Einer der wohl bemerkenswertesten Persönlichkeiten der Weltgeschichte nähert sich hier nicht ein Historiker, sondern ein Kommunikationswissenschaftler. Als Gaius Octavius auf der politischen Bühne auftauchte, war der römische Staat in einer tiefen Krise. Sich in die Politik zu begeben und sich am Kampf um die Macht im Reich zu beteiligen, grenzte an Selbstmord. Wie es dem jungen Mann gelang, aus diesem Chaos als Sieger hervorzugehen und die Macht an sich zu reißen, hat viel mit öffentlicher Meinung zu tun. Noch spannender ist aber die Frage, wie es Augustus gelang, in der Machtposition zu überleben, sie zur Monarchie zu verfestigen und zu vererben. Der Machterhalt ist, noch mehr als die Machtergreifung, das eigentliche Besondere an Augustus, und es hat noch mehr mit öffentlicher Meinung zu tun.Was Augustus von den meisten Herrschern vor und nach ihm unterscheidet, ist sein Verhältnis zur Öffentlichkeit. Er konnte seine gewaltige Lebensleistung nur erbringen, weil er die Macht nicht nur unter wesentlicher Mithilfe der öffentlichen Meinung gewann, sondern sie auch dauerhaft und wahrscheinlich sehr bewusst auf Konsens in einer gefestigten Gesellschaft stützte. Erst durch die öffentliche Meinung konnte Augustus zum Mann des Jahrtausends werden. Der Aufstieg des Augustus ist eine Geschichte des Erfolges durch die öffentliche Meinung. Er ist auch das Ergebnis eines Lernprozesses. Es lässt sich gut beobachten, wie der spätere Kaiser nach und nach lernte, was zu tun war, um die öffentliche Meinung ausnutzen zu können, und umgekehrt: welche ungeschriebenen Gesetze beachtet werden mussten, welche Tabus zu umgehen waren, wollte man die Öffentlichkeit nicht gegen sich aufbringen. Seine Sicherheit im Umgang mit der öffentlichen Meinung war schließlich so groß, dass er nicht mehr nur von ihr getrieben wurde, sondern dass er umgekehrt die öffentliche Meinung antrieb. Eine Erfolgsgeschichte par excellence.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2006Cicero lauscht Volkes Stimme
Zwei brisante Bücher über die Schweigespirale in der Antike
Die Aktualität des Bestsellers "Die Schweigespirale" ist ungebrochen. Mit den Kategorien, die Elisabeth Noelle-Neumann in diesem Werk entfaltet, läßt sich nicht nur die gegenwärtige Mediengesellschaft verstehen. Auch die Antike gewinnt an Farbe, wenn man sie dem Blick der Noelle aussetzt. Schon Erich Lamp aus der Mainzer Noelle-Schule hat in seiner Dissertation über "Öffentliche Meinung im Alten Testament" (1988) gezeigt, daß Noelles Kategorien das Verständnis von öffentlicher Meinung in allen Kulturen erschließen helfen, weil Menschen überall und jederzeit von der Anerkennung ihrer Mitmenschen getragen sein wollen und weil sie daher Mißachtung und Ausgrenzung fürchten wie den Tod.
Deshalb ist die öffentliche Meinung eine so starke Integrationsmacht: In ihrer horizontalen Wirkungsachse hält sie die Mitglieder einer Gesellschaft zusammen, und in ihrer vertikalen Wirkungsachse erzwingt sie, daß die Herrschenden die Bedürfnisse der Regierten berücksichtigen. Das demonstrieren nun Thomas Petersen und Nikolaus Jackob für die Antike an so gegensätzlichen Persönlichkeiten wie Augustus und Cicero. Es macht den Reiz von Petersens Arbeit aus, daß sie belegt, wie Octavian die Macht nicht nur im Einklang mit der öffentlichen Meinung errang, sondern wie er sie, inzwischen als Augustus gefeiert, auch dauerhaft mit deren Hilfe zu festigen wußte. An Tabus der Republik rührte er, im Gegensatz zu Cäsar, scheinbar (!) nicht, um sogar aus Machtverzicht Machtgewinn zu ziehen. Im Zusammenspiel mit der opinio populi Romani entwickelte der Imperator so viel Geschick, daß Petersen fragt, ob Augustus darüber nicht zum erfolgreichsten Politiker aller Zeiten geworden sei. Ein Fest der Superlative.
Der Vergleich mit Cicero zeigt allerdings, daß zum Erfolg mehr gehört als Einsicht in die Funktionsweisen der öffentlichen Meinung. An mangelnder Rücksicht auf die Stimmungen im Volk kann es nicht gelegen haben, daß Cicero kein dauerhafter politischer Erfolg beschieden war, hat er doch "das öffentlichste aller Leben" geführt. Selten ist die ganze Bandbreite der Erscheinungsformen der öffentlichen Meinung - vom Konformitätsdruck der sozialen Kontrolle bis hin zu Lob und Tadel für die Mächtigen - so treffend bezeichnet und so sensibel analysiert worden wie von Cicero und entsprechend von Ciceros publizistischem Biographen Nikolaus Jackob. Seine bei Lamp angefertigte, preisgekrönte Mainzer Dissertation ist ein Lehrbuch für jeden, der öffentliche Meinung verstehen und beeinflussen möchte.
