"Held" heißt die Hauptperson von Romanen weithin, und diese Benennung ist durchaus problematisch. So problematisch wie viele Romanfiguren selbst, die oft allenfalls demontierte Helden sind, gebrochen, mehrdeutig, zerrissen erscheinen, "Problematische Naturen" eben, wie sie der bekannte Romantitel von Friedrich Spielhagen explitzit benennt. Wie verhalten sich im Zeitalter des bürgerlichen Realismus, dieser Hoch-Zeit deutscher Romanliteratur, jene unterschiedlichen Konzepte zueinander: der heroische und der bewusst unheroische Held?
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2003Sind wir Helden?
Realismus und Heroismus: Eine Studie von Bettina Plett
Indiana Jones und James Bond, Spiderman und Zorro: Comic, Kintopp, Kolportage sind heute die Lebensräume der Helden. Wenn das Licht erlischt und der Film beginnt, lassen wir uns willig von ihnen in den Bann ziehen. Im hellen Tageslicht aber wollen wir von ihnen nur ungern belästigt werden - die Akte ,Heldentum' ist geschlossen. Im 19. Jahrhundert lagen die Dinge noch anders - sowohl in den Debatten um das Heroische als auch in ihrer literarischen Verarbeitung. Hier setzt die Studie von Bettina Plett an. Sie untersucht Romane des poetischen Realismus, die in der Darstellung der Hauptfiguren - der Helden, wie man ja sagt, auch wenn's nur ein Funktionsbegriff ist - direkt oder indirekt auf zeitgenössische Anschauungen vom Heldentum Bezug nehmen, und sie prüft, welche Lösungen die Verfasser dabei gewählt haben.
Alle diese Autoren - Spielhagen, C. F. Meyer, Stifter, Vischer und Raabe - standen zwischen einer lebhaft und keineswegs defensiv geführten Debatte über große Männer, Ausnahmegestalten und Übermenschen einerseits und der künstlerischen Forderung andererseits, Welt und Figuren realistisch, nach dem Modell tatsächlicher Verhältnisse und wirklicher Menschen zu gestalten.
Alle Autoren, findet Plett in ihren detaillierten Analysen heraus, opponieren gegen die vorherrschenden Anschauungen vom Heldischen, gegen die Idee von der "Beherrschbarkeit und Gestaltbarkeit durch das souveräne, selbstmächtige Individuum". Das gelte für die in der Gegenwart spielenden Romane Spielhagens, Vischers und Raabes ebenso wie für die untersuchten historischen Romane (Stifters "Witiko", C. F. Meyers "Jürg Jenatsch", Raabes "Das Odfeld" und "Hastenbeck"), während sonst gerade der Geschichtsroman die Domäne einer glorifizierenden Heldendarstellung war. Dem Konzept der heroischen Hauptfigur stellen die Autoren des poetischen Realismus die Gestalt des unheroischen Protagonisten entgegen.
In den politischen Zeitromanen Friedrich Spielhagens geschehe das allerdings auf recht zwiespältige Weise: In seinem Erstling "Problematische Naturen" (1861) verteidige Spielhagen trotz seiner Parteinahme für liberaldemokratische Positionen noch Pose und Position des Heroismus, und im sechs Jahre späteren Roman "In Reih' und Glied" würden die heroischen Ambitionen der negativen Hauptfigur zwar systematisch abgewertet und demontiert, doch liebäugele die positive Leitfigur nach wie vor "mit dem Reiz der heroischen Gebärde, auf die sie - demokratisch domestiziert - nicht verzichten will".
Entschieden werde das heroische Figurenkonzept dagegen bei Friedrich Theodor Vischer außer Kraft gesetzt, auf ironisch-humoristische Weise: Der ,Held' seines seinerzeit vielgelesenen Romans "Auch einer" bekommt nichts zustande, weil er an den dummen Zufällen des Alltags und an der - sprichwörtlich gewordenen - ,Tücke des Objekts' scheitert. In Stifters "Witiko" hingegen bewähre sich die Hauptfigur zwar vorbildlich in geschichtsträchtigen Situationen, doch sorgten Erzählweise und Figurenkonstellation dafür, daß Witiko nicht als autokratische Monumentalgestalt, sondern als "Anführer mit demokratisch gezügelten Führungsqualitäten" erscheine. Vollends entwertet werde ein positiver Heldenbegriff dann in den elegischen Romanen des späten Raabe, der sich ausdrücklich dem Gegenentwurf eines ,stillen Heldentums' verpflichte: Die Figuren entwickeln ihre Identität - und sei es im Scheitern - in ausdrücklichem Widerruf aller heroischen Züge.
