Maschinen, die für uns arbeiten, damit wir mehr Zeit füruns haben! Was einmal wie ein Traum vom Paradies klang,hat eher albtraumhafte Züge angenommen. Statt auf dem Rücken liegend den Vogelflug zu bewundern, sind wir Sklaven von Email, Twitter und Facebook geworden. Wir sehen von allem zu viel und doch nie das richtige, da zuviele Welten gleichzeitig um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren. Diagnose: Present Shock.Maschinen, die für uns arbeiten, damit wir mehr Zeit für uns haben! Was einmal wie ein Traum vom Paradies klang, hat albtraumhafte Züge angenommen. Statt auf dem Rücken liegend den Vogelflug zu beobachten, sind wir Sklaven von E-Mail, Twitter und Facebook geworden. In der präsentistischen Moderne sehen wir alles und erkennen doch nichts. Diagnose: Present Shock.Douglas Rushkoff fasst in Worte, was wir alle erleben, aber kaum einordnen können. Seine kritische Bestandsaufnahme als Medientheoretiker und als Betroffener erklärt, wodurch wir den Augenblick verloren haben. Er eröffnet eine Perspektive auf das Leben im digitalen Zeitalter, die uns das gewaltige Ausmaß des Umbruchs vor Augen führt - und uns auf geradezu kathartische Art und Weise damit versöhnt.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Über den Stellenwert der Aufmerksamkeit in der Gegenwart und über digitale Zeitordnungen liest Bernd Stiegler im Buch des Cyperpunkers Douglas Rushkoff. Aufschlussreich findet der Rezensent Rushkoffs Erkundung der Formen sozialmedialer Präsenzen, weil der Autor mutig und rückhaltlos Thesen formuliert. Der Ton ist scharf kulturkritisch, meint Stiegler, das Material reichlich. Auch wenn Rushkoff seine Kritik mit nur wenigen bekannten Stimmen stützt - die Ungreifbarkeit des Jetzt und die mediale Herrschaft über unsere Zeit vermag der Autor dem Rezensenten eindrücklich vor Augen zu führen. Rushkoffs Vorschlag, körperliche Zeitordnungen wiederzuentdecken, scheint Stiegler einen Versuch wert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2014Das schwarze Loch des Jetzt
Rushkoff und Löffler über unsere Gegenwart im Netz
Es war einmal eine Zeit, in der die Medientheorien von der Steinzeit in drei Schritten bis zur Gegenwart vordrangen, dabei die Geschichte in Begriffe brachten und sich noch dazu an einer Diagnose der Gegenwart und einer Prognose der Zukunft versuchten. Es ist gerade einmal drei Jahrzehnte her, dass die Medientheorie von Norbert Bolz über Vilém Flusser und Friedrich Kittler bis Florian Rötzer solch weite Bögen spannte, dabei die Gutenberg-Galaxis im schwarzen Loch der Computerkultur verschwinden ließ und mit phänomenologischem Gespür die Gesten der Gegenwart zu entziffern suchte.
Theoretische Orientierungspunkte gab es dabei kaum, so neu waren die Perspektiven, die sich eröffneten, und so unzureichend die Bücher, die man hätte zur Hand nehmen können. Diese märchenhaft erscheinenden Zeiten der Theorie sind vorbei. Das muss man nicht bedauern, waren doch die Bögen arg hoch gespannt und die geschichtsphilosophischen Panoramen zu breit in ihrer Anlage.
Wenn man Douglas Rushkoffs "Present Shock" und Petra Löfflers "Verteilte Aufmerksamkeit" liest, sieht man, wie sich Stile und Gegenstände, Zentren der theoretischen Aufmerksamkeit und ihre Bezugsgrößen verschoben haben. An die Stelle der großen historisch-theoretischen Geste und der weltgeschichtlichen Panoramen ist bei Rushkoff die Gegenwart getreten, das große schwarze Loch des Jetzt, das alle Geschichte zu verschlingen droht, und bei Löffler eine filigrane Rekonstruktion der historischen Entwicklung.
Rushkoff gräbt sich tief in die verschiedenen Formen der medial erzeugten Präsenzen ein, um daraus eine scharfe Kritik der Welt der Social Media abzuleiten. Löffler hingegen identifiziert bereits in der Zeit um 1800 ein Zeitalter der "verteilten Aufmerksamkeit", um dann seine historischen Verschiebungen bis hin zur Weimarer Republik in den Blick zu nehmen. Zwei Temperamente, zwei Antworten: Der eine analysiert die Gegenwart in ihrer Doppelgestalt zwischen Messianismus und Apokalypse, die andere die Aufmerksamkeit als Spielball der Wissenschaften und Medientechniken über zwei Jahrhunderte hinweg. Der eine schlägt dabei den scharfen Ton der Kulturkritik an, die andere versteckt sich zumeist hinter klassischen Positionen, um Schauplätze der Zerstreuung zu erkunden. Der eine operiert bei aller Materialfülle ungeschützt in seinen Thesen, die andere mit der Solidität tradierter Positionen, die meist der Frankfurter Schule entstammen.
