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  • Buch mit Kunststoff-Einband

Produktdetails
  • Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz
  • Verlag: Böhlau
  • Seitenzahl: 582
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 914g
  • ISBN-13: 9783412072988
  • ISBN-10: 3412072982
  • Artikelnr.: 26504112
Autorenporträt
Jürgen Kloosterhuis ist Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1999

Darum war es am Rhein so schön
Wie ein preußischer Ministerialrat in Koblenz das Glück fand

Die Erinnerungen Herbert du Mesnils umspannen das Leben eines höheren preußischen Ministerialbeamten, der den Typus des gebildeten Juristen und unpolitischen Beamten verkörpert hat. Er war den Hohenzollern treu ergeben, stand der Weimarer Parteiendemokratie kühl gegenüber und verachtete die Nationalsozialisten. Du Mesnil hat die Erinnerungen, gestützt auf seine Tagebücher, nach der Flucht aus der von Bomben zerstörten Berliner Wohnung im westfälischen Hamm unmittelbar nach Kriegsende noch diktieren können. Er ist kurz darauf gestorben.

Das Buch gehört nicht zu den Schriften, die die Gründe für die "deutsche Katastrophe" reflektieren - im Gegenteil. Trotz der schier hoffnungslosen Lage, in der sich du Mesnil 1945/46 befand, schlägt er einen heiteren, zuweilen ironischen Erzählton an, aus dem das Gefühl eines erfüllten Lebens spricht. Du Mesnil war ein politisch wacher Beobachter seiner Zeit: des Byzantinismus seines Berufsstandes ebenso wie des unpolitisch denkenden Offiziersstandes; der neuen Strömungen wie des nach 1918 wachsenden Antisemitismus ebenso wie der Persönlichkeiten, denen er begegnet ist; und er hatte - das steigert den Reiz der Lektüre - einen ästhetisch geschulten Blick.

Seine Wurzeln lagen in Frankfurt an der Oder. Hier wurde er 1875 geboren. Der Vater, Abkömmling einer Hugenottenfamilie, war Altphilologe und Oberlehrer am Friedrichsgymnasium, an dem die reichen Berliner ihre verwöhnten Söhne unterbrachten, um sie den Lustbarkeiten der Hauptstadt zu entziehen. Die eigentlichen Wurzeln du Mesnils reichten indessen tiefer: in die Bildungswelt vor allem der griechischen Antike, die ihm das Elternhaus vermittelte, in dem er auch die lebenslange Freude am Büchersammeln empfing.

Das atmosphärisch dichteste Kapitel ist dem materiell bescheidenen, aber behüteten Familienleben sowie dem Alltag und der sozialen Schichtung der Oderstadt gewidmet, der die Regimenter der Garnison und die Beamtenschaft das Gesicht gaben. Nur das bunte Treiben der Messen brachte Abwechslung in das "ein wenig an graue Langeweile" gemahnende Leben der Stadt mit seinem gerüttelt Maß an Nüchternheit. Echte Kunstpflege war hier unbekannt, das Stadttheater im schönen Schinkel-Bau mehr geduldet als gefördert. Das Ansehen bemaß sich am militärischen Rang.

Dem Reglement im Elternhaus folgte die Freiheit des Studiums im verträumten Jena. Ohne eine juristische Vorlesung zu hören, verlebte der junge Herbert drei Semester "in ständiger Faschingsstimmung" bei der Burschenschaft Teutonia im Jenaer "Bierstaat", von dem er ein ungeschminktes Sittengemälde entwirft und dessen Bier- und Blutgeruch dem Leser förmlich in die Nase steigt. Das Jenaer Leben endete mit einer Herzneurose des "Helden". Eine Ortsveränderung schien geboten. In Leipzig und Berlin lockten Theater, Galerien, Cafés und Nachtlokale. Sie ließen den Schuldenberg auf 6000 Mark anwachsen.

Der alte, sinnierende du Mesnil beklagt, dass sich das Jurastudium bereits vor 1900 von Humboldts Bildungsideal völlig gelöst habe und eine Verflachung zum reinen Fachstudium ohne wissenschaftliche Vertiefung eingetreten sei. Die am Ende hastige Stoffaneignung reichte für das Staatsexamen am Berliner Kammergericht gerade aus. Trotz alledem stand das Tor zur Karriere nun weit offen. Sie führte nach der en passant absolvierten Promotion in der berüchtigten Erlanger Doktorfabrik in den Referendar- und Konsistorialdienst. Die bis dahin typische Juristenbiographie gewinnt nun individuelle Züge.

