Zwei zauberische Prinzessinnen, hier Mimi, da Zizi, sind die Hauptfiguren dieser eng aufeinander bezogenen literarischen Zwillingsstücke. In ihnen verschränken sich romantische Motive und analytischer Scharfblick. In zwei Variationen wird das Seelenleben der Prinzessinnen aufs feinste durchleuchtet vor dem Hintergrund einer von Standesdünkel und Überdruß geprägten aristokratischen Welt. Die beiden mit großer Kunstfertigkeit komponierten Novellen Vladimir Odoevskijs (1803 1869) markieren den Beginn der psychologischen Analyse in der russischen Literatur.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "kleines Meisterwerk" und "Entdeckung nicht nur für Liebhaber der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts" empfiehlt Felicitas Hoppe die "Prinzessinnen-Novellen" Wladimir Odojewskis. Hier ist dem russischen Autor ihrer Ansicht nach nämlich weit mehr geglückt, als das Doppelporträt zweier "neurotischer Damen der höheren Gesellschaft". Das Werk wimmele, lesen wir, von "fröhlichen Anspielungen auf und Spitzen gegen den zeitgenössischen Literaturbetrieb", die sich Rezensentin Hoppe zufolge mit Hilfe des Nachwortes und eines Anmerkungsapparats mühelos auf heutige Produktions- und Entstehungsbedingungen von Literatur übertragen lassen. Insgesamt besticht das Buch die Rezensentin "ganz und gar durch sprachliche Frische und Präsenz", durch Leichtigkeit, Geistesgegenwart, Beobachtungsgabe und Lust am Spiel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003Am Spinnrad der Intrige
Kleine Schule des Gesellschaftstanzes: Die Prinzessinnennovellen von Wladimir Odojewski / Von Felicitas Hoppe
Ein Hohelied der Heuchelei und Verlogenheit" nennt sein Übersetzer Peter Urban das kleine Meisterwerk Wladimir Odojewskis, die Zwillingsnovellen "Prinzessin Mimi/Prinzessin Zizi", eine Entdeckung nicht nur für Liebhaber der russischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, sondern für alle Leser, die es wagen wollen, sich einmal mehr auf das dünne Eis des gesellschaftlichen Tanzbodens zu begeben, der nicht aufhört zu knarren und damals wie heute unter dem erstbesten falschen Tritt einzubrechen droht.
Aber was treibt diese Prinzessinnen um, die uns, aller Verkleidung zum Trotz, auf den ersten Blick altbekannt vorkommen? "Was interessiert diese Leute an Dingen, die sie nichts angehen? Auf welche Weise werden diese Leute, seelenlose Menschen, die beim Anblick der edelsten wie der niederträchtigsten Tat, beim Anblick des höchsten wie des abgeschmacktesten Gedankens, beim Anblick des schönsten Kunstwerks, bei der Verletzung sämtlicher Gesetze der Natur und der Menschheit eiskalt bleiben - auf welche Weise werden ebendiese Menschen feurig, tiefsinnig, erfinderisch, redegewandt, wenn es um ein Ordenskreuz, um einen Rang, um eine Hochzeit, um ein häusliches Geheimnis oder um etwas geht, das sie aus ihrem verdorrten Hirn im Namen des Anstands herausgepreßt haben?"
Prinzessin Mimi und Prinzessin Zizi, denen zwei der sechs heiratswütigen Töchter eines schwerhörig dahindämmernden Fürsten aus Alexander Griboedovs berühmter Komödie "Weh dem, der denkt" ("Verstand schafft Leiden") Patinnen gestanden haben, werden hier, jede auf ihre Weise, zu Opfern und Tätern gleichermaßen, weil es ihnen nicht gelingt, rechtzeitig an Frischluft zu kommen, weshalb sie an den Regeln einer durch und durch in sich selbst gefangenen Gesellschaft ersticken müssen, "an der unentrinnbaren Enge jener Welt der Konventionen und des schönen Scheins", wie Urban in seinem Nachwort bemerkt, jener Gesellschaft also, die auch Alexander Puschkin, dem berühmteren Zeitgenossen Odojewskis, anstandslos die Kugel gab. Die Mehrheit der Duelle wird allerdings nicht auf nebligen Lichtungen ausgefochten, sondern auf Tanzböden, in Ballsälen und im Rahmen scheinbar unverfänglicher häuslicher Teestunden: ",Aber welche Komödie meinen Sie?' ,So sind die Menschen, gleich ziehen sie Schlüsse! Ich versichere Sie, daß ich niemanden im besonderen gemeint habe. Apropos Baronesse: Hat sie noch lange getanzt, nachdem ich gegangen war?'"
So schlägt man die Langeweile tot, so werden die Märchenprinzen erst beschworen, dann verschlissen, es rattert das Spinnrad der Intrige. Am Ende aller üblen Nachrede stehen Verzweiflung und Selbstzerstörung, allem voran aber die so eiskalte wie leidenschaftliche Verwirrung und Zerstörung anderer. Während Prinzessin Mimi, der es beim besten Willen nicht gelingt, sich zu verheiraten, sich in der Folge ganz der Verhinderung des möglichen Lebensglücks anderer hingibt und dabei vor keinem Mittel zurückscheut, richtet die Heldin der zweiten Erzählung, Prinzessin Zizi, ihre ganze Zerstörungswut nach innen, gegen sich selbst, indem sie bis zur fast völligen Selbstaufgabe das Opfer ihres hochstaplerischen Schwagers wird.
Mit seinen beiden Novellen ist dem russischen Schriftsteller Wladimir Odojewski (1803 bis 1869) allerdings weit mehr gelungen als das Doppelporträt zweier neurotischer Damen der höheren Gesellschaft, das Werk wimmelt von fröhlichen Anspielungen auf und Spitzen gegen den zeitgenössischen Literaturbetrieb, die sich mit Hilfe des Nachworts und eines hilfreichen Anmerkungsapparates mühelos auf gegenwärtige Produktions- und Entstehungsbedingungen von Literatur übertragen lassen.
Odojewski, nicht nur Schriftsteller, sondern praktizierender Musiker, Literatur- und Musikkritiker, ein Kenner auch der deutschen Philosophie, Musik und Literatur, dessen Hauptwerk "Russische Nächte" (1844) einen deutlichen Einfluß E.T.A. Hoffmanns aufweist, hat wie kaum ein anderer regen Anteil genommen an den künstlerischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen seiner Zeit, weshalb ihm, einem gewissen Interesse für die "vergessenen Wissenschaften des Mittelalters" zum Trotz, zu Unrecht der Ruf anhaftet, ein "mystischer Denker" zu sein, wie Urban im Nachwort ausdrücklich betont.
Tatsächlich bestechen die beiden Novellen ganz und gar durch sprachliche Frische und Präsenz und jenseits des gesellschaftskritischen Dramas durch Leichtigkeit, Geistesgegenwart und Beobachtungsgabe, durch Lust am Spiel, am Innehalten, am Kommentar, an Brechung und Unterbrechung und nicht zuletzt durch die freundlich provokative Einladung des Lesers zum Gespräch mit dem Autor. Innerhalb der kleinen literarischen Form erweist sich Odojewski als Meister einer großen Bandbreite sprachlicher und literarischer Formen, der den Umgang mit der traditionellen Rahmenhandlung, das Spiel mit der Institution des Vorworts, die Machart des Briefromans und den gelungenen Dialog gleichermaßen beherrscht.
Allem voran aber sind es die Schärfe, der Witz und die Ironie, die, ohne jeden Verrat an den eigenen Figuren, dazu führen, daß Mimi und Zizi uns so bekannt vorkommen, als wären sie erst gestern zu Gast gewesen, denn, um mit ihrem Paten Gribojedow zu fragen: "Was ist das Schlimmere an ihnen - die Seelen oder ihre Zungen?" Und um mit einem Mann des deutschen Mittelalters zu antworten: "Was immer deine Zunge sagt, schuld ist dein Herz."
Wladimir Odojewski: "Prinzessin Mimi/Prinzessin Zizi". Zwei Novellen. Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Urban. Manesse Verlag, Zürich 2003. 158 S., geb., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kleine Schule des Gesellschaftstanzes: Die Prinzessinnennovellen von Wladimir Odojewski / Von Felicitas Hoppe
Ein Hohelied der Heuchelei und Verlogenheit" nennt sein Übersetzer Peter Urban das kleine Meisterwerk Wladimir Odojewskis, die Zwillingsnovellen "Prinzessin Mimi/Prinzessin Zizi", eine Entdeckung nicht nur für Liebhaber der russischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, sondern für alle Leser, die es wagen wollen, sich einmal mehr auf das dünne Eis des gesellschaftlichen Tanzbodens zu begeben, der nicht aufhört zu knarren und damals wie heute unter dem erstbesten falschen Tritt einzubrechen droht.
Aber was treibt diese Prinzessinnen um, die uns, aller Verkleidung zum Trotz, auf den ersten Blick altbekannt vorkommen? "Was interessiert diese Leute an Dingen, die sie nichts angehen? Auf welche Weise werden diese Leute, seelenlose Menschen, die beim Anblick der edelsten wie der niederträchtigsten Tat, beim Anblick des höchsten wie des abgeschmacktesten Gedankens, beim Anblick des schönsten Kunstwerks, bei der Verletzung sämtlicher Gesetze der Natur und der Menschheit eiskalt bleiben - auf welche Weise werden ebendiese Menschen feurig, tiefsinnig, erfinderisch, redegewandt, wenn es um ein Ordenskreuz, um einen Rang, um eine Hochzeit, um ein häusliches Geheimnis oder um etwas geht, das sie aus ihrem verdorrten Hirn im Namen des Anstands herausgepreßt haben?"
Prinzessin Mimi und Prinzessin Zizi, denen zwei der sechs heiratswütigen Töchter eines schwerhörig dahindämmernden Fürsten aus Alexander Griboedovs berühmter Komödie "Weh dem, der denkt" ("Verstand schafft Leiden") Patinnen gestanden haben, werden hier, jede auf ihre Weise, zu Opfern und Tätern gleichermaßen, weil es ihnen nicht gelingt, rechtzeitig an Frischluft zu kommen, weshalb sie an den Regeln einer durch und durch in sich selbst gefangenen Gesellschaft ersticken müssen, "an der unentrinnbaren Enge jener Welt der Konventionen und des schönen Scheins", wie Urban in seinem Nachwort bemerkt, jener Gesellschaft also, die auch Alexander Puschkin, dem berühmteren Zeitgenossen Odojewskis, anstandslos die Kugel gab. Die Mehrheit der Duelle wird allerdings nicht auf nebligen Lichtungen ausgefochten, sondern auf Tanzböden, in Ballsälen und im Rahmen scheinbar unverfänglicher häuslicher Teestunden: ",Aber welche Komödie meinen Sie?' ,So sind die Menschen, gleich ziehen sie Schlüsse! Ich versichere Sie, daß ich niemanden im besonderen gemeint habe. Apropos Baronesse: Hat sie noch lange getanzt, nachdem ich gegangen war?'"
So schlägt man die Langeweile tot, so werden die Märchenprinzen erst beschworen, dann verschlissen, es rattert das Spinnrad der Intrige. Am Ende aller üblen Nachrede stehen Verzweiflung und Selbstzerstörung, allem voran aber die so eiskalte wie leidenschaftliche Verwirrung und Zerstörung anderer. Während Prinzessin Mimi, der es beim besten Willen nicht gelingt, sich zu verheiraten, sich in der Folge ganz der Verhinderung des möglichen Lebensglücks anderer hingibt und dabei vor keinem Mittel zurückscheut, richtet die Heldin der zweiten Erzählung, Prinzessin Zizi, ihre ganze Zerstörungswut nach innen, gegen sich selbst, indem sie bis zur fast völligen Selbstaufgabe das Opfer ihres hochstaplerischen Schwagers wird.
Mit seinen beiden Novellen ist dem russischen Schriftsteller Wladimir Odojewski (1803 bis 1869) allerdings weit mehr gelungen als das Doppelporträt zweier neurotischer Damen der höheren Gesellschaft, das Werk wimmelt von fröhlichen Anspielungen auf und Spitzen gegen den zeitgenössischen Literaturbetrieb, die sich mit Hilfe des Nachworts und eines hilfreichen Anmerkungsapparates mühelos auf gegenwärtige Produktions- und Entstehungsbedingungen von Literatur übertragen lassen.
Odojewski, nicht nur Schriftsteller, sondern praktizierender Musiker, Literatur- und Musikkritiker, ein Kenner auch der deutschen Philosophie, Musik und Literatur, dessen Hauptwerk "Russische Nächte" (1844) einen deutlichen Einfluß E.T.A. Hoffmanns aufweist, hat wie kaum ein anderer regen Anteil genommen an den künstlerischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen seiner Zeit, weshalb ihm, einem gewissen Interesse für die "vergessenen Wissenschaften des Mittelalters" zum Trotz, zu Unrecht der Ruf anhaftet, ein "mystischer Denker" zu sein, wie Urban im Nachwort ausdrücklich betont.
Tatsächlich bestechen die beiden Novellen ganz und gar durch sprachliche Frische und Präsenz und jenseits des gesellschaftskritischen Dramas durch Leichtigkeit, Geistesgegenwart und Beobachtungsgabe, durch Lust am Spiel, am Innehalten, am Kommentar, an Brechung und Unterbrechung und nicht zuletzt durch die freundlich provokative Einladung des Lesers zum Gespräch mit dem Autor. Innerhalb der kleinen literarischen Form erweist sich Odojewski als Meister einer großen Bandbreite sprachlicher und literarischer Formen, der den Umgang mit der traditionellen Rahmenhandlung, das Spiel mit der Institution des Vorworts, die Machart des Briefromans und den gelungenen Dialog gleichermaßen beherrscht.
Allem voran aber sind es die Schärfe, der Witz und die Ironie, die, ohne jeden Verrat an den eigenen Figuren, dazu führen, daß Mimi und Zizi uns so bekannt vorkommen, als wären sie erst gestern zu Gast gewesen, denn, um mit ihrem Paten Gribojedow zu fragen: "Was ist das Schlimmere an ihnen - die Seelen oder ihre Zungen?" Und um mit einem Mann des deutschen Mittelalters zu antworten: "Was immer deine Zunge sagt, schuld ist dein Herz."
Wladimir Odojewski: "Prinzessin Mimi/Prinzessin Zizi". Zwei Novellen. Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Urban. Manesse Verlag, Zürich 2003. 158 S., geb., 12,90 [Euro].
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«Zwei knappe, aber scharfe, beinah bösen Blicks erfasste Lebensbilder aus der russischen Gesellschaft zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Zwei Frauen mit (selbst)zerstörerischem Eigensinn, die um ihre Souveränität betrogen wurden: um Liebe, um ihr Geld. Zwei Kostproben der Kunst des Fürsten Vladimir Odoevskij, der neben Gogol und Puschkin zu den ganz großen aus jener Epoche zählt und hierzulande immer noch zu entdecken ist.» Die Zeit