Seit Bei Dao 1989 China verlassen hat, ist er unterwegs und in seiner Heimat Persona non grata. Im Exil sieht er sich in einer Art Nachkriegszeit: Post Bellum. Der Band enthält Gedichte, die Bei Dao nach seiner Emigration in Berlin und auf anderen Stationen geschrieben hat, poetische Reflexionen über Heimat und Exil, Rebellion und Einsamkeit.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2001Destillierte Traumgestalten
Im Exil der Worte: Neue Gedichte von Bei Dao
Als im Juni 1989 das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschah, saß der Dichter Bei Dao als Gast des DAAD in der Berliner Güntzelstraße vor dem Fernseher. Er mochte ahnen, daß ein Exil begann, dessen Ende nicht abzusehen war. Denn er vor allem war es, dessen Verse Chinas rebellierende Jugend während des Ersten wie des Zweiten Frühlings, also in den Jahren 1978 bis 1980 und 1989, rezitiert und auf ihre Transparente geschrieben hatte - Verse wie diese: "Erbärmlichkeit ist das Paßwort der Erbärmlichen, / Redlichkeit ist der Grabspruch der Redlichen."
Bei Dao, der redlich bleiben wollte, forderte im Februar 1989 in einem offenen Brief die Freilassung des inhaftierten Wei Jingsheng. Dieser von vierzig Intellektuellen unterzeichnete Brief löste eine breite Kampagne für Menschenrechte aus. Seitdem ist der Dichter in China Persona non grata. In seiner Heimat von Verhaftung bedroht, lebt er seither im Exil, zur Zeit in Davis, Kalifornien.
Die Jahre im Exil haben dem Ruhm des Dichters keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Bei Dao ist in gut zwei Dutzend Sprachen übersetzt und gilt gegenwärtig als der repräsentative chinesische Poet und Nobelpreiskandidat. Aber kein Exil ist folgenlos. Nicht, daß der Dichter seine moralische Unbeugsamkeit aufgegeben und sein Leiden am Vaterland vergessen hätte, aber sein Ton hat sich geändert, ist persönlicher, gedämpfter geworden. Kürzlich, beim Berliner Literaturfestival, fragte er mit sarkastischer Ironie: "Wer kennt die Kniffe von Niederlagen?"
Ist die Hoffnung aufgebraucht? In der vor zehn Jahren erschienenen Auswahl "Notizen vom Sonnenstaat" gab es sie noch. In dem nach der Niederschlagung der Tiananmen-Revolte geschriebenen Gedicht "Tage des Frosts" hieß es: "Die alten Wünsche sind weiter wach." Der neue Band trägt den hintersinnigen Titel "Post bellum" - Nach dem Krieg. Was ja auch heißt, daß ein Frieden noch nicht sichtbar ist. Am Anfang dieser Gedichte steht die Einsicht: "Begonnen hat das Exil der Worte." Weiterschreiben heißt für den Dichter zunächst einmal, sich gegen Melancholie und Resignation zu behaupten. Er weiß, daß er seinen "Posten" nicht verlassen darf: "Nur einen Schritt / Nein, ganze zehn Jahre / Mein Zeitalter hinter mir / rührt plötzlich die Trommel."
Nicht alle Gedichte sind von solcher Eindeutigkeit. Im Titelgedicht "Post bellum" muß offenbleiben, worauf die Eingangsverse deuten: "Gestalten, destilliert im Traum / werfen am Horizont die Fahnen fort." Ist es Freund oder Feind, der da kapituliert? Und welche Art Traum hat diese Gestalten "destilliert"? Der Übersetzer Wolfgang Kubin verweist darauf, daß im Chinesischen manches grammatisch offenbleiben kann, was in einer westlichen Sprache Präzisierung verlangt. Hier wäre solche Präzisierung angezeigt. Andererseits weiß der Leser die Knappheit und den poetischen Charme vieler Prägungen zu schätzen. So den enigmatischen Schluß des erwähnten Gedichts. Man liest ihn als Chiffre des Überstehens: "Unser Schweigen / wird Strohbrei, wird / Papier, ein Winter / zur Heilung von Schreibwunden."