Im Mittelpunkt des Konsistorialdienstes, der landesherrlichen Kirchenregierung, stand die Aufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung einschließlich der Denkmalpflege. Der wichtigste Bildungseindruck du Mesnils auf den Stationen seiner Laufbahn lag im wachsenden Gespür für die kulturellen, konfessionellen und mentalen Unterschiede in den preußischen Provinzen und für den kirchlichen Indifferentismus, der selbst in den rein bäuerlichen Gemeinden weit verbreitet war. In Posen erlebte du Mesnil, wie fremd, ja hasserfüllt sich Deutsche und Polen begegneten, die konfessionelle Konfrontation den nationalen Gegensatz verstärkte. Er war von der kulturellen Überlegenheit des Deutschtums zutiefst durchdrungen.

Die zwölf Jahre am Konsistorium in Koblenz genoss der zum Konsistorialrat Beförderte "wie eine einzige Kette unendlicher Freuden", verdankte er doch dieser Zeit die Begegnung mit der rheinischen Landschaft und Kultur, deren Reichtum ihm im Vergleich mit dem kargen deutschen Osten aufging. Dienst und Lebensgenuss, ein Haus mit Blick auf den Rhein und die Jagd, standen nun in völligem Einklang. Treffend beschrieben werden die behäbige Lebenswelt der Koblenzer Honoratioren, der Bauern und Pfarrer im Hunsrück, die Eigenart der rheinischen Kirchenordnung, in der die Synoden an der kirchlichen Selbstverwaltung beteiligt waren, dann die Not der Weltkriegsjahre und die Versuche der französischen Regierung, die evangelischen Kirchengemeinden des Saargebiets aus der preußischen und pfälzischen Verwaltung herauszulösen. Als Ergebnis seiner kirchenrechtsgeschichtlichen Studien brachte du Mesnil 1911 eine Arbeit über das Stift Arnual bei Saarbrücken zum Druck.

Im letzten großen Kapitel kommen Geschäftsgang und Leitungsebene des preußischen Finanzministeriums in den Blick, in dessen Haushaltsabteilung Herbert du Mesnil 1920 eintrat. Als Ministerialrat bearbeitete er die nach der Trennung von Staat und Kirche neu zu regelnde Finanzierung aller kirchlichen Angelegenheiten und des höheren Schulwesens. Außerdem waren ihm Kunst und Theater aus dem Haushalt des Kultusministeriums und das gewerbliche Schulwesen aus dem Handelsministerium zugewiesen. In der Weimarer Republik mussten er und eine ganze Beamtengeneration die Erfahrung machen, dass die Parteien auf die Personalpolitik im Ministerium Einfluss zu nehmen suchten. Als Vertreter des Staates sah er sich mit maßlosen Forderungen aller Religionsgemeinschaften konfrontiert, die nun weit mehr verlangten als in der Monarchie. Dabei klingt sein Unmut über den Ämterschacher des Zentrums und dessen kulturkämpferischen Ton im preußischen Landtag ebenso an wie seine Bewunderung für die kluge Verhandlungsführung von Nuntius Pacelli bei den Konkordatsverhandlungen, an denen er als Vertreter des Finanzministeriums teilnahm.

Die Eingriffe des nationalsozialistischen Regimes hielten sich in diesem Ministerium, dem einzigen preußischen, das nicht im Reich aufging, in Grenzen. Die dann doch mögliche Einflussnahme schreibt er dem deutschnationalen Staatssekretär Landfried zu. Das Charakterbild, das er von seinem Chef Johannes Popitz zeichnet, fällt kritisch aus, an dessen antinazistischer Gesinnung lässt er keinen Zweifel. Wie viele hoffte du Mesnil zunächst, die nationalsozialistische Revolution werde in ruhigere Bahnen einlenken. In die Korruptheit der Parteigrößen gewann er früh Einblick. Er hielt aus, wollte Preußen dienen und spürte doch, dass er anderen Herren diente. Als sich seine Burschenschaft den Rassegesetzen "würdelos unterwarf" und zwei Alte Herren ausschloss, teilte er seinen Austritt mit. Konnte ein Beamter mutiger sein?

Längst im Pensionsalter, trat er auf Bitten von Popitz erst im Februar 1944 in den Ruhestand, fast gleichzeitig verloren er und seine Frau beim bisher größten Luftangriff auf Berlin alle ihre Habe. Die letzten Zeilen des abrupt endenden Manuskripts sprechen davon, dass seine Frau auf der Flucht anfing irrezureden. Der heitere Erzählton ist wie verflogen: "Nacht legte sich über unsere Sinne."

MATTHIAS PAPE.

"Preußisch Dienen und Genießen". Die Lebenszeiterzählung des Ministerialrats Dr. Herbert du Mesnil (1875-1947). Bearbeitet von Jürgen Kloosterhuis. Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Band 21. Böhlau Verlag, Köln 1998. 582 S., geb., 68,- DM.

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