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Margot Honecker lebte seit 1992 in Südamerika und verfolgte bis zuletzt aufmerksam die Vorgänge in der Welt und insbesondere die Entwicklung in Deutschland. Das geht aus ihrer umfangreichen Korrespondenz mit Frank Schumann hervor. Nach der Jahrtausendwende kommunizierten beide per E-Mail, Schumann besuchte sie ihrem Haus in Santiago de Chile. Er war der deutsche Journalist, den sie bis zuletzt am meisten schätzte. Anlässlich ihres Todes wird die Korrespondenz zwischen Margot Honecker und Frank Schumann erstmals veröffentlicht. Beide diskutierten die deutsch-deutsche Geschichte, die politischen…mehr

Produktbeschreibung
Margot Honecker lebte seit 1992 in Südamerika und verfolgte bis zuletzt aufmerksam die Vorgänge in der Welt und insbesondere die Entwicklung in Deutschland. Das geht aus ihrer umfangreichen Korrespondenz mit Frank Schumann hervor. Nach der Jahrtausendwende kommunizierten beide per E-Mail, Schumann besuchte sie ihrem Haus in Santiago de Chile. Er war der deutsche Journalist, den sie bis zuletzt am meisten schätzte. Anlässlich ihres Todes wird die Korrespondenz zwischen Margot Honecker und Frank Schumann erstmals veröffentlicht. Beide diskutierten die deutsch-deutsche Geschichte, die politischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts, aber vor allem die brennenden Fragen und Aufgaben der Gegenwart. In ihren Mails gibt Margot Honecker nicht nur unbekannte Details ihres Lebens preis, sie reflektiert auch selbstkritisch Vorgänge der Vergangenheit und wird sehr persönlich. Es ist, wenn man so will, ihr politisches Vermächtnis.
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Autorenporträt
Honecker, MargotMargot Honecker, geboren 1927, war Leiterin der Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, mit 22 Jahren die jüngste Abgeordnete in der Volkskammer und von 1963 bis 1989 Volksbildungsministerin der DDR. 1991 ging sie zunächst nach Moskau und lebte seit 1992 bis zu ihrem Tod 2016 in Chile.

Schumann, FrankFrank Schumann, geboren 1951 in Torgau an der Elbe, arbeitet als Publizist und Verleger in Berlin. Er gründete den Verlag edition ost und verlegte u.a. Ulbricht, Honecker, Krenz, Mies. Er sprach als einziger deutscher Journalist nach 1990 mit Margot Honecker. Das Interviewbuch »Zur Volksbildung« wie auch Erich Honeckers »Letzte Aufzeichnungen. Für Margot« platzierten sich im Frühjahr 2012 in allen wichtigen Bestsellerlisten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2016

Erich, die Sowjets und der Geigerzähler

Ganz am Ende vertraute Margot Honecker dem Klassenfeind. Ihm gab sie ihr letztes Interview.

Von Stefan Locke

Als Margot Honecker Anfang Mai dieses Jahres starb, wurden in Deutschland zwei Rechner angeworfen. Der eine steht bei dem Berliner Verleger Frank Schumann, der in seinem Verlag "edition ost" so ziemlich alles druckt, was die verbliebene einstige DDR-Nomenklatura zu Papier bringt. Der andere gehört Nils Ole Oermann, einem jungen Bielefelder Theologen und Historiker, der die ehemalige DDR-Volksbildungsministerin nur vier Wochen vor ihrem Tod noch einmal in ihrem chilenischen Exil getroffen hatte. Während Schumann eine Auswahl seiner "Korrespondenz mit Margot Honecker" editierte, mit der er jahrelang via E-Mail in Kontakt gestanden hatte, verfasste Oermann seine "Begegnungen mit einer Unbeirrten".

Beide Bücher kamen jüngst fast zeitgleich auf den Markt; es ist wohl die letzte Chance, mit der Hohepriesterin des Sozialismus noch einmal Aufmerksamkeit zu erzielen. Honecker zieht noch immer Publikum; 2012 sahen mehr als vier Millionen Menschen den NDR-Dokumentarfilm "Der Sturz - Honeckers Ende", zu dem auch Verleger Schumann beigetragen hatte, indem er einen NDR-Mitarbeiter bei Frau Honecker einschleuste - unwissentlich, wie er bis heute behauptet. Für Schumann war in den vergangenen 25 Jahren alles ein Bestseller, wo Honecker draufsteht; er betrachtet sich schon aus Geschäftsgründen als geistiger Erbe der DDR-Führung, der Margot bis zuletzt ungefragt versprochen hat, weiter für "die gemeinsame Sache" zu kämpfen.