Mit der Urbanisierung und Globalisierung hat sich die soziale Kontrolle teilweise gelockert. Aber daß im Zeitalter der Massenmedien öffentliches Ansehen (Reputation, Ehre) eine untergeordnete Rolle spiele, ist ein Trugschluß. Ihm erlag nach Noelles Interpretation das Bundesverfassungsgericht, als es in Entscheidungen der neunziger Jahre den persönlichen Ehrenschutz bei der Abwägung mit der Meinungsfreiheit vernachlässigte. Das sorgte unter Juristen für Aufsehen und Empörung. Bezeichnend dafür war die Frage des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht München, Walter Seitz: "Darf man so scharf schreiben, wie eine Kalaschnikow schießt: tödlich?" Man kann es, aber man darf es nicht, antwortet mit der Noelle die Mainzer Schule. Ihre Arbeiten sollen auch dazu dienen, Richtern wie Seitz Argumente zu liefern.
KURT REUMANN
Nikolaus Jackob: "Öffentliche Kommunikation bei Cicero". Nomos Verlag, Baden-Baden 2005. 353 S., br., 64,- [Euro].
Thomas Petersen: "PR-Arbeit in der Antike". Wie Augustus zum vielleicht erfolgreichsten Politiker aller Zeiten wurde. Signum-Verlag, München 2005. 221 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei brisante Bücher über die Schweigespirale in der Antike
Die Aktualität des Bestsellers "Die Schweigespirale" ist ungebrochen. Mit den Kategorien, die Elisabeth Noelle-Neumann in diesem Werk entfaltet, läßt sich nicht nur die gegenwärtige Mediengesellschaft verstehen. Auch die Antike gewinnt an Farbe, wenn man sie dem Blick der Noelle aussetzt. Schon Erich Lamp aus der Mainzer Noelle-Schule hat in seiner Dissertation über "Öffentliche Meinung im Alten Testament" (1988) gezeigt, daß Noelles Kategorien das Verständnis von öffentlicher Meinung in allen Kulturen erschließen helfen, weil Menschen überall und jederzeit von der Anerkennung ihrer Mitmenschen getragen sein wollen und weil sie daher Mißachtung und Ausgrenzung fürchten wie den Tod.
Deshalb ist die öffentliche Meinung eine so starke Integrationsmacht: In ihrer horizontalen Wirkungsachse hält sie die Mitglieder einer Gesellschaft zusammen, und in ihrer vertikalen Wirkungsachse erzwingt sie, daß die Herrschenden die Bedürfnisse der Regierten berücksichtigen. Das demonstrieren nun Thomas Petersen und Nikolaus Jackob für die Antike an so gegensätzlichen Persönlichkeiten wie Augustus und Cicero. Es macht den Reiz von Petersens Arbeit aus, daß sie belegt, wie Octavian die Macht nicht nur im Einklang mit der öffentlichen Meinung errang, sondern wie er sie, inzwischen als Augustus gefeiert, auch dauerhaft mit deren Hilfe zu festigen wußte. An Tabus der Republik rührte er, im Gegensatz zu Cäsar, scheinbar (!) nicht, um sogar aus Machtverzicht Machtgewinn zu ziehen. Im Zusammenspiel mit der opinio populi Romani entwickelte der Imperator so viel Geschick, daß Petersen fragt, ob Augustus darüber nicht zum erfolgreichsten Politiker aller Zeiten geworden sei. Ein Fest der Superlative.
Der Vergleich mit Cicero zeigt allerdings, daß zum Erfolg mehr gehört als Einsicht in die Funktionsweisen der öffentlichen Meinung. An mangelnder Rücksicht auf die Stimmungen im Volk kann es nicht gelegen haben, daß Cicero kein dauerhafter politischer Erfolg beschieden war, hat er doch "das öffentlichste aller Leben" geführt. Selten ist die ganze Bandbreite der Erscheinungsformen der öffentlichen Meinung - vom Konformitätsdruck der sozialen Kontrolle bis hin zu Lob und Tadel für die Mächtigen - so treffend bezeichnet und so sensibel analysiert worden wie von Cicero und entsprechend von Ciceros publizistischem Biographen Nikolaus Jackob. Seine bei Lamp angefertigte, preisgekrönte Mainzer Dissertation ist ein Lehrbuch für jeden, der öffentliche Meinung verstehen und beeinflussen möchte.
Mit der Urbanisierung und Globalisierung hat sich die soziale Kontrolle teilweise gelockert. Aber daß im Zeitalter der Massenmedien öffentliches Ansehen (Reputation, Ehre) eine untergeordnete Rolle spiele, ist ein Trugschluß. Ihm erlag nach Noelles Interpretation das Bundesverfassungsgericht, als es in Entscheidungen der neunziger Jahre den persönlichen Ehrenschutz bei der Abwägung mit der Meinungsfreiheit vernachlässigte. Das sorgte unter Juristen für Aufsehen und Empörung. Bezeichnend dafür war die Frage des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht München, Walter Seitz: "Darf man so scharf schreiben, wie eine Kalaschnikow schießt: tödlich?" Man kann es, aber man darf es nicht, antwortet mit der Noelle die Mainzer Schule. Ihre Arbeiten sollen auch dazu dienen, Richtern wie Seitz Argumente zu liefern.
KURT REUMANN
Nikolaus Jackob: "Öffentliche Kommunikation bei Cicero". Nomos Verlag, Baden-Baden 2005. 353 S., br., 64,- [Euro].
Thomas Petersen: "PR-Arbeit in der Antike". Wie Augustus zum vielleicht erfolgreichsten Politiker aller Zeiten wurde. Signum-Verlag, München 2005. 221 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main