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Der ehemalige Apple-Chef Steve Jobs wird verehrt als Manager, Visionär und Kultfigur, aber eigentlich war er ein begnadeter Geschichtenerzähler : Kaum einer war geschickter darin, die Entwicklung einer Firma und ihrer Produkte zu einer Story zu machen, die man gern weitererzählt. Heute wird die Methode des Storytelling in Managementkreisen als neue Zauberformel der Vermittlung gehandelt: "Storytelling ist ein trojanisches Pferd für Zahlen und Fakten." Doch was passiert, wenn die Wirtschaft mit dem ausschmückenden Erzählen auf eine Ressource zurückgreift, die eigentlich der Literatur entstammt?…mehr

Produktbeschreibung
Der ehemalige Apple-Chef Steve Jobs wird verehrt als Manager, Visionär und Kultfigur, aber eigentlich war er ein begnadeter Geschichtenerzähler : Kaum einer war geschickter darin, die Entwicklung einer Firma und ihrer Produkte zu einer Story zu machen, die man gern weitererzählt. Heute wird die Methode des Storytelling in Managementkreisen als neue Zauberformel der Vermittlung gehandelt: "Storytelling ist ein trojanisches Pferd für Zahlen und Fakten." Doch was passiert, wenn die Wirtschaft mit dem ausschmückenden Erzählen auf eine Ressource zurückgreift, die eigentlich der Literatur entstammt? Entsteht hier eine neue Art der Poesie, werden Manager gar zu Autoren? Ausgehend vom Phänomen des Storytelling untersucht Philipp Schönthaler das Verhältnis von Wirtschaft und Literatur und plädiert für ein Schreiben, das sein Selbstverständnis aus der Überschneidung beider Sphären gewinnt.
Autorenporträt
Schönthaler, Philipp§Philipp Schönthaler, 1976 in Stuttgart geboren, erhielt 2012 für sein Erzähldebüt Nach oben ist das Leben offen den Clemens-Brentano-Preis. Bei Matthes & Seitz Berlin sind bisher fünf Bücher erschienen, der Essay Portrait des Managers als junger Autor wurde 2016 mit dem Preis des Stuttgarter Wirtschaftsclubs ausgezeichnet. Sein Roman Der Weg aller Wellen. Leben und Dienste II setzt die im Erzählband Vor Anbruch der Morgenröte. Leben und Dienste I (2017) begonnene Auseinandersetzung mit der Technologie fort. Er lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2017

Gute Geschichten braucht das Management

Aber ob Joyce heute wirklich bei Google unterkäme? Philipp Schönthaler beschreibt die neue Strategie der Konzerne, ihre Mitarbeiter und Kunden mit Storytelling bei der Stange zu halten.

Gut dreißig Minuten hat Daimler-Chef Dieter Zetsche den Aktionären geboten, was von einer Hauptversammlung im Berliner ICC zu erwarten war. Zahlen und Fakten, vorgetragen in formvollendeter Monotonie. Doch dann greift Zetsche an sein Herz und zieht einen Brief aus der Brusttasche, den er in voller Länge vorliest. Ein Kunde dankt dem Vorstandsvorsitzenden, weil er und seine Frau einen Unfall nur dank des neuen CLA unbeschadet überlebt haben. Geraune und spontaner Applaus der Aktionäre.

Fein beobachtet und amüsant nacherzählt, macht Philipp Schönthaler diese Szene zum Nukleus seines Essays über die neue Geheimwaffe internationaler Großkonzerne: Storytelling als Managementmethode. So wie der Daimler-Chef mit dem Requisit des Dankesbriefs die Bühne der Rhetorik, des Theaters und der Fiktion betritt, setzen Firmen und Organisationen weltweit Storys ein, um sich als menschlich und mitfühlend zu präsentieren - ein Trojanisches Pferd, das die Unternehmensvision in die Köpfe und Herzen von Mitarbeitern und Kunden schleusen soll. Steve Clayton, Chief Storyteller bei Microsoft, traut seiner Abteilung mit fünfundzwanzig Mitarbeitern sogar zu, den Kurs des Weltkonzerns lenken zu können. Im Zeitalter von Big Data scheint die vorgeblich antiquierte Kulturtechnik des Erzählens allen Statistiken überlegen.

Wo die Kategorie Sinn vollends in die Cloud entrückt ist, kann die analoge Kultur mitsamt ihrem schon von Walter Benjamin überholt geglaubten mündlichen Erzähler einen überraschenden Triumph feiern. Unter Berufung auf psychologische Studien und den "narrative turn" in den Kultur- und Sozialwissenschaften behaupten Managerberater gar, es liege in der menschlichen DNA, sich am Lagerfeuer Geschichten zu erzählen, um die Furcht zu vertreiben und Gemeinschaftssinn zu stiften. Der Mensch als "natural born storyteller" und geschichtenerzählendes Tier, wie Schönthaler schreibt.

