Produktdetails
- Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte
- Verlag: Böhlau
- Seitenzahl: 435
- Abmessung: 225mm
- Gewicht: 684g
- ISBN-13: 9783412137977
- Artikelnr.: 08008263
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.1999Schlagt nach bei Ablaß
Michael Menzel analysiert kirchliches Marketing im Mittelalter
Wie soll eine Predigt sein? Lustig, bunt und spannend. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Schon als sich die Kirche daranmachte, die Missionierung von außen nach innen zu wenden, also nicht mehr nur Heiden erschlagen zu lassen, sondern auch den Getauften die Glaubensinhalte zu vermitteln, verfiel man auf Marketing im wichtigsten Medium der Zeit, der Predigt.
Verschlafenen Mönchen und verschlagenen Bischöfen, die bis etwa ins zehnte Jahrhundert allein in den Genuß von Predigten gekommen waren (wobei es sich meist nur um die Lesung bei Tisch handelte), brauchte man die Heilslehre nicht mit Beispielen zu erläutern. Jetzt jedoch kam ein neues Publikum hinzu, das sich aus Laien zusammensetzte und der frommen Rede leicht überdrüssig werden konnte. Und wie fatal wirkte sich dieser Zustand erst aus, als die Priester zunehmend Konkurrenz durch Laienprediger oder Abweichler bekamen, die die Bibel in ihrem Sinne deuteten. Man denke nur an die Waldenser Italiens und die Katharer Okzitaniens, die auch vor gebildetem Publikum wie bei den im zwölften Jahrhundert in Mode gekommenen Rededuellen an den Fürstenhöfen den Sieg gegen die päpstlichen Redner davontrugen.
Michael Menzel bietet in seiner Habilitationsschrift eine reiche Palette an überlieferten Predigten und Predigtanleitungen, wie sie vor allem seit dem vierten Laterankonzil von 1215 durch die neuen Predigtorden der Dominikaner und Franziskaner verfaßt wurden. Der Band ist leider nur für wissenschaftlich interessierte Leser erstellt worden - allein das Quellen- und Literaturverzeichnis umfaßt 98 der 435 Seiten -, aber ein Namensregister auf weiteren 23 Seiten erklärt auch dem historisch oder geographisch Unbewanderten das Who Is Who und Where Is Where der Antike und des Mittelalters. Es fehlt nicht an Thesen über das Geschichtsverständnis des Mittelalters, genauer gesagt derjenigen Prediger, die Exempel aus der Geschichte verwendeten: "Historische Erkenntnis ist mittelbare Erkenntnis Gottes, die geschichtlichen Ereignisse machen die ewigen Wahrheiten zugänglich." Oder: "Zur veritas historialis des Geschichtstextes kommt die Verifizierbarkeit im geistlichen Gedankengang hinzu." Oder: "In Exempelform hat die Geschichte keine eigene Kohärenz mehr. Sie bildet mit ihren vereinzelten Stoffen nur noch beliebig verknüpfbares Material der theologischen Aussage."
Bereits zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts wollen immer mehr, auch profane Geschichtsschreiber, daß bei ihren Werken an mehr als nur die Weitergabe von Historie gedacht werden soll. Die Theologie greift nun vermehrt auf diese Bereiche über. Etwa bei Johannes von San Gimignano (gestorben 1333) zeigt sich, daß die Lösung der einzelnen Stoffe aus ihrem Kontext und ihrer historischen Bedeutung dazu verhilft, die unterschiedlichen Beispiele in ganz verschiedene Erklärungszusammenhänge zu setzen und somit auch mehrfach nutzbar zu machen.
Dem entspricht auch die Aufbereitung der historischen Stoffe. Es geht so weit, daß die einzelnen Episoden nach Stichwörtern (so beim Dominikaner und Inquisitor Stefan von Bourbon, gestorben um 1261, oder beim Franziskaner Johann von Wales, gestorben 1285) unter dem Leitwort der zu haltenden Predigt (etwa Geiz, Stolz oder caritas) oder nach Publikum (für Fürsten und Prälaten, gegen ungerechte Richter und so weiter) sortiert, ja sogar einfach alphabetisch geordnet (so bei Arnold von Lüttich, Dominikaner und gestorben 1345) aufgefunden werden können. So wird die Geschichte dem Prediger nach Belieben zugänglich.
Daß sich dem Diktat der Homilie auch die Geschichtsschreiber selbst unterwerfen, bringt Menzel mit den zusammenfassenden Kapitelüberschriften einiger Historiographen in Zusammenhang, worin sich zeige, "wie wichtig es für die Geschichtsschreibung nun ist, neben der Betonung des Exempelcharakters auch eine rasch aufzufassende inhaltliche Übersicht zu bieten". Hier jedoch schießt der Autor wohl etwas über das Ziel hinaus. Während diese spezifische Darbietung einer Verwendung durch Prediger sicher entgegenkommt, kann selbst aus der Urheberschaft vieler dieser historischen Werke nicht allein auf diese Nutzung geschlossen werden.
