"After the dissolution of empires, was the nation-state the only way to unite people politically, culturally, and economically? In Post-Imperial Possibilities, historians Jane Burbank and Frederick Cooper examine three large-scale, transcontinental projects aimed at bringing together peoples of different regions to mitigate imperial legacies of inequality. Eurasia, Eurafrica, and Afroasia--in theory if not in practice--offered alternative routes out of empire. The theory of Eurasianism was developed after the collapse of imperial Russia by exiled intellectuals alienated by both Western imperialism and communism. Eurafrica began as a design for collaborative European exploitation of Africa but was transformed in the 1940s and 1950s into a project to include France's African territories in plans for European integration. The Afroasian movement wanted to replace the vertical relationship of colonizer and colonized with a horizontal relationship among former colonial territories that could challenge both the communist and capitalist worlds. Both Eurafrica and Afroasia floundered, victims of old and new vested interests. But Eurasia revived in the 1990s, when Russian intellectuals turned the theory's attack on Western hegemony into a recipe for the restoration of Russian imperial power. While both the system of purportedly sovereign states and the concentrated might of large economic and political institutions continue to frustrate projects to overcome inequities in welfare and power, Burbank and Cooper's study of political imagination explores wide-ranging concepts of social affiliation and obligation that emerged after empire and the reasons for their unlike destinies."--
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2024Putins ideologische Folie
"Eurasien" und andere Konzeptionen einer kollektiven Ordnung
Spätestens seit dem russischen Überfall der Ukraine ist die Rede von einer neuen Weltunordnung und einer aus den Fugen geratenen Zeit allgegenwärtig. Dieser Schockmoment hat das Interesse an geopolitischen Fragen und Raumkonzeptionen schlagartig entfacht. Erstaunlicherweise hatten bis dato weder Putins weit zurückreichende Machtambitionen samt militärischen Vorstößen noch Trumps internationale Kapriolen vermocht, die Deutschen aus ihrem außen- und sicherheitspolitischen Dornröschenschlaf zu wecken.
Der Abschied vom lieb gewonnenen Glauben an den glücklichen Fortbestand des Status quo muss seitdem erst mühsam erlernt werden. Da mag es als Denkübung hilfreich sein, sich mit fremd wirkenden Ideen und Ordnungsmodellen aus einer Welt sich auflösender oder zumindest umformender Imperien nach den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Das Historiker-Ehepaar Jane Burbank, Expertin für russische Geschichte, und Frederick Cooper, Kenner afrikanischer und (post-)kolonialer Zusammenhänge, regt anhand historischer Konstellationsanalysen dazu an, über die Frage nach Alternativen in einem fragmentierten und ungleichen, wiewohl hochgradig vernetzten System staatlicher Souveränität nachzudenken.
Anschaulich führen sie uns vor Augen, welche Nationen und Kontinente überwölbenden Konzeptionen einer kollektiven Ordnung ab den 1920er Jahren zur Diskussion standen und mehr oder weniger erfolgreich in reales politisches Handeln übersetzt wurden. Drei "Post-Imperial Possibilities" stehen im Mittelpunkt der Betrachtung: Eurafrika, Afroasien und Eurasien, dem gleich zwei Kapitel gewidmet sind, weil diese Raumkonzeption derzeit eine traurige Renaissance erlebt und Putin als ideologische Folie dient, um gewaltsam gegen sein Nachbarland vorzugehen. Auch aus diesem Grunde dürften Burbank und Cooper ihr Buch den Menschen in der Ukraine gewidmet haben.
So kritisch die beiden Historiker den aggressiven Neo-Eurasianismus beurteilen, begegnen sie den drei Projekten angesichts der daran geknüpften transkontinentalen Ausrichtung und der Überwindung nationaler wie eurozentristischer Horizonte doch grundsätzlich mit Sympathie. Am Anfang ihrer Studie stehen Eurasien-Entwürfe, wie sie Nikolai Trubetzkoy im Verbund mit anderen Sowjet-Emigranten ab den 1920er Jahren entwickelte. Zunächst gegen den Bolschewismus gerichtet, galten spätere eurasische Ideen als mit diesem vereinbar. Überhaupt ist ihr Variantenreichtum beachtlich. Sahen manche Vertreter dieser Richtung die Kiewer Rus im Zentrum Eurasiens, werteten andere die alte Mongolenherrschaft als traditionsbildend auf. Suchten die einen das Heil in der Verbundenheit nach Osten, schwebt dem von Carl Schmitt beeinflussten Großraumdenker und Neo-Eurasier Alexander Dugin schon seit einer Weile die Ausdehnung eines von Russland beherrschten Reiches zwischen Dublin und Wladiwostok vor.
