Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Zeichenkunst, und was für welche!" jubelt Rezensent Andreas Platthaus über diesen illustrierten Hamlet, der seinem Eindruck zufolge zwar von Shakespeares Geist, ansonsten aber frei in Handlung und Personenwahl ist. Kein Güldenstern, kein Fortinbras, kein Laertes und auch kein Horatio habe das Personal von F.K. Waechters meisterhaftem Papiertheater aufzuweisen. Dafür kommen den Informationen des Rezensenten ein Bär und ein Kasper hinzu, denen er als dem "Meisterstück in diesem Meisterstück" eine Extra-Hymne widmet. Dies sei mitnichten ein Kinderbuch oder gar ein "Shakespeare light", sondern "das Buch für Schaulustige schlechthin", für "Theatermenschen aller Alter", für diejenigen, "die schon immer wissen wollten, was die Welt im Innern zerfallen läßt". Den Rezensenten begeistern nicht nur Waechters großartig lebendige Kohleskizzen der Figuren aller Farben, Formen und Muster, mit denen er Personen, Sonnenuntergänge, Gemächer, Höfe und Kerker inszeniert. Auch sprachlich habe Waechter Shakespeares Geist bei aller Reduktion bis in feinste Nuancen getroffen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2005Die Komödianten werden alles sagen
Ein Shakespeare, wie es keinen vorher gab: F. K. Waechter malt sich Hamlet aus
Wir bekommen Prinz Hamlet als glücklichen Menschen vorgestellt. Denn er hat Freunde: Kasper und Bär. Und eine Freundin, aber die ist auf dem ersten Bild noch nicht zu sehen. Doch dafür ist von ihr die Rede. Kasper und Bär klammern sich an Hamlets Füße, treue Spielgefährten, die sie sind, und sorgen sich: "Kasper, was hat er?" - "Er schreibt." - "Einem Mädchen?" - "Ich fürchte es, ja. Das hat ihn verzaubert."
Auf dem übernächsten Bild tritt diese Zauberin dann auf, in Rückenansicht vor einem efeuumrankten Fenster stehend: Ophelia. Und sie hebt zu sprechen an: "Der Frühling hat den Himmel, hat die Erde, hat mich so ganz verwandelt. Alles ist wie neu. Ich kenne mich schon gar nicht mehr und kenne mich nicht wieder." Wir kennen diesen Klang, wir kennen ihn von Bühnen, und doch kennen wir ihn in diesem Wortlaut nicht, denn er entstammt nicht Shakespeares Feder, sondern Waechters, F. K. Waechters, des großen Zauberzeichners. Die Sätze finden sich in seinem neuesten Buch: "Prinz Hamlet".
Es ist ein Buch wie keines sonst, die Summa eines ganzen Zeichnerlebens, ein Geniebeweis, wie man ihn ein-, zweimal erhoffen darf. Waechter zeichnet Hamlet. Das ist an sich schon ein Ereignis. Wie zeichnet er den Dänenprinzen? Als kleinen Bub, wie man im zweiten Bild bemerkt. Der Prinz, von dem man anfangs nur die Stiefel sieht, auf denen Bär und Kasper sitzen, fängt plötzlich mit den Beinen an zu strampeln, so daß die beiden Reiter abgeworfen werden. Dadurch sieht der Leser: Dieser briefeschreibende Hamlet reicht mit seinen Beinen nicht mal auf den Boden. So geht das bei einem Könner: Waechter führt uns etwas vor, denn was wir sehen, müssen wir nicht hören.
Zu hören gibt es dennoch viel in F. K. Waechters "Hamlet". Bär und Kasper treten darin an die Stelle der Shakespeareschen Narren und Schauspieler. Sie sind der dänische Chor, die Kommentatoren des Geschehens. Als harmloses Spielzeug liegen sie unter dem königlichen Bett und können so die Gespräche zwischen Monarch und Königin verfolgen. Nur leise wispert's im Gezweig, wenn sie im Efeu um Ophelias Fenster lauschen. Dort hören sie Polonius mit seiner Tochter sprechen, und dieser Dialog ist wörtlich Shakespeare, erster Akt, sechste Szene, sehr gebildet. Es ist der längste Text im Bilderbuch. So ehrt der Zeichner seinen Autor.
