Deutsch-britische 'Pressekriege' begannen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das Gefüge von Öffentlichkeit und Diplomatie zu destabilisieren. Und so waren auch die internationalen Beziehungen seither geprägt durch den Wandel von politischer Kommunikation, Medienstrukturen und Informationstechnologie. Wie reagierten Diplomatie und Politik auf das neue mediale Umfeld? Welche Auswirkungen hatte das Zusammenspiel der Presse mit anderen Teilbereichen von Öffentlichkeit wie Parlamenten, politischen Parteien, Verbänden und Straßendemonstrationen? Welche Effekte hatte die beschleunigte globale Kommunikation auf die Funktionsfähigkeit etablierter Abstimmungsmechanismen? Dominik Gepperts Buch gibt erstmals systematische, quellengestützte Antworten auf diese zentralen Fragen nach dem Wesen der Außenpolitik im Zeitalter der Massenöffentlichkeit. Es erweitert die Forschungen zum deutsch-britischen Verhältnis in der wilhelminischen Epoche um die zentrale Dimension der Pressebeziehungen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008Alle meine Entchen ...
Pressekriege vor 1914 Von Gottfried Niedhart
Als Immanuel Kant 1795 seine Schrift "Zum ewigen Frieden" veröffentlichte, nahm er an, ein höheres Maß an politischer Partizipation seitens der Bürger werde zu einer Zivilisierung der Politik und zu einer Reduzierung von Gewalt und Gewaltandrohung in den internationalen Beziehungen führen. Hundert Jahre später war es gerade die öffentliche Debatte auf dem politischen Massenmarkt, die konfliktverschärfend wirkte und zurückhaltendere Stimmen übertönte. Im Zeitalter der Informationsflut, die Nachrichtenagenturen wie Reuters in Großbritannien oder Wolff's Telegraphisches Bureau in Deutschland bereitstellte, und einer neuartigen kommerziellen Massenpresse, die neben das herkömmliche Zeitungswesen trat, ging es den Regierungen darum, die mediale Öffentlichkeit zu steuern. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg sprach 1912 von einem Ansteigen der Kriegsgefahr, "nachdem Öffentlichkeit, Volksstimmung, Agitation an Gewicht und Bedeutung zugenommen haben".
Am Beispiel des britisch-deutschen Antagonismus vor dem Ersten Weltkrieg untersucht Dominik Geppert die zwischen beiden Ländern hin und her wogenden "Pressekriege", die durch Wettbewerb, Abgrenzung, Gewalt und Feindschaft geprägt waren. Anschaulich beschreibt er nicht nur die jeweilige nationale Öffentlichkeit, sondern darüber hinaus auch deren "mediale Interaktionen". Dabei geht er von der Annahme aus, dass die Analyse internationaler Beziehungen seit dem Zeitalter des Hochimperialismus nicht nur das Regierungshandeln in den Blick nehmen dürfe. Vielmehr seien auch Journalisten als "wichtige Mitspieler" in Rechnung zu stellen.
Die Serie der Pressefehden setzte ein, als Wilhelm II. im Januar 1896 Paul Krüger, den Präsidenten der südafrikanischen Burenrepublik Transvaal, dazu beglückwünschte, einen von der britischen Kapkolonie ausgehenden Übergriff abgewehrt zu haben. Die in Berlin erwünschte internationale Wirkung konnte das Krüger-Telegramm nur erzielen, wenn es sogleich veröffentlicht wurde. Überall war zu lesen, was der Kaiser von den Briten hielt. Er betrachtete sie - noch nicht einmal zu Unrecht - als "Friedensstörer". In London sah man sich innerhalb kürzester Zeit ein zweites Mal von außen gemaßregelt. Denn im Vormonat hatte der amerikanische Präsident unter Bezug auf die Monroe-Doktrin britische Forderungen im Grenzstreit zwischen Britisch-Guayana und Venezuela brüsk zurückgewiesen. Während Großbritannien in der amerikanischen Hemisphäre einlenkte und sich bald darauf sogar in der langfristigen Perspektive einer transatlantischen Friedenszone mit einem schiedsgerichtlichen Verfahren einverstanden erklärte, wurde das in der Gestalt des Kaisers personifizierte Deutsche Reich als Eindringling in die legitime Interessensphäre Großbritanniens scharf attackiert.
