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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Der Sohn des Königs
Bjarne Reuters großer Abenteuerroman „Prinz Faisals Ring”
Im Jahr des Herrn 1639 kenterte ein portugiesischer Vollmaster vor der Küste von Saint Christopher und ging mit Mann und Maus unter. Romane, die so beginnen, animieren dazu, am helllichten Tag die Rollos herunterzulassen, die Leselampe anzuknipsen, um – samt Sessel – in der Karibik zu verschwinden.
Leser, stell dich auf eine lange Reise ein”, eine Reise, die du seit deinen Abenteurertagen nicht mehr gemacht hast, seit damals, als du John Silver begegnet bist und Robinson Crusoe, dich mit Huck Finn auf dem Mississippi treiben ließest, mit dem Vorfahren von Käpt‘n Haddock 1698 auf der „Einhorn” in die Karibik aufbrachst, mit dem „Roten Korsaren” auf Kaperfahrt gingst und der Meuterei auf der Bounty gerade noch entfliehen konntest. Ja, es wird eine lange Reise bis in den Morgen, ein Abenteuer, das dich fesselt, dein Gemüt malträtiert, Tränen rollen lässt, deinen Puls beschleunigt, deine Nerven kitzelt und – ja, auch das, deine Lachmuskeln strapaziert: Die Geschichte des Jungen Tom Collins von der Karibikinsel Nevis, 14 Jahre alt.
Der dänische Jugendbuchautor Bjarne Reuter erzählt sie, im 490-Seiten- Roman Prinz Faisals Ring. Tom Collins, seine Mutter und die 15- jährige Halbschwester Feodora verdienen sich ihr karges Brot in der Hafenkneipe des Señor Lopez. Tom ist ein aufgewecktes, ungeheuer zähes Bürschchen, ein begnadeter Geschichtenerzähler und Fabulierer – rothaarig und grünäugig wie sein irischer Vater, der am Fieber starb. Natürlich träumt Tom den Traum vom Ende des Elends. Da er ein hervorragender Taucher ist, fährt er täglich mit seiner Jolle aufs Meer hinaus, auf der Suche nach den Überresten der portugiesischen Galeone, die vor kurzem vor der Nachbarinsel sank. Tom fischt zwei Überlebende aus dem Wasser, die sein Leben ein für allemal verändern werden: einen spanischen Seemann namens Rámon und einen jungen schwarzen Sklaven, der der Sohn eines kapverdischen Häuptlings sein soll. Rámon und Tom erträumen sich unermesslichen Reichtum, wenn sie Prinz Faisal, genannt Bibido, seinem Vater zurückbringen. Dumm nur, dass der Lügenbold Rámon eines Tages mit dem Schwarzen verschwindet und mit ihm die Aussicht auf ein besseres Leben. Zwei Jahre lang wird Tom nach Bibido suchen. Eine Odyssee. Er arbeitet als Heringshaifischer und Schmied auf Jamaika, wird sogar Sklavenaufseher auf einer Zuckerrohrplantage, flüchtet, nachdem er dort Sklaven befreite, wird verfolgt, trifft Ramon wieder, der ihm hilft, und rettet sich in allerletzter Sekunde auf eine spanische Galeone. Obwohl Bibido gefunden wird und Toms bester Freund wird, geht die Odyssee weiter, noch einmal ein ganzes Jahr. Abenteuerliche Rückkehr nach Nevis. Erneute Schiffsreise. Drohender Tod am Galgen. In den Händen der schlimmsten Piraten. Selbst Pirat. Gestrandeter auf einer einsamen Insel und ein überraschendes Ende. Mehr wird nicht verraten.
Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass Bjarne Reuter beim Schreiben seines Romans einer illustren Gesellschaft gelauscht hat: Mark Twain sitzt da, neben Daniel Defoe, Charles Dickens, Robert Louis Stevenson, Herman Melville, Jules Verne und Jack London, denn Prinz Faisals Ring ist eine einzigartige Hommage ans fantastische Erzählen und an die klassische Abenteuerliteratur. Der Autor reanimiert mit unwahrscheinlicher Leichtigkeit unsere erinnerten Bilder und Klischees und setzt seine Handlung davor. Natürlich sind uns viele Motive nicht ganz unbekannt, trotzdem sind wir von der Geschichte begeistert. Die Handlung ist hervorragend dramatisiert in vier „Büchern”. Die Dialoge – übersetzt hat den Roman Gabriele Haefs – sind herzerfrischend lebendig und gewitzt. Und dieses wunderbare Spiel von Realismus, Poesie und Fantasie. Kein Zweifel, Bjarne Reuter ist ein legitimer Urenkel der großen Abenteurer in der Literatur.
Und welche Antwort gibt unser Held auf die Frage: „Wie wird man zum größten Lügenbold der Welt”? „Man braucht nur ein wenig Fantasie”, sagt Tom. „Und noch etwas. Man muss die Wahrheit kennen.”(ab 12 Jahre und Erwachsene).
SIGGI SEUSS
BJARNE REUTER: Prinz Faisals Ring. Aus dem Dänischen von Gabriele Haefs. Sauerländer Verlag 2002. 492 Seiten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Höre nie auf einen Gecko
Held wider Willen, Prinz oder Sklave: Bjarne Reuters großartiger Abenteuerroman

Der Ring im Titel und der Umfang des neuen Jugendbuchs von Bjarne Reuter lassen einen der phantastischen Wälzer erwarten, die zur Zeit im Trend liegen. Irrtum: Der dänische Autor, bekannt für seine zärtlich-schrägen Jungen-Helden aus schwierigen Verhältnissen, hat einen Abenteuerroman geschrieben, wie man ihn nicht mehr für möglich halten wollte. Mit den typischen gleitenden Übergängen zwischen dem Realismus historischer Erzählung und den tollsten Unwahrscheinlichkeiten aus Heldenepos und Seemannsgarn setzt Reuter alles in Szene, was wir seit dem neunzehnten Jahrhundert mit dem Abenteuer verbinden: die faszinierende und grausame Welt der großen Segelschiffe, Meuterei, Piraten, schwarze Sklaven, tropische Flaute und Sturm, Schiffbrüche und Strandungen auf einsamen Inseln. Auf dem weiten Schauplatz zwischen der Karibik und dem Kap Verde des siebzehnten Jahrhunderts folgen in raschem Tempo komische und rührende, abstruse und schreckliche Szenen, scheinbar ausweglose Gefahren und rasante Fluchten.