Der Weg Löfflers ist diskursiv gebahnt, jener Rushkoffs dagegen wilder und ungezügelter, auch deshalb, weil er kaum auf bekannte Positionen zurückgreift. Und wenn er es tut, geschieht das fast etwas verschämt, so etwa, wenn er die Chrono- und Soziobiologie bemüht, um deutlich zu machen, dass das Zeitmanagement des Menschen anderen Ordnungen gehorcht als jenen, die der Computer uns vorgibt. Das Überleben des Menschen verdanke sich, so resümiert er, der Organisation seiner Umwelt und seiner Existenz auf verschiedenen Zeitebenen, die vom Einzelnen bis zur Gattung reichen und in uns ihre Spuren hinterlassen haben. Wir sind eben doch keine Mensch-Maschinen.
Doch was ist nun die Gegenwart, um die sich beide Studien drehen? Der ehemalige Cyberpunk-Autor Rushkoff hat seinen apokalyptischen Ton nicht aufgegeben und sieht eine Zeit anbrechen, in der das Leben einem Computerprogramm folgt, das die Zeit vorgibt und den Menschen neu synchronisiert. Multitasking und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome (welch ein Wort!) regieren, und die Gegenwart ist so plural, dass sie ungreifbar geworden ist. Die digitale Zeit des Netzes ist, so räsoniert er, das große schwarze Loch, das Lebenszeit in virtuellen Präsentismus verwandelt. Der Messianismus der digitalen Jetztzeit wird zur Apokalypse des Menschen, dessen Körper doch andere Zeitordnungen kennt und lebt. Sie wiederzuentdecken ist demnach die Aufgabe. Das ist die Botschaft seines Buches.
Petra Löffler enthält sich dagegen aller kulturdiagnostischer Befunde und unterfüttert die Frage der Aufmerksamkeit mit einer Genealogie. Medienwird zur Wahrnehmungsgeschichte. Sie konzentriert sich auf wissenschaftliche, filmtheoretische und psycho-physische Diskurse, studiert Texte und frühe Filme, Rezensionen und Experimente. In der Gegenwart kommt ihre Studie nicht recht an. Mit Benjamin und Kracauer erreicht man vor allem die historische Tiefenschärfe der Zwischenkriegszeit. Diese erkundet Löfflers Arbeit mit einer Fülle von Beispielen.
Auf der einen Seite eine vergangenheitsvergessene Dauerpräsenz, auf der anderen eine geschichtsträchtige Vielgestalt der medial modellierten Aufmerksamkeit: Rushkoff und Löffler bieten zwei Perspektiven auf die Aufmerksamkeit als Phänomen der Gegenwart, die eigentümlich komplementär sind und erst zusammengenommen ihre analytische wie diagnostische Schärfe gewinnen. Auf einem Auge sind beide blind. Mit dem zweiten würden sie besser sehen.
BERND STIEGLER.
Petra Löffler: "Verteilte Aufmerksamkeit". Eine Mediengeschichte der Zerstreuung.
Diaphanes Verlag, Zürich/Berlin 2014. 368 S., br., 29,95 [Euro].
Douglas Rushkoff: "Present Shock". Wenn alles jetzt passiert. Aus dem Englischen von Gesine Schröder und Andy Hahnemann.
Orange Press, Freiburg 2014. 288 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rushkoff und Löffler über unsere Gegenwart im Netz
Es war einmal eine Zeit, in der die Medientheorien von der Steinzeit in drei Schritten bis zur Gegenwart vordrangen, dabei die Geschichte in Begriffe brachten und sich noch dazu an einer Diagnose der Gegenwart und einer Prognose der Zukunft versuchten. Es ist gerade einmal drei Jahrzehnte her, dass die Medientheorie von Norbert Bolz über Vilém Flusser und Friedrich Kittler bis Florian Rötzer solch weite Bögen spannte, dabei die Gutenberg-Galaxis im schwarzen Loch der Computerkultur verschwinden ließ und mit phänomenologischem Gespür die Gesten der Gegenwart zu entziffern suchte.
Theoretische Orientierungspunkte gab es dabei kaum, so neu waren die Perspektiven, die sich eröffneten, und so unzureichend die Bücher, die man hätte zur Hand nehmen können. Diese märchenhaft erscheinenden Zeiten der Theorie sind vorbei. Das muss man nicht bedauern, waren doch die Bögen arg hoch gespannt und die geschichtsphilosophischen Panoramen zu breit in ihrer Anlage.
