Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 54,00 €
Produktdetails
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2004

Was will der Kater mit der Tora?
Joann Sfars große Comicserien "Die Katze des Rabbiners" und "Professor Bell" endlich auf deutsch

Frankreich hat eine besonders große Tradition der Comicszenaristen: Autoren wie René Goscinny, Jean-Michel Charlier oder Michel Regnier alias Greg sind im englischen Sprachraum bestenfalls Stan Lee und Alan Moore an die Seite zu stellen - und in anderen Sprachen niemand. Denn diese fünf beschränkten sich (mit Ausnahme Gregs) auf das Verfassen von Vorlagen, die dann andere Zeichner, und zwar jeweils die besten ihrer Zeit, als Comics gestaltet haben. Allerdings wäre es ein Fehlschluß zu glauben, daß guten Szenaristen das Zeichentalent fehlt. Greg hat mit "Albert Enzian" eine ewig junge Serie selbst auch gezeichnet, und Künstler wie Albert Uderzo, Jean Giraud, Morris, André Franquin - um nur einige der berühmtesten Namen der französischsprachigen Comicwelt zu nennen - haben immer wieder betont, wie groß der Einfluß ihrer Szenaristen auf die Zeichnungen gewesen ist. Alan Moores Anweisungen an seine Illustratoren erreichen denn auch den mehrfachen Umfang des Endprodukts und geben noch das kleinste Detail vor.

Nach dem Tod der französischen Veteranen und dem Rückzug Lees auf die Vermarktung seines Nimbus ist Moore die letzte noch aktive Legende der Szenaristenzunft. Doch nun hat Frankreich ein neues Talent, nein, bereits einen Meister hervorgebracht: den gerade dreiunddreißigjährigen Joann Sfar. Er hat bislang schon mehr als sechzig Geschichten geschrieben, darunter einige der besten, die der frankobelgische Comic überhaupt hervorgebracht hat. Doch im Unterschied zu seinen Vorläufern ist Sfar auch als Zeichner sehr aktiv, und es fällt schwer zu sagen, in welchem Fach er virtuoser tätig ist. Deshalb sind es Serien, die er sowohl schreibt wie auch zeichnet, die aus seinem Werk besonders hervorstechen: "Pascin", "Petit Vampire", "Professeur Bell" und "Le Chat du Rabbin".

Bislang mußte man sich in Deutschland auf Übersetzungen anderer Arbeiten Sfars beschränken: auf die eindrucksvolle "Donjon"-Serie etwa oder die Kinderserie "Merlin". Jetzt jedoch sind im Berliner Avant Verlag gleich drei Bände übersetzt worden, die endlich zwei der vier Chef d'oeuvres von Sfar zugänglich machen: die zwei ersten Alben der "Katze des Rabbiners" und der Auftaktband zu "Professor Bell". Wohl selten hat es hierzulande binnen zweier Monate einen solchen Qualitätsschub im Comicangebot gegeben.

Denn Sfar ist zweifelsohne der beste Autor, den der Comic derzeit aufzuweisen hat, und er hat zudem einen ganz eigenständigen Zeichenstil entwickelt, der in Frankreich bereits munter kopiert wird. Dennoch bleiben seine expressionistischen Bildfindungen unverkennbar, und die Farbpalette, die seine regelmäßige Koloristin Brigitte Findakly für ihn geschaffen hat, unterstützt die meist wie anskizziert wirkenden Zeichnungen auf das schönste. Dazu fällt Sfar immer wieder von einem Stil in den anderen, läßt auf tiefschwarze Tuscheflächen filigrane, wie mit Bleistift gezogene Liniengewirre folgen, verändert die Physiognomie des titelgebenden Tiers aus "Die Katze des Rabbiners" nach Belieben - und schafft einen besonderen Reiz mit dieser scheinbaren Spontaneität des Zeichnens.

Ja, scheinbare Spontaneität, denn spätestens, seit Sfar seine mehr als tausend Seiten umfassenden Notizbücher publiziert hat, weiß man, wie es aussieht, wenn er einfach draufloszeichnet. Auch das ist noch im höchsten Maße bemerkenswert, weil er eine Einheit von Typographie und Bild schafft, die einzigartig ist. Aber wieviel Überlegung in die Ausgestaltung seiner beiden jetzt auf deutsch begonnenen Serien eingeflossen ist, wird erst klar, wenn man Sfars Kunst in statu nascendi besichtigt.

"Professor Bell" ist die ältere der beiden Reihen, begonnen 1998 mit dem Band "Der Mexikaner mit den zwei Köpfen". Titelheld ist der schottische Mediziner Joseph Bell, bei dem Arthur Conan Doyle studiert hat. Schon die Wahl dieser für die Literatur immens wichtigen Figur der Wissenschaftsgeschichte ist geschickt, denn Sfar gestaltet Bell, dessen Eigenschaften in die Figur des Sherlock Holmes eingeflossen sind, als einen Meisterdetektiv des Übersinnlichen. Geister, Mißgeburten, ja sogar Teufel bevölkern die Seiten der Abenteuer Professor Bells, und wie es sich für eine ordentliche Krimiserie gehört, gibt es einen Stab von wiederkehrenden Charakteren, die dem Leser jene Vertrautheit schenken, die man braucht, um den Einbruch des Unerwarteten zu genießen. Dazu verknüpft Sfar in einer erzählerischen Tour de force zeitgenössische Ereignisse (die Serie spielt im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert), Anspielungen aus der damaligen Literatur- und Kulturgeschichte und nicht zuletzt kabbalistische Motive miteinander.