In der Folgezeit zeichnete die britische Presse ein zunehmend negatives Deutschlandbild, das sich während des 1899 einsetzenden Burenkriegs weiter verfinsterte. Als Ende 1902 wiederum Venezuela für Aufsehen sorgte, weil die dortige Regierung mit fälligen Zinszahlungen im Rückstand war und es zu einer gemeinsamen britisch-deutschen Aktion kam, war es die antideutsche Presse in Großbritannien, die diesen wiederum die Vereinigten Staaten herausfordernden Kurs verurteilte. Mit den "betrügerischen, obrigkeitsstaatlichen Deutschen" sollten "gutgläubige, freiheitsliebende Engländer" nicht kooperieren. Dem deutschen Zeitungspublikum wurde derweil von seiner Presse das Stereotyp vom "selbstsüchtigen, arroganten und heuchlerischen Albion" nahegebracht. Die Marokko-Krisen und das maritime Wettrüsten trugen danach kräftig dazu bei, dass sich die wechselseitige Abneigung zu Feindbildern verfestigte.
Im Nachklapp weiß Geppert auch von "Abrüstung der Presse" zu berichten, doch blieben einzelne aus unterschiedlichen Motiven betriebene Entspannungsinitiativen gegenüber den Einstellungs- und Wahrnehmungsmustern der Massenpresse wirkungslos. Auch wenn sich das britisch-deutsche Presseklima in den beiden letzten Friedensjahren freundlicher gestaltete, trugen die Pressekriege wesentlich zur "mentalen Aufrüstung und zur kulturellen Konfrontation" bei. Ob daraus aber schon auf eine "Transformation der Diplomatie durch die Massenpresse" geschlossen werden kann, ist angesichts der politisch-militärischen Entscheidungsprozesse in beiden Ländern doch zu bezweifeln. Öffentlichkeit und Diplomatie berührten sich wiederholt, was im Übrigen gerade in England nicht erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert der Fall war. Sie liefen aber auch vielfach unverbunden nebeneinander her, ganz so, wie Geppert es auch darstellt.
Dominik Geppert: Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912). R. Oldenbourg Verlag, München 2007. 490 S., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pressekriege vor 1914 Von Gottfried Niedhart
Als Immanuel Kant 1795 seine Schrift "Zum ewigen Frieden" veröffentlichte, nahm er an, ein höheres Maß an politischer Partizipation seitens der Bürger werde zu einer Zivilisierung der Politik und zu einer Reduzierung von Gewalt und Gewaltandrohung in den internationalen Beziehungen führen. Hundert Jahre später war es gerade die öffentliche Debatte auf dem politischen Massenmarkt, die konfliktverschärfend wirkte und zurückhaltendere Stimmen übertönte. Im Zeitalter der Informationsflut, die Nachrichtenagenturen wie Reuters in Großbritannien oder Wolff's Telegraphisches Bureau in Deutschland bereitstellte, und einer neuartigen kommerziellen Massenpresse, die neben das herkömmliche Zeitungswesen trat, ging es den Regierungen darum, die mediale Öffentlichkeit zu steuern. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg sprach 1912 von einem Ansteigen der Kriegsgefahr, "nachdem Öffentlichkeit, Volksstimmung, Agitation an Gewicht und Bedeutung zugenommen haben".
Am Beispiel des britisch-deutschen Antagonismus vor dem Ersten Weltkrieg untersucht Dominik Geppert die zwischen beiden Ländern hin und her wogenden "Pressekriege", die durch Wettbewerb, Abgrenzung, Gewalt und Feindschaft geprägt waren. Anschaulich beschreibt er nicht nur die jeweilige nationale Öffentlichkeit, sondern darüber hinaus auch deren "mediale Interaktionen". Dabei geht er von der Annahme aus, dass die Analyse internationaler Beziehungen seit dem Zeitalter des Hochimperialismus nicht nur das Regierungshandeln in den Blick nehmen dürfe. Vielmehr seien auch Journalisten als "wichtige Mitspieler" in Rechnung zu stellen.