Wenn man Douglas Rushkoffs "Present Shock" und Petra Löfflers "Verteilte Aufmerksamkeit" liest, sieht man, wie sich Stile und Gegenstände, Zentren der theoretischen Aufmerksamkeit und ihre Bezugsgrößen verschoben haben. An die Stelle der großen historisch-theoretischen Geste und der weltgeschichtlichen Panoramen ist bei Rushkoff die Gegenwart getreten, das große schwarze Loch des Jetzt, das alle Geschichte zu verschlingen droht, und bei Löffler eine filigrane Rekonstruktion der historischen Entwicklung.
Rushkoff gräbt sich tief in die verschiedenen Formen der medial erzeugten Präsenzen ein, um daraus eine scharfe Kritik der Welt der Social Media abzuleiten. Löffler hingegen identifiziert bereits in der Zeit um 1800 ein Zeitalter der "verteilten Aufmerksamkeit", um dann seine historischen Verschiebungen bis hin zur Weimarer Republik in den Blick zu nehmen. Zwei Temperamente, zwei Antworten: Der eine analysiert die Gegenwart in ihrer Doppelgestalt zwischen Messianismus und Apokalypse, die andere die Aufmerksamkeit als Spielball der Wissenschaften und Medientechniken über zwei Jahrhunderte hinweg. Der eine schlägt dabei den scharfen Ton der Kulturkritik an, die andere versteckt sich zumeist hinter klassischen Positionen, um Schauplätze der Zerstreuung zu erkunden. Der eine operiert bei aller Materialfülle ungeschützt in seinen Thesen, die andere mit der Solidität tradierter Positionen, die meist der Frankfurter Schule entstammen.
Der Weg Löfflers ist diskursiv gebahnt, jener Rushkoffs dagegen wilder und ungezügelter, auch deshalb, weil er kaum auf bekannte Positionen zurückgreift. Und wenn er es tut, geschieht das fast etwas verschämt, so etwa, wenn er die Chrono- und Soziobiologie bemüht, um deutlich zu machen, dass das Zeitmanagement des Menschen anderen Ordnungen gehorcht als jenen, die der Computer uns vorgibt. Das Überleben des Menschen verdanke sich, so resümiert er, der Organisation seiner Umwelt und seiner Existenz auf verschiedenen Zeitebenen, die vom Einzelnen bis zur Gattung reichen und in uns ihre Spuren hinterlassen haben. Wir sind eben doch keine Mensch-Maschinen.
Doch was ist nun die Gegenwart, um die sich beide Studien drehen? Der ehemalige Cyberpunk-Autor Rushkoff hat seinen apokalyptischen Ton nicht aufgegeben und sieht eine Zeit anbrechen, in der das Leben einem Computerprogramm folgt, das die Zeit vorgibt und den Menschen neu synchronisiert. Multitasking und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome (welch ein Wort!) regieren, und die Gegenwart ist so plural, dass sie ungreifbar geworden ist. Die digitale Zeit des Netzes ist, so räsoniert er, das große schwarze Loch, das Lebenszeit in virtuellen Präsentismus verwandelt. Der Messianismus der digitalen Jetztzeit wird zur Apokalypse des Menschen, dessen Körper doch andere Zeitordnungen kennt und lebt. Sie wiederzuentdecken ist demnach die Aufgabe. Das ist die Botschaft seines Buches.
Petra Löffler enthält sich dagegen aller kulturdiagnostischer Befunde und unterfüttert die Frage der Aufmerksamkeit mit einer Genealogie. Medienwird zur Wahrnehmungsgeschichte. Sie konzentriert sich auf wissenschaftliche, filmtheoretische und psycho-physische Diskurse, studiert Texte und frühe Filme, Rezensionen und Experimente. In der Gegenwart kommt ihre Studie nicht recht an. Mit Benjamin und Kracauer erreicht man vor allem die historische Tiefenschärfe der Zwischenkriegszeit. Diese erkundet Löfflers Arbeit mit einer Fülle von Beispielen.
Auf der einen Seite eine vergangenheitsvergessene Dauerpräsenz, auf der anderen eine geschichtsträchtige Vielgestalt der medial modellierten Aufmerksamkeit: Rushkoff und Löffler bieten zwei Perspektiven auf die Aufmerksamkeit als Phänomen der Gegenwart, die eigentümlich komplementär sind und erst zusammengenommen ihre analytische wie diagnostische Schärfe gewinnen. Auf einem Auge sind beide blind. Mit dem zweiten würden sie besser sehen.
BERND STIEGLER.
Petra Löffler: "Verteilte Aufmerksamkeit". Eine Mediengeschichte der Zerstreuung.
Diaphanes Verlag, Zürich/Berlin 2014. 368 S., br., 29,95 [Euro].
Douglas Rushkoff: "Present Shock". Wenn alles jetzt passiert. Aus dem Englischen von Gesine Schröder und Andy Hahnemann.
Orange Press, Freiburg 2014. 288 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'Das richtige Buch zur rechten Zeit.' (Spiegel Online)