstbewussten Töchter des Landes, sein (mit Goethe zu sprechen) Meister Iste schmählich im Stich: Impotent in Israel!
Ein Judenwitz, sagt Portnoy, sei sein Leben - also ein trauriger Witz. Das jüdische Kleinbürger-Milieu, aus dem sich der brillante Alex herausstrampelt und dem er doch nie entrinnt, ist ein Spiegel des guten alten, nicht nur puritanisch verheuchelten Amerika aus der Zeit des Kalten Krieges. Das rebellische Glied erhebt sich als Zeuge der Anklage, und sein Besitzer benimmt sich etwa so geschmackvoll und politisch korrekt wie in unseren Tagen der kasachische Borat. Dazu kommt ein Hang zur Blasphemie, wie er dem erotischen Genre eigen ist, seit Boccaccio die entsprechende Regung am Leib eines frommen Bruders als "Auferstehung des Fleisches" bezeichnet hat. Höhepunkt dieser Verhunzung heiliger Texte ist eine tolle Szene, in der Alex und das Äffchen Yeats' großes Sonett "Leda und der Schwan" zur sexuellen Stimulation missbrauchen: "Liebste! Du hast das Gedicht verstanden!"
Die deutschen Rechte an Philip Roth sind vor einiger Zeit von Rowohlt zu Hanser gewandert. Werner Schmitz, einer der produktivsten unter den qualitätvollen Übersetzern der Gegenwart, hat nun, gleichzeitig mit Roth' jüngstem Roman "Empörung" (F.A.Z. vom 23. März), seinen alten Skandalerfolg neu eingedeutscht. Damit ist Kai Molvigs Erstlingsversion, einst ein Rowohltscher Longseller, dem Vergessen überantwortet. Kein Zweifel: Moderne Klassiker verlangen, wie alle klassischen Texte, von Zeit zu Zeit nach einer Neuübersetzung; und das geschätzte Publikum, so will es naturgemäß der Verlag, soll bitte unbesehen davon ausgehen, dass die neueste Version immer die beste ist. Darf der Rezensent ein bisschen kiebitzen?
Vorweg das Lob. Schmitz übersetzt eine Spur genauer als sein Vorgänger. Er weiß, dass "dormitory" ein Studentenheim ist und kein Schlafsaal, "neighborhood" eher Viertel als Nachbarschaft. Bei Spielvogels nicht ganz akzentfreiem Schlusssatz "So. Now vee may perhaps to begin. Yes?" erhält er den Grammatikverstoß, auch wenn das Ergebnis unweigerlich nach neudeutschem Migrationshintergrund klingt: "Also. Vielleicht wir jetzt können beginnen. Ja?" Auch stilistisch bessert er manches nach. Vor allem meidet er das hässlichste Wort unserer Sprache, Brustwarze, und ersetzt es durch das Lehnwort Nippel. Manchmal ist die Anglisierung des Deutschen ein rechter Segen.
Aber die Wortspiele! Wenn Alex seine gojische Herzensbrecherei als späte Rache für die Ausbeutung des Vaters deklariert, nennt er das, mit einem obszönen Doppelsinn im zweiten Verb, "Hating Your Goy And Eating One Too", nach dem Muster von "having your cake and eating it". Hier kommt jeder Übersetzer an seine Grenzen, aber "Hasse deine Goje und treib's auch mit einer" geht beim besten Willen nicht; ebenso wenig wie "Sie gibt dem Juden sein Es zurück, ich gebe dem Goj sein Leid zurück", wo Molvig dem Jidd sein Id und dem Goj sein oi zukommen lässt.
Generell trifft Molvig den frechen kolloquialen Ton, auf den hier alles ankommt, besser als sein Nachfolger: "Ooohh! Was drücken mich für Kümmernisse! Was hege ich für Abneigungen . . ." klingt spürbar steifer als "Uff! Steck ich voller Ressentiments! Und voller Hassgefühle . . ." Und welcher Teufel ritt den Verlag, Erich Kahlers ungelenke, unmetrische Version von "Leda und der Schwan" in den neuen Text einzurücken, statt die seinerzeit eigens für Portnoy geschriebene, schwungvolle Fassung von Peter Gan? Kahlers Leda als Aphrodisiakum? So sabotiert man einen Autor.
Philip Roth: "Portnoys Beschwerden". Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 2009. 286 S., geb., 21,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philip Roth' Sexseller "Portnoys Beschwerden" feiert vierzigsten Geburtstag. Aber braucht er deshalb eine Verjüngungskur?