Sfar ist Jude, geboren in Nizza als Sohn einer Familie nordafrikanischer Abstammung, aufgewachsen bei seinen Großeltern, die ihn zwar nicht religiös erzogen, aber sein Interesse an der eigenen Herkunft geweckt haben. Sie prägt jene Serie, die ihm in Frankreich den Durchbruch auch jenseits der Comicleserschaft beschert hat: "Die Katze des Rabbiners". Deren erster Band, 2002 publiziert, erzählt vom Ärger eines Katers über den im selben Haus lebenden Papagei, der zwar reden kann, aber nichts von Belang von sich gibt. Als er den Vogel verspeist, erlangt der Kater dessen Sprachbegabung, die ihm fortan ermöglicht, mit seinem Besitzer, dem Rabbiner einer ungenannten algerischen Küstenstadt, zu debattieren. Schnell entwickeln sich theologische Dispute über die Möglichkeit für Katzen, eine Bar-Mizwa ausgerichtet zu bekommen, andere Gelehrte werden zugezogen, und das Leben im jüdischen Viertel unter arabischer Mehrheit wird gleichfalls zum Thema des Comics.

Sfar gelingt es, tiefernste Themen mit derart leichter Hand einzubeziehen, daß man über das skurrile Dreiecksverhältnis zwischen dem Rabbiner, dessen Tochter und dem Kater ein kleines Curriculum ins jüdische Denken erhält. Die Faszination fürs Philosophieren ist bei Sfar im Laufe der letzten Jahre immer größer geworden, unter anderem hat er auch Texte von Voltaire und Platon illustriert. Von diesem Interesse profitiert "Die Katze des Rabbiners", deren Seiten nach Art eines strengen Exerzitiums immer identisch aufgebaut sind (drei Reihen à zwei Bilder) und deren Texte sich überwiegend nicht in Sprechblasen, sondern in den kommentierenden Kästen befinden, die den inneren Monolog des Katers wiedergeben. Dazu liefert Sfar ein graphisches Feuerwerk, das der orientalischen Thematik mehr als gerecht wird.

Es ist nicht leicht, derart gelungene Literatur zu übersetzen - auch wenn es sich um Comics handelt. David Permantier ist es im Falle der "Katze des Rabbiners" gut, bei "Professsor Bell" zufriedenstellend gelungen. Dem letzteren fehlt etwas der Pulp-Ton des Originals, während die kühle Sprache des Katers genau getroffen ist. Zwei Punkte allerdings sind kritisch: Das deutsche Lettering der Textpassagen in "Die Katze des Rabbiners" ist gewöhnungsbedürftig und weicht stark vom Sfarschen Original-Schriftbild ab. Und "Professor Bell" ist auf einem cremefarbenen Papier gedruckt, das die in der französischen Ausgabe leuchtenden Farben unschön abdämpft. Das mag dem Duktus der Geschichte durchaus zupaß kommen, es vermindert aber die graphische Wirkung. Die noch ausstehenden drei Bände dieser Reihe (von denen Sfar nur noch den zweiten selbst gezeichnet, aber alle geschrieben hat) sind opulenter angelegt; da dürfte die deutsche Ausgabe Schwierigkeiten bekommen, will sie ihr Erscheinungsbild bewahren.

Joann Sfar: "Professor Bell". Der Mexikaner mit den zwei Köpfen. Aus dem Französischen übersetzt von David Permantier. Avant Verlag, Berlin 2004. 48 S., br., 14,95 [Euro].

Joann Sfar: "Die Katze des Rabbiners". 1. Die Bar-Mizwa. 2. Malka, der Herr der Löwen. Aus dem Französischen übersetzt von David Permantier. Avant Verlag, Berlin 2004. Je 52 S., geb., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Selten hat es für Rezensent Andreas Platthaus einen solchen Qualitätsschub im Comicangebot gegeben, wie mit der Publikation der Comics des Franzosen Joann Sfar. Der vorliegende Band sei 1998 im Original erschienen und als Protagonisten habe Sfar geschickt den schottischen Mediziner Joseph Bell gewählt, der nicht nur eine wichtige Figur der Wissenschaftsgeschichte, sondern auch Lehrer des Sherlock-Holmes-Erfinders Arthur Conan Doyle gewesen sei. Geister, Missgeburten, "ja, sogar Teufel" würden die hinreißend gezeichneten Bilder von den kriminalistischen Abenteuern Bells bevölkern. Dazu verknüpfe Sfar in einer "erzählerischen Tour des Force" zeitgenössische Ereignisse aus dem 19. Jahrhundert, Anspielungen aus der damaligen Literatur- und Kulturgeschichte und kabbalistische Motive miteinander. Der Rezensent bedauert allerdings, dass der Übersetzung der Pulp-Ton des Originals fehlt. Noch heftiger kritisiert er, dass, im Gegensatz zum französischen Original, "Professor Bell" auf cremefarbenes Papier gedruckt wurde, das die in der französischen Ausgabe leuchtenden Farben "unschön" abdämpfen würde.

© Perlentaucher Medien GmbH