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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2002

Geschichte als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
Die Acta Borussica: Zur "Neuen Folge" einer alten Quellenpublikation / Von Hans-Christof Kraus

Quellen sind das Material des Historikers. Sie liefern den Rohstoff für seine Arbeit, sie bieten oder bestätigen Erkenntnisse, und sie können zu neuen Deutungen und Interpretationen führen. Gleichwohl sind die großen Quellenpublikationen niemals nur eine Sache der Wissenschaft gewesen, sondern sie folgten stets den jeweiligen politischen Konjunkturen.

Die berühmten "Monumenta Germaniae" Historica waren eine Frucht des patriotischen Aufschwungs in Deutschland nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon, die großen Editionsprojekte der 1859 gegründeten Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften verdanken sich der Geschichtspolitik König Maximilians II. Die von Friedrich Thimme nach dem Ersten Weltkrieg edierten Bände der großen Aktenpublikation des Auswärtigen Amtes sollten die alliierte "Kriegsschuldlüge" widerlegen, und als man nach zwei verlorenen Weltkriegen den Westfälischen Frieden von 1648 neu bewertete, begünstigte dies die Bonner Edition der "Acta Pacis Westphalicae".

Natürlich betrieb auch Preußen bereits früh eine Geschichtspolitik, um mit dem süddeutschen Konkurrenten gleichzuziehen: Schon seit 1864 wurden die "Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg" zugänglich gemacht, und seit 1879 erschien die "Politische Correspondenz Friedrichs des Großen", die bis 1939 in sechsundvierzig Bänden die Politik dieses Königs bis 1782 dokumentierte.

Doch verbindet man mit preußischer Geschichtspolitik eine andere Edition: die "Acta Borussica". Begründer dieses Unternehmens war allerdings kein Historiker oder Politiker, sondern der machtbewußte Staatswissenschaftler und Ökonom Gustav Schmoller. Wolfgang Neugebauer hat die Rolle dieses Mannes herausgearbeitet, der sich mit seinen Verbindungen innerhalb von Staat, Wissenschaft und Öffentlichkeit ein kleines Wissenschaftsimperium mit politischer Absicht schuf.

Als prominentes Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften lockte er dem knauserigen preußischen Staat Forschungsmittel ab, die für die damalige Zeit umfangreich waren. Seine "Acta Borussica", die den Untertitel "Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im achtzehnten Jahrhundert" trugen, waren die erste verwaltungs-, sozial-, und wirtschaftsgeschichtliche Großedition in Deutschland.

Erst auf den zweiten Blick wird der aktuell-politische Impuls sichtbar, der den 1882 nach Berlin berufenen "Kathedersozialisten" Schmoller antrieb. Er zielte vor dem Hintergrund der Bismarckschen Sozialgesetzgebung "in Richtung einer aktiven Sozialpolitik" und wollte "deren historische Legitimation durch das Geschichtsbild einer über die Jahrhunderte nachweisbaren sozialen Mission der Hohenzollern" (W. Neugebauer) unterstützen.

Der 1917 verstorbene Schmoller mußte das schmähliche Ende der Acta Borussica nicht mehr erleben. Nach dem verlorenen Krieg war es seinem Schüler Hintze, jetzt Professor für Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte an der Berliner Universität, zwar geglückt, das Projekt weiterzuführen; es gelang ihm wiederum, motivierte Mitarbeiter zu finden, und er konnte einflußreiche Kollegen, Erich Marcks und Hermann Oncken, für eine Unterstützung des Akademieprojekts gewinnen - doch nach 1933 begann dessen langsames und unaufhaltsames Sterben. Hintze wurde - als "jüdisch versippt" - wissenschaftlich kaltgestellt, und die beiden letzten jüngeren Mitarbeiter, Ernst Posner und Hans Goldschmidt, wurden wegen ihrer jüdischen Abstammung in die Emigration getrieben.

Doch seit 1999 liegen die ersten Bände einer "Neuen Folge" der Acta Borussica vor. Dieses Mal verdanken sie sich nicht vordergründigen politischen Interessen und erst recht nicht geschichtspolitischem Konkurrenzdenken, sondern der deutschen Wiedervereinigung und der durch sie ermöglichten Zusammenführung getrennter Archivbestände. Eine an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelte, west-östlich gemischte Arbeitsgruppe gibt nun unter Leitung von Jürgen Kocka und Wolfgang Neugebauer die Protokolle des preußischen Staatsministeriums heraus.

