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Antunes' zweites Handbuch über Macht, Missbrauch, Betrug und Selbstbetrug: Zur Zeit der portugiesischen Fremdherrschaft in Angola heiratet Amadeu die Tochter eines wohlhabenden Farmers. Das uneheliche Kind von Amadeu, den Mischling Carlos, behandeln sie beide wie einen Menschen zweiter Klasse. Nach Salazars Tod kann sich die Familie zwar nach Portugal retten, aber alle tragen sie Wunden davon. Erst als Carlos seine Geschwister und die Mutter zum Weihnachtsessen einlädt und niemand von ihnen erscheint, setzt für alle die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein.

Produktbeschreibung
Antunes' zweites Handbuch über Macht, Missbrauch, Betrug und Selbstbetrug: Zur Zeit der portugiesischen Fremdherrschaft in Angola heiratet Amadeu die Tochter eines wohlhabenden Farmers. Das uneheliche Kind von Amadeu, den Mischling Carlos, behandeln sie beide wie einen Menschen zweiter Klasse. Nach Salazars Tod kann sich die Familie zwar nach Portugal retten, aber alle tragen sie Wunden davon. Erst als Carlos seine Geschwister und die Mutter zum Weihnachtsessen einlädt und niemand von ihnen erscheint, setzt für alle die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein.
Autorenporträt
António Lobo Antunes, geb. 1942 in Lissabon, studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile zwanzig Titel umfasst und in über dreißig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den 'Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes', den 'Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur', den 'Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft' und zuletzt 2007 den Camões-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Stockfisch und Wahn
Lobo Antunes denkt an Angola / Von Paul Ingendaay

Seit achtzehn Jahren hat die Mutter niemanden, der ihr schreibt. Wer in Angola, dem ehemaligen kolonialen Hinterhof der Salazar-Diktatur, ausharrt, ist für Portugal gestorben. Als die Rebellen kamen und die portugiesischen Gutsbesitzer mit Gewehr und Machete hinwegzufegen drohten, hatte Isilda ihre drei erwachsenen Kinder nach Lissabon zurückgeschickt, selbst jedoch mit Dienstboten und Federvieh die Stellung gehalten: Auch im Untergang wollte sie das Land, in das ihre Eltern in der Hoffnung auf schnellen Reichtum gekommen waren, nicht loslassen. Ihr Bericht, fünfzehn datierte Kapitel, die die Zeit von 1978 bis 1995 umspannen, macht die Hälfte des neuen Romans von António Lobo Antunes aus. Die Leser dieses Autors wissen freilich, daß von einem Bericht im üblichen Sinn nicht die Rede sein kann. Wie frühere Figuren des Nobelpreis-Kandidaten projiziert auch Isilda ihre Erinnerungen, einen Bewußtseinsstrom aus Haß, Unverständnis und bigotter Nostalgie, in eine Gegenwart, die das Licht schluckt wie eine schwarze Wand.

Nicht nur deshalb läßt sich der Titel, "Portugals strahlende Größe", der eine Zeile aus der portugiesischen Nationalhymne zitiert, bestenfalls als Ironie mit dem Holzhammer verstehen: In einem Dutzend Romane hat der 1942 geborene Lobo Antunes den Untergang der portugiesischen Bourgeoisie als zwanghafte Kollektivbeichte einer überlebten Machtelite beschrieben und an den Herren Ministern, Militärs und Diplomaten, ihren Vasallen und Claqueuren, ihren schwächlichen Söhnen, frustrierten Ehefrauen und vulgären Mätressen kein gutes Haar gelassen. Auch in dem neuen Buch, dem zweiten Teil einer Tetralogie über die Macht, die mit dem vielgelobten "Handbuch der Inquisitoren" (deutsch 1997) begann, regiert die Dekadenz. Die Portugiesen, die sich in Angola ansiedeln, empfinden sich zwar als Herren über die einheimischen Schwarzen, zugleich aber als "Neger" der Daheimgebliebenen. Wohlwollend betrachtet, handelt das Buch von Entfremdung und ennui einer bestimmten Schicht in einer ungünstigen soziokulturellen Lage. Deutlich gesprochen, handelt es von Abstumpfung, Rassismus und hartnäckiger Wirklichkeitsverleugnung. Unvorstellbare Massaker ereignen sich, als angolanische Rebellen und marodierende Söldner die alte Ordnung stürzen. Wenn das rastlose Bewußtsein Isildas überhaupt einer Tugend verpflichtet ist, dann der einer mitleidlosen Genauigkeit im Angesicht des Schreckens: "Ich hätte ahnen müssen, daß Angola für mich zu Ende war, als sie die Leute von zwei Fazendas weiter im Norden getötet haben, der Mann lag, den Hals nach unten, auf den Stufen, das heißt mit einer Gardinenstange, die ihm den Bauch durchbohrte, auf die Stufen genagelt, die Frau nackt auf dem Bauch im Chaos der Küche, viel nackter, als würde sie leben, ohne Hände, ohne Zunge" - und noch viele Zeilen so weiter.