Von Werner von Koppenfels
Zu den vielen historischen Jubiläen des Jahres noch dieses: Mit "Portnoy's Complaint" feiert ein berühmtes Kultbuch der permissiven Ära seinen Vierzigsten. Nie zuvor wurde mit so viel Sprachwitz zwischen zwei Buchdeckeln so viel masturbiert und kopuliert, von den oralen Exzessen ganz zu schweigen. "Liberate libido" lautet die emanzipatorische Botschaft; die Wortspielerei verweist den alerten Leser auf die sicherheitshalber eingebaute Ironie.
"Befreien Sie die Libido dieses netten Judenjungen", so bestürmt der ewig pubertiernde Alex Portnoy - in diesem Moment dreiunddreißigjährig wie sein Autor und wie dieser gebürtig aus Newark, New Jersey: damals keine feine Adresse - im Verlauf eines fast dreihundertseitigen Couch-Monologs den Psychiater Dr. Spielvogel. Und wenn der unbefangene Leser meint, nach so viel lustvoll protokolliertem Spermenerguss müsste diese Befreiung doch längst erfolgt sein, so hat der den spezifisch jüdischen Witz des Buches nicht begriffen.
Denn Portnoys Beschwerden (im doppelten Wortsinn) und sein unablässiges Hadern mit einem geradezu tantalischen Schicksal rühren eben daher, dass sich sein ungebärdiges Es, auf Englisch kurioserweise "Id" genannt, nie vom Würgegriff des Über-Ichs befreien kann. Letzteres verkörpert sich in einer erdrückend liebevoll-besorgten jüdischen Mamme, die ödipales Begehren nährt und verwehrt, einem an grotesker Dauerverstopfung leidenden bienenfleißigen Vater, dazu in den unzähligen Imperativen der anständigen Gesellschaft und der jüdischen Tabus. Weshalb es höchst unsicher bleibt, ob Dr. Spielvogel den an ihn ergangenen Patientenauftrag "Put The Id Back in Yid" wird erfüllen können.
Roman, Konfession, Pornographie, Satire? Zweifellos ein Mix aus alledem, reich garniert mit jiddischen Brocken. Die Charaktere, vor allem die meschuggen Eltern und eine herrlich ordinäre, dabei durchaus bildungswillige Sexakrobatin (Spitzname: "Das Äffchen"), sind gnadenlos überzeichnet; Karikaturen von romanhafter Vitalität. Portnoy, der Selbstentblößer auf der Couch, ergießt sein Leiden an der Lust in einem schlammig strudelnden Redefluss, dem der Psychiater erst im letzten Satz des Buches Einhalt gebietet.
Wenn Pornographie, Nabokov zufolge, die Kopulation von Klischees bedeutet, dann ist dieser Text, ganz strenggenommen, keine. Zu komisch die eingelagerten Szenen und Dialoge, zu raffiniert das ständige, durch die Sprechsituation bedingte Umherspringen in der Chronologie. Die Wiederholung des Ewig-Gleichen, die bloß quantitative Steigerung des Unanständigen, wird virtuos vermieden. Höhepunkt der Geschichte ist, wie könnte es anders sein, eine Antiklimax. Auf der Flucht vor den willigen, aber allzu heiratswilligen Schicksen lässt den Helden ausgerechnet im Heiligen Land, in Gegenwart der männlich selbstbewussten Töchter des Landes, sein (mit Goethe zu sprechen) Meister Iste schmählich im Stich: Impotent in Israel!
Ein Judenwitz, sagt Portnoy, sei sein Leben - also ein trauriger Witz. Das jüdische Kleinbürger-Milieu, aus dem sich der brillante Alex herausstrampelt und dem er doch nie entrinnt, ist ein Spiegel des guten alten, nicht nur puritanisch verheuchelten Amerika aus der Zeit des Kalten Krieges. Das rebellische Glied erhebt sich als Zeuge der Anklage, und sein Besitzer benimmt sich etwa so geschmackvoll und politisch korrekt wie in unseren Tagen der kasachische Borat. Dazu kommt ein Hang zur Blasphemie, wie er dem erotischen Genre eigen ist, seit Boccaccio die entsprechende Regung am Leib eines frommen Bruders als "Auferstehung des Fleisches" bezeichnet hat. Höhepunkt dieser Verhunzung heiliger Texte ist eine tolle Szene, in der Alex und das Äffchen Yeats' großes Sonett "Leda und der Schwan" zur sexuellen Stimulation missbrauchen: "Liebste! Du hast das Gedicht verstanden!"