Aber nicht nur dem Namen nach knüpfen die neuen an die alten Acta Borussica an. Auch inhaltlich steht heute "die innere Entwicklung Preußens im Mittelpunkt und damit die Tätigkeit von Regierung und Verwaltung jenes Staates, der seit 1866 rund zwei Drittel Deutschland umfaßte und dessen Geschichte, wie immer sie bewertet wird, auf diejenige Deutschlands und Europas nachhaltig eingewirkt hat" (Kocka/Neugebauer). Rund fünftausend Sitzungen der jeweiligen preußischen Regierungen zwischen 1810/17 und 1934/38 werden die geplanten zwölf Bände dokumentieren. Damit wird eine "Stammedition" zur neueren deutschen Geschichte vorgelegt. Denn spätestens seit der zweiten Hälfte des Kaiserreichs fielen preußische und deutsche Innenpolitik weitgehend zusammen.

Die Bände, von denen innerhalb eines Jahrzehnts bereits fünf vorliegen, enthalten im wesentlichen Zusammenfassungen des Inhalts der einzelnen Sitzungen sowie Hinweise auf die wichtigste Forschungsliteratur. Die Originaltexte werden zugleich als Mikrofiches vorgelegt. Der Benutzer kann, von den durch mehrere Register erschlossenen Bänden ausgehend, auf die mikroverfilmten Originaltexte zurückgreifen.

Die kleine Arbeitsgruppe von nur sieben hauptamtlichen Mitarbeitern hat eine erstaunliche Leistung vollbracht: zuerst das Aufspüren und Sichten eines keineswegs regelmäßig überlieferten Quellenbestandes, dann die wissenschaftliche Aufbereitung und Zusammenfassung, die eingehende, aber auch nicht ausufernde Kommentierung, die Erstellung der einleuchtend gegliederten Register - und schließlich die Erhellung des Materials durch aufbereitende Einleitungen.

Von Hardenberg bis Otto Braun, von der ausgehenden Reformzeit bis zum Ende der ersten deutschen Demokratie hat das Gremium, das man auch einfach als preußische Regierung bezeichnen könnte, die unterschiedlichsten Wandlungen durchgemacht. Die Probleme der Jahre nach 1817 (seit dieser Zeit wurde regelmäßig protokolliert) waren denjenigen unserer Tage gar nicht einmal so unähnlich: Auch damals ging es um die allmähliche Integration neuer, nach dem Wiener Kongreß hinzugewonnener Gebiete, damit um eine Rechtsangleichung, um den Neuaufbau einer Verwaltung und um alle diejenigen Probleme, die mit der konkreten Bewältigung eines großen politischen Umbruchs zusammenhängen. Hardenberg und seinen Nachfolgern ist dies nur teilweise gelungen.

Andere Probleme kamen hinzu: Konflikte zwischen Justiz und Verwaltung, Hungerkrisen, dann die Reformen etwa der kommunalen Selbstverwaltung oder der bäuerlichen und grundherrlichen Verhältnisse, die mit der sogenannten "Bauernbefreiung" des Freiherrn vom Stein seit 1808 erst begonnen hatten. Innere politische Differenzen prägten das Staatsministerium in der Zeit des schwachen Herrschers Friedrich Wilhelms III. Und doch zeigt sich hier der Bedeutungsanstieg einer Institution allein durch Dauer und Beharrungskraft: Weder das Ausscheiden der "liberalen" Minister Humboldt, Boyen und Beyme (1819) noch der Tod Hardenbergs (1822) schwächten das Staatsministerium wesentlich, im Gegenteil.

Die Zeit des Vormärz beleuchtet der dritte Band, der die Jahre 1840 bis 1848 umfaßt, vom Beginn der "frohen Tage der Erwartung" (Heinrich von Treitschke) eines liberaleren Regiments unter dem neuen König Friedrich Wilhelm IV. bis zur Revolution. In diesen Jahren dominierten zwei Fragen die Beratungen: die Verfassungs- und die soziale Frage. Seit dem Regierungsantritt des neuen Königs wuchs die Bedeutung des Staatsministeriums, und an der umstrittenen Stände- und Verfassungspolitik dieses "Romantikers auf dem Königsthron" hatte jenes Gremium einen wichtigen Anteil. Die Grenzen zwischen "liberalen" und "konservativen" Ministern verschwimmen: so etwa, wenn der als liberales Urgestein der Reformzeit bekannte, von Friedrich Wilhelm IV. erneut als Kriegsminister berufene Hermann von Boyen im Oktober 1842 die Zusammenberufung eines Vereinigten Landtags zur Bewilligung neuer Staatsschulden ausdrücklich ablehnt - weil "der Zeitpunkt der Aufnahme neuer Schulden aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein Zeitpunkt großer Kalamitäten sein würde und die Zusammenberufung einer so großen Versammlung dann doppelt gefährlich wäre". Das Schreckbild von 1789 war also nach einem halben Jahrhundert noch lebendig.

Der König und besonders auch sein Bruder und Thronfolger (der spätere Wilhelm I.) nahmen jetzt häufiger an den Sitzungen teil, während ihr Vater, noch ganz im Stil des vorangegangenen Jahrhunderts, aus seinem "Geheimen Zivilkabinett" heraus regiert hatte. Nichts spricht deutlicher für den Bedeutungsanstieg des Ministeriums. Und wenn es noch nicht zur zentralen Institution des preußischen Staates geworden war, dann nur deshalb, weil sich der König die Außen- und die Militärpolitik weiterhin als besonderes Reservat vorbehielt.

Der fünfte Band führt in das politische Entscheidungszentrum der Reichsgründungszeit sowie des preußischen Heeres- und Verfassungskonflikts. Nur wenige Forscher (wie etwa Egmont Zechlin) haben bisher die gerade für diese Jahre entscheidende Quelle zur frühen Bismarckzeit umfassend ausgewertet. Das Gremium wurde nach dem Wechsel von Friedrich Wilhelm IV. zu Wilhelm I. (Regent seit 1858) weiter aufgewertet, da jetzt auch militär- und außenpolitische Themen ausdrücklich zur Diskussion standen. Spannend verliefen etwa die Sitzungen des Kronrats - so hieß das Staatsministerium, wenn es im Schloß unter Vorsitz des Monarchen tagte - im Sommer 1859, als es um die Frage einer Beteiligung Preußens am italienischen Krieg ging; die Mehrheit der Minister riet dem kriegsbereiten Prinzregenten vor einem vorschnellen Eingreifen ab.

Den Verfassungskonflikt können wir anhand der Protokolle genau mitverfolgen. König Wilhelm war allein für die Eskalation der Situation im September 1862 verantwortlich, als er sich nämlich weigerte, auf den Kompromißvorschlag dreier gemäßigt liberaler Landtagsabgeordneter einzugehen. Jetzt blieb nur noch die Alternative: Niederlegen der Krone - oder die Berufung eines neuen Ministerpräsidenten, Otto von Bismarcks.

Dieser neue starke Mann der Regierung dominierte das Gremium für fast drei Jahrzehnte. Die Regierungstechnik des späteren "eisernen Kanzlers" läßt sich jetzt bis ins letzte Detail studieren. Wie er argumentierte, welche Überredungskünste er aufwandte, wie er seine Ministerkollegen beeinflußte, in welcher Situation er den König "vorschickte", um die eigene Politik als Handeln des Staatsoberhauptes auszugeben und damit von vornherein "abzusegnen", wie er schließlich jede Opposition ausmanövrierte - dies alles können wir jetzt nachlesen.

Und man kann ebenfalls etwas lernen über die Bedeutung und Wirkung politischer Klischees und Ressentiments in der Politik. Wenn König Wilhelm I. im Kronrat vom 28. Februar 1866 bemerkt, die derzeitigen preußisch-österreichischen Spannungen, die gemeinsame Verwaltung von Schleswig und Holstein betreffend, beruhten weniger auf aktuellen, konkreten Koordinierungsproblemen, sondern leiteten sich vielmehr aus Österreichs "traditionell mißwollender Politik gegen Preußen" ab, dann leitete er mit dieser plakativen Feststellung Wasser auf die Mühlen Bismarcks. So verwundert es denn nicht, daß es im Protokoll weiter heißt: "Alle Anwesenden äußerten sich ähnlich bis auf den Kronprinzen, der sich entschieden für eine Fortführung der auf eine friedliche Verständigung mit Österreich gerichteten Unterhandlungen ausspricht" - natürlich vergeblich.