Die Serie der Pressefehden setzte ein, als Wilhelm II. im Januar 1896 Paul Krüger, den Präsidenten der südafrikanischen Burenrepublik Transvaal, dazu beglückwünschte, einen von der britischen Kapkolonie ausgehenden Übergriff abgewehrt zu haben. Die in Berlin erwünschte internationale Wirkung konnte das Krüger-Telegramm nur erzielen, wenn es sogleich veröffentlicht wurde. Überall war zu lesen, was der Kaiser von den Briten hielt. Er betrachtete sie - noch nicht einmal zu Unrecht - als "Friedensstörer". In London sah man sich innerhalb kürzester Zeit ein zweites Mal von außen gemaßregelt. Denn im Vormonat hatte der amerikanische Präsident unter Bezug auf die Monroe-Doktrin britische Forderungen im Grenzstreit zwischen Britisch-Guayana und Venezuela brüsk zurückgewiesen. Während Großbritannien in der amerikanischen Hemisphäre einlenkte und sich bald darauf sogar in der langfristigen Perspektive einer transatlantischen Friedenszone mit einem schiedsgerichtlichen Verfahren einverstanden erklärte, wurde das in der Gestalt des Kaisers personifizierte Deutsche Reich als Eindringling in die legitime Interessensphäre Großbritanniens scharf attackiert.
In der Folgezeit zeichnete die britische Presse ein zunehmend negatives Deutschlandbild, das sich während des 1899 einsetzenden Burenkriegs weiter verfinsterte. Als Ende 1902 wiederum Venezuela für Aufsehen sorgte, weil die dortige Regierung mit fälligen Zinszahlungen im Rückstand war und es zu einer gemeinsamen britisch-deutschen Aktion kam, war es die antideutsche Presse in Großbritannien, die diesen wiederum die Vereinigten Staaten herausfordernden Kurs verurteilte. Mit den "betrügerischen, obrigkeitsstaatlichen Deutschen" sollten "gutgläubige, freiheitsliebende Engländer" nicht kooperieren. Dem deutschen Zeitungspublikum wurde derweil von seiner Presse das Stereotyp vom "selbstsüchtigen, arroganten und heuchlerischen Albion" nahegebracht. Die Marokko-Krisen und das maritime Wettrüsten trugen danach kräftig dazu bei, dass sich die wechselseitige Abneigung zu Feindbildern verfestigte.
Im Nachklapp weiß Geppert auch von "Abrüstung der Presse" zu berichten, doch blieben einzelne aus unterschiedlichen Motiven betriebene Entspannungsinitiativen gegenüber den Einstellungs- und Wahrnehmungsmustern der Massenpresse wirkungslos. Auch wenn sich das britisch-deutsche Presseklima in den beiden letzten Friedensjahren freundlicher gestaltete, trugen die Pressekriege wesentlich zur "mentalen Aufrüstung und zur kulturellen Konfrontation" bei. Ob daraus aber schon auf eine "Transformation der Diplomatie durch die Massenpresse" geschlossen werden kann, ist angesichts der politisch-militärischen Entscheidungsprozesse in beiden Ländern doch zu bezweifeln. Öffentlichkeit und Diplomatie berührten sich wiederholt, was im Übrigen gerade in England nicht erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert der Fall war. Sie liefen aber auch vielfach unverbunden nebeneinander her, ganz so, wie Geppert es auch darstellt.
Dominik Geppert: Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912). R. Oldenbourg Verlag, München 2007. 490 S., 49,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dominik Gepperts Buch über die Auseinandersetzungen zwischen der deutschen und der britischen Presse zwischen 1896 und 1912 hat Rezensent Alexander Menden rundum überzeugt. Es schließt für ihn eine Lücke in der Untersuchung der englisch-deutschen Beziehungen. Schon der Überblick über die unterschiedlichen Presselandschaften in beiden Ländern scheint ihm überaus instruktiv. Besonders interessant findet er in diesem Zusammenhang die Ausführungen über Rolle und Bedeutung des journalistischen Standes in Deutschland und Großbritannien. Ausführlich geht er auf die Darstellung des "Pressekriegs" ein, der auf das sogenannte "Krügertelegramm" folgte. Er bescheinigt Geppert imponierende Quellenkenntnisse, dank derer der Autor eine Fülle von erhellenden Beispielen ausbreiten könne. Insgesamt vermittelt das Buch nach Ansicht Mendens nicht nur einen hervorragenden Einblick in die verschiedenen Pressekulturen und die zunehmende Bedeutung der Massenmedien, sondern auch die "komplexen Anziehungs- und Abstoßungsvorgänge" zwischen England und Deutschland um die Jahrhundertwende.