Waechters "Hamlet" ist von Shakespeares Geist, ansonsten aber ist er frei in Handlung und Personenwahl. Der Kern ist da, der Mord an Hamlets Vater durch dessen Bruder Claudius. Die Königin ist da, Polonius, Ophelia und Hamlet selbst. Das ist das Personal in Waechters Papiertheater, kein Rosenkranz, kein Güldenstern, kein Fortinbras, kein Laertes, kein Horatio, kein Marcellus. Der ganze Rest ist Bär und Kasper.
Und Zeichenkunst. Und was für welche. Vieles sieht nach Waechter aus - was sollte man auch Besseres über ein Bilderbuch sagen? Manches läßt aber auch an Wolf Erlbruch denken, wenn Waechter, der Nestor der deutschen Illustratoren, erstmals auf Montage geht, nach erlbruchscher Manier Formulare zerschneidet, um mit deren Mustern Holzbohlen anzudeuten, wenn er seine großartig lebendigen Kohleskizzen der Figuren mit Papieren aller Farben, Formen, Muster hinterlegt, auf diese Weise Nacht erschafft und dann wieder Sonnenauf- und -untergänge, Gemächer, Höfe, Kerker inszeniert. Und dann gibt es die wenigen Blätter, auf denen Waechter zum Bleistift greift und Porträts von einer Feinheit zeichnet, die man in der Moderne für verloren hielt; und dann wieder wird in Tusche ein Königspaar mit solch massiven schwarzen Linien skizziert, daß man sich an Topor erinnert fühlt. Denn Waechter lernt nur von den Guten. Anders kann man selber nicht der Beste bleiben.
Was Waechter für den "Hamlet" qualifiziert, ist nicht nur Zeichenkunst. Für Kinder hat er selbst schon zahlreiche Theaterstücke geschrieben, und aus dieser Erfahrung schöpft er hier erkennbar. Waechter weiß, wie man Dialoge schreibt, kennt die sprachlichen Nuancen, die ganze Rollen charakterisieren. So ist die Handlung simpel zu verstehen, obwohl sie Shakespeares "Hamlet" bis auf die Knochen reduziert. Doch Waechters "Hamlet" ist kein Kinderbuch, kein Shakespeare light. Es ist das Buch für Schaulustige schlechthin, für Theatermenschen aller Alter, für diejenigen, die wissen wollen, was die Welt im Innersten zerfallen läßt.
Das Meisterstück im Meisterstück aber ist das Duo continuo aus Bär und Kasper. Sie sind Waechters Werke reinsten Wassers, ein unendlich wandelbares Paar, das erst das Ganze an den Abgrund führt. Hätten sie nicht gelauscht, hätte Hamlet nicht gemordet. Wobei seine Wut nur den Polonius das Leben kostet, und bei Waechter wandert Hamlet dafür in den Turm statt nach England. Was tun nun Bär und Kasper? Sie führen Ophelia zu dem Gefangenen, doch die Tochter des Polonius ist schon dem Wahnsinn nahe, und für den Wahn wählt Waechter wieder Shakespeares Worte: "Wir wissen, was wir sind. Doch was wir werden können, ist uns unbekannt." Sie drückt Hamlet einen Totenschädel in die Hand, dann flieht Ophelia aus dem Turm, gefolgt von Bär und Kasper: "Sie hat den Verstand verloren. Jetzt läuft sie ihm nach. Wir müssen ihr suchen helfen." Und damit endet das Buch: mit Ophelia auf dem Weg in den Fluß und dem unglücklichen Hamlet mit dem Totenkopf. Hier setzt Shakespeare wieder ein im fünften Akt, und Waechter verstummt.