Der nächste Band, der siebente der Reihe, führt bereits in die großen innenpolitischen Maßnahmen und Kontroversen des letzen Bismarckschen Regierungsjahrzehnts (1879-1890). Außen- und Militärpolitik treten jetzt zurück; letztere hatte ihre Brisanz (vorerst) verloren, und die Außenpolitik führte der Reichskanzler, in dieser Zeit selbständig, nur umgeben von einigen wenigen Beratern und Mitarbeitern.

In den Vordergrund treten etwa die vom Finanzminister Scholz in der Staatsministerialsitzung vom 12. März 1883 befürworteten "Repressivmaßregeln gegen ein Vordringen des Polonismus". Zu erwähnen sind auch die die politisch motivierten Disziplinierungen prononciert liberaler, aber auch oppositionell gesinnter katholischer Beamter, die in stärkerem Maße, als man bisher angenommen hat, direkt auf Bismarck zurückgehen.

Eingehend dokumentiert ist der nach 1879/80 prononciert vorangetriebene Abbau des Kulturkampfes, den Bismarck 1872 gegen die katholische Kirche vom Zaun gebrochen hatte - einer seiner schwersten innenpolitischen Fehlgriffe. Von der Aufhebung des Expatriierungsgesetzes und den Begnadigungen über die Genese der drei "Milderungsgesetze" oder Einzelmaßnahmen wie die Aufnahme katholischer Behörden in das Staatshandbuch bis hin zu den Auszeichnungen "für genehme katholische Geistliche" sind alle Entwicklungen hier dokumentiert. Bismarck hatte "als Hauptträger der Milderungs- und Friedensgesetze 1880 bis 1887 im Kabinett explizite Ressentiments zu überwinden, gerade auch seitens der eher frei- denn hochkonservativen Ressortchefs". Das Spiel mit vordergründig instrumentalisierbaren Ressentiments hatte also durchaus zwei Seiten, wie der Kanzler und Ministerpräsident bei dieser Gelegenheit erfahren mußte.

Ob man angesichts der Befunde, die gerade dieser Band der Bismarckforschung zu bieten vermag, wirklich von einer "Premierminister-Diktatur" sprechen kann (ein von Otto Hintze geprägter Begriff, den der Bearbeiter Hartwin Spenkuch hier aufnimmt), erscheint fragwürdig. Denn ganz abgesehen von seinen periodisch wiederkehrenden Differenzen mit dem alten Monarchen (ab 1888 auch mit Friedrich III. und dann mit Wilhelm II.), hat Bismarck in allen Bereichen seines politischen Wirkens, "zumal der Finanzpolitik und der Zurückdrängung von parlamentarischem Einfluß und öffentlicher Meinung, auch große Niederlagen einstecken müssen" (Spenkuch).

Vom Beginn der Kanzlerschaft Theobald von Bethmann Hollwegs bis zum Ende des alten Preußen im Ersten Weltkrieg reicht schließlich der vorerst letzte Band der Protokolledition. Die Dokumente zeigen für das letzte Jahrzehnt des Kaiserreichs einen recht deutlichen Wandel der Institution Staatsministerium: Zum einen handelt es sich jetzt kaum noch um ein innerpreußisches, sondern de facto um ein Reichsorgan, und zum zweiten amtiert der jeweilige Ministerpräsident jetzt nur noch als Primus inter pares; die absolute Dominanz dieses Gremiums unter Bismarck gehört der Vergangenheit an. Fast rührend wirken da noch die Bedenken des alten, aus Südwestdeutschland stammenden katholischen Reichskanzlers Hertling, der in der ersten von ihm präsidierten Sitzung am 4. November 1917 feststellt, eigentlich sei von ihm die Trennung der Ämter des Kanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten beabsichtigt gewesen, doch es habe sich herausgestellt, daß dies nicht möglich sei, obwohl auf den zweiten Posten "an sich ein Preuße gehört".