Die deutschen Rechte an Philip Roth sind vor einiger Zeit von Rowohlt zu Hanser gewandert. Werner Schmitz, einer der produktivsten unter den qualitätvollen Übersetzern der Gegenwart, hat nun, gleichzeitig mit Roth' jüngstem Roman "Empörung" (F.A.Z. vom 23. März), seinen alten Skandalerfolg neu eingedeutscht. Damit ist Kai Molvigs Erstlingsversion, einst ein Rowohltscher Longseller, dem Vergessen überantwortet. Kein Zweifel: Moderne Klassiker verlangen, wie alle klassischen Texte, von Zeit zu Zeit nach einer Neuübersetzung; und das geschätzte Publikum, so will es naturgemäß der Verlag, soll bitte unbesehen davon ausgehen, dass die neueste Version immer die beste ist. Darf der Rezensent ein bisschen kiebitzen?
Vorweg das Lob. Schmitz übersetzt eine Spur genauer als sein Vorgänger. Er weiß, dass "dormitory" ein Studentenheim ist und kein Schlafsaal, "neighborhood" eher Viertel als Nachbarschaft. Bei Spielvogels nicht ganz akzentfreiem Schlusssatz "So. Now vee may perhaps to begin. Yes?" erhält er den Grammatikverstoß, auch wenn das Ergebnis unweigerlich nach neudeutschem Migrationshintergrund klingt: "Also. Vielleicht wir jetzt können beginnen. Ja?" Auch stilistisch bessert er manches nach. Vor allem meidet er das hässlichste Wort unserer Sprache, Brustwarze, und ersetzt es durch das Lehnwort Nippel. Manchmal ist die Anglisierung des Deutschen ein rechter Segen.
Aber die Wortspiele! Wenn Alex seine gojische Herzensbrecherei als späte Rache für die Ausbeutung des Vaters deklariert, nennt er das, mit einem obszönen Doppelsinn im zweiten Verb, "Hating Your Goy And Eating One Too", nach dem Muster von "having your cake and eating it". Hier kommt jeder Übersetzer an seine Grenzen, aber "Hasse deine Goje und treib's auch mit einer" geht beim besten Willen nicht; ebenso wenig wie "Sie gibt dem Juden sein Es zurück, ich gebe dem Goj sein Leid zurück", wo Molvig dem Jidd sein Id und dem Goj sein oi zukommen lässt.
Generell trifft Molvig den frechen kolloquialen Ton, auf den hier alles ankommt, besser als sein Nachfolger: "Ooohh! Was drücken mich für Kümmernisse! Was hege ich für Abneigungen . . ." klingt spürbar steifer als "Uff! Steck ich voller Ressentiments! Und voller Hassgefühle . . ." Und welcher Teufel ritt den Verlag, Erich Kahlers ungelenke, unmetrische Version von "Leda und der Schwan" in den neuen Text einzurücken, statt die seinerzeit eigens für Portnoy geschriebene, schwungvolle Fassung von Peter Gan? Kahlers Leda als Aphrodisiakum? So sabotiert man einen Autor.
Philip Roth: "Portnoys Beschwerden". Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 2009. 286 S., geb., 21,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.10.2009Wo bleibt die Antiverleumdungsliga?
Eine Neu-Übersetzung von Philip Roths Roman „Portnoys Beschwerden”, der 1969 Skandal machte
1974 legte Kai Molvig bei Rowohlt die deutsche Übersetzung von „Portnoy’s Complaint” vor, des vermutlich berühmtesten Romans von Philip Roth. Ihm tritt jetzt, bei Hanser, eine Neuübersetzung von Werner Schmitz entgegen. Dass die Wertschätzung, die die Arbeit des Übersetzers genießt, inzwischen gestiegen ist, zeigt sich schon äußerlich darin, dass der Name Molvigs noch im Kleingedruckten verschwand, der von Schmitz aber auf der Titelseite gleich unter dem des Autors prangt. Das ist gut und gerecht so, denn schließlich verdanken wir ja direkt ihm und nur indirekt dem Autor, was wir zu lesen bekommen.
Die Neuübersetzung eines wichtigen belletristischen Buchs verdient in jedem Fall Aufmerksamkeit, einmal, weil wir wirklich ein neues Buch erhalten, zum anderen aber auch, weil über Sprache, Sprache im allgemeinen, die Ausgangs- und die Zielsprache im besonderen und dazu die Qualität literarischen Sprechens, nichts so konkreten und unmittelbar einleuchtenden Aufschluss gibt, wie wenn man konkurrierende Übersetzungen vergleicht. (Denn konkurrieren müssen sie.)