Oermann dagegen kam erst vor drei Jahren über einen Bekannten überhaupt mit Honecker in Kontakt und wurde - überraschend - von ihr nach Santiago de Chile eingeladen. Das Ganze sei "eher Zufall" gewesen, sagt er. "Aber mich interessierte das. Immerhin ist sie eine Person der Zeitgeschichte, und da sage ich nicht nein, wenn ich die Möglichkeit bekomme, mit ihr einen Kaffee zu trinken."

Es sind dann ein paar Kaffee mehr geworden, weshalb das Buch "Zum Westkaffee bei Margot Honecker" heißt; Ostkaffee war in Chile vermutlich auch schwer aufzutreiben. Viermal habe er sie in drei Jahren getroffen, immer nachmittags Punkt 15 Uhr, sagt Oermann. Er habe Kuchen mitgebracht, sie Kaffee serviert, und dann habe man bis in den Abend hinein miteinander gesprochen, vor allem über Familie, Bildung und Deutschland. Warum aber wollte die unbeirrte Stalinistin auf ihre alten Tage mit einem jungen Wissenschaftler plaudern, der für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble arbeitet, der bei Bundespräsident Horst Köhler Referent war und dessen Habilitation obendrein Richard Schröder betreute, der 1990 in der ersten frei gewählten Volkskammer Fraktionschef der SPD und damit als "Feind" gebrandmarkt war?

Wollte Honecker ihre Positionen an einem ausgewiesenen Vertreter des Klassenfeindes schärfen? Oermann schließt das nicht aus. "Sie war ja bis zu ihrem letzten Tag von einer Konsequenz, die, wenn sie nicht so schlimme Folgen für andere gehabt hätte, beinahe bewundernswert ist", sagt er. "So was finden Sie ja nicht mal mehr in Nordkorea." Honecker habe keinen Zweifel daran gelassen, dass der Sozialismus in Deutschland wiederkommt. Dass nun seit 26 Jahren auch im Osten Deutschlands der Kapitalismus herrscht, betrachtete sie lediglich als eine Art Betriebsunfall. Bei ihrem täglichen Nachrichten-Check im Internet habe sie deshalb alles aufgesaugt, was ihrer Meinung nach auf Krise und abermaligen Umsturz hindeutete: Hartz IV, zunehmende Armut, unzufriedene Ostdeutsche, Flüchtlingskrise. "Für sie war das alles wie ein Strohhalm", sagt Oermann.

Verleger Schumann wiederum lieferte ihr permanent Krisen-News frei Haus; der Kapitalismus, so prophezeite er immer wieder, werde es wohl nicht mehr lange machen. "Liebe Margot, (. . .) Derzeit läuft, wie erwartet, die mediale Hetz- und Hasswelle in Bezug auf den 13. August 1961. Es ist unerträglich, was uns diesbezüglich zugemutet wird", schrieb er ihr 2011 vor dem 50. Jahrestag des Mauerbaus. Sie antwortete mit einem Bericht über Studenten, Bergarbeiter und Lehrer, die in Chile gegen die Regierung demonstrierten. "Es ist wie überall", schrieb sie. "Die ökonomische Krise hat eine soziale Krise bewirkt, und die produziert nun mal soziale Unruhen. Und das ängstigt natürlich ,die da oben' und so machen sie denn weiter mit ihrer dümmlichen Propaganda zu Mauer und Stasi und an den Sorgen der Menschen vorbei."

Immer wieder legte Schumann subtil Schleimspuren aus, auf denen Margot jedoch selten ausrutschte. "Egon (Krenz) erwähnte gestern eher beiläufig, als ich erzählte, dass du das Pilzesuchen in den hiesigen Wäldern vermisstest, dass sich Erich 1986, also nach Tschernobyl, einen Geigerzähler besorgt habe, weil er den Angaben der Freunde (der Sowjets) über das Maß der Verstrahlung nicht sonderlich vertraute. Stimmt das?", fragte er im Dezember 2010. "Vielleicht weiß er (Egon) mehr als ich", antwortete sie zwei Tage später. "Wenn Erich aus verständlichen Gründen sich einen angeschafft haben sollte, müsste er auch in meinem privaten Bereich aufgetaucht sein. Ist er aber nicht. Weiß Egon nichts anderes über uns zu berichten?" Was könnte es Nebensächlicheres geben als einen Geigerzähler, wenn man gerade den Sozialismus aufbaut!