Solche Dunkelheiten und Verschweigungen gehören zu Bei Daos Kunst der poetischen Subversion. Die Regierung wußte wohl, warum sie den Dichter seinerzeit als obskur und hermetisch verfemte. Stärker als Anklagen sind Klagen, stärker als die Agitation der Trostgesang. Eines der schönsten Gedichte von "Post bellum" ist der bei einem Rettungsversuch ertrunkenen Schwester gewidmet. Dieser "Trostgesang" ruft Hoffnung gegen alle Hoffnung auf, nämlich: "aber Gedichte korrigieren das Leben / korrigieren das Echo der Gedichte".
Wolfgang Kubin führt Bei Daos primären Schreibimpuls auf die Rebellion gegen einen angepaßten Vater zurück. Unter diesem Aspekt liest sich das um 1989/90 entstandene Gedicht "Prag" als Parabel. In ihr wird ein anderer Sohn beschworen: "Der junge Kafka streicht am Altstädter Ring vorbei / Er träumt vom Schuleschwänzen, der Traum / ist ein strenger Vater hoch in den Wolken." Bei Dao will nicht Kafka denunzieren. Ihm geht es um den strahlenden Kontrast, um einen nie aufzugebenden Anspruch: "Wo ein Vater ist, ist auch ein Erbrecht." Der Leser kann nicht umhin, das als Anspruch eines verloren-unverlorenen Sohnes aufzufassen. Vielleicht begreift man das auch in Bei Daos Vaterland.
HARALD HARTUNG
Bei Dao: "Post bellum". Gedichte. Aus dem Chinesischen übersetzt und mit einer Nachbemerkung von Wolfgang Kubin. Carl Hanser Verlag, München 2001. 85 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Exil der Worte: Neue Gedichte von Bei Dao
Als im Juni 1989 das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens geschah, saß der Dichter Bei Dao als Gast des DAAD in der Berliner Güntzelstraße vor dem Fernseher. Er mochte ahnen, daß ein Exil begann, dessen Ende nicht abzusehen war. Denn er vor allem war es, dessen Verse Chinas rebellierende Jugend während des Ersten wie des Zweiten Frühlings, also in den Jahren 1978 bis 1980 und 1989, rezitiert und auf ihre Transparente geschrieben hatte - Verse wie diese: "Erbärmlichkeit ist das Paßwort der Erbärmlichen, / Redlichkeit ist der Grabspruch der Redlichen."
Bei Dao, der redlich bleiben wollte, forderte im Februar 1989 in einem offenen Brief die Freilassung des inhaftierten Wei Jingsheng. Dieser von vierzig Intellektuellen unterzeichnete Brief löste eine breite Kampagne für Menschenrechte aus. Seitdem ist der Dichter in China Persona non grata. In seiner Heimat von Verhaftung bedroht, lebt er seither im Exil, zur Zeit in Davis, Kalifornien.
Die Jahre im Exil haben dem Ruhm des Dichters keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Bei Dao ist in gut zwei Dutzend Sprachen übersetzt und gilt gegenwärtig als der repräsentative chinesische Poet und Nobelpreiskandidat. Aber kein Exil ist folgenlos. Nicht, daß der Dichter seine moralische Unbeugsamkeit aufgegeben und sein Leiden am Vaterland vergessen hätte, aber sein Ton hat sich geändert, ist persönlicher, gedämpfter geworden. Kürzlich, beim Berliner Literaturfestival, fragte er mit sarkastischer Ironie: "Wer kennt die Kniffe von Niederlagen?"
Ist die Hoffnung aufgebraucht? In der vor zehn Jahren erschienenen Auswahl "Notizen vom Sonnenstaat" gab es sie noch. In dem nach der Niederschlagung der Tiananmen-Revolte geschriebenen Gedicht "Tage des Frosts" hieß es: "Die alten Wünsche sind weiter wach." Der neue Band trägt den hintersinnigen Titel "Post bellum" - Nach dem Krieg. Was ja auch heißt, daß ein Frieden noch nicht sichtbar ist. Am Anfang dieser Gedichte steht die Einsicht: "Begonnen hat das Exil der Worte." Weiterschreiben heißt für den Dichter zunächst einmal, sich gegen Melancholie und Resignation zu behaupten. Er weiß, daß er seinen "Posten" nicht verlassen darf: "Nur einen Schritt / Nein, ganze zehn Jahre / Mein Zeitalter hinter mir / rührt plötzlich die Trommel."