Den unvergleichlichen Reiz dieses Buchs macht es aus, wie hier ein erwachsener, erfolgreicher und hochgradig intelligenter Mann es dennoch nicht schafft, sich aus den Verstrickungen seiner Kindheit und frühen Jugend zu lösen; wie er präzise seine Situation analysiert, aber es ihm nichts nützt und er wie auf Schienen immer wieder in dieselben entsetzlichen Situationen gerät, sei es, indem er sie in der Erinnerung vergegenwärtigt, sei es, indem er sie als Erwachsener neu inszeniert. Sein Seelenleben brodelt in einem Gemisch aus Groll und Gier auf der kleinen Flamme des tiefen Unglücks.
Lachen, um nicht zu ächzen
Dies erscheint ihm als die Quintessenz des jüdischen Daseins in einer von den „Gojs” dominierten Welt: Nach außen mögen sie, die Juden, ihren Weg machen, aber sie zahlen dafür einen hohen Preis. Das Missverhältnis von Einsicht, Wollen und Müssen, das in jedem Satz durchschlägt, macht aus Portnoy eine so erbarmungswürdige wie lächerliche Figur.
Das heißt, erbarmungswürdig trifft es nicht ganz, die Einfühlung wird vielmehr geradezu physisch erzwungen, wie wenn man jemandem zusähe, der in eine Zitrone beißt: man beginnt dann selbst unwillkürlich zu speicheln und das Gesicht zu verziehen. So auch kommt das Lachen heraus, als ein umfunktioniertes Ächzen über ein nicht für möglich gehaltenes Allerpeinlichstes. Roth hat ein so mutiges wie komisches Buch geschrieben, und der Punkt, wo beide Bahnen sich kreuzen, ist die Obszönität.
Es ist auch ein Buch der Verzweiflung. Das erzählende Ich spricht auf der Couch eines deutschen Psychoanalytikers, der die ganze Zeit über schweigt, aber das letzte Wort behält: „So said the doctor]. Now vee may perhaps to begin. Yes?” Nicht nur hat also trotz des gigantischen bisherigen Aufwands der Akt der Katharsis am Ende noch gar nicht angefangen, unentrinnbar ist der höllische Zirkel, darin eben besteht diese „Punch Line”. Sondern es spricht der Doktor auch ein so schauderhaft schlechtes, deutsches Englisch, phonetisch („vee”) ebenso wie syntaktisch(„may to begin”), dass man sich fragt, wie viel von dieser so lebhaft und ausführlich geschilderten Biographie er tatsächlich mitbekommen hat – vielleicht hat er ja auch, das wäre eine kafkaeske Wendung, die ganze Zeit über ein Nickerchen gehalten.
Diese „Pointe” zum Schluss stellt die erste Herausforderung für den Übersetzer dar. Wie macht man das, schlechtes deutsches Englisch auf Deutsch wiedergeben? Molvig, der ältere Übersetzer, sieht hier kein Problem und schreibt: „So (sagte der Arzt). Dann wollen wir mal anfangen, ja?” Bei Schmitz dagegen heißt es: „Also sagte der Arzt]. Vielleicht wir jetzt können beginnen. Ja?” Schmitz ersetzt also den spezifischen Akzent, der sich nicht retten lässt, durch einen irgendwie ausländischen, verliert eine wesentliche Information, gewinnt aber dabei eine verwandte Anmutung. Nebenbei bemerkt hat auch Roth hier einen Fehler begangen: Kein Deutscher hätte den Fehler gemacht, nach dem Modalverb einen Infinitiv mit „to” zu bilden, denn zufällig gilt hier im Deutschen dieselbe Regel wie im Englischen. Perfekte Übersetzungen gibt es nicht, perfekte Originale aber auch höchstens in dem Sinn, dass ihr Wortlaut für den Übersetzenden die unverhandelbare, verbindliche Vorlage ist.
Alexander Portnoy also liegt auf der Couch und erinnert sich voll Inbrunst an die Zeit, als er fünf Jahre alt und der Allmacht seiner hysterisch überfürsorglichen Mutter ausgeliefert war. Er stellt sich vor, dass auch alle „teachers”, die er im „kindergarten” hat, niemand anders als sie, die Mutter, seien, „in disguise”, was Molvig sachlich korrekt, doch übertrieben deutlich mit „in veränderter Gestalt”, Schmitz hingegen sprachlich korrekt, aber ohne die vollen Implikationen des Originals mit „in Verkleidung” wiedergibt. Wie fängt die Mutter es dann aber an, dass sie immer schon in ihrer vertrauten Gestalt daheim ist und ihrem Sohn Milch und Kekse hinstellt?