Gemeinsam ist allen eurasischen Denkweisen eine Abgrenzung gegen den "Westen" als Lebensform und politische Verfassung. Während frühe Eurasier vor den Gefahren eines "romano-germanischen Chauvinismus" warnten, verfestigte sich bei späteren Repräsentanten vor allem das "atlantische" System unter Führung der Vereinigten Staaten zum vorrangigen Feindbild. Trotz eines zu Sowjetzeiten ostentativ gepredigten Antiimperialismus lief seit dem Untergang des Zarenreichs mit dem Eurasianismus stets eine postimperiale Denkströmung nebenher, die nach dem Zusammenbruch des Imperium Sovieticum Großraumphantasien wiederbeleben konnte.
Wie man es auch dreht und wendet, gehörten Friedfertigkeit und Liberalität ungeachtet aller völkerverbindenden Rhetorik nicht zu den Eigenschaften des eurasischen Denkens. Anders sieht das im Falle der Vorstellungen von Eurafrika und Afroasien aus, die sich im Unterschied zum Eurasianismus fern aktueller Fortsetzungsversuche als abgeschlossene historische Phänomene präsentieren. An den Begriff "Eurafrika" waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Ideen und Initiativen mit dem Ziel geknüpft, das Verhältnis zwischen der alten Kolonialmacht Frankreich und ihren bisherigen Kolonien für beide Seiten fruchtbringend umzugestalten. Der Schriftsteller und Politiker Léopold Sédar Senghor, Begründer der Négritude-Bewegung und von 1960 an erster senegalesischer Präsident, gehörte zu den Leitfiguren des eurafrikanischen Gedankens. Ihm schwebte die Herausbildung einer doppelten Solidarität vor: zum einen einer vertikalen der historisch durch die Kolonialperiode verbundenen Menschen in Afrika und Frankreich, zum anderen einer horizontalen zwischen den Menschen in Afrika, die sich angesichts des geteilten geographischen Raums und gemeinsamer kultureller Traditionen einander nah fühlen sollten, statt sich in nationaler Weise voneinander abzugrenzen.
Burbank und Cooper rekonstruieren das Denken und Handeln Senghors und vieler weiterer beteiligter Akteure. Sie schreiben dabei sowohl eine Politik- als auch eine Intellektuellengeschichte. Dies erscheint angebracht, da im Ringen um eine Umwandlung alter kolonialer in neue politische Gefüge die Rollen von geistigen Vordenkern und politischen Aktivisten häufig miteinander verschmolzen. Überhaupt zeichnet die Analyse eine Offenheit des Zugangs und der Perspektiven aus, die strukturelle Aspekte wie handelnde Personen berücksichtigt und - im Falle Eurafrikas - die Sichtachsen immer wieder transkontinental wendet, um afrikanische wie französische oder weitere europäische Blickwinkel nachvollziehen zu können.
Mit Afroasien schließlich würdigen die beiden Autoren jene aus den alten Kolonialreichen hervorgegangenen Staaten, die miteinander in Dialog traten und eine Interessengemeinschaft gründeten, um sich sowohl gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten als auch den neuen Kraftzentren des Ost-West-Konflikts als "dritte Kraft" zu positionieren. Burbank und Cooper zeichnen afroasiatische Initiativen von der Bandung-Konferenz über die Blockfreien-Bewegung bis zur Gruppe der 77 im Rahmen der Vereinten Nationen mit großer Übersicht und Sachkunde nach.
Insgesamt gelingt es ihnen überzeugend, die vielfältigen, hochgradig ambivalenten Möglichkeiten postimperialer Transformation darzustellen. Während das Projekt Eurafrika in dem letztlich gescheiterten Versuch bestand, aus einer alten kolonialen Beziehung eine neue und demokratische Einheit hervorzubringen, steht die Afroasien-Chiffre für ein größeres Maß an Gleichheit zwischen den alten und neuen Staaten der Welt. Die Eurasien-Formel hingegen ist Ausdruck eines imperialistischen Dominanzgebarens. Obwohl dieses aggressive Denkmodell eine direkte potentielle Gefahr für Deutschland darstellt, stößt es paradoxerweise gerade bei den Nationalisten der AfD auf Sympathie. ALEXANDER GALLUS
Jane Burbank/ Frederick Cooper: Post-Imperial Possibilities. Eurasia, Eurafrica, Afroasia.
Princeton University Press, Princeton/Oxford 2024. 301 S., 30,- £.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eurasien" und andere Konzeptionen einer kollektiven Ordnung
Spätestens seit dem russischen Überfall der Ukraine ist die Rede von einer neuen Weltunordnung und einer aus den Fugen geratenen Zeit allgegenwärtig. Dieser Schockmoment hat das Interesse an geopolitischen Fragen und Raumkonzeptionen schlagartig entfacht. Erstaunlicherweise hatten bis dato weder Putins weit zurückreichende Machtambitionen samt militärischen Vorstößen noch Trumps internationale Kapriolen vermocht, die Deutschen aus ihrem außen- und sicherheitspolitischen Dornröschenschlaf zu wecken.
Der Abschied vom lieb gewonnenen Glauben an den glücklichen Fortbestand des Status quo muss seitdem erst mühsam erlernt werden. Da mag es als Denkübung hilfreich sein, sich mit fremd wirkenden Ideen und Ordnungsmodellen aus einer Welt sich auflösender oder zumindest umformender Imperien nach den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Das Historiker-Ehepaar Jane Burbank, Expertin für russische Geschichte, und Frederick Cooper, Kenner afrikanischer und (post-)kolonialer Zusammenhänge, regt anhand historischer Konstellationsanalysen dazu an, über die Frage nach Alternativen in einem fragmentierten und ungleichen, wiewohl hochgradig vernetzten System staatlicher Souveränität nachzudenken.
Anschaulich führen sie uns vor Augen, welche Nationen und Kontinente überwölbenden Konzeptionen einer kollektiven Ordnung ab den 1920er Jahren zur Diskussion standen und mehr oder weniger erfolgreich in reales politisches Handeln übersetzt wurden. Drei "Post-Imperial Possibilities" stehen im Mittelpunkt der Betrachtung: Eurafrika, Afroasien und Eurasien, dem gleich zwei Kapitel gewidmet sind, weil diese Raumkonzeption derzeit eine traurige Renaissance erlebt und Putin als ideologische Folie dient, um gewaltsam gegen sein Nachbarland vorzugehen. Auch aus diesem Grunde dürften Burbank und Cooper ihr Buch den Menschen in der Ukraine gewidmet haben.
So kritisch die beiden Historiker den aggressiven Neo-Eurasianismus beurteilen, begegnen sie den drei Projekten angesichts der daran geknüpften transkontinentalen Ausrichtung und der Überwindung nationaler wie eurozentristischer Horizonte doch grundsätzlich mit Sympathie. Am Anfang ihrer Studie stehen Eurasien-Entwürfe, wie sie Nikolai Trubetzkoy im Verbund mit anderen Sowjet-Emigranten ab den 1920er Jahren entwickelte. Zunächst gegen den Bolschewismus gerichtet, galten spätere eurasische Ideen als mit diesem vereinbar. Überhaupt ist ihr Variantenreichtum beachtlich. Sahen manche Vertreter dieser Richtung die Kiewer Rus im Zentrum Eurasiens, werteten andere die alte Mongolenherrschaft als traditionsbildend auf. Suchten die einen das Heil in der Verbundenheit nach Osten, schwebt dem von Carl Schmitt beeinflussten Großraumdenker und Neo-Eurasier Alexander Dugin schon seit einer Weile die Ausdehnung eines von Russland beherrschten Reiches zwischen Dublin und Wladiwostok vor.