Die dominierenden Themen sind nun andere: In der Friedenszeit etwa die Weiterentwicklung des Steuersystems und die Auseinandersetzungen über eine Siedlungspolitik im Osten, seit dem Kriegsausbruch vorrangig die Probleme der Kriegsernährungswirtschaft. Und als Leitmotiv immer wieder die Frage nach einer von fast allen politischen Kräften im Lande geforderten Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Auch der schleichende Machtverlust des letzten Kaisers läßt sich anhand der Protokolle genauestens studieren: Während er zuerst noch, besonders in der Wahlreformfrage, ein gewichtiges Wort mitredet, wird er im Lauf der Jahre immer stärker marginalisiert. Nicht mehr der Kanzler und Ministerpräsident, sondern Staatsminister Robert Friedberg leitete die letzte Sitzung des Gremiums am 11. November 1918. Das Protokoll vermerkt nur, Friedberg habe festgestellt, daß angesichts der neuen revolutionären Regierungsgewalt in Preußen "zu prüfen" sei, in welcher Form das Staatsministerium weiterexistieren könne. Einer der Teilnehmer, Friedrich Schmitt-Ott, berichtet in seinen Memoiren dagegen, der Vorsitzende habe das Staatsministerium schlicht und einfach "für erledigt erklärt".

Diese Differenz verweist auf ein quellenkritisches Problem, das der Historiker in jedem Fall zu berücksichtigen hat: Die "gedämpfte Protokollsprache" schleift Härten ab und neigt dazu, Kontroversen zuzudecken oder doch kaum sichtbar werden zu lassen. Deshalb ist es wichtig, ebendiese Quelle mit Hilfe von Parallelquellen - beispielsweise persönlichen Dokumenten wie Briefen, Tagebuchaufzeichnungen oder auch Memoiren - gewissermaßen zu spiegeln. Auch das gehört zum Tagesgeschäft des Historikers.

Daß die neue Edition bereits der Verfassungs-, Verwaltungs- und auch der modernen Politikgeschichte in Deutschland (die längere Jahre im Schatten einer zeitweilig fast übermächtig gewordenen Sozialgeschichte gestanden hat) bedeutende Anregungen vermitteln kann, zeigt ein von Bärbel Holtz und Hartwin Spenkuch herausgegebener Tagungsband, in dem die Bearbeiter der Neuen Folge der Acta Borussica erste wissenschaftliche Resultate präsentieren, begleitet von Studien anderer Historiker, die seit längerem auf dem gleichen Gebiet arbeiten. Vom Verfassungsproblem nach 1815 über die preußische Kirchen- und Verwaltungspolitik bis hin zur Parteiengeschichte und zur Preußen-Reich-Problematik wird eine Vielzahl von Themen, die in den Staatsministerialprotokollen zur Sprache kommen, wissenschaftlich aufgearbeitet.

Der Verwaltungs- und Verfassungsgeschichte im engeren Sinne ist hiermit eine Stammquelle erschlossen worden, die zur intensiven weiteren Auswertung - auch und gerade im Hinblick auf zentrale Kernprobleme der neueren deutschen Geschichte - anregen wird. Fragen des Zusammenhangs von Politik und Verwaltung, von Parlamentarisierung und Demokratisierung, von Beharrung und Reformbereitschaft, von personaler oder kollegialer politischer Durchsetzungsfähigkeit, von Taktik und Abwartenkönnen, von Charisma und Amtsroutine und viele andere Fragen mehr haben ihre Aktualität bis heute nicht verloren. Man mag darüber streiten, ob Otto Hintzes Diktum noch gilt, mit dem er nach dem Ersten Weltkrieg für eine Weiterführung der "Acta Borussica" plädierte: Dieses Projekt sei auch "von praktischem Wert für unser öffentliches Leben, indem es eine unentbehrliche Grundlage für die politische Selbsterkenntnis" schaffe. Aber ist die Kernfrage nach dem Funktionieren von Politik zwischen überindividueller und individueller Ebene, nach den Wegen und Umwegen politischer Entscheidungsfindung und nach der Bedeutung institutionalisierter kollegialer Gremien wirklich überflüssig geworden? Doch wohl nicht.

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"Genau das macht den (bleibenden) Wert des Sammelbandes aus: die Vielfalt zahlreicher wichtiger Erkenntnisse über das Innenleben des Staates, die das noch offene Mosaik vervollständigen." Georg Wagner-Kyora in: Archiv für Sozialgeschichte, 43 (2003) http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/80397.htm