Schumann, dessen E-Mails etwa zwei Drittel des Buches umfassen, trommelte auf die Greisin im fernen Chile mit allem ein, was das Klassenkampfvokabular hergibt, wohl auch, um sie zu drastischen Aussagen für eine künftige Publikation zu verleiten, was er jedoch bestreitet. Die Idee sei ihm erst nach ihrem Tod gekommen. Immer wieder aber schrieb er in seinen Mails vom "Gegner", von der "Journaille" und "Klassenjustiz", die "kein Erbarmen" kenne; er suggerierte, dass Angela Merkel für die Stasi tätig war; und als einige Zeitungen 2012, vor dem 100. Geburtstag Erich Honeckers, Privates über das Paar druckten, schrieb er ihr: "Deine Mail-Verbindung ist offenkundig angezapft, der BND liest alles mit." Das allerdings war selbst Margot zu doof. "Vielleicht ist alles auch zufällig", antwortete sie. "Wo wir Strategien vermuten, herrscht vielleicht nur die Anarchie des Nachrichtenmarktes."

Ganz am Ende war dann nicht Honeckers vermeintlicher Vertrauter Schumann, sondern Nils Ole Oermann der Einzige, der neben ihrer Familie sowie je drei chilenischen und deutschen Genossen von ihrer Krankheit wusste und den sie noch zu sich vorließ. "Ich hatte das Gefühl, dass sie eine Agenda hatte", sagt er. Bildung, Sozialismus, DDR, darüber habe sie bis zum Schluss sprechen wollen. "Sie war freundlich, ging aber auf Kritik nie ein, sondern wechselte das Thema." Der Rest ist bekannt: Die DDR hätte mehr Zeit und fähige Nachfolger gebraucht. Doch Gorbatschow sei ein Konterrevolutionär, Krenz ein Weichei, nicht durch das Feuer des antifaschistischen Kampfes gestählt, und Gysi schon immer ein Sozialdemokrat gewesen. "Ihre einzige Hoffnung war Putin", sagt Oermann. "Sie sagte, der habe die Grundlinie verstanden und bringe Russland wieder zu alter Größe."

Womöglich hatte ihre Sympathie für Oermann auch damit zu tun, dass er heute in der Altmark in Sachsen-Anhalt lebt, dem Bundesland, aus dem auch Margot Honecker stammt. Zudem hat er sich an ihr Gebot gehalten, zu ihren Lebzeiten nichts aus den Gesprächen zu veröffentlichen. Wahrscheinlich aber hatte sie da Schumanns Absichten längst durchschaut und war verstimmt. Bereits 2011 hatte sie gemahnt: "Lieber Frank, (. . .) Auch wenn wir die gut genährte Propaganda von rechts nicht schlagen können, es bleibt, dass Dokumente geschaffen werden, die heute manchem die Augen öffnen und die für eine wahrheitsgemäße Geschichtsbetrachtung nötig und nützlich sind."

Spätestens 2012, als Schumann die ihm von ihr anvertrauten "Letzten Aufzeichnungen" Erich Honeckers auf den Markt brachte und reißerisch bewarb, wurde Margot Honecker sauer: "Lieber Frank, (. . .) Ich habe volles Verständnis für die Nöte unserer linken Verlage. Es riecht mir aber, was da läuft, zu sehr nach Vermarktung Honeckers", schrieb sie im Januar 2012 und zeichnete am Ende nicht wie üblich mit "Herzlichst", sondern nur kühl mit: "Margot". Schumann antwortete sofort: "Liebe Margot, ich verstehe dich. Und weil das so ist, habe ich mit dir auch nie über Geld geredet. Wir gehören zu jener Schar Idealisten, denen dieses Thema nicht nur unangenehm, sondern auch uninteressant ist. Es geht nicht um Honeckers Vermarktung, sondern um die Verbreitung seiner Aufzeichnungen."

Erich Honecker hatte zeit seines Generalsekretärdaseins immer nach Anerkennung für die DDR aus dem Westen gestrebt. Nichts belegt das mehr als der Glanz in seinen Augen, als ihn Helmut Kohl im September 1987 in Bonn mit allen militärischen Ehren nebst DDR-Hymne und der Flagge mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz empfing. Endgültige Bestätigung, das wusste wohl auch Margot Honecker, bekommt man im Sozialismus eben nur vom Klassenfeind.

Nils Ole Oermann: "Zum Westkaffee bei Margot Honecker - Letzte Begegnungen mit einer Unbeirrten", Hoffmann und Campe, Hamburg, 175 Seiten, 11,99 Euro.

Frank Schumann: "Post aus Chile - Die Korrespondenz mit Margot Honecker", Edition Ost, Berlin, 335 Seiten, 16,99 Euro.

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