António Lobo Antunes ist im emphatischsten Verständnis des Wortes ein ernsthafter Schriftsteller. Der ehemalige Leiter einer psychiatrischen Klinik in Lissabon, der als junger Arzt für zwei Jahre nach Angola zwangsverpflichtet wurde, hat die Übel des kolonialen Gebarens mit eigenen Augen gesehen und sie in seinem ersten Roman, "Der Judaskuß" (1979, deutsch 1987), als trunkenen Nachtmonolog eines seelisch zerstörten Kriegsheimkehrers wiederaufleben lassen. Die Sicht der Heimkehrer findet sich auch in seinem neuen Roman. Im Wechsel mit den Kapiteln Isildas ergreifen die erwachsenen Kinder das Wort: Carlos, der einer flüchtigen Affäre seines Vaters mit einer Schwarzen entsprang und von seiner Großmutter als "Neger" gebrandmarkt wurde, verdingt sich als Arzneimittelvertreter in der portugiesischen Provinz. Rui, der Epileptiker und Idiot der Familie, hockt in einem Heim für Geisteskranke, in das Carlos ihn abgeschoben hat. Und Clarisse empfängt zweimal die Woche einen ältlichen Galan mit Herzschrittmacher, der etwa so stimulierend wirkt wie das Horoskop aus der Fernsehzeitschrift.

Für den 24. Dezember 1995 hat sich Carlos etwas Besonderes ausgedacht: Nachdem er sie fünfzehn Jahre gemieden hat, möchte er seine Geschwister zum Weihnachtsessen in seine Wohnung laden. Das klingt nach einer jener Generalabrechnungen, die sich für ihr Desillusionierungswerk bevorzugt den feierlichsten Tag des Jahres aussuchen. Und genau so ist es. Aber es verblüfft, wie bereitwillig sich Lobo Antunes dem Klischee in die Arme wirft. Denn natürlich findet das Weihnachtsessen nicht statt, weil die Gäste nicht kommen: Es war ja auch nur ein Vorwand, um die Figuren zum Selbstgespräch zu animieren. "Wie wird es wohl dem bescheuerten Rui gehen", fragt sich Carlos, während der Stockfisch kalt wird, "wie wird es wohl der bescheuerten Clarisse gehen?" Nur der Leser erhält darauf eine Antwort.

Leider ist sie viel zu lang geraten. Dabei ist durchaus fraglich, ob der Roman gewonnen hätte, wenn man seine 440 Seiten entschlossen um ein Drittel gekürzt hätte. Denn die Figuren entwickeln sich nicht, sie häufen nur manisch Einzelheiten an: Häßlichkeiten aus der Kindheit, Brutalitäten gegenüber dem Personal, Kleinstgeschichten von Stumpfsinn und Gleichgültigkeit. Es ist wahr, all diese Einzelheiten, von einer hervorragenden Übersetzerin ins Deutsche gebracht, sind mitunter von einer atemberaubend surrealen Poesie überstrahlt; auch verzahnen sie sich und bilden aparte Motivketten, wie die Literaturkritik seit langem lobend erwähnt. Aber es sind und bleiben doch Karikaturen, die da im Leerlauf so vehement aufs Gaspedal treten.

