Privatisierung - Optimierung oder Entmenschlichung?Zwei diametrale Positionen zu einer der wichtigsten Fragen der Gegenwart: Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, ist davon überzeugt, dass Privatisierung ökonomische Höchstleistung hervorbringt und der Markt am besten weiß, wie er sich - und damit unser aller Wohlstand - erhält und außerdem durch ein Zurückdrangen des Staates für mehr Bürgernähe sorgt. Der Sozialwissenschaftler Tim Engartner warnt hingegen vor den Gefahren der Privatisierung, das die ausschließliche Konzentration auf Profit unweigerlich dazu führt, dass soziale Fragen ausgeklammert und der staatlichen Kontrolle entzogen werden, weshalb sich der Neoliberalismus bis in die letzten Winkel unseres Lebens ausbreiten kann.Wer sich eine kritische und fundierte Meinung zu den drängenden Fragen unserer Zeit bilden will, kommt an der Reihe »Streitfragen« nicht vorbei!
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Cord Aschenbrenner erfährt aus den in diesem Band einander gegenübergestellten Essays von Wolfgang Kubicki und dem Sozialwissenschaftler Tim Engartner Wissenswertes über Vor- und Nachteile der Privatisierung von Unternehmen. Während Kubicki laut Aschenbrenner ungewohnt zahm Für und Wider der Privatisierung der DDR-Wirtschaft, aber auch der Bundespost und der Lufthansa entfaltet, streitet Engartner laut Rezensent vergleichsweise "fundierter und engagierter" gegen die Privatisierungspolitik.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2023Staat
oder Markt?
Wolfgang Kubicki
und Tim Engartner
streiten über Privatisierungen
Gute Idee, die der kleine Westend-Verlag da hatte: in der rauflustigen, leicht erregbaren deutschen Gegenwart eine Buchreihe namens „Streitfrage“ zu etablieren. Anders als bei Twitter geht es hier friedlich, mehr oder weniger durchdacht und zudem deutlich besser lesbar zu. Es stehen sich auch nur zwei Kontrahenten gegenüber. In diesem Fall streiten der FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki und der an der Universität Köln lehrende Sozialwissenschaftler Tim Engartner. Verfasst haben sie ihren Essay, ohne den des anderen zu kennen.
Kubicki schreibt, Privatisierungen von Unternehmen seien „weder prinzipiell gut, noch sind sie schlecht“, wohl aber bisweilen notwendig. Als Beispiel für eine solche Notwendigkeit dient ihm der „durchaus unerquickliche“ Rückblick auf die gigantische Privatisierung der DDR-Staatswirtschaft seit 1990, deren negative Folgen wie Massenarbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven der Menschen und daraus resultierende Phänomene wie Frustration und Fremdenhass Kubicki nicht verschweigt. Es sei „nicht alles schlecht“ gewesen, aber einfältig sei es, bei diesem Thema „keine Schattierungen zuzulassen“.
Es sind friedfertige Worte aus der Feder des notorischen Polemikers Kubicki, und mild ist auch seine Darstellung der aus seiner Sicht gelungenen Privatisierungen der Deutschen Bundespost und der Lufthansa. Er erwähnt aber auch das Beispiel der Berliner Wasserversorgung, die von der Stadt verkauft – und zurückgekauft wurde, mit teuren Folgen für die Wasserverbraucher. Am Ende seines Beitrags heißt es: „Gelingen Privatisierungen, dann erhöhen sich die Chancen und Möglichkeiten aller.“ Aller? Nun, solange sie jedenfalls „Konsumenten“ und „Marktteilnehmer“ sind.
Tim Engartner hat schon vor einigen Jahren ein furioses Plädoyer gegen Privatisierung gehalten. „Privatisierungen“, schreibt er nun, als sei er Kubickis kritisches Echo, „werden stets von dem Versprechen begleitet, alle Mitglieder der Gesellschaft würden dadurch gewinnen und keines etwas verlieren.“ Aber so ist es eben nicht: Durch die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur seien allein in den vergangenen 25 Jahren mehr als 1,2 Millionen Arbeitsverhältnisse vernichtet worden. Privatisierte Abfall-, Energie- und Wasserversorgung lassen die Preise manchmal bis aufs Dreifache ansteigen. Engartner, dessen Beitrag fundierter und auch engagierter wirkt – was die gesellschaftlichen Folgen von Privatisierungspolitik betrifft – als der von Kubicki, hofft nach der Corona-Krise mit ihren massiven Interventionen des Staates auf dessen Renaissance. Zum Wohl auch der Schwachen, nicht nur der Marktteilnehmer.