Der Held, Tom Collins, wächst mit seiner verwitweten Mutter und der schönen, eigensinnigen Schwester Feodora auf einer karibischen Insel auf. Feo ist wenig älter als er, ihr Vater war Spanier, Toms Vater Ire. Tom träumt davon, reich zu werden, um seine Familie aus der Abhängigkeit von einem geizigen Gastwirt zu befreien. Als der Vierzehnjährige zwei Schiffbrüchige aus dem Wasser zieht, glaubt er, seinem Lebensziel nahe zu sein, denn der Spanier Ramón verspricht ihm als Lohn für die Rettung die Hälfte am Erlös seines Gefährten, eines schwarzen Jungen, den er als seinen Sklaven und Sohn eines kapverdischen Häuptlings vorstellt. Als Beleg für diese Herkunft zeigt Ramón Tom einen Ring, den der Junge an einer Kette um den Hals trägt. Wenn es beiden gelänge, den Jungen zu seinem Vater zurückzubringen, würden sie mit Gold belohnt werden. Eines Tages sind Ramón und sein kostbarer Besitz verschwunden. Tom macht sich auf die Suche nach dem Jungen. Sie führt ihn für Jahre von zu Haus fort und in Situationen, in denen sich seine Devise bewährt: "So dicht am Tod spürt man das Leben erst wirklich."

Toms literarische Herkunft ist die Familie der Trickster und Schelme, Akteure vieler Mythen sowie barocker und moderner Romane. Diese Figuren sind listenreiche Friedenshelden und zugleich derbe Schläger, große Leidende und zupackend Handelnde. Sie sind Reisende und Lügner, die das Blaue vom Himmel herunter fabulieren und mit jedem Schritt und jedem Wort Geschichten machen - Dämonen des weltschaffenden Erzählens. Bjarne Reuter stellt seinem Schelm zwei Freunde zur Seite, Lügner und verführerische Erzähler auch sie. Dazu den androgynen Ramón, ein "Akrobat mit dem Tod als Spezialität". Der junge Nyo Boto vom Kap Verde steht dagegen auf der Seite des Lebens. Seine Waffen sind Beharrlichkeit, Geduld, Schweigen. Seine Leidenschaft gilt dem Nähen. Nadel, Faden, Stoffe, Knöpfe - mit diesen unscheinbaren Materialien hat Reuter eine Symbolspur des Verbindenden und der Bindungen gelegt und dem Sklaven die Rolle des Kulturheros und Friedensprinzen zugeschrieben. Daß und wie der stille Junge sich am Ende als der produktivste Lügner von allen herausstellt, ist die Pointe des Buchs.

Reuter erzählt Toms Abenteuer als Schicksalsroman. In der stürmischen Herbstnacht des ersten Kapitels betritt die weise Frau der Insel, die alte Zamora, das Gasthaus und liest aus Toms Hand. All ihre Weissagungen und dunklen Ratschläge kehren in den späteren Ereignissen wieder. Schicksalhaft sind auch die Erbschaften des Bluts. Eines Tages erfährt Tom, daß seine irische Großmutter eine berüchtigte Piratin war. Kein Wunder, daß er sich später mit dem wildesten Piraten der sieben Meere anfreundet. Gegen die Nötigungen des Schicksals setzt Reuter die freien Entscheidungen seiner Helden zu den selbstgewählten Pflichten des Mitgefühls, der wechselseitigen Hilfe und Freundschaft. Eine besonders einprägsame, eigentümliche Gestalt ist auch die junge Feo, die seltsame Wege geht, um sich aus den Fesseln der Frauenrolle zu befreien, und nicht weniger mutig und konsequent ist als ihr geliebter, beneideter Bruder.

Eine der rätselhaften Warnungen Zamoras lautet: "Höre nie auf einen Gecko." In Gestalt des Geckos, eines verderbten Alter ego, tritt Tom der Teufel entgegen und versucht ihm seine Seele abzuluchsen. Doch selbst in solchen Augenblicken schließt der Junge den Teufelspakt nicht. Er bewahrt sein liebevolles, treues Herz und bleibt unschuldig trotz der Gewaltakte, mit denen er sich mehrfach aus der Schlinge ziehen muß. Reuter vermeidet das Risiko, mit einem unbeirrbar guten Helden ins blasse Moralisieren abzugleiten, indem er Tom das Richtige meist wider seinen erklärten Willen tun läßt. Höhepunkt dieses Konflikts ist das Geschehen auf der jamaikanischen Zuckerplantage - Mitte, Knotenpunkt und Wende des Romans, der ein eindrucksvolles Bild frühneuzeitlicher Selbstermächtigung zeichnet.

GUNDEL MATTENKLOTT

Bjarne Reuter: "Prinz Faisals Ring". Aus dem Dänischen übersetzt von Gabriele Haefs. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2002. 491 S., geb., 18,- [Euro]. Ab 12 J.

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