Wer seinen Kopf indessen aus den hektischen Aufzählungen, den erbarmungslos niederstürzenden Satzkaskaden herauszieht und nüchtern das Arrangement ins Auge faßt, sieht plötzlich die Züge eines literarischen Ahnen hindurchschimmern, ohne den "Portugals strahlende Größe" nicht denkbar wäre. Gemeint ist William Faulkners Roman "Schall und Wahn", eine Ikone der klassischen Moderne, veröffentlicht im Jahre 1929. Die Parallelen betreffen das Ganze, den Verfall einer Familie und die naßforsche Rechtfertigung des Rassismus; sie betreffen aber auch die Form, das streng multiperspektivische Erzählen. Beide Romane haben ihren "Idioten", dessen beschränkte Sicht das übrige Geschehen in ein befremdliches Licht taucht; beide machen die Tochter, die als Flittchen beschimpft wird, zum einzigen, kümmerlichen Symbol für sinnliche Liebe; hier wie dort lauscht der Leser Monologen, die jeweils nur Bruchstücke einer gedachten Gesamthandlung sind und mit detektivischer Sorgfalt zusammengefügt werden müssen, um Sinn zu ergeben.

Bei Faulkner wird das dubiose Familienerbe von vier, bei Lobo Antunes von drei Nachkommen verkörpert. Doch selbst dieser Unterschied betont nur die Nähe zum Vorbild: In Carlos, einem Mischling im doppelten Sinn, hat der Portugiese kurzerhand die Züge von Quentin und Jason Compson aus "Schall und Wahn" übereinandergeblendet. Von Quentin nimmt er die depressive Stimmungslage bis hin zu dem Leitmotiv, das beide Romane immer wieder anschlagen: das Ticken der Uhr, das an die sinnlos verstreichende Lebenszeit erinnert. Von Jason holt er sich den Geiz, die Berechnung und jene besondere Gemeinheit, die blind gegen alles Vitale und Ungezähmte wütet.

Lobo Antunes hat aus seiner Bewunderung für den "Harakiri-Schriftsteller" Faulkner kein Hehl gemacht, und nichts wäre einfältiger, als ihn des Plagiats zu bezichtigen. Denkbar ist eher, daß er es darauf angelegt hat, die Anleihen sichtbar zu machen, um in der Differenz zwischen Text und Prätext die eigene Modernität, das Neue und Weitergedachte triumphal zu behaupten. Faulkner schließt seinen Roman mit dem österlichen Kirchgang einer aufrechten schwarzen Haushilfe, und man kann darin einen Fluchtweg sehen, der weit jenseits des Buches in tröstenden mystischen Nebel führt. Wenn Lobo Antunes am Ende seiner unheiligen Weihnachtsgeschichte die Nebelmaschine anwirft, dann aus einem viel profaneren Grund: Er läßt Isilda, die den Gewehren der Rebellen in den Lauf blickt, in Phantasien eines Kindheitsidylls fliehen, das es wahrscheinlich nie gegeben hat. Die letzten Worte des Romans sind als reiner Hohn zu verstehen: "Finis Laus Deo".

Lobo Antunes liebt es, mit gefühlsgeladenen Sätzen, die aus dem Nichts auftauchen und ebenso wieder verschwinden, das Elend vorangegangener Seiten zu dementieren. In Rezensionen werden sie begeistert zitiert, weil sie angeblich auf Humor und Anteilnahme schließen lassen. Bei dem vorliegenden Roman dürfte solche Gutmütigkeit schwerlich aufzubringen sein. In bedrückender Eintönigkeit spricht aus allen Figuren dieselbe Sprache und so ziemlich derselbe Geist. Während Faulkner selbst für seine verkommensten Figuren Verständnis weckt, weil er sich für ihr Rätsel interessiert, überwältigt Lobo Antunes seine Geschöpfe mit einem Ressentiment, von dem man befürchten muß, daß es sein eigenes ist. Ob Carlos oder Rui, Clarisse oder Isilda, jeder einzelne weidet friedlich im Privatgehege seiner ihm vorbehaltenen Kapitel, doch die Botschaft, die man dem wiedergekäuten Erinnerungsstoff abringen kann, ist allen gemeinsam: daß Angola für die Weißen eine unangenehme Erfahrung war, die ihren Charakter verdorben hat.

