Die Berliner Historikerin Eva Ziebura entwirft in ihrer Biographie das farbige Bild eines außergewöhnlichen Mannes, der als Feldherr, Diplomat und Politiker ein ereignisreiches Leben führte. In dieser Zeit ganz zu Hause, schildert sie höchst anschaulich und detailreich die Ereignisse am Hofe, das Kriegsgeschehen und die zum Teil bizarren Vorgänge innerhalb der privaten Sphäre in Potsdam, Berlin und Rheinsberg, wo der Prinz 1802 starb.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.1999Der König und sein Doppelgänger
Philosoph hinter dem Thron: Prinz Heinrich, der begabte Bruder Friedrichs des Großen
Es gibt nur wenige Kapitel in der deutschen Geschichte, mit denen sich die Historiker intensiver auseinandergesetzt haben als mit dem Aufstieg Brandenburg-Preußens zur Großmacht im achtzehnten Jahrhundert. Insbesondere die Person Friedrichs des Großen regte die Geschichtsschreiber zu immer neuen Betrachtungen und Fragestellungen an.
Weitaus weniger Beachtung als diese überragende Gestalt fand sein Bruder Prinz Heinrich, von dem man zwar weiß, daß er sich im Siebenjährigen Krieg als klug taktierender Feldherr auszeichnete und später die Verhandlungen mit der russischen Zarin Katharina II. über die erste polnische Teilung führte; doch zumeist blieb er in dem Schatten, in den der absolut regierende Bruder den Nachgeborenen gestellt hatte. Eva Ziebura möchte in ihrer Biographie ergründen, welcher Mensch sich hinter dem Prinzen Heinrich verbarg, den Friedrich der Große bezeichnenderweise "mon autre moi-même" - "mein anderes Ich" - zu nennen pflegte.
Prinz Heinrichs Charakter und sein spannungsreiches Verhältnis zu Friedrich deuteten sich bereits kurz nach dem Tode des Vaters Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1740 an, als der neue König die Verantwortung für den damals gerade vierzehn Jahre alten Bruder übernahm. Friedrich gestattete dem Heranwachsenden keinerlei Selbständigkeit, ließ jeden seiner Schritte überwachen und behandelte ihn mit der gleichen mißtrauischen Strenge, die er einst selbst unter seinem Vater hatte erdulden müssen. Prinz Heinrich, ein kränkelnder, sensibler, musisch veranlagter Mensch, litt derart unter dem zynischen und kalten Verhalten seines Bruders, daß er sich bereit fand, trotz seiner Vorliebe für Männer Wilhelmine von Hessen-Kassel zu heiraten - in der Hoffnung, sich dadurch den Demütigungen seines Bruders entziehen zu können und sein Leben selbst in die Hand nehmen zu dürfen: "Ich habe mir die Ketten der Ehe anlegen lassen, um meine Freiheit zu gewinnen."
Prinz Heinrichs Leben nach seiner Heirat 1752 taugt zu einem pädagogischen Lehrstück: Hatte er sich zuvor gegen jegliche militärische Disziplin aufgelehnt, weil sie ihm auferlegt worden war, so gewann er in dem Maße Einsicht in ihre Notwendigkeit, wie Friedrich ihm nach der Eheschließung den nötigen Spielraum für die Entfaltung der Persönlichkeit gab. Er entwickelte sich nicht nur zu einem gebildeten, gewandten Gesellschafter, der sein Schloß Rheinsberg kontinuierlich zu einer Stätte der Künste ausbaute, sondern auch zu einem hervorragenden Offizier, der durch seine militärische Leistung im Siebenjährigen Krieg zum Überleben des preußischen Staates beitrug.
Dennoch blieb zwischen den beiden ungleichen Brüdern eine nur schwer zu überbrückende Kluft. Ziebura versteht es in diesem Zusammenhang, die Gegensätzlichkeit der beiden Charaktere darzustellen und das daraus entstehende Konfliktpotential aufzuzeigen: auf der einen Seite der nach Ruhm strebende, bisweilen menschenverachtende König, der sich kühl über seine eigenen hehren Prinzipien hinwegsetzte, wenn es die Staatsraison zu erfordern schien; auf der anderen Seite der Prinz, der sich im Interesse der Menschen für den Frieden und eine würdevolle Behandlung der von den Kriegen gequälten Untertanen aussprach.
Doch in dieser Pointierung der Charakterzeichnungen liegt die einzige Schwäche des äußerst instruktiven, kenntnisreich geschriebenen Buches: Ziebura entwirft ein düsteres Bild von dem Menschen Friedrich, um vor diesem Hintergrund Prinz Heinrich als den wahren Anhänger aufklärerischer Ideen besser abheben zu können. Ziebura versäumt es bei ihrem Urteil, die beiden Figuren im Kontext der damaligen Wertvorstellungen und ihrer unterschiedlichen Aufgaben zu betrachten, die sie im Staate zu erfüllen hatten. Waren die Charaktere der Brüder verschieden oder vor allem die Rollen? Bei der Lektüre der Darstellung drängt sich geradezu die Frage auf, inwieweit politische Meisterschaft im Interesse des Staates, wie sie Friedrich der Große verkörperte, und die Werte des Prinzen Heinrich wie Menschlichkeit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit überhaupt miteinander vereinbar waren. Daß immerhin auch Prinz Heinrich sich gelegentlich über solche edlen Prinzipien hinwegsetzen konnte und sich dem Zeitgeist unter den nach Macht strebenden europäischen Herrschern anschloß, bewies er, als er mit der Zarin Katharina II. die erste polnische Teilung und damit die "Vergewaltigung eines Volkes" (Max Braubach) einfädelte.
Nach dem Tode Friedrichs des Großen 1786 wurde Heinrich Opfer der Intrigen am Hof des neuen Königs Friedrich Wilhelm II. Dessen Berater betrachteten mit Argwohn Heinrichs Leidenschaft für die französische Kultur, die er auf seinen Reisen nach Paris aufgesogen hatte. Diese Vorliebe war ein Grund dafür, daß er wiederholt den König zu einer politischen Annäherung an Frankreich zu bewegen versuchte, selbst nachdem in Paris 1789 die Revolution ausgebrochen war. Prinz Heinrich hoffte, vereint mit Frankreich den Sieg der Aufklärung voranzutreiben und das zersplitterte Deutschland von der Vorherrschaft Österreichs zu befreien. Ziebura verweist in diesem Zusammenhang mit Recht auf das aufkeimende Nationalgefühl in Deutschland, das Heinrich vollkommen unterschätzte und das der Verwirklichung einer deutsch-französischen Allianz entgegengestanden hätte. Doch angesichts der blutigen Kriegsspur, welche die Französische Revolution in Europa hinterließ, glaubte der friedliebende Prinz am Ende seines Lebens selbst nicht mehr, daß sich mit Napoleon die von Heinrich ersehnte "Humanität" und "das Glück der Menschen" verwirklichen ließen.
NILS HAVEMANN.
Eva Ziebura: "Prinz Heinrich von Preußen". Stapp Verlag, Berlin 1999. 496 S., 66 Abb., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philosoph hinter dem Thron: Prinz Heinrich, der begabte Bruder Friedrichs des Großen
Es gibt nur wenige Kapitel in der deutschen Geschichte, mit denen sich die Historiker intensiver auseinandergesetzt haben als mit dem Aufstieg Brandenburg-Preußens zur Großmacht im achtzehnten Jahrhundert. Insbesondere die Person Friedrichs des Großen regte die Geschichtsschreiber zu immer neuen Betrachtungen und Fragestellungen an.
Weitaus weniger Beachtung als diese überragende Gestalt fand sein Bruder Prinz Heinrich, von dem man zwar weiß, daß er sich im Siebenjährigen Krieg als klug taktierender Feldherr auszeichnete und später die Verhandlungen mit der russischen Zarin Katharina II. über die erste polnische Teilung führte; doch zumeist blieb er in dem Schatten, in den der absolut regierende Bruder den Nachgeborenen gestellt hatte. Eva Ziebura möchte in ihrer Biographie ergründen, welcher Mensch sich hinter dem Prinzen Heinrich verbarg, den Friedrich der Große bezeichnenderweise "mon autre moi-même" - "mein anderes Ich" - zu nennen pflegte.
Prinz Heinrichs Charakter und sein spannungsreiches Verhältnis zu Friedrich deuteten sich bereits kurz nach dem Tode des Vaters Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1740 an, als der neue König die Verantwortung für den damals gerade vierzehn Jahre alten Bruder übernahm. Friedrich gestattete dem Heranwachsenden keinerlei Selbständigkeit, ließ jeden seiner Schritte überwachen und behandelte ihn mit der gleichen mißtrauischen Strenge, die er einst selbst unter seinem Vater hatte erdulden müssen. Prinz Heinrich, ein kränkelnder, sensibler, musisch veranlagter Mensch, litt derart unter dem zynischen und kalten Verhalten seines Bruders, daß er sich bereit fand, trotz seiner Vorliebe für Männer Wilhelmine von Hessen-Kassel zu heiraten - in der Hoffnung, sich dadurch den Demütigungen seines Bruders entziehen zu können und sein Leben selbst in die Hand nehmen zu dürfen: "Ich habe mir die Ketten der Ehe anlegen lassen, um meine Freiheit zu gewinnen."
Prinz Heinrichs Leben nach seiner Heirat 1752 taugt zu einem pädagogischen Lehrstück: Hatte er sich zuvor gegen jegliche militärische Disziplin aufgelehnt, weil sie ihm auferlegt worden war, so gewann er in dem Maße Einsicht in ihre Notwendigkeit, wie Friedrich ihm nach der Eheschließung den nötigen Spielraum für die Entfaltung der Persönlichkeit gab. Er entwickelte sich nicht nur zu einem gebildeten, gewandten Gesellschafter, der sein Schloß Rheinsberg kontinuierlich zu einer Stätte der Künste ausbaute, sondern auch zu einem hervorragenden Offizier, der durch seine militärische Leistung im Siebenjährigen Krieg zum Überleben des preußischen Staates beitrug.
Dennoch blieb zwischen den beiden ungleichen Brüdern eine nur schwer zu überbrückende Kluft. Ziebura versteht es in diesem Zusammenhang, die Gegensätzlichkeit der beiden Charaktere darzustellen und das daraus entstehende Konfliktpotential aufzuzeigen: auf der einen Seite der nach Ruhm strebende, bisweilen menschenverachtende König, der sich kühl über seine eigenen hehren Prinzipien hinwegsetzte, wenn es die Staatsraison zu erfordern schien; auf der anderen Seite der Prinz, der sich im Interesse der Menschen für den Frieden und eine würdevolle Behandlung der von den Kriegen gequälten Untertanen aussprach.
Doch in dieser Pointierung der Charakterzeichnungen liegt die einzige Schwäche des äußerst instruktiven, kenntnisreich geschriebenen Buches: Ziebura entwirft ein düsteres Bild von dem Menschen Friedrich, um vor diesem Hintergrund Prinz Heinrich als den wahren Anhänger aufklärerischer Ideen besser abheben zu können. Ziebura versäumt es bei ihrem Urteil, die beiden Figuren im Kontext der damaligen Wertvorstellungen und ihrer unterschiedlichen Aufgaben zu betrachten, die sie im Staate zu erfüllen hatten. Waren die Charaktere der Brüder verschieden oder vor allem die Rollen? Bei der Lektüre der Darstellung drängt sich geradezu die Frage auf, inwieweit politische Meisterschaft im Interesse des Staates, wie sie Friedrich der Große verkörperte, und die Werte des Prinzen Heinrich wie Menschlichkeit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit überhaupt miteinander vereinbar waren. Daß immerhin auch Prinz Heinrich sich gelegentlich über solche edlen Prinzipien hinwegsetzen konnte und sich dem Zeitgeist unter den nach Macht strebenden europäischen Herrschern anschloß, bewies er, als er mit der Zarin Katharina II. die erste polnische Teilung und damit die "Vergewaltigung eines Volkes" (Max Braubach) einfädelte.
Nach dem Tode Friedrichs des Großen 1786 wurde Heinrich Opfer der Intrigen am Hof des neuen Königs Friedrich Wilhelm II. Dessen Berater betrachteten mit Argwohn Heinrichs Leidenschaft für die französische Kultur, die er auf seinen Reisen nach Paris aufgesogen hatte. Diese Vorliebe war ein Grund dafür, daß er wiederholt den König zu einer politischen Annäherung an Frankreich zu bewegen versuchte, selbst nachdem in Paris 1789 die Revolution ausgebrochen war. Prinz Heinrich hoffte, vereint mit Frankreich den Sieg der Aufklärung voranzutreiben und das zersplitterte Deutschland von der Vorherrschaft Österreichs zu befreien. Ziebura verweist in diesem Zusammenhang mit Recht auf das aufkeimende Nationalgefühl in Deutschland, das Heinrich vollkommen unterschätzte und das der Verwirklichung einer deutsch-französischen Allianz entgegengestanden hätte. Doch angesichts der blutigen Kriegsspur, welche die Französische Revolution in Europa hinterließ, glaubte der friedliebende Prinz am Ende seines Lebens selbst nicht mehr, daß sich mit Napoleon die von Heinrich ersehnte "Humanität" und "das Glück der Menschen" verwirklichen ließen.
NILS HAVEMANN.
Eva Ziebura: "Prinz Heinrich von Preußen". Stapp Verlag, Berlin 1999. 496 S., 66 Abb., geb., 48,- DM.
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