CORD ASCHENBRENNER
Wolfgang Kubicki,
Tim Engartner:
Privatisierung? (herausgegeben von Lea Mara Eßer). Westend-Verlag, Frankfurt 2023. 71 Seiten, 12 Euro. E-Book: 9,99 Euro.
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oder Markt?
Wolfgang Kubicki
und Tim Engartner
streiten über Privatisierungen
Gute Idee, die der kleine Westend-Verlag da hatte: in der rauflustigen, leicht erregbaren deutschen Gegenwart eine Buchreihe namens „Streitfrage“ zu etablieren. Anders als bei Twitter geht es hier friedlich, mehr oder weniger durchdacht und zudem deutlich besser lesbar zu. Es stehen sich auch nur zwei Kontrahenten gegenüber. In diesem Fall streiten der FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki und der an der Universität Köln lehrende Sozialwissenschaftler Tim Engartner. Verfasst haben sie ihren Essay, ohne den des anderen zu kennen.
Kubicki schreibt, Privatisierungen von Unternehmen seien „weder prinzipiell gut, noch sind sie schlecht“, wohl aber bisweilen notwendig. Als Beispiel für eine solche Notwendigkeit dient ihm der „durchaus unerquickliche“ Rückblick auf die gigantische Privatisierung der DDR-Staatswirtschaft seit 1990, deren negative Folgen wie Massenarbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven der Menschen und daraus resultierende Phänomene wie Frustration und Fremdenhass Kubicki nicht verschweigt. Es sei „nicht alles schlecht“ gewesen, aber einfältig sei es, bei diesem Thema „keine Schattierungen zuzulassen“.
Es sind friedfertige Worte aus der Feder des notorischen Polemikers Kubicki, und mild ist auch seine Darstellung der aus seiner Sicht gelungenen Privatisierungen der Deutschen Bundespost und der Lufthansa. Er erwähnt aber auch das Beispiel der Berliner Wasserversorgung, die von der Stadt verkauft – und zurückgekauft wurde, mit teuren Folgen für die Wasserverbraucher. Am Ende seines Beitrags heißt es: „Gelingen Privatisierungen, dann erhöhen sich die Chancen und Möglichkeiten aller.“ Aller? Nun, solange sie jedenfalls „Konsumenten“ und „Marktteilnehmer“ sind.
Tim Engartner hat schon vor einigen Jahren ein furioses Plädoyer gegen Privatisierung gehalten. „Privatisierungen“, schreibt er nun, als sei er Kubickis kritisches Echo, „werden stets von dem Versprechen begleitet, alle Mitglieder der Gesellschaft würden dadurch gewinnen und keines etwas verlieren.“ Aber so ist es eben nicht: Durch die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur seien allein in den vergangenen 25 Jahren mehr als 1,2 Millionen Arbeitsverhältnisse vernichtet worden. Privatisierte Abfall-, Energie- und Wasserversorgung lassen die Preise manchmal bis aufs Dreifache ansteigen. Engartner, dessen Beitrag fundierter und auch engagierter wirkt – was die gesellschaftlichen Folgen von Privatisierungspolitik betrifft – als der von Kubicki, hofft nach der Corona-Krise mit ihren massiven Interventionen des Staates auf dessen Renaissance. Zum Wohl auch der Schwachen, nicht nur der Marktteilnehmer.
CORD ASCHENBRENNER
Wolfgang Kubicki,
Tim Engartner:
Privatisierung? (herausgegeben von Lea Mara Eßer). Westend-Verlag, Frankfurt 2023. 71 Seiten, 12 Euro. E-Book: 9,99 Euro.
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