Nicht alle Gedichte sind von solcher Eindeutigkeit. Im Titelgedicht "Post bellum" muß offenbleiben, worauf die Eingangsverse deuten: "Gestalten, destilliert im Traum / werfen am Horizont die Fahnen fort." Ist es Freund oder Feind, der da kapituliert? Und welche Art Traum hat diese Gestalten "destilliert"? Der Übersetzer Wolfgang Kubin verweist darauf, daß im Chinesischen manches grammatisch offenbleiben kann, was in einer westlichen Sprache Präzisierung verlangt. Hier wäre solche Präzisierung angezeigt. Andererseits weiß der Leser die Knappheit und den poetischen Charme vieler Prägungen zu schätzen. So den enigmatischen Schluß des erwähnten Gedichts. Man liest ihn als Chiffre des Überstehens: "Unser Schweigen / wird Strohbrei, wird / Papier, ein Winter / zur Heilung von Schreibwunden."
Solche Dunkelheiten und Verschweigungen gehören zu Bei Daos Kunst der poetischen Subversion. Die Regierung wußte wohl, warum sie den Dichter seinerzeit als obskur und hermetisch verfemte. Stärker als Anklagen sind Klagen, stärker als die Agitation der Trostgesang. Eines der schönsten Gedichte von "Post bellum" ist der bei einem Rettungsversuch ertrunkenen Schwester gewidmet. Dieser "Trostgesang" ruft Hoffnung gegen alle Hoffnung auf, nämlich: "aber Gedichte korrigieren das Leben / korrigieren das Echo der Gedichte".
Wolfgang Kubin führt Bei Daos primären Schreibimpuls auf die Rebellion gegen einen angepaßten Vater zurück. Unter diesem Aspekt liest sich das um 1989/90 entstandene Gedicht "Prag" als Parabel. In ihr wird ein anderer Sohn beschworen: "Der junge Kafka streicht am Altstädter Ring vorbei / Er träumt vom Schuleschwänzen, der Traum / ist ein strenger Vater hoch in den Wolken." Bei Dao will nicht Kafka denunzieren. Ihm geht es um den strahlenden Kontrast, um einen nie aufzugebenden Anspruch: "Wo ein Vater ist, ist auch ein Erbrecht." Der Leser kann nicht umhin, das als Anspruch eines verloren-unverlorenen Sohnes aufzufassen. Vielleicht begreift man das auch in Bei Daos Vaterland.
HARALD HARTUNG
Bei Dao: "Post bellum". Gedichte. Aus dem Chinesischen übersetzt und mit einer Nachbemerkung von Wolfgang Kubin. Carl Hanser Verlag, München 2001. 85 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der chinesische Regimekritiker Bei Dao ist für den Rezensenten Kurt Oesterle einer der letzten großen politischen Exilanten, da das politische Exil durch die Globalisierung von Heimat nicht mehr in der bekannten Form existieren wird. Selbst in China werden nur wenige Oppositionelle so rigide ferngehalten wie Bei Dao. Der Dichter lebt heute in den USA, ist aber nach Oesterles Einschätzung stark beeinflusst von europäischen Dichtertraditionen, von "Kafka, Sartre oder den Surrealisten". Vor diesem Hintergrund begreift er auch "Post bellum", den Titel des Gedichtbandes als eine "überdeutliche europäisch-lateinische Signatur". Daos Dichtung ist nach Meinung des Rezensenten keine auf allen Ebenen politische Dichtung, er schreibt keine "Exilgedichte im Brechtschen Sinne", vielmehr geht es bei ihm auch um "den Krieg ständiger Selbstbehauptung. Letztlich findet Oesterle den Grundton der Gedichte, bei aller Verlorenheit und Vereinzelung trotzdem eher "schwebend" als "düster".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH