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Der Name des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst (1755-1813) ist fest mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verbunden. Er stand damit am Anfang einer Epoche, deren mögliches Ende zu den vieldiskutierten politischen Themen der Gegenwart gehört. Scharnhorsts Konzepte reichten aber weiter und umfassten unter anderem die Neugestaltung der Offiziersausbildung, die Überwindung der Adelsprivilegien im Offizierskorps und die Professionalisierung des Generalstabes. In der Konfrontation mit dem revolutionären Frankreich verfolgte er im Einklang mit den Stein-Hardenbergschen…mehr

Produktbeschreibung
Der Name des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst (1755-1813) ist fest mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verbunden. Er stand damit am Anfang einer Epoche, deren mögliches Ende zu den vieldiskutierten politischen Themen der Gegenwart gehört. Scharnhorsts Konzepte reichten aber weiter und umfassten unter anderem die Neugestaltung der Offiziersausbildung, die Überwindung der Adelsprivilegien im Offizierskorps und die Professionalisierung des Generalstabes. In der Konfrontation mit dem revolutionären Frankreich verfolgte er im Einklang mit den Stein-Hardenbergschen Reformen und gegen viele Widerstände das Ziel, ein traditionelles System zu modernisieren. Die auf fünf Bände angelegte Edition will erstmals den gesamten handschriftlichen Nachlaß Scharnhorsts einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Der erste Band umfaßt die in der Forschung vernachlässigte Zeit bis zu seinem Eintritt in preußische Dienste 1801. Er dokumentiert vor allem die frühe Grundlegung seines Bildungskonzepts und seine einschneidenden Erfahrungen im ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich, die ihn zu einer Revision der militärischen Tradition führten.
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Autorenporträt
Johannes Kunisch war em. Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität zu Köln.

Michael Sikora ist apl. Professor am Historischen Seminar der Universität Münster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2003

Der General, ein Pazifist
Scharnhorst ging ran wie Blücher, verachtete aber den Krieg

"Gott gebe uns bald Frieden"; "Valenciennes werden wir in Brand schießen. Da werden dann wieder 25 000 Menschen in größte Armut versetzt"; "Von den Grausamkeiten, die von uns begangen, sage ich nichts. Der Mensch ohne Bildung ist doch ein grausames Tier"; "Sollte Valenciennes gestürmt werden . . ., aber der Himmel gebe, daß es nicht geschieht, alles würde massakriert"; "Gott, was ist das ein Leben, alles beim Militär ist doch Verwüstung"; "Theologen und Soldaten müssen, wenn sie das sein sollen, was man von ihnen fordert, wenig Verstand haben"; "Ich bin nicht zum Soldaten gemacht; ohne Schwierigkeit ertrage ich die Gefahr, aber der Anblick der unschuldigen jammernden Menschen im Blute neben mir und das Feuer der brennenden Dörfer, von Menschen zum Vergnügen angelegt, bringen mich in Wut und in eine mir unerträgliche Stimmung"; "Wie elend. Der ist am besten, der am meisten vernichtet."

Dieser Pazifist und Verächter des Soldatentums war, als er das schrieb, kurhannoverscher Berufsoffizier, er fiel 1813 als preußischer General vor Prag. Es ist Gerhard (von) Scharnhorst, der preußische Heeresreformer, dessen Ideen auch in die Bundeswehr Eingang gefunden haben; sein Standbild steht seit kurzem wieder Unter den Linden in Berlin, witzigerweise auf Initiative der PDS hin. Die Zitate stammen aus Briefen an seine Frau und sind dem ersten Band seiner privaten und dienstlichen Schriften entnommen, der jetzt, akkurat und vorbildlich durch Register und Anmerkungen erschlossen, erschienen ist. Er enthält die wortgetreuen - hier etwas modernisierten - Texte der Briefe, seine militärtechnischen Aufzeichnungen, Denkschriften und Berichte sowie diejenigen Texte seiner Vorgesetzten, die ausweislich seiner Handschrift von ihm stammen. Die Technika interessieren nur Spezialisten, der Band enthält jedoch auch vieles, was von allgemeinem Interesse ist.

Der Krieg, in dem Scharnhorst diese ihn tief erschütternden Erfahrungen machte, war der Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich, in dem die hannoverschen Truppen zusammen mit Engländern in Flandern und Brabant kämpften und der 1775 mit dem Frieden von Basel abgeschlossen wurde. Von den französischen Gegnern ist kaum die Rede, nur etwa dies, daß ihre "schnellen Bewegungen" hervorgehoben werden, während den Heeren des Ancien régime einmal "Schlaffheit und Schläfrigkeit" attestiert werden; auch ist das Revolutionslied "Ça ira" durchaus auch bei den Truppen der Koalition populär. Ähnlich wie es Goethe in der "Campagne in Frankreich" schrieb, verabscheut Scharnhorst die französischen Emigranten im allgemeinen: "Mit dem emigrierten rachsüchtigen Volke habe ich dieser Tage immer zu tun gehabt . . . Sie verdienen meistens ihr Schicksal; sie sind unwissend, von sich eingenommen und abergläubisch."

Ein Emigrantenbataillon "Loyal Émigrés" oder "Émigrants" aber kämpft tapfer: "Die Offiziere und Unteroffiziere, auch zum Teil die Gemeinen, bestehen aus ehemaligen französischen Offizieren, es sind brave Leute"; freilich sind sie zum Dienst als Vorposten "gänzlich unbrauchbar, da doch niemand von ihnen Pardon bekommt". Die hannoverschen Soldaten, deren Kurfürst gleichzeitig König von England war, wollen nicht immer "an England schwören", und auch Scharnhorst hat keine gute Meinung von ihnen: "Die Engländer wollten alles allein haben. Diese grausame, von sich eingenommene Nation unterbricht alle Ordnung und will immer Vorrechte haben." Allerdings: "so groß ihre Plündereien und Grausamkeiten oft sind, so groß ist dennoch ihre Subordination", und sie sind, "wo der Deutsche murrt, immer zufrieden". Von den kaiserlichen Truppen heißt es schließlich: "Die ungarischen und siebenbürgischen Regimenter sind ohne Ausnahme die besten."

Scharnhorst, der seine Laufbahn als Lehrer an einer Kriegsschule begonnen hatte und der auch als Fachschriftsteller hervortrat, war ein gebildeter Offizier, und es ist die Bildung, von der er zum einen eine Verbesserung der Kriegskunst überhaupt erwartete, auch durch historische Vergleiche, insbesondere durch das Studium der Feldzüge Friedrichs des Großen. Zum anderen dürfte es die Bildung der Soldaten gewesen sein, von der er eine Milderung der Grausamkeiten des Krieges erwartete. Das wird schon aus einigen vorstehenden Zitaten deutlich, ergibt sich auch daraus, daß er die Bildung insbesondere des österreichischen Unteroffizierskorps lobt. Wenn nicht Bildung, dann wenigstens Disziplin, an der es auf weite Strecken fehlte, obwohl sie im Prinzip gefordert war. Nur Friedrich der Große habe sie auch wirklich durchgesetzt, und der österreichische Feldmarschall Laudon erscheint bei Scharnhorst als ein leuchtendes - und eben seltenes - Vorbild auch persönlicher Ehrenhaftigkeit.

Die mangelnde Disziplin bemerkt er freilich nicht nur bei den Mannschaften, sondern er sieht insbesondere am Verhalten des Offizierskorps bis in die höchsten Ränge gesellschaftlich bedingtes Fehlverhalten, das sich bis in die Armee hinein fortsetzt und damit auch die militärische Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Schon bevor er in den Krieg zog, tadelte er die "Ungerechtigkeiten der höhern Stände" und ihre "schlechte Denkungsart", die sich auch darin äußerte, daß Standesgenossen im Examen und bei Beförderungen bevorzugt wurden, und diese Einsicht verstärkte sich während des Kriegs; bei disziplinarischen Vergehen unterbleibe die Bestrafung "bei Familien- und anderen Verbindungen". Auch hier zeigt sich der künftige Reformer, und es wundert nicht, wenn er gegen Widerstände zu kämpfen hatte; umgekehrt beeindruckt es, daß er, der solche Ansichten vertrat, in eine Position gelangte, in der er seine Ziele verwirklichen konnte. Aber das werden die Folgebände im Detail zeigen.

Es bleibt der Widerspruch zwischen dem Entsetzen, mit dem ihn die Wirklichkeit des Krieges erfüllte, und der Tatsache, daß er Offizier blieb und sogar preußischer General wurde. Gewiß spielt sein Ehrgeiz eine Rolle dabei, den er seiner Frau gegenüber bekennt, und womöglich hat seine ihm peinliche Neigung zum Erröten etwas damit zu tun, welche schon fast kleistische Eigenschaft er ebenfalls seiner Frau anvertraut. Gewiß versprach er sich etwas von der Bildung der Soldaten, die freilich auch bei den gelobten österreichischen Unteroffizieren doch nur in "Rechnen, Schreiben und Dienst" bestand. Schließlich muß man berücksichtigen, daß die eingangs zitierten Äußerungen nur in den Briefen an seine Frau vorkommen, daher durch die Adressatin geprägt sind und sozusagen gattungsbedingt sein dürften. Ganz anders hätte er geschrieben, wenn er sich öffentlich geäußert hätte, wie es ein hannoverscher Landsmann von ihm 125 Jahre später tat. Auch Ernst Jünger verschwieg in "Stahlgewittern" nichts von der Fürchterlichkeit des Krieges, schrieb aber für die Öffentlichkeit und schilderte, wie er der Erlebnisse innerlich Herr wurde. Freilich gab es die wilden Zügellosigkeiten wie 1793 nicht mehr, und daher hätte Scharnhorst in ihm einen Offizier erkennen können, wie er ihn durch sein späteres Wirken angestrebt hatte.

WOLFGANG SCHULLER

Gerhard von Scharnhorst: "Private und dienstliche Schriften". Band 1: Schüler, Lehrer, Kriegsteilnehmer (Kurhannover bis 1795). Herausgegeben von Johannes Kunisch. Bearbeitet von Michael Sikora und Tilman Stieve. Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Band 52. Böhlau Verlag, Köln 2002. XXXIX, 864 S., geb., 99,- [Euro].

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