Es ist Weihnachten, und Carlos hat seine Geschwister und seine Mutter in die winzige Wohnung in einem armen Vorortviertel Lissabons eingeladen, sie haben sich fünfzehn Jahre nicht gesehen. Doch der Sekt wird warm, keiner kommt, sie waren nie eine glückliche Familie. Als Kolonialisten lebten sie schon in Angola mehr schlecht als recht; der Vater Amadeu war ein Säufer, die Mutter Isilda eine Mätresse. Und die Kinder? Carlos ist Mischling, Resultat einer Affäre des Vaters, Rui ist geistig behindert, Clarisse verkauft ihren Körper. Der Bürgerkrieg hat sie aus Afrika verscheucht, aber Schuld, Gewalt und Hass tränken ihre Erinnerungen und treiben sie in den Untergang - auch wenn ihre Nationalhymne stets "Portugals strahlende Größe" beschwört ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.10.2017NEUE TASCHENBÜCHER
Alles andere als hymnisch: António Lobo
Antunes und „Portugals strahlende Größe“
„Man spricht nur von sich, man erfindet nichts“, hat António Lobo Antunes in einem seiner seltenen Interviews gesagt. Über dreißig Bücher hat der 1942 in Lissabon geborene Arzt und wortmächtige Schriftsteller bislang geschrieben. Jedes von ihnen arbeitet sich an Portugal unter dem Diktator Salazar, der kolonialen Vergangenheit des Landes und wie sie bis heute fortwirkt, ab. Lobo Antunes war Militärarzt in Angola zur Zeit des Kolonialkrieges. Als er nach mehr als zwei Jahren 1973 nach Lissabon zurückkehrte, hatten sich die Gräuel unauslöschlich bei ihm eingebrannt.
„Portugals strahlende Größe“ heißt der Roman von 1997, der nun erstmals als Taschenbuch vorliegt. Der Titel ist eine Zeile aus der Nationalhymne. Purer Hohn, denn strahlend ist nichts darin: „Das wirkliche Herz des Hauses waren die Gräser auf den Gräbern am Abend oder zu Beginn der Nacht, die Worte sagten, die ich, aus Angst, sie zu verstehen, schlecht verstand (. . .) Stimmen, die eine sinnlose Geschichte von Menschen und Tieren und Morden und Krieg erzählten, als flüsterten sie unaufhörlich unsere Schuld (. . .).“ Jammert die Rassistin Isilda, die verbittert und allein noch immer in Angola lebt und der Vergangenheit nachtrauert.
Sie ist eine der alles andere als sympathischen Erzählerfiguren, was die Lektüre schwer verdaulich macht. Eine weitere ist ihr 42-jähriger Stiefsohn Carlos, ein Mischling, daher stets ausgegrenzt. Die Geschichte erstreckt sich von 1978 bis in die Neunzigerjahre, Fluchtpunkt ist der 24. Dezember 1995. Zu Weihnachten lädt Carlos seine Stiefmutter und Halbgeschwister nach Lissabon ein. Natürlich kommt niemand. „Portugals strahlende Größe“ ist auch eine Familien(untergangs)suada. Lobo Antunes riet einmal, seine Bücher nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Körper zu lesen, dann verstünde man sie erst richtig. „In mir ist etwas Schreckliches“, heißt es an einer Stelle, „es ist eine Art Schrei, der nicht aus dem Mund, sondern aus dem ganzen Körper kommen und die Felder erfüllen wird wie das Heulen der Hunde (. . .).“ FLORIAN WELLE
António Lobo Antunes: Portugals strahlende Größe. A. d. Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. btb Verlag, München 2017. 448 Seiten, 12 Euro.
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Alles andere als hymnisch: António Lobo
Antunes und „Portugals strahlende Größe“
„Man spricht nur von sich, man erfindet nichts“, hat António Lobo Antunes in einem seiner seltenen Interviews gesagt. Über dreißig Bücher hat der 1942 in Lissabon geborene Arzt und wortmächtige Schriftsteller bislang geschrieben. Jedes von ihnen arbeitet sich an Portugal unter dem Diktator Salazar, der kolonialen Vergangenheit des Landes und wie sie bis heute fortwirkt, ab. Lobo Antunes war Militärarzt in Angola zur Zeit des Kolonialkrieges. Als er nach mehr als zwei Jahren 1973 nach Lissabon zurückkehrte, hatten sich die Gräuel unauslöschlich bei ihm eingebrannt.
„Portugals strahlende Größe“ heißt der Roman von 1997, der nun erstmals als Taschenbuch vorliegt. Der Titel ist eine Zeile aus der Nationalhymne. Purer Hohn, denn strahlend ist nichts darin: „Das wirkliche Herz des Hauses waren die Gräser auf den Gräbern am Abend oder zu Beginn der Nacht, die Worte sagten, die ich, aus Angst, sie zu verstehen, schlecht verstand (. . .) Stimmen, die eine sinnlose Geschichte von Menschen und Tieren und Morden und Krieg erzählten, als flüsterten sie unaufhörlich unsere Schuld (. . .).“ Jammert die Rassistin Isilda, die verbittert und allein noch immer in Angola lebt und der Vergangenheit nachtrauert.
Sie ist eine der alles andere als sympathischen Erzählerfiguren, was die Lektüre schwer verdaulich macht. Eine weitere ist ihr 42-jähriger Stiefsohn Carlos, ein Mischling, daher stets ausgegrenzt. Die Geschichte erstreckt sich von 1978 bis in die Neunzigerjahre, Fluchtpunkt ist der 24. Dezember 1995. Zu Weihnachten lädt Carlos seine Stiefmutter und Halbgeschwister nach Lissabon ein. Natürlich kommt niemand. „Portugals strahlende Größe“ ist auch eine Familien(untergangs)suada. Lobo Antunes riet einmal, seine Bücher nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Körper zu lesen, dann verstünde man sie erst richtig. „In mir ist etwas Schreckliches“, heißt es an einer Stelle, „es ist eine Art Schrei, der nicht aus dem Mund, sondern aus dem ganzen Körper kommen und die Felder erfüllen wird wie das Heulen der Hunde (. . .).“ FLORIAN WELLE
António Lobo Antunes: Portugals strahlende Größe. A. d. Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. btb Verlag, München 2017. 448 Seiten, 12 Euro.
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