Der Autor kennt sich aus mit dem Großkonzern-Sprech und der verschwiegenen Kaste der Manager. Literarisch hat er schon in seinem Erzählungsband "Nach oben ist das Leben offen" und dem Roman "Das Schiff, das singend zieht auf seiner Bahn" Kapital daraus geschlagen. Nun geht Schönthaler den Berührungspunkten von Literatur und Geschäft als geisteswissenschaftlich geschulter Essayist auf den Grund. Kuriose Anekdoten, rasante Ausflüge in die Wirtschaftsgeschichte und Literaturtheorie, Exkurse über das doppelbödige Storytelling von Schriftstellern zu Selbstvermarktungszwecken, das Thomas Mann ebenso perfekt beherrschte wie die Popliteraten, vor allem aber Schönthalers eleganter Stil machen den Band zu einer anregenden Lektüre.

Nüchtern beschreibt der Autor die Arbeitsweise des Managers als das Herauslösen von "skills" und Wissensbrocken aus fachfremden Bereichen bei gleichzeitigem Verschweigen der Quellen. So ist auch die Geheimwaffe Storytelling der antiken Rhetorik entlehnt, die "narratio" freilich nur als ein Element von vielen nennt. Aufschlussreich sind auch die Passagen über die Brutstätte des Storytelling, die Creative-Writing-Kurse in den Vereinigten Staaten, wo Schriftsteller wie Raymond Carver, William Gaddis, Sylvia Plath und Thomas Pynchon bis hin zu Philip Roth und David Foster Wallace ihr Handwerk lernten.

Dass die Schreibwerkstätten ihre Blüte auch der Unterstützung durch den amerikanischen Geheimdienst während des Kalten Krieges verdankten, legt nahe, dass die dort gelehrte Ästhetik keineswegs so zeitlos und allgemeingültig ist wie angenommen. Die Bevorzugung des "Welthaltigen" vor der Theorie, des Individuums vor dem Kollektiv und der Freiheit vor der politischen Doktrin offenbart Schönthaler als Übersetzung des amerikanischen Liberalismus in eine konkrete Poetologie. Kein Wunder, dass Marketingchefs und CEOs heute so gern darauf zurückgreifen.

In Deutschland ist die Skepsis gegenüber Schreibschulen trotz einiger nicht zu leugnender Erfolge ungebrochen. Mitten im Vormarsch der Schreib-Bots steht die Statue des Künstlergenies noch immer fest verankert in alteuropäischem Boden - wenn auch bröckelnd. Während sich die Literatur gerade im deutschsprachigen Raum in Nostalgie und Realismus zurückziehe, seien digitale Medienunternehmen, Architekturbüros und Konzerne wie Coca-Cola die neue Avantgarde des Erzählens geworden, schreibt Schönthaler. Damit die Literatur nicht weiter an Relevanz verliere, müsse sie ihre Komfortzone verlassen - um eine Phrase des Storytelling aufzuwärmen - und sich der Wirtschaft öffnen. Ein Visionär wie James Joyce, der radikal die Kampfzone der Literatur ausweitete, würde heute bei Google arbeiten.

Es stimmt, dass Marketing-Strategen das Web 2.0 längst für serielle, mehrschichtige und interaktive Erzählstrategien nutzen. Firmen und Organisationen inszenieren sich dabei als neutrale Plattformen, auf denen Inhalte (bestenfalls Storys) von Mitarbeitern und Kunden nicht nur verbreitet, sondern auch weitergesponnen werden. Trotzdem stellt sich die Frage nach dem literarischen Wert dieser Inhalte - ein Zetsche ist eben noch lange kein Joyce. Auch wenn Schönthaler den Unterschied zwischen zweckgebundenem Storytelling und freier Literatur herausarbeitet, die eigentlichen Motive der Konzern-Erzähler, ihre Maßstäbe und Strategien und die Einbettung des Phänomens in einen globalen, kapitalistischen Zusammenhang analysiert er nicht. Was es für Folgen hat, wenn das Erzählen, Denken und Diskutieren vorwiegend auf der Medienplattform eines vermeintlich neutralen Konzerns stattfindet, hat jüngst der amerikanische Wahlkampf gezeigt.

SARAH ELSING

Philipp Schönthaler: "Porträt des Managers als junger Autor". Zum Verhältnis von Wirtschaft und Literatur. Eine Handreichung.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2016. 168 S., br., 15,- [Euro].

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