Gemeinsam ist allen eurasischen Denkweisen eine Abgrenzung gegen den "Westen" als Lebensform und politische Verfassung. Während frühe Eurasier vor den Gefahren eines "romano-germanischen Chauvinismus" warnten, verfestigte sich bei späteren Repräsentanten vor allem das "atlantische" System unter Führung der Vereinigten Staaten zum vorrangigen Feindbild. Trotz eines zu Sowjetzeiten ostentativ gepredigten Antiimperialismus lief seit dem Untergang des Zarenreichs mit dem Eurasianismus stets eine postimperiale Denkströmung nebenher, die nach dem Zusammenbruch des Imperium Sovieticum Großraumphantasien wiederbeleben konnte.
Wie man es auch dreht und wendet, gehörten Friedfertigkeit und Liberalität ungeachtet aller völkerverbindenden Rhetorik nicht zu den Eigenschaften des eurasischen Denkens. Anders sieht das im Falle der Vorstellungen von Eurafrika und Afroasien aus, die sich im Unterschied zum Eurasianismus fern aktueller Fortsetzungsversuche als abgeschlossene historische Phänomene präsentieren. An den Begriff "Eurafrika" waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Ideen und Initiativen mit dem Ziel geknüpft, das Verhältnis zwischen der alten Kolonialmacht Frankreich und ihren bisherigen Kolonien für beide Seiten fruchtbringend umzugestalten. Der Schriftsteller und Politiker Léopold Sédar Senghor, Begründer der Négritude-Bewegung und von 1960 an erster senegalesischer Präsident, gehörte zu den Leitfiguren des eurafrikanischen Gedankens. Ihm schwebte die Herausbildung einer doppelten Solidarität vor: zum einen einer vertikalen der historisch durch die Kolonialperiode verbundenen Menschen in Afrika und Frankreich, zum anderen einer horizontalen zwischen den Menschen in Afrika, die sich angesichts des geteilten geographischen Raums und gemeinsamer kultureller Traditionen einander nah fühlen sollten, statt sich in nationaler Weise voneinander abzugrenzen.
Burbank und Cooper rekonstruieren das Denken und Handeln Senghors und vieler weiterer beteiligter Akteure. Sie schreiben dabei sowohl eine Politik- als auch eine Intellektuellengeschichte. Dies erscheint angebracht, da im Ringen um eine Umwandlung alter kolonialer in neue politische Gefüge die Rollen von geistigen Vordenkern und politischen Aktivisten häufig miteinander verschmolzen. Überhaupt zeichnet die Analyse eine Offenheit des Zugangs und der Perspektiven aus, die strukturelle Aspekte wie handelnde Personen berücksichtigt und - im Falle Eurafrikas - die Sichtachsen immer wieder transkontinental wendet, um afrikanische wie französische oder weitere europäische Blickwinkel nachvollziehen zu können.
Mit Afroasien schließlich würdigen die beiden Autoren jene aus den alten Kolonialreichen hervorgegangenen Staaten, die miteinander in Dialog traten und eine Interessengemeinschaft gründeten, um sich sowohl gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten als auch den neuen Kraftzentren des Ost-West-Konflikts als "dritte Kraft" zu positionieren. Burbank und Cooper zeichnen afroasiatische Initiativen von der Bandung-Konferenz über die Blockfreien-Bewegung bis zur Gruppe der 77 im Rahmen der Vereinten Nationen mit großer Übersicht und Sachkunde nach.
Insgesamt gelingt es ihnen überzeugend, die vielfältigen, hochgradig ambivalenten Möglichkeiten postimperialer Transformation darzustellen. Während das Projekt Eurafrika in dem letztlich gescheiterten Versuch bestand, aus einer alten kolonialen Beziehung eine neue und demokratische Einheit hervorzubringen, steht die Afroasien-Chiffre für ein größeres Maß an Gleichheit zwischen den alten und neuen Staaten der Welt. Die Eurasien-Formel hingegen ist Ausdruck eines imperialistischen Dominanzgebarens. Obwohl dieses aggressive Denkmodell eine direkte potentielle Gefahr für Deutschland darstellt, stößt es paradoxerweise gerade bei den Nationalisten der AfD auf Sympathie. ALEXANDER GALLUS
Jane Burbank/ Frederick Cooper: Post-Imperial Possibilities. Eurasia, Eurafrica, Afroasia.
Princeton University Press, Princeton/Oxford 2024. 301 S., 30,- £.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main