Zum 100-jährigen Jubiläum der Possehl-Stiftung verwebt der Hamburger Historiker Axel Schildt den Weg Emil Possehls mit der Gründung und dem Aufstieg der Stiftung sowie der Lübecker Stadtgeschichte zu einer fundierten und anschaulichen Erzählung. Diese ergänzt der Journalist und Autor Marc Winkelmann durch eine zweite Textebene, die den besonderen Charakter der Possehl-Stiftung als sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Motor in Lübeck zum Ausdruck bringt: Historische Ereignisse aus der Stifter- und Stiftungsbiografie werden mit bis heute wirkenden Eigenschaften des Gründers in Verbindung gebracht.
Inhalte:
Biografie des Unternehmers und Stiftungsgründers Emil Possehl (1850-1919)Umfassendes Bild der besonderen Ausrichtung und Aktivität der Possehl-StiftungErzählt von dem renommierten Zeithistoriker Prof. Dr. Axel Schildt, dem ehemaligen Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in HamburgErgänzt durch Texte des Journalisten Marc Winkelmann zur besonderen Charakteristik der Stiftung heuteAnlässlich des 100-jährigen Bestehens der Stiftung und des 100. Todestags von Emil Possehl
Dieser Titel ist ein Produkt der Reihe "Professional Publishing for Future and Innovation by Murmann & Haufe".
Inhalte:
Biografie des Unternehmers und Stiftungsgründers Emil Possehl (1850-1919)Umfassendes Bild der besonderen Ausrichtung und Aktivität der Possehl-StiftungErzählt von dem renommierten Zeithistoriker Prof. Dr. Axel Schildt, dem ehemaligen Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in HamburgErgänzt durch Texte des Journalisten Marc Winkelmann zur besonderen Charakteristik der Stiftung heuteAnlässlich des 100-jährigen Bestehens der Stiftung und des 100. Todestags von Emil Possehl
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2019Genügsam und bescheiden
Der Industrielle Emil Possehl und seine Stiftung
"Mein größter Wunsch ist es, dass die Früchte meines Lebenswerkes meiner geliebten Vaterstadt, der Freien und Hansestadt Lübeck, zugute kommen mögen", verfügte Emil Possehl in der Präambel seines am 9. Juli 1915 in Hamburg beglaubigten Testaments. Der Kaufmann, der ohne leibliche Kinder blieb und es mit 100 Millionen Mark Vermögen zum reichsten Bürger seiner Vaterstadt gebracht hatte, hinterließ Lübeck eine einflussreiche Stiftung. Sie wurde Universalerbin und Alleingesellschafterin seines von Vater Ludwig gegründeten Unternehmens, das mit dem Handel von Kohle und Eisen angefangen hatte und längst zu einem international tätigen Imperium geworden war. Die Erträge der Stiftung sollten Lübeck verschönern und das Gemeinwohl fördern.
Zu ihrem runden Geburtstag beschreibt der Hamburger Zeithistoriker Axel Schildt die Geschichte dieser Dotation. Geschildert wird eine Erfolgsgeschichte, wenn auch keine glatte. Denn es dauerte, bis die Stiftung nach zwei Weltkriegen gegen erhebliche Widerstände ins Laufen kam. Gründung und Aufstieg verknüpft der Autor eng mit Wesen und Wirken des Stifters. Schildts Porträt wird so im ersten Drittel des Buches zu einer Biographie des Unternehmers Emil Possehl, dessen wenig bekannte Holding heute mit 160 meist selbständigen Unternehmen und 12 500 Mitarbeitern diversifiziert zwischen Maschinenbau, Elektrotechnik und Dienstleistung in 62 Ländern agiert.
Emil Possehl (1850 bis 1919), der offenbar auch als Industrieller "genügsam und bescheiden" auftrat, war bereits zu Lebzeiten Lübecks wichtigster Mäzen. Er schenkte der Stadt unter anderem ein neues Theater unweit seines Unternehmenssitzes und des Buddenbrook-Hauses und setzte sich als Senator für visionäre Großprojekte wie den Elbe-Lübeck-Kanal und die Vogelfluglinie über Fehmarn nach Kopenhagen ein. Lübeck hielt er die Treue, selbst als er 1915 wegen Landesverrats angeklagt wurde und bis zum Freispruch ein Jahr in Untersuchungshaft saß.