Dem traut sich Portnoy nicht zu genau nachzugehen, denn: „I think I even feared that I might have to be done away with were I to catch sight of her flying in from school through the bedroom window, or making herself emerge, limb by limb, out of an invisible state and into her apron.” Er glaubt also, dass er damals fürchtete, dass es sein könnte, dass er beseitigt werden müsste, falls – so klänge die gewissenhafte Translation dieser mehrfach bedingten und abhängigen Aussage. Und dann bietet die Passage noch zwei Alternativen für die Ankunft der Zaubermutter im vertrauten Ambiente: da steckt ziemlich viel in einem einzigen Satz.
Bei Molvig wird daraus: „Vielleicht fürchtete ich sogar, man könnte mich ins Jenseits befördern, sollte ich mit eigenen Augen sehen, wie sie aus der Schule durchs Schlafzimmerfenster geflogen kam oder aus ihrem unsichtbaren Zustand Stück für Stück in ihre Schürze schlüpfte.” Sehr gut ist hier das „Stück für Stück in ihre Schürze schlüpfte”, denn es weckt die Anschauung, wie erst ein Arm und dann ein Bein aus dem Nichts hervorkommt und der Vorgang mit einer kindlichen Selbstverständlichkeit hingenommen wird, als ginge es nur um einen Akt des Umziehens; weniger gelungen jedoch die Beförderung ins Jenseits, denn gerade von einem Jenseits weiß diese dem Märchen verhaftete Denkweise am allerwenigsten.
Bei Schmitz: „Ich glaube, ich fürchtete sogar, es nicht zu überleben, wenn sie geradewegs von der Schule durchs Schlafzimmerfenster hereinflöge oder sich stückweise aus dem Nichts materialisierte, bis sie wieder in ihrer Küchenschürze dastand.” Hier ist der Flug durchs Fenster sehr lebendig angeschaut, nicht so deutlich hingegen der Vorgang der Rückverwandlung, der ganz von seinem Resultat aufgesogen wird; und „ich würde es nicht überleben” eliminiert die kindhafte Angst vor der unbekannten, unberechenbaren Instanz, um sie durch ein mehr oder weniger automatisches Geschehen zu ersetzen. Beide, Schmitz und Molvig, ringen darum, die unvermeidlich höhere syntaktische Komplexität des Deutschen zu reduzieren, indem sie beim zweiten und dritten Glied uneingeleitete statt eingeleiteter Nebensätze oder den erweiterten Infinitiv verwenden, haben aber beide schon drei Kommas verbraucht, wo im Englischen noch kein einziges stand. Es belehrt über Möglichkeiten und Grenzen des deutschen Satzbaus. Und so könnte man Satz um Satz verfahren, um zu finden, dass beide Übersetzer gute und verlässliche, aber mit Notwendigkeit je unvollkommene Arbeit geleistet haben, und dass nicht etwa Schmitz Molvig schlechterdings ablöst, sondern ihn zu ergänzen vermag. Die seit Molvigs Übersetzung vergangene Zeit bleibt dennoch fühlbar in der Art, wie er bei diesem soziologisch so sensiblen Roman mit amerikanischen Spezifika hantiert.
Eine der peinigendsten und komischsten Szenen des Buchs ist jene, wo der Held eine Angehörige der von ihm verehrten und verachteten WASP-Aristokratie nach langem Widerstand doch zum Oralverkehr zu veranlassen vermag. Außer um die interessante Frage, ob dieser Vorgang im Deutschen mit dem Akkusativ (Molvig: „Aber etwas konnte Sally nicht: mich blasen”) oder dem Dativ (Schmitz: „mir einen blasen”) zu konstruieren sei, geht es hier um die subtilen Töne des Ressentiments. Portnoy weiß, dass er da nur mit der zartesten Ausdauer vorankommt, aber innerlich kocht er über so viel Hochnäsigkeit. „Where was the justice in this world? Where was the B’nai B’rith Anti-Defamation League -! ,I do it to you’, I said. The Pilgrim shrugged; kindly she said, ,You don’t have to, though. . . .’ ”. Molvig muss in seiner Version aus den Siebzigern seinen Lesern noch mehr erklären, worum es geht, als dass er übersetzt: „Wo blieb die B’nai Brith, die jüdische Liga gegen Diffamierung!” und „Der Pilgrim zuckte die Achseln.” Nun stellt „der” Pilgrim für eine Frau (in einer Sexszene!) bestimmt eine Härte dar, aber sie schien Molvig noch unvermeidlich, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um einen Eigennamen, sondern einen Begriff handelt. 35 Jahre später darf Schmitz sich darauf verlassen, dass das Verständnis des Lesers auch ohne Stützräder seinen Weg nimmt: „Wo blieb die B’nai-B’rith-Antiverleumdungsliga -!” und „Pilgrim hob die Achseln.”