Darüber hinaus vermißt man eine übergeordnete These. Menzel widmet sich etwa der Rechtfertigung einiger christlicher Homileten, die offenbar von Gewissensbissen geplagt wurden, wenn sie heidnische Beispiele als moralische Exempel anführten: "Die künftigen docti müssen daher von ihren Lehrern schon im Elementarunterricht mit guten richtungweisenden Exempeln der gesamten Vergangenheit konfrontiert werden." Wie leicht hätte gezeigt werden können, daß auch an dieser Beliebigkeit der Auswahl der Exempel, der Voraussetzung eines hohen Wissensstandes und der Zuspitzung vieler Beispiele - um Widersprüche nicht zu erklären, sondern durch Abschreckung oder Nachahmung aus der Welt der Gedanken zu verbannen - die Scholastik des Mittelalters letztlich zerbrach und weniger gefinkelten, aber mit praktischer Realität befaßten Antworten den Weg freimachte. Noch Papst Innozenz III., der Vater des IV. Laterankonzils, hielt den Glauben an Hexerei für Häresie, für eine Herabwürdigung der Macht Gottes. Seine Nachfolger rund zweieinhalb Jahrhunderte später kannten solche Skrupel nicht mehr, wenn sie den Fürsten "malleus maleficarum", den Hexenhammer, ans Herz legten und zu Hexenverbrennungen aufrufen ließen. Wenn dann die Frage nach der Bedeutung von Frauen für die geschichtlichen Beispiele sich auf Judith, Esther, Maria und die Päpstin Johanna beschränkt, kann man dem Autor leider nur Blauäugigkeit bescheinigen.
Schließlich muß er ja selbst zugeben, daß "die Geschichtsliteratur nur aspekthaft als Predigtliteratur gesehen werden kann. Sie ist nicht wie die Exempelsammlungen ausschließlich auf die Umsetzung in der Predigt ausgerichtet." Weniger Aufzählungen und ein paar Beispiele mehr hätten das Werk lesenswerter gemacht und vielleicht vor einem tristen Schicksal im Regal irgendeiner Institutsbibliothek bewahrt. Trotzdem ist "Predigt und Geschichte" ein mutiges Unterfangen. In einem weiten Bogen hat Menzel ausgeholt, sehr viel zusammenzutragen und den Grundstein zu weiterer Forschung zu legen. Aber auch ihm wird nicht erspart bleiben, was er den Bearbeitern der Predigtliteratur des Mittelalters bis heute vorwirft, nämlich diese als Steinbruch für Forschungen ganz anderer Art zu benutzen. MARTIN LHOTZKY
Michael Menzel: "Predigt und Geschichte". Historische Exempel in der geistlichen Rhetorik des Mittelalters. Böhlau Verlag, Köln 1998. 435 S., geb., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Menzel analysiert kirchliches Marketing im Mittelalter
Wie soll eine Predigt sein? Lustig, bunt und spannend. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Schon als sich die Kirche daranmachte, die Missionierung von außen nach innen zu wenden, also nicht mehr nur Heiden erschlagen zu lassen, sondern auch den Getauften die Glaubensinhalte zu vermitteln, verfiel man auf Marketing im wichtigsten Medium der Zeit, der Predigt.
Verschlafenen Mönchen und verschlagenen Bischöfen, die bis etwa ins zehnte Jahrhundert allein in den Genuß von Predigten gekommen waren (wobei es sich meist nur um die Lesung bei Tisch handelte), brauchte man die Heilslehre nicht mit Beispielen zu erläutern. Jetzt jedoch kam ein neues Publikum hinzu, das sich aus Laien zusammensetzte und der frommen Rede leicht überdrüssig werden konnte. Und wie fatal wirkte sich dieser Zustand erst aus, als die Priester zunehmend Konkurrenz durch Laienprediger oder Abweichler bekamen, die die Bibel in ihrem Sinne deuteten. Man denke nur an die Waldenser Italiens und die Katharer Okzitaniens, die auch vor gebildetem Publikum wie bei den im zwölften Jahrhundert in Mode gekommenen Rededuellen an den Fürstenhöfen den Sieg gegen die päpstlichen Redner davontrugen.
Michael Menzel bietet in seiner Habilitationsschrift eine reiche Palette an überlieferten Predigten und Predigtanleitungen, wie sie vor allem seit dem vierten Laterankonzil von 1215 durch die neuen Predigtorden der Dominikaner und Franziskaner verfaßt wurden. Der Band ist leider nur für wissenschaftlich interessierte Leser erstellt worden - allein das Quellen- und Literaturverzeichnis umfaßt 98 der 435 Seiten -, aber ein Namensregister auf weiteren 23 Seiten erklärt auch dem historisch oder geographisch Unbewanderten das Who Is Who und Where Is Where der Antike und des Mittelalters. Es fehlt nicht an Thesen über das Geschichtsverständnis des Mittelalters, genauer gesagt derjenigen Prediger, die Exempel aus der Geschichte verwendeten: "Historische Erkenntnis ist mittelbare Erkenntnis Gottes, die geschichtlichen Ereignisse machen die ewigen Wahrheiten zugänglich." Oder: "Zur veritas historialis des Geschichtstextes kommt die Verifizierbarkeit im geistlichen Gedankengang hinzu." Oder: "In Exempelform hat die Geschichte keine eigene Kohärenz mehr. Sie bildet mit ihren vereinzelten Stoffen nur noch beliebig verknüpfbares Material der theologischen Aussage."
