Professor Hieronimus av Amalie Skram er den første av to romaner som skildrer psykiatriske lidelser og psykiatriske institusjoner og som gjerne omtales som Amalie Skrams sinnssykehusromaner. I Professor Hieronimus møter vi maleren Else Kant som bryter sammen under presset ved å være både hustru, mor og kunstner. Hun søker hjelp hos den berømte professor Hieronimus, men blir skuffet. Hun plasseres blant gale mennesker på en lukket avdeling, og fra dem som skulle hjelpe henne møter hun maktmisbruk og løgnaktighet.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2016Außerhalb der Anstalt gälte sie als genial
Im Doppelroman "Professor Hieronimus" der in Norwegen geborenen Dänin Amalie Skram analysiert die Patientin den Arzt
Mit den Romanen "Professor Hieronimus" und "In St. Jørgen" (die einen Doppelroman bilden - auch in der deutschen Ausgabe, obwohl sie nur den einen Titel trägt, sind beide drin!) habe, sagt ein dänisches Lexikon, Amalie Skram 1895 "zum ersten Mal in der Literatur" über die Willkür der Psychiatrie geschrieben. Fassen wir den Begriff der Literatur etwas weiter und ergänzen: Schon acht Jahre früher erschien in den Vereinigten Staaten die Reportage einer Journalistin namens Nellie Bly; sie hatte sich für ein paar Tage, das reichte schon, verdeckt in eine Heilanstalt in New York einweisen lassen. Ergebnis war das Buch "Ten Days in a Madhouse", das hohe Wellen schlug - die deutsche Übersetzung "Zehn Tage im Irrenhaus" kam erst 2011 beim Berliner Aviva-Verlag heraus, mittlerweile hat sich freilich einiges verbessert, unter anderem durch solche Bücher wie das von Bly.
Ob Amalie Skram Blys Enthüllungen über die recht- und schutzlose Lage der Psychiatrieinsassen kannte, wissen wir nicht. Dass jedoch auch Skrams Buch einiges Aufsehen erregte, wissen wir schon. Es passte genau in die Zeit: Heftig wurde damals in der Kopenhagener Presse über die Zustände in der sogenannten Sechsten Station des Städtischen Krankenhauses debattiert; die "sjette afdeling" ist sogar in die dänische Umgangssprache eingegangen, als Synonym für Irrenhaus. Außerdem ist "Professor Hieronimus" teilweise ein Schlüsselroman.
Den Professor gab es wirklich, in Wahrheit hieß er Knud Pontoppidan, Leiter ebenjener Sechsten Station (den Amalie Skram selbst als Patientin kannte). Manchmal ist es etwas spröde, wenn die geschilderten Missstände in der Anstalt nur schematisch aufgezählt werden, womöglich mit einem linkischen "Doch es kam vor, dass" oder "So beispielsweise, als". Aber Skrams "Hieronimus" ist nicht nur ein "wichtiges", sondern auch ein im doppelten Sinne aufregendes, ergreifendes Buch.
Das man auch als autobiographischen Roman lesen kann. Amalie Skram, 1846 in Bergen geboren, 1905 in Kopenhagen gestorben, war zweimal verheiratet, mit ihrem ersten Mann unternahm sie mehrere Weltreisen. Das war sicher schön, aber die Reisen ins eigene Innere waren schöner, und die fand sie nicht bei ihm; die Ehe ging in die Brüche, ihre Psyche litt. Sie zog dann nach Kristiania (heute Oslo) und lernte in der dortigen Boheme den dänischen Dichter Erik Skram kennen. Mit ihm ging sie nach Kopenhagen. Die Ehe mit Skram verlief besser als ihre erste, manche sagen sogar glücklich.
Die Autorin Skram (ihre erste Veröffentlichung war, noch in Bergen, eine Rezension zu J. P. Jacobsens "Marie Grubbe") wurde in Dänemark zur Schriftstellerin, sie zählte zum festen Kreis der Autoren des sogenannten "Modernen Durchbruchs", zu denen unter anderen Georg Brandes, Henrik Pontoppidan, Herman Bang und eben Jacobsen gehörten; bei den Skrams las übrigens Hamsun erstmals aus dem Manuskript seines später so berühmten Debüts "Hunger". Und sie lebte und arbeitete immer nur unter einer Bedingung: geistiger und körperlicher Bedingungslosigkeit - was ihr das dreifache Leben als Schriftstellerin, Ehefrau und Mutter nicht leicht machte.
Ihr Denken und Fühlen ging von Anfang an in ihre Romane ein, auch in diesen Doppelroman hier. In ihm wird die Annäherung ans eigene Leben noch deutlicher, gerade weil Skram nicht eine unglückliche Ehe schildert wie in ihren ersten Büchern, also die Auseinandersetzung mit einem anderen als sich selbst, sondern weil sie jetzt in höherem Maße ihr Innenleben offenlegt, das ausschließlich ihr gehört.
Ihr Alter Ego im Roman ist die Malerin Else Kant, die zwischen familiären Pflichten und künstlerischem Anspruch zerrieben wird. Sie ist überreizt, hat Halluzinationen, sie zweifelt an ihrem Können. Weil sie nun selbst einsieht, dass sie auf eine Depression zusteuert, lässt sie sich - nach langen Gesprächen mit ihrem Mann, den sie liebt und der sie liebt - in die Krankenhausstation des berühmten und angesehenen Professors Hieronimus einweisen. Hier hofft sie auf die dringend benötigte Ruhe, um endlich wieder zu sich selbst zu finden.
Damit sitzt sie in der Falle. Denn hier geht es nicht um Heilung, sondern um Unterordnung, in dieser Welt wird jede Selbstbestimmung verhindert, weniger durch rohe Gewalt als durch Medikamente und Psychoterror. Wer über "die Qualen der Hölle geschrieben hat", heißt es schon bald, "ist zweifellos auf einer psychiatrischen Station gelandet".
Der Herrscher dieser Hölle ist Hieronimus. Mit perfiden Methoden versucht er den Widerstandsgeist seiner Patientin zu brechen. Er weist ihr eine Zelle an, wie man sie eher in Gefängnissen vermuten würde, er lügt ihr vor, ihr Mann wollte sie nicht sehen, er öffnet die an sie gerichteten Briefe (die zu lesen sie sich hartnäckig weigert, eben weil sie von den Fingern dieses "Folterknechts", wie sie ihn nennt, berührt wurden). Und sie muss Tag und Nacht auf ihrem Bett liegen - sie wolle ja Ruhe. Das alles ist natürlich eine Kritik an den Zuständen, aber auch am Krankheitsbegriff selbst. Wie ein roter Faden zieht sich die Erkenntnis durch beide Romanteile, dass in der hier geschilderten Psychiatrie einfach "alles als Ausdruck von Geisteskrankheit gedeutet wird", ob man bittet oder trotzt, ob man nein oder ja sagt, alles. Auch dass Else auf ihren Mann wütend ist, weil sie glaubt, er wolle sie nicht sehen, ist für Hieronimus ein Zeichen von Wahnsinn. Da merkt man, dass nicht die Aussage oder Handlung an sich das Entscheidende ist, sondern der Ort. Außerhalb der Anstalt nämlich, im normalen Leben, womöglich in Künstlerkreisen, wird das Anomale, Unangepasste, Tabubrechende nicht als geisteskrank, sondern als genial gewertet.
Paradoxerweise schafft Else es, Hieronimus zu entkommen, indem sie sich in das richtige Irrenhaus St. Jørgen verlegen lässt. Intelligent, wie sie ist, hat sie mit der Zeit die Rollen getauscht, als Patientin den Arzt analysiert und erkannt, dass der nicht aus seiner Haut kann. Er ist Diktator, Intrigant, Sadist - lieber will sie nach St. Jørgen, wo es verständige Ärzte gibt. Hier sehen wir dann auch, dass die Skram nur im technischen Sinne "naturalistisch" ist (sie schildert detailliert das soziale Elend), aber nicht im deterministischen: Ihre Else lehnt sich auf und kann ihre Lage verbessern; überdies hat Amalie Skram den Blick für das, wie jemand gesagt hat, "verdeckte Tabuisierte, das Rätselhafte des Körpers". Mit Ibsens naturalistischen Dramen kam die "Frauenfrage" in die Literatur, Amalie Skram hat sie weitergeführt.
Der Doppelroman von 1895 wurde von der erstaunlichen Mathilde Mann schon 1897 ins Deutsche übersetzt (unter den Titeln "Professor Hieronymus" und "Im Irrenhaus"). Nun liegt der Text in einer neuen Übertragung wieder vor, die den einerseits nüchtern-berichtenden, andererseits aufgebracht-verzweifelten Passagen der Hauptfigur gewissenhaft nachspürt.
PETER URBAN-HALLE
Amalie Skram: "Professor Hieronimus". Roman.
Aus dem Norwegischen
von Christel Hildebrandt.
Guggolz Verlag, Berlin 2016. 464 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Doppelroman "Professor Hieronimus" der in Norwegen geborenen Dänin Amalie Skram analysiert die Patientin den Arzt
Mit den Romanen "Professor Hieronimus" und "In St. Jørgen" (die einen Doppelroman bilden - auch in der deutschen Ausgabe, obwohl sie nur den einen Titel trägt, sind beide drin!) habe, sagt ein dänisches Lexikon, Amalie Skram 1895 "zum ersten Mal in der Literatur" über die Willkür der Psychiatrie geschrieben. Fassen wir den Begriff der Literatur etwas weiter und ergänzen: Schon acht Jahre früher erschien in den Vereinigten Staaten die Reportage einer Journalistin namens Nellie Bly; sie hatte sich für ein paar Tage, das reichte schon, verdeckt in eine Heilanstalt in New York einweisen lassen. Ergebnis war das Buch "Ten Days in a Madhouse", das hohe Wellen schlug - die deutsche Übersetzung "Zehn Tage im Irrenhaus" kam erst 2011 beim Berliner Aviva-Verlag heraus, mittlerweile hat sich freilich einiges verbessert, unter anderem durch solche Bücher wie das von Bly.
Ob Amalie Skram Blys Enthüllungen über die recht- und schutzlose Lage der Psychiatrieinsassen kannte, wissen wir nicht. Dass jedoch auch Skrams Buch einiges Aufsehen erregte, wissen wir schon. Es passte genau in die Zeit: Heftig wurde damals in der Kopenhagener Presse über die Zustände in der sogenannten Sechsten Station des Städtischen Krankenhauses debattiert; die "sjette afdeling" ist sogar in die dänische Umgangssprache eingegangen, als Synonym für Irrenhaus. Außerdem ist "Professor Hieronimus" teilweise ein Schlüsselroman.
Den Professor gab es wirklich, in Wahrheit hieß er Knud Pontoppidan, Leiter ebenjener Sechsten Station (den Amalie Skram selbst als Patientin kannte). Manchmal ist es etwas spröde, wenn die geschilderten Missstände in der Anstalt nur schematisch aufgezählt werden, womöglich mit einem linkischen "Doch es kam vor, dass" oder "So beispielsweise, als". Aber Skrams "Hieronimus" ist nicht nur ein "wichtiges", sondern auch ein im doppelten Sinne aufregendes, ergreifendes Buch.
Das man auch als autobiographischen Roman lesen kann. Amalie Skram, 1846 in Bergen geboren, 1905 in Kopenhagen gestorben, war zweimal verheiratet, mit ihrem ersten Mann unternahm sie mehrere Weltreisen. Das war sicher schön, aber die Reisen ins eigene Innere waren schöner, und die fand sie nicht bei ihm; die Ehe ging in die Brüche, ihre Psyche litt. Sie zog dann nach Kristiania (heute Oslo) und lernte in der dortigen Boheme den dänischen Dichter Erik Skram kennen. Mit ihm ging sie nach Kopenhagen. Die Ehe mit Skram verlief besser als ihre erste, manche sagen sogar glücklich.
Die Autorin Skram (ihre erste Veröffentlichung war, noch in Bergen, eine Rezension zu J. P. Jacobsens "Marie Grubbe") wurde in Dänemark zur Schriftstellerin, sie zählte zum festen Kreis der Autoren des sogenannten "Modernen Durchbruchs", zu denen unter anderen Georg Brandes, Henrik Pontoppidan, Herman Bang und eben Jacobsen gehörten; bei den Skrams las übrigens Hamsun erstmals aus dem Manuskript seines später so berühmten Debüts "Hunger". Und sie lebte und arbeitete immer nur unter einer Bedingung: geistiger und körperlicher Bedingungslosigkeit - was ihr das dreifache Leben als Schriftstellerin, Ehefrau und Mutter nicht leicht machte.
Ihr Denken und Fühlen ging von Anfang an in ihre Romane ein, auch in diesen Doppelroman hier. In ihm wird die Annäherung ans eigene Leben noch deutlicher, gerade weil Skram nicht eine unglückliche Ehe schildert wie in ihren ersten Büchern, also die Auseinandersetzung mit einem anderen als sich selbst, sondern weil sie jetzt in höherem Maße ihr Innenleben offenlegt, das ausschließlich ihr gehört.
Ihr Alter Ego im Roman ist die Malerin Else Kant, die zwischen familiären Pflichten und künstlerischem Anspruch zerrieben wird. Sie ist überreizt, hat Halluzinationen, sie zweifelt an ihrem Können. Weil sie nun selbst einsieht, dass sie auf eine Depression zusteuert, lässt sie sich - nach langen Gesprächen mit ihrem Mann, den sie liebt und der sie liebt - in die Krankenhausstation des berühmten und angesehenen Professors Hieronimus einweisen. Hier hofft sie auf die dringend benötigte Ruhe, um endlich wieder zu sich selbst zu finden.
Damit sitzt sie in der Falle. Denn hier geht es nicht um Heilung, sondern um Unterordnung, in dieser Welt wird jede Selbstbestimmung verhindert, weniger durch rohe Gewalt als durch Medikamente und Psychoterror. Wer über "die Qualen der Hölle geschrieben hat", heißt es schon bald, "ist zweifellos auf einer psychiatrischen Station gelandet".
Der Herrscher dieser Hölle ist Hieronimus. Mit perfiden Methoden versucht er den Widerstandsgeist seiner Patientin zu brechen. Er weist ihr eine Zelle an, wie man sie eher in Gefängnissen vermuten würde, er lügt ihr vor, ihr Mann wollte sie nicht sehen, er öffnet die an sie gerichteten Briefe (die zu lesen sie sich hartnäckig weigert, eben weil sie von den Fingern dieses "Folterknechts", wie sie ihn nennt, berührt wurden). Und sie muss Tag und Nacht auf ihrem Bett liegen - sie wolle ja Ruhe. Das alles ist natürlich eine Kritik an den Zuständen, aber auch am Krankheitsbegriff selbst. Wie ein roter Faden zieht sich die Erkenntnis durch beide Romanteile, dass in der hier geschilderten Psychiatrie einfach "alles als Ausdruck von Geisteskrankheit gedeutet wird", ob man bittet oder trotzt, ob man nein oder ja sagt, alles. Auch dass Else auf ihren Mann wütend ist, weil sie glaubt, er wolle sie nicht sehen, ist für Hieronimus ein Zeichen von Wahnsinn. Da merkt man, dass nicht die Aussage oder Handlung an sich das Entscheidende ist, sondern der Ort. Außerhalb der Anstalt nämlich, im normalen Leben, womöglich in Künstlerkreisen, wird das Anomale, Unangepasste, Tabubrechende nicht als geisteskrank, sondern als genial gewertet.
Paradoxerweise schafft Else es, Hieronimus zu entkommen, indem sie sich in das richtige Irrenhaus St. Jørgen verlegen lässt. Intelligent, wie sie ist, hat sie mit der Zeit die Rollen getauscht, als Patientin den Arzt analysiert und erkannt, dass der nicht aus seiner Haut kann. Er ist Diktator, Intrigant, Sadist - lieber will sie nach St. Jørgen, wo es verständige Ärzte gibt. Hier sehen wir dann auch, dass die Skram nur im technischen Sinne "naturalistisch" ist (sie schildert detailliert das soziale Elend), aber nicht im deterministischen: Ihre Else lehnt sich auf und kann ihre Lage verbessern; überdies hat Amalie Skram den Blick für das, wie jemand gesagt hat, "verdeckte Tabuisierte, das Rätselhafte des Körpers". Mit Ibsens naturalistischen Dramen kam die "Frauenfrage" in die Literatur, Amalie Skram hat sie weitergeführt.
Der Doppelroman von 1895 wurde von der erstaunlichen Mathilde Mann schon 1897 ins Deutsche übersetzt (unter den Titeln "Professor Hieronymus" und "Im Irrenhaus"). Nun liegt der Text in einer neuen Übertragung wieder vor, die den einerseits nüchtern-berichtenden, andererseits aufgebracht-verzweifelten Passagen der Hauptfigur gewissenhaft nachspürt.
PETER URBAN-HALLE
Amalie Skram: "Professor Hieronimus". Roman.
Aus dem Norwegischen
von Christel Hildebrandt.
Guggolz Verlag, Berlin 2016. 464 S., geb., 24,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Aldo Keel erfährt aus Amalie Skrams autobiografischem Schlüsselroman, wie die rationale Gesellschaft ein Universum aus Angst, Verzweiflung und Wahnsinn birgt. Im Buch übernimmt die Rolle des Bösen namentlich Knud Pontoppidan, um die Jahrhundertwende Leiter der psychiatrischen Abteilung am Gemeindekrankenhaus Kopenhagen, wo die Autorin "interniert" war. Ihre Leidenszeit dort schildert die Autorin laut Keel drastisch und stellt zugleich die Grenzen zwischen Normalität und Wahn infrage. Dass Skram in ihrem Buch den Chefarzt "frontal" angreift, findet Keel bemerkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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