Ein Beleg dafür, einer unter vielen, findet sich in der unerquicklichsten Szene des Romans, einer Ästhetisierung des Todes, die ans Perfide grenzt. Josélia, die langjährige schwarze Dienerin der Familie, läßt sich von Buschhunden zerfleischen, um ihrer Herrin die Flucht zu ermöglichen. Doch die Stimme der sterbenden Josélia hören wir nicht. Statt dessen vernehmen wir die Herrin, der bei dem grausigen Anblick der Tod von Kühen in den Sinn kommt. Natürlich muß ein Schriftsteller nicht dafür geradestehen, was seine Geschöpfe denken. Aber es bleibt die Frage, warum António Lobo Antunes seinem großen Chor eine so jämmerliche Partitur gegeben hat.

António Lobo Antunes: "Portugals strahlende Größe". Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Verlag, München 1998. 447 S., geb., 48,- DM.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.10.2017

NEUE TASCHENBÜCHER
Alles andere als hymnisch: António Lobo
Antunes und „Portugals strahlende Größe“
„Man spricht nur von sich, man erfindet nichts“, hat António Lobo Antunes in einem seiner seltenen Interviews gesagt. Über dreißig Bücher hat der 1942 in Lissabon geborene Arzt und wortmächtige Schriftsteller bislang geschrieben. Jedes von ihnen arbeitet sich an Portugal unter dem Diktator Salazar, der kolonialen Vergangenheit des Landes und wie sie bis heute fortwirkt, ab. Lobo Antunes war Militärarzt in Angola zur Zeit des Kolonialkrieges. Als er nach mehr als zwei Jahren 1973 nach Lissabon zurückkehrte, hatten sich die Gräuel unauslöschlich bei ihm eingebrannt.
„Portugals strahlende Größe“ heißt der Roman von 1997, der nun erstmals als Taschenbuch vorliegt. Der Titel ist eine Zeile aus der Nationalhymne. Purer Hohn, denn strahlend ist nichts darin: „Das wirkliche Herz des Hauses waren die Gräser auf den Gräbern am Abend oder zu Beginn der Nacht, die Worte sagten, die ich, aus Angst, sie zu verstehen, schlecht verstand (. . .) Stimmen, die eine sinnlose Geschichte von Menschen und Tieren und Morden und Krieg erzählten, als flüsterten sie unaufhörlich unsere Schuld (. . .).“ Jammert die Rassistin Isilda, die verbittert und allein noch immer in Angola lebt und der Vergangenheit nachtrauert.
Sie ist eine der alles andere als sympathischen Erzählerfiguren, was die Lektüre schwer verdaulich macht. Eine weitere ist ihr 42-jähriger Stiefsohn Carlos, ein Mischling, daher stets ausgegrenzt. Die Geschichte erstreckt sich von 1978 bis in die Neunzigerjahre, Fluchtpunkt ist der 24. Dezember 1995. Zu Weihnachten lädt Carlos seine Stiefmutter und Halbgeschwister nach Lissabon ein. Natürlich kommt niemand. „Portugals strahlende Größe“ ist auch eine Familien(untergangs)suada. Lobo Antunes riet einmal, seine Bücher nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Körper zu lesen, dann verstünde man sie erst richtig. „In mir ist etwas Schreckliches“, heißt es an einer Stelle, „es ist eine Art Schrei, der nicht aus dem Mund, sondern aus dem ganzen Körper kommen und die Felder erfüllen wird wie das Heulen der Hunde (. . .).“ FLORIAN WELLE
António Lobo Antunes: Portugals strahlende Größe. A. d. Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. btb Verlag, München 2017. 448 Seiten, 12 Euro.
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