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Am Beispiel des britisch-deutschen Antagonismus vor dem Ersten Weltkrieg untersucht Dominik Geppert die zwischen beiden Ländern hin und her wogenden ,Pressekriege', die durch Wettbewerb, Abgrenzung, Gewalt und Feindschaft geprägt waren. Anschaulich beschreibt er nicht nur die jeweilige nationale Öffentlichkeit, sondern darüber hinaus auch deren ,mediale Interaktionen'." Gottfried Niedhart, FAZ 12.3.2008 "Eine beeindruckende Quellenkenntnis erlaubt es dem Autor, mit einer Vielzahl von Beispielen immer wieder aufflammenden medialen Missvergnügens die Rivalität zwischen der aufstrebenden Kontinentalmacht und dem Empire zu illustrieren. ... Überaus materialreich, gewähren die ,Pressekriege' nicht nur erhellende Einblicke in die unterschiedlichen Pressekulturen sowie die zunehmende diplomatische Bedeutung der sich mit Macht entwickelnden Massenmedien. Dominik Geppert beleuchtet dankenswerterweise auch jene komplexen Anziehungs- und Abstoßungsvorgänge zwischen England und Deutschland um die Jahrhundertwende, die in der historischen Betrachtung sonst meist von den Verheerungen des Ersten Weltkrieges überlagert sind." Alexander Menden, SZ 14./15.6.2008 "...ist die vorbildliche Arbeit um so erfreulicher, da sie nicht zu abenteuerlichen soziologischen oder kommunikationswissenschaftlichen Schlußfolgerungen kommt, sondern zu wissenschaftlich fundierten historischen Erkenntnissen, die auf breiter Quellenbasis angereichert mit erquicklichen Zitaten und einigen Abbildungen angenehm zu lesen ist." Martin Schramm, Historische Zeitschrift Heft 2/2008 "Mit seiner Untersuchung der Auseinandersetzungen zwischen deutscher und britischer Presse von 1896 bis 1912 schließt er eine nicht unerhebliche Lücke in der Analyse der Beziehungen zwischen beiden Staaten. [...] Eine beeindruckende Quellenkenntnis erlaubt es dem Autor, mit einer Vielzahl von Beispielen immer wieder aufflammenden medialen Missvergnügens die Rivalität zwischen der aufstrebenden Kontinentalmacht und dem Empire zu illustrieren. [...] Dominik Geppert beleuchtet dankenswerterweise auch jene komplexen Anziehungs- und Abstoßungsvorgänge zwischen England und Deutschland um die Jahrhundertwende, die in der historischen Betrachtung sonst meist von den Verheerungen des Ersten Weltkrieges überlagert sind." Alexander Menden, Süddeutsche Zeitung 14./15.06.2008 "Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn seines kulturhistorischen Ansatzes läßt alles meilenweit zurück, was bisher zu diesem Thema veröffentlicht wurde." Lothar Kettenacker, HPB, Heft 3/ 2008 "Gepperts Pressekriege sind somit kein Beitrag zur Kriegsursachenforschung, sondern eine hervorragende, international vergleichende historische Arbeit zur Rolle der Medien in der internationalen Politik vor der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts." Thomas Birkner, in: H-Soz-u-Kult "Neu an der Studie ist vor allem, dass Geppert die in der älteren Medienforschung vorherrschende Sphäre der ,nationalen Öffentlichkeit' verlässt und stattdessen ,mediale Interaktionen zwischen verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten' in den Blick nimmt. Grundlagen der Untersuchung sind neben einschlägiger Forschungsliteratur und gedrucktem Quellenmaterial vor allem ein umfassend ausgewerteter Querschnitt wichtiger zeitgenössischer deutscher und britischer Presseorgane sowie eine beeindruckende Fülle unterschiedlichster Archivbestände bzw. Sammlungen. ... Geppert analysiert diese spannenden Prozesse eindringlich nicht nur am Beispiel bekannter Konflikte ..., er entwickelt aus souveränder Kenntnis der ... Quellen vielmehr ein dichtes und differenziertes Bild der komplexen deutsch-britischen Pressebeziehungen." Matthias Stickler, sehepunkte "Geppert hat gezeigt, dass es sich lohnt, den - internationalen - Beziehungen zwischen Politik und Öffentlichkeit weiter nachzugehen." Monika Wienfort, Neue Politische Literatur 3 (2008)