Natürlich geht das in jeder Hinsicht glatter vonstatten; aber hauptsächlich, weil die Zeit für Schmitz gearbeitet hat (dem man vielleicht insgesamt ein feineres rhythmisches Ohr attestieren darf). Doch darum sollte man die ältere Leistung keinesfalls geringschätzen, sondern sich freuen, dort wo ein englischer Leser sich alternativlos mit einem Text begnügen muss, zwei davon, zeitlich leicht versetzt, zur kritischen Auswahl zu haben. Eine Fremdsprache bietet mehr Gelegenheiten als die eigene.
BURKHARD MÜLLER
PHILIP ROTH: Portnoys Beschwerden. Roman. Aus dem Englischen neu übersetzt von Werner Schmitz. Carl Hanser Verlag, München 2009, 285 Seiten, 21,50 Euro.
Philip Roth Anfang Dezember 1968 Foto: Bob Peterson//Time Life Pictures/Getty Images
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Eine Neu-Übersetzung von Philip Roths Roman „Portnoys Beschwerden”, der 1969 Skandal machte
1974 legte Kai Molvig bei Rowohlt die deutsche Übersetzung von „Portnoy’s Complaint” vor, des vermutlich berühmtesten Romans von Philip Roth. Ihm tritt jetzt, bei Hanser, eine Neuübersetzung von Werner Schmitz entgegen. Dass die Wertschätzung, die die Arbeit des Übersetzers genießt, inzwischen gestiegen ist, zeigt sich schon äußerlich darin, dass der Name Molvigs noch im Kleingedruckten verschwand, der von Schmitz aber auf der Titelseite gleich unter dem des Autors prangt. Das ist gut und gerecht so, denn schließlich verdanken wir ja direkt ihm und nur indirekt dem Autor, was wir zu lesen bekommen.
Die Neuübersetzung eines wichtigen belletristischen Buchs verdient in jedem Fall Aufmerksamkeit, einmal, weil wir wirklich ein neues Buch erhalten, zum anderen aber auch, weil über Sprache, Sprache im allgemeinen, die Ausgangs- und die Zielsprache im besonderen und dazu die Qualität literarischen Sprechens, nichts so konkreten und unmittelbar einleuchtenden Aufschluss gibt, wie wenn man konkurrierende Übersetzungen vergleicht. (Denn konkurrieren müssen sie.)
Den unvergleichlichen Reiz dieses Buchs macht es aus, wie hier ein erwachsener, erfolgreicher und hochgradig intelligenter Mann es dennoch nicht schafft, sich aus den Verstrickungen seiner Kindheit und frühen Jugend zu lösen; wie er präzise seine Situation analysiert, aber es ihm nichts nützt und er wie auf Schienen immer wieder in dieselben entsetzlichen Situationen gerät, sei es, indem er sie in der Erinnerung vergegenwärtigt, sei es, indem er sie als Erwachsener neu inszeniert. Sein Seelenleben brodelt in einem Gemisch aus Groll und Gier auf der kleinen Flamme des tiefen Unglücks.
Lachen, um nicht zu ächzen
Dies erscheint ihm als die Quintessenz des jüdischen Daseins in einer von den „Gojs” dominierten Welt: Nach außen mögen sie, die Juden, ihren Weg machen, aber sie zahlen dafür einen hohen Preis. Das Missverhältnis von Einsicht, Wollen und Müssen, das in jedem Satz durchschlägt, macht aus Portnoy eine so erbarmungswürdige wie lächerliche Figur.
Das heißt, erbarmungswürdig trifft es nicht ganz, die Einfühlung wird vielmehr geradezu physisch erzwungen, wie wenn man jemandem zusähe, der in eine Zitrone beißt: man beginnt dann selbst unwillkürlich zu speicheln und das Gesicht zu verziehen. So auch kommt das Lachen heraus, als ein umfunktioniertes Ächzen über ein nicht für möglich gehaltenes Allerpeinlichstes. Roth hat ein so mutiges wie komisches Buch geschrieben, und der Punkt, wo beide Bahnen sich kreuzen, ist die Obszönität.
