Marktplatzangebote
14 Angebote ab € 5,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Dieses Buch ist ein naturphilosophisch-politischer Entwurf. Klaus Michael Meyer-Abich legt eine umfassende Deutung der geistigen und wirtschaftlichen Ursprünge der gegenwärtigen Naturkrise vor. Er macht deutlich, daß wir nicht länger wie interplanetarische Eroberer die Ressourcen ausbeuten dürfen, sondern daß es darauf ankommt, in der Natur und auf dieser Erde heimisch zu werden. Es gilt, die übrige Welt als unsere natürliche Mitwelt zu entdecken und wahrzunehmen. Meyer-Abich zeigt Auswege, auf denen die Industriegesellschaft noch eine Zukunft haben kann, wenn dazu ein politischer Wille entsteht. …mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch ist ein naturphilosophisch-politischer Entwurf. Klaus Michael Meyer-Abich legt eine umfassende Deutung der geistigen und wirtschaftlichen Ursprünge der gegenwärtigen Naturkrise vor. Er macht deutlich, daß wir nicht länger wie interplanetarische Eroberer die Ressourcen ausbeuten dürfen, sondern daß es darauf ankommt, in der Natur und auf dieser Erde heimisch zu werden. Es gilt, die übrige Welt als unsere natürliche Mitwelt zu entdecken und wahrzunehmen. Meyer-Abich zeigt Auswege, auf denen die Industriegesellschaft noch eine Zukunft haben kann, wenn dazu ein politischer Wille entsteht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.1997

Auf du und du mit dem Granit
Klaus Meyer-Abichs Philosophie läßt Stein zu Menschen werden

Kann jemand ein Philosoph und Prophet zugleich sein? Vielleicht. Aber niemals ein Prophet als Philosoph oder ein Philosoph als Prophet. Ersteres nicht, weil der Gedanke distanziert und seine sekundäre Aufladung mit expressiven, weltanschaulichen Inhalten oft aufgesetzt wirkt, letzteres aus dem einfachen Grunde nicht, weil Betroffenheit kein Argument ist.

Klaus Michael Meyer-Abichs "praktische Naturphilosophie" lebt von der Betroffenheit über die Naturzerstörung, sowohl was die äußere als auch was die innere, menschliche Natur betrifft. Sie wird vorgetragen mit dem prophetischen Gestus dessen, der "an einen vergessenen Traum" erinnert. Dieser Gestus ist altmodisch, deshalb aber längst nicht überflüssig, denn die Pathologien der modernen Industriegesellschaft, an die wir uns in einer fatalen Komplizenschaft gewöhnt haben, verlangen nach einem, der wortgewaltig an das erinnert, was wir ursprünglich gewollt haben oder eigentlich wollen sollten. Den modernen Lebensstil als "unnatürlich" zu qualifizieren ist sicher nicht verkehrt, bloß, was heißt hier "Natur"?

Meyer-Abich geht weit zurück: zu Platon, wo die Natur der Dinge ihre Norm war, an die sich Steine, Pflanzen und Tiere fraglos hielten, der Mensch aber halten sollte. Gegen die modernen anthropologisch begründeten Moralkonzepte von Kant bis Habermas und Tugendhat verankert Meyer-Abich das Sollen in einem Sein, das der Falle des naturalistischen Fehlschlusses dadurch entgeht, daß es als ideales, als ein Sein-Sollen verstanden wird.

Dieses ideale Prinzip, auch "Natur" genannt, ist nach Nikolaus von Kues in allem enthalten: "In jedem Geschöpf ist das Universum dieses Geschöpfs", wobei man sich hüten solle, diese allgemeine Präsenz der idealen Natur hierarchisch zu denken. Der Mensch ist nicht etwa die "Krone der Schöpfung", sondern gleichberechtigter Partner, so daß selbst die Steine ein wahrhaftes "Du" sind. Folglich gibt es nach Meyer-Abich eine "Würde des Granits", unabhängig davon, ob wir ihn zur Statue verarbeitet oder zum Kirchturm verbaut haben.

Trotzdem wird der Stein nicht notwendigerweise vergewaltigt, wenn wir ihn gebrauchen, denn es gilt: "Zivilisatorische Eingriffe des Menschen in die Natur sind insoweit gerechtfertigt, wie sie dem jeweiligen Gegenstand einschließlich seiner Mitwelt im Ganzen der Natur zugute kommen." Man müsse sich im Konfliktfall etwa fragen: "Wodurch ist beispielsweise eine Welt mit Buchfinken und Buchen schöner als eine Welt ohne sie?" Da wird Betroffenheit zur Theorie, was sie niemals sein kann. Faktisch hat noch jeder Philosoph aus Betroffenheit argumentiert, aber seine Argumente müssen auch ohne solche Emotionen gültig sein, sonst landen wir bei den Gurus.

Vor der kalten Vernunft reduzieren sich allerdings Meyer-Abichs philosophische Grundsätze auf Bekenntnisse: "Die Natur" etwa ist keine objektiv vorgegebene metaphysische Größe, deren Sinnordnung wir ablesen könnten wie die Abfahrtszeiten der Deutschen Bundesbahn. Ob die Welt mit oder ohne Buchen, Buchfinken, Fischreiher und Schneeglöckchen besser oder schlechter ist, wenn wir statt dessen Rasierapparate, Anästhetika, Handys oder Computertomographen bauen, kann niemand ernstlich entscheiden, insbesondere dann nicht, wenn das vorgebliche "Ganze der Natur" keine Wertehierarchie generiert, die uns im Konfliktfall Entscheidungskriterien an die Hand geben würde.

Hier rächt sich, daß Meyer-Abich die "Kopernikanische Wende" Kants als einen Irrweg ansieht, daß er das Hegelsche Vermittlungsdenken ignoriert und daß er die Sprachvermitteltheit unseres Erkennens, die seit Wittgenstein II im Zentrum des Interesses steht, einfach überspringt. Nur so kann es ihm scheinen, als stünden wir unmittelbar und sozusagen nackt einer Natur gegenüber, deren normativen Gehalt wir passiv und allgemeingültig ablesen. Konrad Lorenz, Richard Dawkins, Ilya Prigogine, Fritjof Capra: Alle berufen sich auf "die Natur", dabei raunt sie jedem etwas anderes ins Ohr.

Die Propheten des Alten Testaments haben nicht theoretisiert, sondern aufgerüttelt. Sie wollten nichts beweisen, sondern hinweisen auf Mißstände, die im Grunde jeder sah, aber keiner wahrhaben wollte. Auch Meyer-Abich ist immer dann überzeugend, wenn er aufrüttelt und seine prophetische Aufgabe erfüllt. Sowie er aber seine persönliche Betroffenheit in eine Theorie verwandelt, wird sie für den Außenstehenden opak. Was sollen wir mit einer Theorie, die sich der Einsicht in "das Ganze der Natur" rühmt, die von der "Menschwerdung der Steine" spricht, vom "Bösen in Gott" von einer Reinkarnation, die sogar die unbelebten Elemente einbezieht? All dies ist entweder Mystik, dann ist sie nicht verallgemeinerungsfähig, oder es ist eine Theorie, dann ist sie hypertroph. HANS D. MUTSCHLER

Klaus Michael Meyer-Abich: "Praktische Naturphilosophie". Erinnerung an einen vergessenen Traum. Verlag C. H. Beck, München 1997. 520 S., Abb., geb., 78,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr