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Deutschland im Herbst 1918: Der Erste Weltkrieg geht zu Ende, auf den Straßen tobt die Revolution. Am 9. November, zwei Tage vor dem offiziellen Waffenstillstand, verkündet der deutsche Kanzler Prinz Max von Baden die Abdankung des Kaisers und besiegelt damit das Ende der Monarchie. Wer war dieser Max von Baden? War er der legere Grandseigneur liberaler Prägung und Philanthrop, als den ihn Golo Mann beschrieb? Aber wie verträgt sich das mit seinen intensiven Kontakten zum Bayreuther Wagner-Kreis und insbesondere zu dem Rassenideologen Houston Stewart Chamberlain? Und wie passt Kurt Hahn ins…mehr

Produktbeschreibung
Deutschland im Herbst 1918: Der Erste Weltkrieg geht zu Ende, auf den Straßen tobt die Revolution. Am 9. November, zwei Tage vor dem offiziellen Waffenstillstand, verkündet der deutsche Kanzler Prinz Max von Baden die Abdankung des Kaisers und besiegelt damit das Ende der Monarchie. Wer war dieser Max von Baden? War er der legere Grandseigneur liberaler Prägung und Philanthrop, als den ihn Golo Mann beschrieb? Aber wie verträgt sich das mit seinen intensiven Kontakten zum Bayreuther Wagner-Kreis und insbesondere zu dem Rassenideologen Houston Stewart Chamberlain? Und wie passt Kurt Hahn ins Bild, der enge Freund und Berater aus dem Berliner jüdischen Großbürgertum, mit dem der Prinz später das reformpädagogische Internat Schloss Salem gründen sollte? Weltoffen und friedensbereit schien Max von Baden am Ende des Ersten Weltkriegs, doch zugleich war er ein schroffer Gegner von Parlamentarismus und Demokratie. Er lebte standesbewusst aristokratisch, doch als Homosexueller auch jenseits der damals herrschenden Konventionen.

Auf der Basis reicher, hier erstmals erschlossener Quellen erzählt Lothar Machtan die faszinierende Geschichte einer historischen Figur voller Widersprüche - eines fürstlichen Lebens, dem nichts Menschliches fremd blieb - und eröffnet damit zugleich einen neuen Blick auf eine Epoche im Stadium ihres Zerfalls.
Autorenporträt
Lothar Machtan, geboren 1949, seit 1995 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bremen. Autor zahlreicher Studien zur sozialen und politischen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Wilhelm von Sternburg ist erschüttert zu lesen, in welchen Händen Deutschlands Schicksal einmal lag. Was der Bremer Historiker Lothar Machtan über Prinz Max von Baden an Material zusammenträgt, mit seinem "unbestechlichen" Blick betrachtet und in diese Biografie einfließen lässt, das schließt nicht, und das ist für Sternburg das eigentliche Verdienst des Biografen , von der Person Max von Badens auf sein politisches Handeln. Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen damals vorherrschten, Monarchismus, Antiparlamentarismus, Antisemitismus, Militarismus, lernt der Rezensent von Machtan und erschauert. Die Lebenskrisen des Prinzen schildert ihm der Autor allerdings nicht weniger glänzend.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.11.2013

Königliche Hoheit
Angemessen romanhaft: Lothar Machtans ausführliche Biografie von Prinz Max von Baden, dem letzten Kanzler
des Bismarck-Reichs. Nervosität und „päderastische“ Neigungen erschwerten ihm sein Leben und seine Politik
VON GUSTAV SEIBT
Am Abend des 1. November 1918 erlitt Reichskanzler Max von Baden einen so schweren Nervenzusammenbruch, dass er durch einen Internisten der Berliner Universität mit Hilfe des Narkotikums „Pantopon“ für 36 Stunden in einen komaähnlichen Tiefschlaf versetzt werden musste. Erst am 3. November konnte der leitende Staatsmann einer taumelnden, am Ende eines verlorenen Weltkriegs in Waffenstillstandsverhandlungen begriffenen, von einer beginnenden Revolution mit Chaos bedrohten Großmacht wieder zum Dienst erscheinen. Diese bizarre Lücke ist der Geschichtsschreibung immer aufgefallen, allein erklären konnte sie kein Historiker.
  Lothar Machtan, der jetzt die erste umfangreiche wissenschaftliche Biografie des nur fünf Wochen amtierenden Kanzlers vorgelegt hat, hat eine Vermutung. Bei dem vergeblichen Versuch der aus Kanzler und den gemäßigten Sozialdemokraten gebildeten Staatsspitze, Kaiser Wilhelm II. zur freiwilligen Abdankung zu bewegen, um einer zentralen Forderung des amerikanischen Präsidenten Wilson zu genügen, aber auch um der Monarchie gegen die revolutionären Volksmassen durch einen geordneten Rückzug noch eine letzte Chance zu eröffnen, habe die Gemahlin des Kaisers, Auguste Viktoria, eingegriffen: Telefonisch habe sie den Prinzen Max, den Vetter des Kaisers, mit einer Denunziation bedroht, im Klartext: mit öffentlicher Bloßstellung nicht nur als Verräter, sondern auch als Homosexueller.
  Die Geschichte klingt irrsinnig, aber nach der vierhundertseitigen Vorgeschichte, die Machtans Biografie bis zu diesem Moment geliefert hat, spricht einiges für sie. Dass Max von Baden „päderastische“ (wie man damals sagte) Neigungen hatte, ist nicht nur zweifelsfrei dokumentiert, es war nicht nur polizeinotorisch (in jener berüchtigten Homosexuellen-Kartei des Berliner Polizeipräsidenten, auf die August Bebel schon 1898 öffentlich hingewiesen hatte), es war vor allem in der großen Fürstenfamilie verwandter Geschlechter, die damals Deutschland regierte, nicht unbekannt geblieben. „Schlappschwanz“, „impotent“, „weibisch“ lauteten die Stichworte im damaligen Casino-Jargon, den der Kaiser mit seinen Randbemerkungen bis in amtliche Schriftstücke trug.
  Machtans Lebensgeschichte rekonstruiert, bevor sie zu den fünf Wochen gelangt, während derer Max als letzter Kanzler des Bismarck-Reichs die Bühne der Nationalgeschichte betrat, die mühselige Existenz eines schwulen Aristokraten, auf dem nicht nur der Druck ständischer, nach 1900 durch bürgerliche Pressebeobachtung erpresserisch verschärfter Sittenbegriffe lastete, sondern ganz konkret die Erwartung, für einen künftigen Thronfolger im eigenen Fürstentum, dem Großherzogtum Baden, zu sorgen. Das war für den 1867 geborenen Prinzen eine seelische und körperliche Qual, gegen die Thomas Manns sublimiertes Gefühlsdoppelleben wie ein Spaziergang wirkt.
  Man gelangt in dieser Lebensgeschichte eines bedauernswerten mittleren Charakters mit überwiegend sympathischen Zügen in eine vor allem kulturgeschichtlich reizvolle Realversion von Thomas Manns Roman „Königliche Hoheit“. Das Grundthema ist seelische Überforderung. Das zeittypische, inzwischen mehrfach erforschte Syndrom von „Nervosität“ und „Überbürdung“ hat hier einen realen Grund in beständiger Selbstverleugnung, Liebesverzicht und Triebkontrolle. Als junger Prinz konnte Max bei netten Verwandten und in der Kumpanei der Offizierswelt wohl noch halbwegs unbeschwert leben. Zur Marter wurde dann aber der Zwang zu einer standesgemäßen Ehe samt Vaterschaft. Max unterzog sich einer Therapie bei dem berühmten Sexualpathologen Richard von Krafft-Ebing, vor allem suchte er Hilfe bei Axel Munthe, dem schwedischen Wellnessarzt des europäischen Hochadels mit Sitz auf Capri.
  Hier wird Machtans Geschichte endgültig romanhaft, was nicht heißt, dass nicht viel für sie spräche. Der Historiker geht so weit, Munthe sogar die leibliche Vaterschaft der beiden Kinder von Max zuzuschreiben: „Berthold Munthe“ nennt er den Stammhalter des Hauses Baden, der uralten Familie der Zähringer. Ein DNA-Test könnte hier Gewissheit bringen, aber das Haus Baden, das dem Historiker sogar den Zutritt zum persönlichen Nachlass des Ahnen verwehrte, dürfte kein Interesse daran haben. Wagner-Manie, Nietzsche-Lektüre, einfühlsame Nähe zu Cosima Wagner und deren Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain vervollständigen ein zeittypisches Bild maroder, kulturell gehöhter, weltanschaulich erhitzter Eleganz, in dem Schweizer Ski-Urlaube mit kernigen Gefährten vorübergehende Entlastung boten, unter ergebener Duldung der offenbar von Munthe verständnisbereit gemachten Gemahlin.
  Dass es diesem zerrissenen Nervenbündel vorbehalten war, die Monarchie in Deutschland zu beenden, hat etwas Symbolisches. Max, den die heutige Historiografie überwiegend als gemäßigten Liberalen einschätzt, erscheint bei Machtan als in allen zeitgemäßen Irrtümern befangener Spätkonservativer: Noch im Sommer 1918 glaubte er, von dem neuen Busenfreund Kurt Hahn, dem späteren Begründer des Salemer Landschulheims, angeleitet, Deutschland könne die Welt mit einem Programm des „ethischen Imperialismus“ von sich überzeugen; am monarchischen Prinzip zu rütteln, wäre ihm damals nicht in den Sinn gekommen. Zwar hatte Max als badischer Kammerpräsident Erfahrungen mit einer kompromissbereiten Sozialdemokratie sammeln können, aber sein Programm bei Antritt der seit 1917 angestrebten Kanzlerschaft blieb die Rettung der Monarchie und der deutschen Großmachtstellung. Für ihn selbst aber sollte die Fron des höchsten Staatsamts zur Rechtfertigung für alle seelischen Leiden der Selbstverleugnung im Leben davor werden – wieder ein an Thomas Mann erinnerndes Motiv.
  Den Ernst der Niederlage im Weltkrieg verkannte Prinz Max bis zu den Wilson-Noten vom Oktober 1918 ebenso wie der größte Teil der von der Obersten Heeresleitung planmäßig hinters Licht geführten Führung des Reiches. Trotzdem verständigte er sich bald so eng mit Friedrich Ebert, dem Vorsitzenden der Mehrheitssozialdemokraten, dass eine Rettung der Monarchie möglich erscheint, hätte der törichte Starrsinn des letzten Kaisers und seiner bösartigen Frau nicht jede Übergangslösung ausgeschlossen. Max strebte die Abdankung des Kaisers zugunsten seines zwölfjährigen Enkels an, für den ein „Reichsverweser“ die Regentschaft zu führen hätte. Diese Rolle hätte er selbst übernehmen wollen, während Ebert ins Amt des Reichskanzlers nachrücken sollte.
  Gemeinsam hätte man jene Nationalversammlung einberufen, die dann 1919 unter anderen Auspizien die Weimarer Verfassung begründete. Ob ein solcher Kompromiss zwischen einer parlamentarisch entmächtigten, von ihren diskreditierten Trägern befreiten Monarchie mit der demokratischen Staatsform den Ansprüchen der Alliierten und der revolutionären Arbeiter und Soldaten genügt hätte, bleibt unsicher.
  Am Ende wurde der Zeitdruck so groß, dass Max von Baden für den von seiner Gattin ins Quartier der Heeresleitung nach Belgien verfrachteten Kaiser die Abdankung eigenmächtig verkündete: an jenem 9. November 1918, an dem dann Scheidemann und Liebknecht im Wettlauf deutsche Republiken ausriefen und Ebert als Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten die Regierungsgeschäfte kommissarisch übernahm. Bei Machtan erfährt man, wie viel von diesen wirren Abläufen im Detail bis heute ungewiss ist. Im Großen aber bleibt klar, was immer bekannt war: Die alten Eliten kamen mit ihrer überstürzten „Revolution von oben“ viel zu spät, um sich noch behaupten zu können.
  Prinz Max gelang es, mit einem Sonderzug in seine Heimat zu entkommen, wo er zunächst bei einer Baden-Badener Blumenhändlerin unterkam, die den Namen Wittelsbach trug. Das gutartige deutsche Volk hat seine abgedankten Fürsten bekanntlich nicht enteignet, sondern großzügig entschädigt. Noch heute ist das Haus Baden im Besitz des alten Bodensee-Fideikommiß um Salem und zahlloser Kunstschätze. Da der Besitz an „leibliche Nachfolge“ im Hauptstamm der Familie geknüpft war, ließ Max seinen Sohn Berthold, der vielleicht ein Kind Munthes war, von seinem kinderlosen Cousin, dem letzten Großherzog von Baden, adoptieren. Das war seine letzte Tat.
  Der von seinen monarchischen Standesgenossen bis zu seinem Tod hässlich angefeindete Prinz war bereits 1922 von Hans von Tresckow, dem ehemaligen Leiter des Homosexuellendezernats der Berliner Polizei in dessen „Memoiren eines Kriminalkommissars“ (unter dem Titel „Von Fürsten und anderen Sterblichen“) sozusagen amtlich geoutet worden. Begraben wurde Max Prinz von Baden am 9. November 1929.
Hat die Gemahlin des Kaisers
selbst Prinz Max mit öffentlicher
Bloßstellung bedroht?
Bereits 1922 war Prinz Max von
Hans von Tresckow sozusagen
amtlich geoutet worden
Er glaubte an die Rettung der Monarchie nach dem Ende des Krieges. Aber die Zeit lief ihm davon. Prinz Max von Baden (links, mit Ernst August von Braunschweig-Lüneburg) im Jahr 1912 auf dem Weg zu einem Besuch am Kaiserhof in Potsdam.
FOTO: SCHERL
    
   
  
  
Lothar Machtan: Prinz Max von Baden. Der letzte Kanzler des Kaisers. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 670 Seiten, 29,95 Euro. E-Book 25,99 Euro.
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"Angemessen romanhaft: Lothar Machtans ausführliche Biografie von Prinz Max von Baden"
Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung 08.11.2013