Seide war über viele Jahrhunderte ein Luxusprodukt, das aufwendig aus China importiert wurde und zunächst nur dem Adel zugänglich war. Im 18. Jahrhundert überflügelt die europäische Seidenindustrie dann technologisch die Qualität chinesischer Produkte, die Stoffe wurden günstiger hergestellt und
damit auch für ein wohlhabendes Bürgertum erschwinglich. Eine Hochburg der Textilproduktion (und des…mehrSeide war über viele Jahrhunderte ein Luxusprodukt, das aufwendig aus China importiert wurde und zunächst nur dem Adel zugänglich war. Im 18. Jahrhundert überflügelt die europäische Seidenindustrie dann technologisch die Qualität chinesischer Produkte, die Stoffe wurden günstiger hergestellt und damit auch für ein wohlhabendes Bürgertum erschwinglich. Eine Hochburg der Textilproduktion (und des Handels) in Deutschland war Krefeld, das sich bis heute als Textilstadt darstellt, obwohl fast alle Unternehmen verschwunden sind, aber ihr Wohlstand basierte historisch auf dieser Industrie.
„Prestigesache“ ist der Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, der die Entwicklung der Seidenindustrie im Europa des 18. Jahrhunderts zum Thema hat, mit besonderem Fokus auf der Bedeutung Krefelds. Die Einzelbeiträge zeigen die Vielfalt der hochentwickelten Webtechniken, von broschierter Seide bis zum schimmernden Damast und wie sie im Stoffdesign zum Einsatz kamen. Die äußerst reichhaltige Sammlung des Textilmuseums Krefeld liefert die entsprechenden Belegstücke, aber auch historisches Medienmaterial. Illustrierte Zeitschriften, die gerade erst aufkamen, erwiesen sich als sehr effektive Multiplikatoren, um Moden schnell auf dem ganzen Kontinent (und in England) zu verbreiten, was sie bis heute zu unübertroffenen Quellen macht, um Stile und Kleidungstypen korrekt zuzuordnen und zu datieren. Dies ist das zweite Thema, das mit hoher Eindringtiefe behandelt wird: Die Stilentwicklung der Schnitte, aber vor allem der Web- und Stickmuster. Wie die Autorinnen wiederholt anmerken, haben sich zwar Dekore und Accessoires in rascher Folge geändert, nicht jedoch die Kleidertypen und -schnitte, die durch die Hofetikette vorgegeben und oft über Jahrzehnte unverändert blieben. Das Bürgertum hatte zwar größere Freiheiten, orientierte sich letztlich aber am Adel.
Die einzelnen Kapitel sind sehr gut strukturiert und so trennscharf abgestimmt, dass es kaum Redundanzen in den Texten gibt. Das Bildmaterial ist umfangreich und gut gewählt, auch wenn ich mir bei einigen Mustern noch höher aufgelöste Detailfotos gewünscht hätte, um die Herstellweise besser zu verstehen. Die Autorinnen verwenden durchgehend die textiltechnologische Fachsprache, wobei sie einzelne Begriffe anfangs kurz (aber nicht immer allgemeinverständlich) erklären und sie dann in der Folge als bekannt voraussetzen. Ein Glossar oder besser noch ein illustriertes Verzeichnis der Webtechniken hat mir persönlich gefehlt, zumal das Zielpublikum nicht die Fachwelt, sondern die Allgemeinheit ist. Der Variantenreichtum der Techniken und die Virtuosität der Weber im 18. Jahrhundert ist bemerkenswert und ich hätte gerne mehr dazu erfahren.
Sehr aussagekräftig und gut verständlich sind dagegen die stilkundlichen Kapitel, sowie die stadtgeschichtlichen Hintergrundinformationen zum Textilgewerbe in Krefeld und seinen bedeutendsten Protagonisten. Auch die gesellschaftlichen Querbeziehungen zwischen Mode und sozialem Stand werden gut herausgearbeitet, wobei der Fokus auf dem Adel und dem gehobenen Bürgertum liegt. Die Quellenlage für das einfache Volk ist weitaus schlechter, aber auch die Frage, wo genau ein spezifischer Stoff hergestellt wurde, ist oft nicht zu beantworten. Die Beiträge zeigen jedenfalls sehr deutlich, wie international damals bereits Modeströmungen und der Textilhandel waren.
Bis auf die nicht immer ganz transparente technologische Fachsprache ist der Band anschaulich geschrieben und gibt einen guten kulturgeschichtlichen Überblick über die Seidenindustrie im 18. Jahrhundert, der über Länder und soziale Grenzen hinweg reicht.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)