Dies alles ist nach den Regeln der Interpretationskunst plausibel herausgearbeitet und gewissenhaft mit den nötigen Rahmenstücken versehen: Ausführungen zur Entwicklung des Heroismus-Diskurses im 19. Jahrhundert, zur begrifflichen und historischen Entfaltung der Idee des unheroischen Protagonisten, zur Typologie dieser Figur in der Abgrenzung gegen verwandte Typen wie dem Sonderling oder dem Zerrissenen.
Leider hinterläßt die Arbeit den Eindruck einer gewissen Blässe. Das liegt nicht nur an der akademisch-spröden Diktion (die sei einer Habilitationsschrift nachgesehen), es liegt auch am gedanklichen Ansatz. Die Ergebnisse wirken merkwürdig vertraut, als hätte man's so oder so ähnlich schon oft gelesen. Das ist kein Wunder, denn die grundlegende Denkfigur: daß Literatur von Rang herrschende Diskurse in Frage stelle, während Trivialliteratur an obsolet gewordenen und fragwürdigen Schemata festhalte, das ist die seit 30 Jahren überaus geläufige Grundidee ideologiekritisch orientierter Literaturwissenschaft. Nicht leicht läßt sich von dieser Basis aus noch wesentliches Neues entdecken - auch nicht in dieser fleißigen Arbeit, die Lücken schließt, aber kein Neuland erobert.
MATTHIAS RICHTER
Bettina Plett: "Problematische Naturen". Held und Heroismus im realistischen Erzählen. Schöningh Verlag, Paderborn 2002. 496 S., geb., 65,40 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Realismus und Heroismus: Eine Studie von Bettina Plett
Indiana Jones und James Bond, Spiderman und Zorro: Comic, Kintopp, Kolportage sind heute die Lebensräume der Helden. Wenn das Licht erlischt und der Film beginnt, lassen wir uns willig von ihnen in den Bann ziehen. Im hellen Tageslicht aber wollen wir von ihnen nur ungern belästigt werden - die Akte ,Heldentum' ist geschlossen. Im 19. Jahrhundert lagen die Dinge noch anders - sowohl in den Debatten um das Heroische als auch in ihrer literarischen Verarbeitung. Hier setzt die Studie von Bettina Plett an. Sie untersucht Romane des poetischen Realismus, die in der Darstellung der Hauptfiguren - der Helden, wie man ja sagt, auch wenn's nur ein Funktionsbegriff ist - direkt oder indirekt auf zeitgenössische Anschauungen vom Heldentum Bezug nehmen, und sie prüft, welche Lösungen die Verfasser dabei gewählt haben.
Alle diese Autoren - Spielhagen, C. F. Meyer, Stifter, Vischer und Raabe - standen zwischen einer lebhaft und keineswegs defensiv geführten Debatte über große Männer, Ausnahmegestalten und Übermenschen einerseits und der künstlerischen Forderung andererseits, Welt und Figuren realistisch, nach dem Modell tatsächlicher Verhältnisse und wirklicher Menschen zu gestalten.
Alle Autoren, findet Plett in ihren detaillierten Analysen heraus, opponieren gegen die vorherrschenden Anschauungen vom Heldischen, gegen die Idee von der "Beherrschbarkeit und Gestaltbarkeit durch das souveräne, selbstmächtige Individuum". Das gelte für die in der Gegenwart spielenden Romane Spielhagens, Vischers und Raabes ebenso wie für die untersuchten historischen Romane (Stifters "Witiko", C. F. Meyers "Jürg Jenatsch", Raabes "Das Odfeld" und "Hastenbeck"), während sonst gerade der Geschichtsroman die Domäne einer glorifizierenden Heldendarstellung war. Dem Konzept der heroischen Hauptfigur stellen die Autoren des poetischen Realismus die Gestalt des unheroischen Protagonisten entgegen.