Es ist auch ein Buch der Verzweiflung. Das erzählende Ich spricht auf der Couch eines deutschen Psychoanalytikers, der die ganze Zeit über schweigt, aber das letzte Wort behält: „So said the doctor]. Now vee may perhaps to begin. Yes?” Nicht nur hat also trotz des gigantischen bisherigen Aufwands der Akt der Katharsis am Ende noch gar nicht angefangen, unentrinnbar ist der höllische Zirkel, darin eben besteht diese „Punch Line”. Sondern es spricht der Doktor auch ein so schauderhaft schlechtes, deutsches Englisch, phonetisch („vee”) ebenso wie syntaktisch(„may to begin”), dass man sich fragt, wie viel von dieser so lebhaft und ausführlich geschilderten Biographie er tatsächlich mitbekommen hat – vielleicht hat er ja auch, das wäre eine kafkaeske Wendung, die ganze Zeit über ein Nickerchen gehalten.
Diese „Pointe” zum Schluss stellt die erste Herausforderung für den Übersetzer dar. Wie macht man das, schlechtes deutsches Englisch auf Deutsch wiedergeben? Molvig, der ältere Übersetzer, sieht hier kein Problem und schreibt: „So (sagte der Arzt). Dann wollen wir mal anfangen, ja?” Bei Schmitz dagegen heißt es: „Also sagte der Arzt]. Vielleicht wir jetzt können beginnen. Ja?” Schmitz ersetzt also den spezifischen Akzent, der sich nicht retten lässt, durch einen irgendwie ausländischen, verliert eine wesentliche Information, gewinnt aber dabei eine verwandte Anmutung. Nebenbei bemerkt hat auch Roth hier einen Fehler begangen: Kein Deutscher hätte den Fehler gemacht, nach dem Modalverb einen Infinitiv mit „to” zu bilden, denn zufällig gilt hier im Deutschen dieselbe Regel wie im Englischen. Perfekte Übersetzungen gibt es nicht, perfekte Originale aber auch höchstens in dem Sinn, dass ihr Wortlaut für den Übersetzenden die unverhandelbare, verbindliche Vorlage ist.
Alexander Portnoy also liegt auf der Couch und erinnert sich voll Inbrunst an die Zeit, als er fünf Jahre alt und der Allmacht seiner hysterisch überfürsorglichen Mutter ausgeliefert war. Er stellt sich vor, dass auch alle „teachers”, die er im „kindergarten” hat, niemand anders als sie, die Mutter, seien, „in disguise”, was Molvig sachlich korrekt, doch übertrieben deutlich mit „in veränderter Gestalt”, Schmitz hingegen sprachlich korrekt, aber ohne die vollen Implikationen des Originals mit „in Verkleidung” wiedergibt. Wie fängt die Mutter es dann aber an, dass sie immer schon in ihrer vertrauten Gestalt daheim ist und ihrem Sohn Milch und Kekse hinstellt?
Dem traut sich Portnoy nicht zu genau nachzugehen, denn: „I think I even feared that I might have to be done away with were I to catch sight of her flying in from school through the bedroom window, or making herself emerge, limb by limb, out of an invisible state and into her apron.” Er glaubt also, dass er damals fürchtete, dass es sein könnte, dass er beseitigt werden müsste, falls – so klänge die gewissenhafte Translation dieser mehrfach bedingten und abhängigen Aussage. Und dann bietet die Passage noch zwei Alternativen für die Ankunft der Zaubermutter im vertrauten Ambiente: da steckt ziemlich viel in einem einzigen Satz.
Bei Molvig wird daraus: „Vielleicht fürchtete ich sogar, man könnte mich ins Jenseits befördern, sollte ich mit eigenen Augen sehen, wie sie aus der Schule durchs Schlafzimmerfenster geflogen kam oder aus ihrem unsichtbaren Zustand Stück für Stück in ihre Schürze schlüpfte.” Sehr gut ist hier das „Stück für Stück in ihre Schürze schlüpfte”, denn es weckt die Anschauung, wie erst ein Arm und dann ein Bein aus dem Nichts hervorkommt und der Vorgang mit einer kindlichen Selbstverständlichkeit hingenommen wird, als ginge es nur um einen Akt des Umziehens; weniger gelungen jedoch die Beförderung ins Jenseits, denn gerade von einem Jenseits weiß diese dem Märchen verhaftete Denkweise am allerwenigsten.