Schildt nennt Possehl, der 1870/1871 als junger Husar im Deutsch-Französischen Krieg kämpfte, einen typischen "Wilhelminer" mit den zeit- und milieuspezifischen sozialen Ambivalenzen des Kaiserreichs: Einerseits sei er "fortschrittlich, ja geradezu fortschrittsgläubig" und "nicht nur ein weitblickender Kaufmann, sondern zugleich ein moderner Unternehmer" gewesen: "Der Aufstieg des vom Vater übernommenen Handelshauses und dessen Erweiterung durch industrielle Unternehmen verlief auf der Basis eines strategischen Denkens, das nicht zuletzt auf neue, innovative technische Verfahren setzte." Andererseits habe er eine autoritäre Persönlichkeit mit völkisch-nationalistischer Grundeinstellung kombiniert. Die ihm eigene Mischung aus Fortschrittsglauben, Nationalismus und lokalem Patriotismus veranlasste ihn offenbar, sein Unternehmen einer Stiftung zu übergeben, die soziale und kulturelle Zwecke ausschließlich in Lübeck fördern sollte.
Diese Stiftung tat sich in ihren Anfangsjahren äußerst schwer. Denn zu verteilen gab es zunächst nichts. Possehl hatte nicht geahnt, dass es wohl kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt als das Jahr 1919 für die Gründung einer Stiftung hätte geben können. Seine russischen Unternehmen waren verloren, und in Schweden und Norwegen hatte sich ein Riesenschuldenberg angehäuft. So erhielt die neue Stiftung zunächst nur geringe Mittel, die in der Weltwirtschaftskrise zeitweise ganz ausblieben.
Danach verschaffte zwar die Rüstungskonjunktur mehr Geld. "Aber mit der Machtdurchsetzung des ,Dritten Reichs' hatten neue Herren im Vorstand der Possehl-Stiftung Platz genommen", heißt es. "Die Stiftung wurde zur Beute der örtlichen NS-Clique, die sie zu einem Vehikel der nationalsozialistischen Sozialpolitik degradierte."
Die eigentliche Geschichte der Possehl-Stiftung beginnt erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich der Aufstieg der Stiftung in der Folge der rasanten ökonomischen Entwicklung des Konzerns mit dem Wiederaufbau der Hansestadt Lübeck verband. 1950 wurden erstmals wieder Spenden ausgeschüttet. Die Spendentätigkeit kam von da an nicht mehr zum Stillstand. Sie half zunächst vor allem, die Schäden in der 1942 bei einem britischen Bombenangriff zerstörten Altstadt zu beseitigen. Die Stiftung zahlte weiter unermüdlich. Selbst im Jahrzehnt ihrer dramatischen Rechtskonflikte, als es bis zur Mitte der sechziger Jahre um die richtige Auslegung des Testaments von Emil Possehl, um die Satzung der Stiftung und den Gesellschaftervertrag ging. Die gute Geschäftsentwicklung der Holding nach der Wiedervereinigung, die Lübeck aus der Zonenrandlage befreite, führte zu einer enormen Dynamik der Stiftungstätigkeit. Zwischen 1950 und 2018 wurden von der Stiftung insgesamt 391 Millionen Euro verausgabt, zwei Drittel davon allein im letzten Jahrzehnt. Aktuell werden 500 Anträge pro Jahr bearbeitet und 85 Prozent bewilligt. Die neueren Projekte fördern verstärkt Kunst und Wissenschaft und zeigen zunehmend eine Abkehr vom Lübecker Lokalismus.
Schildt gibt zu bedenken, dass die stetige Expansion des Konzerns und der damit verbundene warme Stiftungsregen kein Naturgesetz sind. Ein Problem für die Stiftung sieht er auch im Verhältnis zum Staat, den Possehl einst "so weit außen vor halten wollte, wie es die gesetzlichen Bestimmungen erlauben". Solche apodiktische Trennung von kommunalen Aufgaben und der Förderung einzelner Projekte lasse sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Das beweise die jüngere Vergangenheit: "Ohne die Possehl-Stiftung gäbe es weder das Hansemuseum noch den Bildungsfonds und zahlreiche andere städtische Errungenschaften", so der Verfasser. Das Verhältnis von mäzenatischer Praxis und politischer Sphäre sei ein generelles Problem. Aber nirgendwo zeige es sich in dieser markanten Zuspitzung wie in Lübeck, "einer stark verschuldeten Großstadt und einer immer reicheren Stiftung. Damit ist die Hansestadt zum stiftungspolitischen Experiment für ganz Deutschland geworden."
ULLA FÖLSING
Axel Schildt: Possehl. Geschichte und Charakter einer Stiftung. Murmann/Haufe, Freiburg 2019. 392 Seiten. 34,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Industrielle Emil Possehl und seine Stiftung
"Mein größter Wunsch ist es, dass die Früchte meines Lebenswerkes meiner geliebten Vaterstadt, der Freien und Hansestadt Lübeck, zugute kommen mögen", verfügte Emil Possehl in der Präambel seines am 9. Juli 1915 in Hamburg beglaubigten Testaments. Der Kaufmann, der ohne leibliche Kinder blieb und es mit 100 Millionen Mark Vermögen zum reichsten Bürger seiner Vaterstadt gebracht hatte, hinterließ Lübeck eine einflussreiche Stiftung. Sie wurde Universalerbin und Alleingesellschafterin seines von Vater Ludwig gegründeten Unternehmens, das mit dem Handel von Kohle und Eisen angefangen hatte und längst zu einem international tätigen Imperium geworden war. Die Erträge der Stiftung sollten Lübeck verschönern und das Gemeinwohl fördern.
Zu ihrem runden Geburtstag beschreibt der Hamburger Zeithistoriker Axel Schildt die Geschichte dieser Dotation. Geschildert wird eine Erfolgsgeschichte, wenn auch keine glatte. Denn es dauerte, bis die Stiftung nach zwei Weltkriegen gegen erhebliche Widerstände ins Laufen kam. Gründung und Aufstieg verknüpft der Autor eng mit Wesen und Wirken des Stifters. Schildts Porträt wird so im ersten Drittel des Buches zu einer Biographie des Unternehmers Emil Possehl, dessen wenig bekannte Holding heute mit 160 meist selbständigen Unternehmen und 12 500 Mitarbeitern diversifiziert zwischen Maschinenbau, Elektrotechnik und Dienstleistung in 62 Ländern agiert.
Emil Possehl (1850 bis 1919), der offenbar auch als Industrieller "genügsam und bescheiden" auftrat, war bereits zu Lebzeiten Lübecks wichtigster Mäzen. Er schenkte der Stadt unter anderem ein neues Theater unweit seines Unternehmenssitzes und des Buddenbrook-Hauses und setzte sich als Senator für visionäre Großprojekte wie den Elbe-Lübeck-Kanal und die Vogelfluglinie über Fehmarn nach Kopenhagen ein. Lübeck hielt er die Treue, selbst als er 1915 wegen Landesverrats angeklagt wurde und bis zum Freispruch ein Jahr in Untersuchungshaft saß.
Schildt nennt Possehl, der 1870/1871 als junger Husar im Deutsch-Französischen Krieg kämpfte, einen typischen "Wilhelminer" mit den zeit- und milieuspezifischen sozialen Ambivalenzen des Kaiserreichs: Einerseits sei er "fortschrittlich, ja geradezu fortschrittsgläubig" und "nicht nur ein weitblickender Kaufmann, sondern zugleich ein moderner Unternehmer" gewesen: "Der Aufstieg des vom Vater übernommenen Handelshauses und dessen Erweiterung durch industrielle Unternehmen verlief auf der Basis eines strategischen Denkens, das nicht zuletzt auf neue, innovative technische Verfahren setzte." Andererseits habe er eine autoritäre Persönlichkeit mit völkisch-nationalistischer Grundeinstellung kombiniert. Die ihm eigene Mischung aus Fortschrittsglauben, Nationalismus und lokalem Patriotismus veranlasste ihn offenbar, sein Unternehmen einer Stiftung zu übergeben, die soziale und kulturelle Zwecke ausschließlich in Lübeck fördern sollte.
Diese Stiftung tat sich in ihren Anfangsjahren äußerst schwer. Denn zu verteilen gab es zunächst nichts. Possehl hatte nicht geahnt, dass es wohl kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt als das Jahr 1919 für die Gründung einer Stiftung hätte geben können. Seine russischen Unternehmen waren verloren, und in Schweden und Norwegen hatte sich ein Riesenschuldenberg angehäuft. So erhielt die neue Stiftung zunächst nur geringe Mittel, die in der Weltwirtschaftskrise zeitweise ganz ausblieben.
Danach verschaffte zwar die Rüstungskonjunktur mehr Geld. "Aber mit der Machtdurchsetzung des ,Dritten Reichs' hatten neue Herren im Vorstand der Possehl-Stiftung Platz genommen", heißt es. "Die Stiftung wurde zur Beute der örtlichen NS-Clique, die sie zu einem Vehikel der nationalsozialistischen Sozialpolitik degradierte."
Die eigentliche Geschichte der Possehl-Stiftung beginnt erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich der Aufstieg der Stiftung in der Folge der rasanten ökonomischen Entwicklung des Konzerns mit dem Wiederaufbau der Hansestadt Lübeck verband. 1950 wurden erstmals wieder Spenden ausgeschüttet. Die Spendentätigkeit kam von da an nicht mehr zum Stillstand. Sie half zunächst vor allem, die Schäden in der 1942 bei einem britischen Bombenangriff zerstörten Altstadt zu beseitigen. Die Stiftung zahlte weiter unermüdlich. Selbst im Jahrzehnt ihrer dramatischen Rechtskonflikte, als es bis zur Mitte der sechziger Jahre um die richtige Auslegung des Testaments von Emil Possehl, um die Satzung der Stiftung und den Gesellschaftervertrag ging. Die gute Geschäftsentwicklung der Holding nach der Wiedervereinigung, die Lübeck aus der Zonenrandlage befreite, führte zu einer enormen Dynamik der Stiftungstätigkeit. Zwischen 1950 und 2018 wurden von der Stiftung insgesamt 391 Millionen Euro verausgabt, zwei Drittel davon allein im letzten Jahrzehnt. Aktuell werden 500 Anträge pro Jahr bearbeitet und 85 Prozent bewilligt. Die neueren Projekte fördern verstärkt Kunst und Wissenschaft und zeigen zunehmend eine Abkehr vom Lübecker Lokalismus.
Schildt gibt zu bedenken, dass die stetige Expansion des Konzerns und der damit verbundene warme Stiftungsregen kein Naturgesetz sind. Ein Problem für die Stiftung sieht er auch im Verhältnis zum Staat, den Possehl einst "so weit außen vor halten wollte, wie es die gesetzlichen Bestimmungen erlauben". Solche apodiktische Trennung von kommunalen Aufgaben und der Förderung einzelner Projekte lasse sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Das beweise die jüngere Vergangenheit: "Ohne die Possehl-Stiftung gäbe es weder das Hansemuseum noch den Bildungsfonds und zahlreiche andere städtische Errungenschaften", so der Verfasser. Das Verhältnis von mäzenatischer Praxis und politischer Sphäre sei ein generelles Problem. Aber nirgendwo zeige es sich in dieser markanten Zuspitzung wie in Lübeck, "einer stark verschuldeten Großstadt und einer immer reicheren Stiftung. Damit ist die Hansestadt zum stiftungspolitischen Experiment für ganz Deutschland geworden."
ULLA FÖLSING
Axel Schildt: Possehl. Geschichte und Charakter einer Stiftung. Murmann/Haufe, Freiburg 2019. 392 Seiten. 34,95 Euro
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