In den politischen Zeitromanen Friedrich Spielhagens geschehe das allerdings auf recht zwiespältige Weise: In seinem Erstling "Problematische Naturen" (1861) verteidige Spielhagen trotz seiner Parteinahme für liberaldemokratische Positionen noch Pose und Position des Heroismus, und im sechs Jahre späteren Roman "In Reih' und Glied" würden die heroischen Ambitionen der negativen Hauptfigur zwar systematisch abgewertet und demontiert, doch liebäugele die positive Leitfigur nach wie vor "mit dem Reiz der heroischen Gebärde, auf die sie - demokratisch domestiziert - nicht verzichten will".
Entschieden werde das heroische Figurenkonzept dagegen bei Friedrich Theodor Vischer außer Kraft gesetzt, auf ironisch-humoristische Weise: Der ,Held' seines seinerzeit vielgelesenen Romans "Auch einer" bekommt nichts zustande, weil er an den dummen Zufällen des Alltags und an der - sprichwörtlich gewordenen - ,Tücke des Objekts' scheitert. In Stifters "Witiko" hingegen bewähre sich die Hauptfigur zwar vorbildlich in geschichtsträchtigen Situationen, doch sorgten Erzählweise und Figurenkonstellation dafür, daß Witiko nicht als autokratische Monumentalgestalt, sondern als "Anführer mit demokratisch gezügelten Führungsqualitäten" erscheine. Vollends entwertet werde ein positiver Heldenbegriff dann in den elegischen Romanen des späten Raabe, der sich ausdrücklich dem Gegenentwurf eines ,stillen Heldentums' verpflichte: Die Figuren entwickeln ihre Identität - und sei es im Scheitern - in ausdrücklichem Widerruf aller heroischen Züge.
Dies alles ist nach den Regeln der Interpretationskunst plausibel herausgearbeitet und gewissenhaft mit den nötigen Rahmenstücken versehen: Ausführungen zur Entwicklung des Heroismus-Diskurses im 19. Jahrhundert, zur begrifflichen und historischen Entfaltung der Idee des unheroischen Protagonisten, zur Typologie dieser Figur in der Abgrenzung gegen verwandte Typen wie dem Sonderling oder dem Zerrissenen.
Leider hinterläßt die Arbeit den Eindruck einer gewissen Blässe. Das liegt nicht nur an der akademisch-spröden Diktion (die sei einer Habilitationsschrift nachgesehen), es liegt auch am gedanklichen Ansatz. Die Ergebnisse wirken merkwürdig vertraut, als hätte man's so oder so ähnlich schon oft gelesen. Das ist kein Wunder, denn die grundlegende Denkfigur: daß Literatur von Rang herrschende Diskurse in Frage stelle, während Trivialliteratur an obsolet gewordenen und fragwürdigen Schemata festhalte, das ist die seit 30 Jahren überaus geläufige Grundidee ideologiekritisch orientierter Literaturwissenschaft. Nicht leicht läßt sich von dieser Basis aus noch wesentliches Neues entdecken - auch nicht in dieser fleißigen Arbeit, die Lücken schließt, aber kein Neuland erobert.
MATTHIAS RICHTER
Bettina Plett: "Problematische Naturen". Held und Heroismus im realistischen Erzählen. Schöningh Verlag, Paderborn 2002. 496 S., geb., 65,40 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In ihrer Habilitationsschrift untersucht Bettina Plett Romane aus dem 19. Jahrhundert auf ihre Darstellung des Heldischen, erklärt Matthias Richter. Plett zeichne nach, wie sich die Autoren des Poetischen Realismus - Stifter, C.F. Meyer, Raabe, Vischer - von einer "glorifizierenden Darstellung" des Helden distanzierten und so den positiven Heldenbegriff entwerteten, der den Geschichtsroman prägte. Neu sind Pletts Ergebnisse jedoch nicht, meint Richter. Die Grundidee, dass große Literatur "herrschende Diskurse in Frage stellt", sei in der Literaturwissenschaft seit dreißig Jahren geläufig. Verfasst ist das in der "akademisch-spröden Diktion", die eine Habilitationsschrift für unseren Rezensenten nun mal mit sich bringt. Die Thesen selbst sind allerdings "plausibel herausgearbeitet" und gewissenhaft belegt, schiebt Richter noch ein kleines Lob nach.
© Perlentaucher Medien GmbH
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