Bei Schmitz: „Ich glaube, ich fürchtete sogar, es nicht zu überleben, wenn sie geradewegs von der Schule durchs Schlafzimmerfenster hereinflöge oder sich stückweise aus dem Nichts materialisierte, bis sie wieder in ihrer Küchenschürze dastand.” Hier ist der Flug durchs Fenster sehr lebendig angeschaut, nicht so deutlich hingegen der Vorgang der Rückverwandlung, der ganz von seinem Resultat aufgesogen wird; und „ich würde es nicht überleben” eliminiert die kindhafte Angst vor der unbekannten, unberechenbaren Instanz, um sie durch ein mehr oder weniger automatisches Geschehen zu ersetzen. Beide, Schmitz und Molvig, ringen darum, die unvermeidlich höhere syntaktische Komplexität des Deutschen zu reduzieren, indem sie beim zweiten und dritten Glied uneingeleitete statt eingeleiteter Nebensätze oder den erweiterten Infinitiv verwenden, haben aber beide schon drei Kommas verbraucht, wo im Englischen noch kein einziges stand. Es belehrt über Möglichkeiten und Grenzen des deutschen Satzbaus. Und so könnte man Satz um Satz verfahren, um zu finden, dass beide Übersetzer gute und verlässliche, aber mit Notwendigkeit je unvollkommene Arbeit geleistet haben, und dass nicht etwa Schmitz Molvig schlechterdings ablöst, sondern ihn zu ergänzen vermag. Die seit Molvigs Übersetzung vergangene Zeit bleibt dennoch fühlbar in der Art, wie er bei diesem soziologisch so sensiblen Roman mit amerikanischen Spezifika hantiert.
Eine der peinigendsten und komischsten Szenen des Buchs ist jene, wo der Held eine Angehörige der von ihm verehrten und verachteten WASP-Aristokratie nach langem Widerstand doch zum Oralverkehr zu veranlassen vermag. Außer um die interessante Frage, ob dieser Vorgang im Deutschen mit dem Akkusativ (Molvig: „Aber etwas konnte Sally nicht: mich blasen”) oder dem Dativ (Schmitz: „mir einen blasen”) zu konstruieren sei, geht es hier um die subtilen Töne des Ressentiments. Portnoy weiß, dass er da nur mit der zartesten Ausdauer vorankommt, aber innerlich kocht er über so viel Hochnäsigkeit. „Where was the justice in this world? Where was the B’nai B’rith Anti-Defamation League -! ,I do it to you’, I said. The Pilgrim shrugged; kindly she said, ,You don’t have to, though. . . .’ ”. Molvig muss in seiner Version aus den Siebzigern seinen Lesern noch mehr erklären, worum es geht, als dass er übersetzt: „Wo blieb die B’nai Brith, die jüdische Liga gegen Diffamierung!” und „Der Pilgrim zuckte die Achseln.” Nun stellt „der” Pilgrim für eine Frau (in einer Sexszene!) bestimmt eine Härte dar, aber sie schien Molvig noch unvermeidlich, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um einen Eigennamen, sondern einen Begriff handelt. 35 Jahre später darf Schmitz sich darauf verlassen, dass das Verständnis des Lesers auch ohne Stützräder seinen Weg nimmt: „Wo blieb die B’nai-B’rith-Antiverleumdungsliga -!” und „Pilgrim hob die Achseln.”
Natürlich geht das in jeder Hinsicht glatter vonstatten; aber hauptsächlich, weil die Zeit für Schmitz gearbeitet hat (dem man vielleicht insgesamt ein feineres rhythmisches Ohr attestieren darf). Doch darum sollte man die ältere Leistung keinesfalls geringschätzen, sondern sich freuen, dort wo ein englischer Leser sich alternativlos mit einem Text begnügen muss, zwei davon, zeitlich leicht versetzt, zur kritischen Auswahl zu haben. Eine Fremdsprache bietet mehr Gelegenheiten als die eigene.
BURKHARD MÜLLER
PHILIP ROTH: Portnoys Beschwerden. Roman. Aus dem Englischen neu übersetzt von Werner Schmitz. Carl Hanser Verlag, München 2009, 285 Seiten, 21,50 Euro.
Philip Roth Anfang Dezember 1968 Foto: Bob Peterson//Time Life Pictures/Getty Images
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
The most scandalous book of the year and probably the decade. John Sutherland The Times