Tun wir es ihm gleich, obwohl es noch soviel über "Prinz Hamlet" zu sagen gäbe: zu Sprechbändern, die durch ihre Farbgebung nicht nur die Zuordnung zu den jeweils Redenden erlauben, sondern auch eine Einschätzung von deren Gemütszustand; zu den Sätzen über den Zeichnungen, die die Szene zusammenfassen; zur Rahmung der Bilder, zu den Pastelltönen und zur allerletzten Seite, wo Ophelia ein einziges Mal in einer ovalen Komposition präsentiert wird, geisterhaft wie auf einem verblassenden Foto. Endlos möchte und müßte man schwärmen, denn Waechter beweist, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Wie gut, daß wir ihn auf der Erde haben.
F. K. Waechter: "Prinz Hamlet". Frei nach William Shakespeare. Diogenes Verlag, Zürich 2005. 66 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Shakespeare, wie es keinen vorher gab: F. K. Waechter malt sich Hamlet aus
Wir bekommen Prinz Hamlet als glücklichen Menschen vorgestellt. Denn er hat Freunde: Kasper und Bär. Und eine Freundin, aber die ist auf dem ersten Bild noch nicht zu sehen. Doch dafür ist von ihr die Rede. Kasper und Bär klammern sich an Hamlets Füße, treue Spielgefährten, die sie sind, und sorgen sich: "Kasper, was hat er?" - "Er schreibt." - "Einem Mädchen?" - "Ich fürchte es, ja. Das hat ihn verzaubert."
Auf dem übernächsten Bild tritt diese Zauberin dann auf, in Rückenansicht vor einem efeuumrankten Fenster stehend: Ophelia. Und sie hebt zu sprechen an: "Der Frühling hat den Himmel, hat die Erde, hat mich so ganz verwandelt. Alles ist wie neu. Ich kenne mich schon gar nicht mehr und kenne mich nicht wieder." Wir kennen diesen Klang, wir kennen ihn von Bühnen, und doch kennen wir ihn in diesem Wortlaut nicht, denn er entstammt nicht Shakespeares Feder, sondern Waechters, F. K. Waechters, des großen Zauberzeichners. Die Sätze finden sich in seinem neuesten Buch: "Prinz Hamlet".
Es ist ein Buch wie keines sonst, die Summa eines ganzen Zeichnerlebens, ein Geniebeweis, wie man ihn ein-, zweimal erhoffen darf. Waechter zeichnet Hamlet. Das ist an sich schon ein Ereignis. Wie zeichnet er den Dänenprinzen? Als kleinen Bub, wie man im zweiten Bild bemerkt. Der Prinz, von dem man anfangs nur die Stiefel sieht, auf denen Bär und Kasper sitzen, fängt plötzlich mit den Beinen an zu strampeln, so daß die beiden Reiter abgeworfen werden. Dadurch sieht der Leser: Dieser briefeschreibende Hamlet reicht mit seinen Beinen nicht mal auf den Boden. So geht das bei einem Könner: Waechter führt uns etwas vor, denn was wir sehen, müssen wir nicht hören.
Zu hören gibt es dennoch viel in F. K. Waechters "Hamlet". Bär und Kasper treten darin an die Stelle der Shakespeareschen Narren und Schauspieler. Sie sind der dänische Chor, die Kommentatoren des Geschehens. Als harmloses Spielzeug liegen sie unter dem königlichen Bett und können so die Gespräche zwischen Monarch und Königin verfolgen. Nur leise wispert's im Gezweig, wenn sie im Efeu um Ophelias Fenster lauschen. Dort hören sie Polonius mit seiner Tochter sprechen, und dieser Dialog ist wörtlich Shakespeare, erster Akt, sechste Szene, sehr gebildet. Es ist der längste Text im Bilderbuch. So ehrt der Zeichner seinen Autor.
Waechters "Hamlet" ist von Shakespeares Geist, ansonsten aber ist er frei in Handlung und Personenwahl. Der Kern ist da, der Mord an Hamlets Vater durch dessen Bruder Claudius. Die Königin ist da, Polonius, Ophelia und Hamlet selbst. Das ist das Personal in Waechters Papiertheater, kein Rosenkranz, kein Güldenstern, kein Fortinbras, kein Laertes, kein Horatio, kein Marcellus. Der ganze Rest ist Bär und Kasper.
Und Zeichenkunst. Und was für welche. Vieles sieht nach Waechter aus - was sollte man auch Besseres über ein Bilderbuch sagen? Manches läßt aber auch an Wolf Erlbruch denken, wenn Waechter, der Nestor der deutschen Illustratoren, erstmals auf Montage geht, nach erlbruchscher Manier Formulare zerschneidet, um mit deren Mustern Holzbohlen anzudeuten, wenn er seine großartig lebendigen Kohleskizzen der Figuren mit Papieren aller Farben, Formen, Muster hinterlegt, auf diese Weise Nacht erschafft und dann wieder Sonnenauf- und -untergänge, Gemächer, Höfe, Kerker inszeniert. Und dann gibt es die wenigen Blätter, auf denen Waechter zum Bleistift greift und Porträts von einer Feinheit zeichnet, die man in der Moderne für verloren hielt; und dann wieder wird in Tusche ein Königspaar mit solch massiven schwarzen Linien skizziert, daß man sich an Topor erinnert fühlt. Denn Waechter lernt nur von den Guten. Anders kann man selber nicht der Beste bleiben.
Was Waechter für den "Hamlet" qualifiziert, ist nicht nur Zeichenkunst. Für Kinder hat er selbst schon zahlreiche Theaterstücke geschrieben, und aus dieser Erfahrung schöpft er hier erkennbar. Waechter weiß, wie man Dialoge schreibt, kennt die sprachlichen Nuancen, die ganze Rollen charakterisieren. So ist die Handlung simpel zu verstehen, obwohl sie Shakespeares "Hamlet" bis auf die Knochen reduziert. Doch Waechters "Hamlet" ist kein Kinderbuch, kein Shakespeare light. Es ist das Buch für Schaulustige schlechthin, für Theatermenschen aller Alter, für diejenigen, die wissen wollen, was die Welt im Innersten zerfallen läßt.
Das Meisterstück im Meisterstück aber ist das Duo continuo aus Bär und Kasper. Sie sind Waechters Werke reinsten Wassers, ein unendlich wandelbares Paar, das erst das Ganze an den Abgrund führt. Hätten sie nicht gelauscht, hätte Hamlet nicht gemordet. Wobei seine Wut nur den Polonius das Leben kostet, und bei Waechter wandert Hamlet dafür in den Turm statt nach England. Was tun nun Bär und Kasper? Sie führen Ophelia zu dem Gefangenen, doch die Tochter des Polonius ist schon dem Wahnsinn nahe, und für den Wahn wählt Waechter wieder Shakespeares Worte: "Wir wissen, was wir sind. Doch was wir werden können, ist uns unbekannt." Sie drückt Hamlet einen Totenschädel in die Hand, dann flieht Ophelia aus dem Turm, gefolgt von Bär und Kasper: "Sie hat den Verstand verloren. Jetzt läuft sie ihm nach. Wir müssen ihr suchen helfen." Und damit endet das Buch: mit Ophelia auf dem Weg in den Fluß und dem unglücklichen Hamlet mit dem Totenkopf. Hier setzt Shakespeare wieder ein im fünften Akt, und Waechter verstummt.
Tun wir es ihm gleich, obwohl es noch soviel über "Prinz Hamlet" zu sagen gäbe: zu Sprechbändern, die durch ihre Farbgebung nicht nur die Zuordnung zu den jeweils Redenden erlauben, sondern auch eine Einschätzung von deren Gemütszustand; zu den Sätzen über den Zeichnungen, die die Szene zusammenfassen; zur Rahmung der Bilder, zu den Pastelltönen und zur allerletzten Seite, wo Ophelia ein einziges Mal in einer ovalen Komposition präsentiert wird, geisterhaft wie auf einem verblassenden Foto. Endlos möchte und müßte man schwärmen, denn Waechter beweist, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Wie gut, daß wir ihn auf der Erde haben.
F. K. Waechter: "Prinz Hamlet". Frei nach William Shakespeare. Diogenes Verlag, Zürich 2005. 66 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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