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Zu den Kernproblemen parlamentarischer Demokratien zählt das Spannungsverhältnis von Interessenrepräsentation und -integration. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Parlament mit der Herstellung der deutschen Einheit vor zusätzliche Integrationsaufgaben gestellt worden. Am Beispiel des Berliner Abgeordnetenhauses untersucht Helmar Schöne die Auswirkungen der politischen und kulturellen Differenzen zwischen alten und neuen Bundesländern auf die parlamentarische Willensbildung. Auf der Grundlage zahlreicher Experteninterviews analysiert er den Prozess der kulturellen und der institutionellen Integration.…mehr

Produktbeschreibung
Zu den Kernproblemen parlamentarischer Demokratien zählt das Spannungsverhältnis von Interessenrepräsentation und -integration. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Parlament mit der Herstellung der deutschen Einheit vor zusätzliche Integrationsaufgaben gestellt worden. Am Beispiel des Berliner Abgeordnetenhauses untersucht Helmar Schöne die Auswirkungen der politischen und kulturellen Differenzen zwischen alten und neuen Bundesländern auf die parlamentarische Willensbildung. Auf der Grundlage zahlreicher Experteninterviews analysiert er den Prozess der kulturellen und der institutionellen Integration.
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Autorenporträt
Dr. Helmar Schöne promovierte am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dietrich Herzog 1999 an der Freien Universität Berlin. Er ist heute als Politikwissenschaftler tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.1999

Naiv gegen arrogant
Wie sich Ost und West im Berliner Abgeordnetenhaus sehen

Der Politikwissenschaftler Helmar Schöne wollte zu Beginn der nun zu Ende gehenden 13. Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin wissen, ob auch zusammenwächst, was zusammensitzt im Landesparlament. Er befragte zu diesem Zweck fünfzig Abgeordnete aus Ost und West und ergänzte die Arbeit mit einer Analyse der Sozialstruktur des Parlaments. Sie wurde vom Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität als Dissertation angenommen und liegt jetzt als Buch vor. "Das Überraschendste an der Studie ist, wie überaus deutlich die Parlamentarier aus Ost und West ihre jeweiligen Fremdbilder zum Ausdruck bringen", sagt Schöne. Von den 206 Abgeordneten der 13. Wahlperiode kommen 74 aus Ost-Berlin, knapp 36 Prozent; 20 dieser Abgeordneten gehören der CDU an, 16 der SPD, 29 der PDS, und neun gehören zu Bündnis 90/Die Grünen.

Eine Auswahl der negativen Eigenschaften, die West-Berliner Abgeordnete ihren Ost-Berliner Pendants zusprechen: sie setzen sich zu wenig durch, sind naiv, machen Politik aus dem Bauch heraus, müssen Demokratie erst lernen, vertreten nur die Interessen am Ort und nehmen die Fraktionsarbeit nicht so wichtig, separieren sich, kennen den Westen nicht, betonen Unterschiede statt Gemeinsamkeiten, halten die Spaltung am Leben. Die Ost-Berliner Abgeordneten schreiben ihren West-Berliner Pendants diese negativen Eigenschaften zu: sie sind nicht kommunikativ, arrogant, stellen sich selbst dar, reden viel und entscheiden wenig, sind unbeweglich und haben den Kopf voller Paragraphen, kennen den Osten nicht, kümmern sich nur um ihre Wiederwahl, grenzen Ost-Berliner aus, verschärfen den Ost-West-Konflikt.

Die Ost-Abgeordneten fühlen sich, wie Schöne im Gespräch sagt, aus der Tradition der "Runden Tische" oft noch idealtypisch als Vertreter des Volkes, die im freien Diskurs die besten Lösungen erarbeiten, weniger ideologisch fixiert als die Westler, kommunikativ auch über Parteigrenzen hinweg. Die West-Abgeordneten seien "realistischer", kennten die Hierarchiebedingungen etwa in ihrer Fraktion viel besser, hätten sich in ihren Laufbahnen diesen Funktionsbedingungen angepasst: Wer institutionell etwas verändern will, fällt raus aus dem politischen Betrieb. Schöne schreibt: "Auch in der zweiten Legislaturperiode nach der Wiedervereinigung kann von einer nachlassenden Bedeutung der Ost-West-Differenzen für die parlamentarische Willensbildung nicht die Rede sein. Im Gegenteil lassen sich sogar Hinweise finden, die für eine Wiederbelebung der kulturellen Spannungen und der Verteilungskämpfe zwischen Ost und West sprechen."

Wenn es um die Beurteilung des Vereinigungsprozesses geht, stehen sich die Auffassungen in Ost und West gar diametral entgegen. Nach Schönes Studie sehen die West-Berliner Abgeordneten die Vollendung der Einheit in der Stadt vor allem als soziokulturelles Problem. Gegen die "Mauer in den Köpfen" setzten sie auf die Herstellung der mentalen Einheit. Schöne: "Mit der Betonung der kulturellen Anpassungsschwierigkeiten blenden sie die Auseinandersetzung um die materiellen, finanziellen und infrastrukturellen Ausstattungsunterschiede zwischen den Bezirken im Ost- und im Westteil der Stadt weitgehend aus. Ganz anders dagegen die Ost-Berliner Mandatsträger. Sie betonen viel stärker die aus ihrer Sicht noch zu lösenden politisch-strukturellen und sozioökonomischen Aufgaben. Nicht die innere Einheit oder eine innere Mauer ist in ihrer Wahrnehmung das eigentliche Problem, sondern die Vollendung der materiellen Einheit." Weil der seit der Wende über die Parteigrenzen hinweg vorhandene Konsens über den Vorrang des "Aufbaus Ost" bröckele, nähmen die Verteilungskonflikte zwischen Ost- und Westbezirken künftig sogar noch zu, folgert Schöne. Viele Abgeordnete betrachteten die Lage im jeweils anderen Teil der Stadt nur aus der Perspektive ihres Heimatbezirks, ihr Rollenverständnis lasse sich als "lokalistisch" und "klientelistisch" beschreiben.

Schöne nimmt aber nicht an, dass die Schwierigkeiten bei kulturellen Ost-West-Differenzen die politische Willensbildung im Abgeordnetenhaus blockieren. Dazu seien die Gemeinsamkeiten in den politischen Zielen und in der Einstellung zu aktuellen politischen Problemen zu groß. Außerdem sehe es auf der Seite der institutionellen Integration des Berliner Landesparlaments mittlerweile wesentlich besser aus. Das politische Personal im Osten werde auf gleiche Art rekrutiert, die Abgeordneten Ost folgten auf ihrem Karriereweg den gleichen Funktionsbedingungen und Professionalisierungsmustern wie die Abgeordneten West. Dies führe auch zu ähnlichem Rollenverständnis und zu ähnlichen Handlungsmustern in der politischen Arbeit.

AXEL WERMELSKIRCHEN.

Helmar Schöne: Probleme und Chancen parlamentarischer Integration. Eine empirische Studie zum Ost-West-Integrationsprozess unter Abgeordneten. Deutscher Universitätsverlag, Sozialwissenschaft, 1999, 289 Seiten, 64 Mark.

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