Bereits zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts wollen immer mehr, auch profane Geschichtsschreiber, daß bei ihren Werken an mehr als nur die Weitergabe von Historie gedacht werden soll. Die Theologie greift nun vermehrt auf diese Bereiche über. Etwa bei Johannes von San Gimignano (gestorben 1333) zeigt sich, daß die Lösung der einzelnen Stoffe aus ihrem Kontext und ihrer historischen Bedeutung dazu verhilft, die unterschiedlichen Beispiele in ganz verschiedene Erklärungszusammenhänge zu setzen und somit auch mehrfach nutzbar zu machen.
Dem entspricht auch die Aufbereitung der historischen Stoffe. Es geht so weit, daß die einzelnen Episoden nach Stichwörtern (so beim Dominikaner und Inquisitor Stefan von Bourbon, gestorben um 1261, oder beim Franziskaner Johann von Wales, gestorben 1285) unter dem Leitwort der zu haltenden Predigt (etwa Geiz, Stolz oder caritas) oder nach Publikum (für Fürsten und Prälaten, gegen ungerechte Richter und so weiter) sortiert, ja sogar einfach alphabetisch geordnet (so bei Arnold von Lüttich, Dominikaner und gestorben 1345) aufgefunden werden können. So wird die Geschichte dem Prediger nach Belieben zugänglich.
Daß sich dem Diktat der Homilie auch die Geschichtsschreiber selbst unterwerfen, bringt Menzel mit den zusammenfassenden Kapitelüberschriften einiger Historiographen in Zusammenhang, worin sich zeige, "wie wichtig es für die Geschichtsschreibung nun ist, neben der Betonung des Exempelcharakters auch eine rasch aufzufassende inhaltliche Übersicht zu bieten". Hier jedoch schießt der Autor wohl etwas über das Ziel hinaus. Während diese spezifische Darbietung einer Verwendung durch Prediger sicher entgegenkommt, kann selbst aus der Urheberschaft vieler dieser historischen Werke nicht allein auf diese Nutzung geschlossen werden.
Darüber hinaus vermißt man eine übergeordnete These. Menzel widmet sich etwa der Rechtfertigung einiger christlicher Homileten, die offenbar von Gewissensbissen geplagt wurden, wenn sie heidnische Beispiele als moralische Exempel anführten: "Die künftigen docti müssen daher von ihren Lehrern schon im Elementarunterricht mit guten richtungweisenden Exempeln der gesamten Vergangenheit konfrontiert werden." Wie leicht hätte gezeigt werden können, daß auch an dieser Beliebigkeit der Auswahl der Exempel, der Voraussetzung eines hohen Wissensstandes und der Zuspitzung vieler Beispiele - um Widersprüche nicht zu erklären, sondern durch Abschreckung oder Nachahmung aus der Welt der Gedanken zu verbannen - die Scholastik des Mittelalters letztlich zerbrach und weniger gefinkelten, aber mit praktischer Realität befaßten Antworten den Weg freimachte. Noch Papst Innozenz III., der Vater des IV. Laterankonzils, hielt den Glauben an Hexerei für Häresie, für eine Herabwürdigung der Macht Gottes. Seine Nachfolger rund zweieinhalb Jahrhunderte später kannten solche Skrupel nicht mehr, wenn sie den Fürsten "malleus maleficarum", den Hexenhammer, ans Herz legten und zu Hexenverbrennungen aufrufen ließen. Wenn dann die Frage nach der Bedeutung von Frauen für die geschichtlichen Beispiele sich auf Judith, Esther, Maria und die Päpstin Johanna beschränkt, kann man dem Autor leider nur Blauäugigkeit bescheinigen.
Schließlich muß er ja selbst zugeben, daß "die Geschichtsliteratur nur aspekthaft als Predigtliteratur gesehen werden kann. Sie ist nicht wie die Exempelsammlungen ausschließlich auf die Umsetzung in der Predigt ausgerichtet." Weniger Aufzählungen und ein paar Beispiele mehr hätten das Werk lesenswerter gemacht und vielleicht vor einem tristen Schicksal im Regal irgendeiner Institutsbibliothek bewahrt. Trotzdem ist "Predigt und Geschichte" ein mutiges Unterfangen. In einem weiten Bogen hat Menzel ausgeholt, sehr viel zusammenzutragen und den Grundstein zu weiterer Forschung zu legen. Aber auch ihm wird nicht erspart bleiben, was er den Bearbeitern der Predigtliteratur des Mittelalters bis heute vorwirft, nämlich diese als Steinbruch für Forschungen ganz anderer Art zu benutzen. MARTIN LHOTZKY
Michael Menzel: "Predigt und Geschichte". Historische Exempel in der geistlichen Rhetorik des Mittelalters. Böhlau Verlag, Köln 1998. 435 S., geb., 98,- DM.
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