Für die politische Theorie und Praxis ist keine andere Unterscheidung so wichtig wie diejenige zwischen "öffentlich" und "privat". Gerade heute, wo wir im weltweiten Datenverkehr "Spuren" hinterlassen, die wir nicht kontrollieren können, wo unsere Bewegungen durch Kameras auf öffentlichen Plätzen überwacht werden, ist ein Schutz der Privatsphäre durch die Politik unerläßlich. Doch wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen "öffentlich" und "privat"? Lassen sich beide Sphären tatsächlich so problemlos differenzieren, wie wir in unserem Alltag unterstellen? Raymond Geuss bestreitet das. In seinem lebig geschriebenen Buch unterzieht er das alte Begriffspaar privat/öffentlich einer von Nietzsche und Foucault inspirierten Genealogie. Drei konkrete Fallstudien problematisieren die schwierige Grenzziehung: Diogenes, der auf dem Marktplatz masturbiert, Cäsar, der den Rubikon überschreitet, sowie Augustinus, der sich ganz seinem eigenen Seelenheil widmet. So wird deutlich, daß die Unterscheid ung zwischen "öffentlich" und "privat" aus einem komplexen historischen Prozeß heraus entstanden ist, in dem ganz unterschiedliche Elemente eine Rolle gespielt haben. Geuss' Fazit: Die Unterscheidung fällt in sich zusammen. Das jedoch hat gravierende Auswirkungen auf die Politik und das politische Denken.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Uwe Justus Wenzel empfiehlt diesen Band allen, "denen immer schon alles klar ist", lesen würden ihn aber wieder wohl nur die, "denen es nicht so geht". Er lobt diese Untersuchung des in Cambridge lehrenden Geuss' als einen "tastenden, klugen Essay", der ein Bewusstsein für die historische Kontingenz der uns so selbstverständlichen Unterscheidung von "öffentlich" und "privat" schaffe. Geuss gehe es dabei, meint Wenzel, außerdem um eine "Anatomie" des Liberalismus samt seiner "ihm eigenen Widersprüchlichkeiten". Die Belege für seine These, wonach die Unterscheidung von "öffentlich" und "privat" schon immer sehr Verschiedenes unterschieden und bezeichnet hat, habe Geuss' in der Begriffs- und Realgeschichte der Antike gesucht und gefunden. Geuss "genealogischer Blick" fällt zunächst auf Diogenes von Sinope, dann auf Rom und schließlich auf Augustinus. So gelinge es Geuss, vor allem drei sehr verschiedene Möglichkeiten nachzuweisen, "Öffentlichkeit" beziehungsweise "das Private" zu verstehen: Öffentlichkeit als Ort, an dem "nichts geschieht, was nicht von irgendjemand beobachtet wird"; Öffentlichkeit als Ort der Angelegenheiten, "die jeden angehen"; und anhand von Augustinus' Innerlichkeit schließlich zeige Geuss ein Verständnis von Privatheit, das diese auf das reduziert, zu dem "kein anderer Mensch (direkten) Zugang hat." Wenzel vermutet, dass für Geuss wohl nur dieser letzte Hort des Privaten der kulturellen Kontingenz gänzlich entzogen sei -- was ja keinen sehr beruhigenden Ausblick auf die Zukunft des Liberalismus eröffnet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"So selbstverständlich, wie die Unterscheidung des Privaten vom Öffentlichen erscheint, ist sie nicht. Bei näherem Hinsehen versteht sie sich nicht mehr von selbst. Raymond Geuss, im englischen Cambridge lehrender Philosoph, hat diesem Unselbstverständlichen einen tastenden, klugen Essay gewidmet, den die lesen sollten, denen immer schon alles klar ist, den aber wohl nur die lesen werden, denen es nicht so geht. [...] Es scheint Geuss eher um eine Diätetik des Denkens zu gehen, um eine Befreiung von scheinklaren Vorstellungen - sowie, im Weiteren, um eine Anatomie des real existierenden und ideal konzipierten Liberalismus samt seinen ihm eigenen Widersprüchlichkeiten, die Geuss indes nur erst andeutungsweise offenlegt." Uwe Justus Wenzel Neue Zürcher Zeitung
»Die populäre Berufung aufs Private und seine Rechte transportiert einen Begründungsanspruch, den jetzt der Philosoph Raymond Geuss ... ebenso knapp wie klar auseinander genommen hat.« Christoph Menke DIE ZEIT